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2. Der Weg zur Unabhängigkeit

Durch die Perestrojka-Politik des sowjetischen Staats- und Parteichefs Gorbatschow 1985-91 geriet auch in der Unionsrepublik Tadschikistan die kommunistische Einparteienherrrschaft, die sich auf das vorhandene Klansystem gestützt hatte, ins Wanken. Die Gegensätze zwischen den Klanen im tadschikischen Norden - mit dem Zentrum Chodshent (Leninabad) - und im Süden (Zentrum Kuljab) hatten auch während der Jahre der kommunistischen Diktatur weiter bestanden. Moskau hatte diesen Dauerkonflikt jahrzehntelang durch Ausbalancierung der Macht kontrolliert: Der Norden stellte den Parteichef, der Süden den Regierungschef. Nunmehr traten die Gegensätze unter den Klanen jedoch als Rivalitäten zwischen Kommunisten in den Hochburgen Chodshent und Kuljab offen zutage. Die Errichtung eines theokratischen Staates stellte insofern in Tadschikistan zu keinem Zeitpunkt eine reelle Gefahr dar. Die Gefahr lag und liegt vielmehr im Zerfall des Landes in sich bekämpfende Regionen.

Die von Gorbatschow so nicht gewollte Perestrojka (Umbau) erreichte das verarmte und rückständige Tadschikistan im Februar 1990. Massendemonstrationen in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe erschütterten das kommunistische Regime, als das Gerücht umging, Moskau wolle 45.000 von Pogromen bedrohte christliche Armenier aus Aserbaidschan nach Tadschikistan umsiedeln und ihnen Wohnungen zur Verfügung stellen. Der Unmut rührte vor allem von der Tatsache her, daß nach dem verheerenden Erdbeben im Januar 1989 in der Region Hissar noch immer Zehntausende von Obdachlosen in Zelten leben mußten. Auf die wachsenden sozialen Mißstände hatten bereits 1987 Berichte über die Selbstverbrennung von Frauen in Tadschikistan hingewiesen. Nachdem die Demonstranten im Februar 1990 die kommunistische Parteizentrale in Duschanbe gestürmt hatten, folgte ein Einsatz der Sowjetarmee, dem mehr als 100 Menschen zum Opfer fielen. Die Massen demonstrierten nun gegen die Sowjetarmee und die in Tadschikistan lebenden Russen. Die Unruhen waren nicht nur durch die ungelösten wirtschaftlichen und sozialen Probleme ausgelöst worden. Auch nationalistische und religiöse Motive, inspiriert von neu entstandenen informellen Gruppen, spielten eine wichtige Rolle. Nach Meinung des tadschikischen Philosophen Mirbobo Mirrachimow war der Widerstand der tadschikischen Parteiführung gegen eine Demokratisierung der wahre Grund für die Unruhen (vgl. Bess Brown, Ten Months after the Dushanbe Riots, in: Report on the USSR, January 4, 1991, S. 33).

Bei den Auseinandersetzungen zwischen Reformern, vertreten durch Buri Karimow (Gosplan-Vorsitzender) und Otachon Latifi (stellvertretender Ministerpräsident), und Konservativen innerhalb der Kommunistischen Partei Tadschikistans setzten sich die Letzteren durch. Der Erste Sekretär der KP, Kachar Machkamow (1985-91), der zunächst einen beschränkten Pluralismus zuließ, schlug sich nach den Februar-Unruhen auf die Seite der Hardliner in der Partei. Er übernahm auch die Posten des Vorsitzenden des Obersten Sowjets und des Ministerpräsidenten in Tadschikistan und wurde Mitglied des Moskauer Politbüros der KPdSU. Um der Massenflucht der Russen aus Tadschikistan entgegenzuwirken, verabschiedete der Oberste Sowjet am 24. August 1990 eine Souveränitätserklärung, die einen multi-ethnischen Staat sowie den Beitritt Tadschikistans zum Unionsvertrag Gorbatschows vorsah. Im November 1990 beschloß der Oberste Sowjet Tadschikistans, das Präsidialsystem einzuführen. Als alternative Präsidentschaftskandidaten wurden zwei orthodoxe Kommunisten, Parteichef Machkamow und Rachman Nabijew, beide Vertreter von Klanen aus dem Norden, aufgestellt. Die Opposition forderte (u.a. durch Hungerstreiks) vergeblich, daß der Präsident vom Volk gewählt werden müsse. Der konservative Oberste Sowjet wählte am 30. November 1990 Machkamow zum Präsidenten der Republik Tadschikistan. Seine Wahl bedeutete eine Niederlage für die Reformkommunisten und die demokratische Opposition.

