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1. Die Vorgeschichte

Die Gegensätze zwischen rivalisierenden Klanen im nördlichen und südlichen Teil des heutigen Tadschikistan lassen sich bis in die Zeiten Alexander des Großen zurückverfolgen. Alexander gründete in den südlichen Landesteilen als Teil des mazedonischen Imperiums die Provinz Baktrien. Die nördlichen Landesteile gehörten dagegen zur Provinz Sogdiana des Parther-Reiches. Im 7. Jahrh. eroberten die Araber das Land. Die Tadschiken nahmen die islamische Religion an. Dabei leisteten die Zoroaster-Anhänger im tadschikischen Süden um Kuljab den Arabern den erbittertsten Widerstand. Nachdem die arabischen Kalifen im 9. Jahrh. ihre Machtstellung eingebüßt hatten, gründeten ihre Vasallen, die Samaniden, einen tadschikischen Staat, der seine Herrschaft auch auf Persien ausdehnte und von 875 bis 999 bestand. Seit dieser Zeit spricht man von einem tadschikischen Volk, das seinen Ursprung auf einen iranischen Volksstamm zurückführt. Tadschiken und Perser bildeten damals eine kulturelle Einheit. In Buchara, am Hof der Samaniden, wirkte der große tadschikische Gelehrte Ibn Sina („Avicenna") als Philosoph, Arzt und Mathematiker. Die Blütezeit der tadschikisch-iranischen Kultur endete mit dem Einfall der Mongolen (1219-21). Danach gerieten die Tadschiken unter den Einfluß der Usbeken. Ihre Siedlungsgebiete waren bis zum 19. Jahrh. in zahlreiche feudale Fürstentümer aufgesplittert. Die Gegensätze zwischen den türkischstämmigen Usbeken sowie türkisierten Tadschiken (Kyptschaken) im Norden und den die persische Tradition bewahrenden Tadschiken (Sarten) sowie Pamiris im Süden spiegelten sich in blutigen Gemetzeln der rivalisierenden Klane.

Die kulturell-historischen, religiösen, sprachlichen und mentalitätsbedingten Unterschiede zwischen den tadschikischen Klanen im nördlichen und im südlichen Landesteil blieben nicht nur erhalten, sie spitzten sich sogar zu, nachdem das russische Zarenreich in diese Gebiete vorgedrungen war (1866) und anschließend Russen und Engländer ihre Domänen in Zentralasien unter sich absteckten. Teile des tadschikischen Südens gerieten unter britischen Einfluß und wurden an Afghanistan angeschlossen. Im tadschikischen Norden besetzten die zaristischen Truppen den Khanat Kokand mit Chodshent als Zentrum, wo bis 1917 kapitalistische Wirtschaftsformen in Bergbau und Industrie entstanden. Im tadschikischen Süden (Karategin, Berg-Badachschan, Kurgan-Tjube und Kuljab), der bis 1924 im Emirat von Buchara, einem Protektorat des russischen Zarenreiches, verblieb, herrschten weiterhin feudale Strukturen vor. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde der tadschikische Norden Teil der Autonomen Republik Turkestan. Im tadschikischen Süden kämpfte bis 1922 der frühere osmanische Kriegsminister Enver Pascha für die Befreiung der zentralasiatischen Staaten von sowjetischer Herrschaft. 1923 begann in Buchara der Kampf der nationalistisch-religiösen Basmatschenbewegung gegen die Sowjetmacht, der erst 1936 ein blutiges Ende fand. Am 14. Oktober 1924 wurden die nördlichen und südlichen Landesteile Tadschikistans als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) im Rahmen der Usbekischen SSR vereinigt. Am 5. Dezember 1929 erhielt Tadschikistan den Status einer Unionsrepublik innerhalb der UdSSR.

Die Republik Tadschikistan mit dem Autonomen Gebiet Berg-Badachschan (Pamir-Gebirge) erstreckt sich über eine Fläche von rund 143.000 qkm. Sie hat Grenzen zu Usbekistan, Kyrgystan, China und Afghanistan. Von den 5,2 Mill. Einwohnern sind 3,2 Mill. (62%) Tadschiken. Die Struktur der nationalen Minderheiten in Tadschikistan wurde weitgehend von der Umsiedlungspolitik Stalins bestimmt. So wurden z.B. die Jagnobzen aus den Bergregionen zwangsweise in die Steppen des Südens umgesiedelt. Die Aktion zog zahlreiche Konflikte nach sich. Bereits in den 30er Jahren wurden die „Volksfeinde" Stalins, russische Kulaken, Wolgadeutsche, Krimtataren und Koreaner, nach Tadschikistan verbannt. Nach der Niederwerfung des Basmatschenaufstandes wurden turksprachige Usbeken in Gebiete umgesiedelt, die ausschließlich von persischsprechenden Tadschiken bewohnt waren. Die rund 1,2 Mill. (23,5%) Usbeken stellen (mit ca. zwei Dutzend Stämmen) die größte nationale Minderheit in Tadschikistan. Als Folge der Kolonisierung und Russifizierung befanden sich 1989 440.000 Russen, Weißrussen, Balten und Ukrainer in Tadschikistan, von denen nach Kriegsausbruch rund 340.000 das Land verließen. Zu den kleineren Minderheiten Tadschikistans (mit einem Anteil von jeweils weniger als 1%) zählen Kasachen, Kirgisen, Turkmenen, Tataren, Osseten, Baschkiren, Araber, Armenier, Deutsche, Juden und Koreaner. Die drei letztgenannten Volksgruppen kehren überwiegend in ihre Mutterländer zurück. Die autonome Region Berg-Badachschan hat 160.000 Einwohner - Tadschiken und Pamiris. Die sprachliche und kulturelle Vielfalt dieser Berg-Völker (Wachanzen, Chugnanzen, Jasguljemen, Rochanen, Ischkaschimen, Jagnoben u.a.) im schwer passierbaren Pamir-Gebirge ist bis heute erhalten geblieben.

Die für die kulturelle Identität der Tadschiken wichtigsten Siedlungsgebiete liegen in Usbekistan (Buchara, Samarkand), wo heute mehr als 1 Mill. Tadschiken wohnen. In Afghanistan leben über 4 Mill. Tadschiken - mehr als in Tadschikistan. Die tadschikische Sprache gehört zu den iranischen Sprachen. Sie ist seit Anfang 1990 Amtssprache. Davor war Russisch Staatssprache. Die arabische Schrift war 1929 durch die lateinische ersetzt worden. 1940 wurde die russische (kyrillische) Schrift zwangsweise in Tadschikistan eingeführt. Eine tadschikische Literatursprache entstand zwar Anfang des 20. Jahrh. in den Kulturzentren Buchara und Samarkand, sie fiel jedoch der gewaltsamen Russifizierung zum Opfer.

Die einzige Kraft, die die Tadschiken, unabhängig von ihrer Stammeszugehörigkeit oder politischen Parteinahme, einigt, ist die islamische Religion. Die Tadschiken sind im Gegensatz zu den Iranern, mit denen sie Sprache und Kultur gemeinsam