Unter den 15 Unionsrepubliken der UdSSR hatten im Juni 1991 nur Turkmenistan und Tadschikistan den Entwurf für den neuen Unionsvertrag Gorbatschows gebilligt. Tadschikistan hatte sich nicht vom Moskauer Putschversuch im August 1991 distanziert. Erst am 28. August 1991 - nach dem Scheitern des Moskauer Putschversuchs - faßte die KP Tadschikistans den Beschluß, aus der KPdSU auszutreten und den Namen der Partei zu ändern. Nach heftigen Protesten der demokratischen Opposition trat Präsident Machkamow am 31. August zurück. Die KP Tadschikistans nannte sich nunmehr „Sozialistische Partei". Ihren Vorsitz übernahm der frühere KP-Sekretär Schodi Schabdolow. Am 9. September 1991 wurde die Unabhängigkeit Tadschikistans proklamiert. Nachdem der Vorsitzende des Obersten Sowjets und frühere KP-Sekretär Kadreddin Asslonow den Posten des Übergangspräsidenten übernommen hatte, verbot er die Aktivitäten der KP und beschlagnahmte das Parteivermögen. Der Bürgermeister von Duschanbe, Maksud Ikramow, ließ auf Druck der Straße das Lenin-Denkmal entfernen. Sowohl Asslonow als auch Ikramow zählen zu den reformorientierten Kommunisten Tadschikistans.

Am 23. September 1991 zwang das konservative Parlament den Übergangspräsidenten Asslonow zum Rücktritt. Bis zum 1. Januar 1992 wurde der Ausnahmezustand verhängt. Gegen Bürgermeister Ikramow wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Die Abgeordneten wählten Rachman Nabijew, der 1982-1985 unter Breschnew Erster Sekretär des ZK der KP Tadschikistans war, zum neuen Vorsitzenden des Obersten Sowjets und zum Übergangspräsidenten bis zu den für den 27. Oktober 1991 vorgesehenen Präsidentschaftswahlen. Nach wochenlangen Protesten der Opposition gab das konservativ-kommunistische Parlament nach und beschloß am 2. Oktober, den Ausnahmezustand aufzuheben, die Aktivitäten der Kommunistischen Partei und ihrer Nachfolgerin, der Sozialistischen Partei, zeitweilig auszusetzen und die Präsidentschaftswahlen zu verschieben. Am 7. Oktober trat Präsident Nabijew vorübergehend von seinem Posten zurück.

Die Präsidentschaftswahlen fanden schließlich am 24. November 1991 statt, mit einer Wahlbeteiligung von 86,5% in 62 Wahlbezirken. Nach offiziellen Angaben gewann Rachman Nabijew, der sich schon einmal (am 23. September 1991) an die Macht geputscht hatte, mit 58,52% der Stimmen. Der Kandidat der demokratischen Opposition und Vorsitzende des Verbandes der Filmschaffenden der UdSSR, Dowlat Chudonazarow, seit 1990 Mitglied des ZK der KPdSU und Volksdeputierter der UdSSR, erhielt 30,05% der Stimmen. Die Opposition sprach von Wahlbetrug und Manipulation. Nabijew, der 1985 von seinem Posten als tadschikischer Parteichef als erstes Opfer der Perestrojka Gorbatschows zurücktreten mußte, wurde zum gleichen Zeitpunkt neuer Präsident Tadschikistans, als der sowjetische Staats- und Parteichef Gorbatschow abtreten mußte. Damit blieben die Machtverhältnisse in Tadschikistan sowohl klanmäßig als auch im Sinne der kommunistischen Nomenklatura unverändert. Präsident Nabijew vertrat die Klane und Kommunisten aus dem Norden (Chodshent), die bereits seit Jahrzehnten an der Macht waren. Es gelang Nabijew, die Kommunisten im Süden (im Gebiet Kuljab) als Verbündete zu gewinnen. Neuer Ministerpräsident und zweiter Mann in der Exekutive wurde Akbar Mirsojew aus dem Süden (Kuljab). Auch der neue Parlamentsvorsitzende Safarali Kendschajew war ein Verbündeter Kuljabi Nabijews. Der Präsidentschaftskandidat Chudonazarow, ein Pamiri aus Berg-Badachschan, hatte in diesem Machtpoker von vornherein keine Chance. Der demokratischen Opposition blieb nur die Alternative, in der Machtfrage neue Wege zu suchen.

Zur Zeit der Perestrojka (1985-91) entstanden in Tadschikistan, ebenso wie anderswo in der UdSSR, zahlreiche informelle Gruppen, die die Keime für die tadschikische Opposition bildeten. Zu einer breiten Volksfront entwickelte sich die politische Organisation „Rastochez" (Wiederauferstehung) unter Führung des tadschikischen Parlamentsabgeordneten Taher Abduldshabor mit ihren Diskussionsklubs „Rubaru". Der „Rastochez" gehörten sowohl tadschikische intellektuelle Gruppen als auch Reformkommunisten an. Auf dem Programm der nationalistischen „Rastochez" standen nationalstaatliche Ideen, als Mindestforderungen politische und wirtschaftliche Autonomie, Demokratisierung, Bekämpfung der sozialen und ökonomischen Rückständigkeit des Landes, Erneuerung der tadschikischen Kultur und Neubelebung der persisch-tadschikischen Beziehungen. Die „Rastochez" und das kurzlebige Volkskomitee (Waadad) unter Führung von Buri Karimow spielten die Hauptrolle bei den Unruhen in Duschanbe im Februar 1990. Die nationalistische „Rastochez" blieb weiterhin eine gesellschaftliche Organisation - sie wurde keine Partei, knüpfte jedoch enge Beziehungen zur Demokratischen Partei.

Zum Gründungskongreß der Demokratischen Partei unter Vorsitz von Schodman Jusupow fanden sich am 10. August 1990 mehrere informelle Gruppen zusammen. Die Partei verfügte über 15.000 Mitglieder. Ihr Organ ist die Tageszeitung „Adolat" (Gerechtigkeit). Die offizielle Zulassung als Partei erfolgte im Juli 1991. Die Demokratische Partei strebt ein westliches Wertesystem, parlamentarische Demokratie und freie Marktwirtschaft an.

Aus den informellen Gruppen der Pamiri, wie der Gesellschaft „Wiedergeburt Jagnobs" oder der „Nosri Chosron" der Ismaeliten, entstand 1991 die regionale Opposition „Lal’i Badachschan" unter Führung von Asobek Amirbek und Dawlat Chudonasarow, die 1992 verboten wurde.

Als die größte oppositionelle Gruppe erwies sich die am 26. Oktober 1991 gegründete Islamische Partei der „Wiedergeburt" (Nazdate Islamiye Tadschikistan) unter Vorsitz von Muhammad Scharif Chimatsoda. Die Kommunisten versuchten bereits anläßlich einer Vorbereitungskonferenz im Oktober 1990, die Aktivitäten dieser Partei, die als tadschikischer Zweig aus der von den Moslems der UdSSR 1990 in Astrachan gegründeten Allunions-Islamischen Partei der Wiedergeburt hervorgegangen war, zu unterbinden. Das offizielle Oberhaupt der Moslems Tadschikistans, der Volksdeputierte Kadi Hadschi Akbar Turadschonsoda, distanzierte sich zunächst von der Islamischen Partei, schloß sich ihr jedoch später an. Den islamischen Politikern Tadschikistans sind Fanatismus und Extremismus fremd. Insofern wird die Gefährlichkeit des Islam in Tadschikistan sowohl von Moskau als auch von westlichen Medien überschätzt, zumal die Klan-Solidarität gegenüber dem Gefühl der Zugehörigkeit zur islamischen Religion Priorität genießt. Dies schließt nicht aus, daß die moslemische Geistlichkeit eine alternative Kraft zu den Kommunisten darstellt.

Im Herbst 1991 schlossen sich die „Rastochez", die „Lal’i Badachschan", die Demokratische Partei und die Islamische Partei zu einem Block der islamisch-demokratischen Opposition zusammen. Der Block, der die Interessen der südlichen Klane, der liberalen städtischen Intelligenz und der moslemischen Geistlichkeit vertrat, strebte eine Demokratie westlichen Typs mit islamischer Orientierung an. Im einzelnen forderte er: den Rücktritt der kommunistischen Regierung, die Auflösung des Parlaments, das zu 95% mit Kommunisten besetzt war, Neuwahlen auf der Grundlage des Mehrparteiensystems und die Übernahme des persischen Alphabets für die tadschikische Schrift. Schon damals war in sowjetischen und westlichen Medien die Rede von der Gefahr des islamischen Fundamentalismus in Tadschikistan (vgl. Komsomolskaja Pravda, 16.7.1991, S. 2 und Süddeutsche Zeitung, 13.9.1991, „Aufwind für die Grüne Fahne"), obwohl die Schaffung eines islamischen Gottesstaates zu keinem Zeitpunkt erwogen wurde. Die tadschikischen Kommunisten - sowohl die der nördlichen als auch der südlichen Klane - haben jedoch erkannt, daß aufgrund der starken religiösen Gefühle der tadschikischen Bevölkerung, der Schwäche der westlich orientierten demokratischen Bewegung und des niedrigen Lebensstandards ihre Macht nur von den Islamisten ernsthaft gefährdet werden kann. Im Januar 1992 wurde die Kommunistische Partei Tadschikistans wieder zugelassen. Zum neuen Vorsitzenden der KP wurde der bisherige ZK-Sekretär Schodi Abdulow gewählt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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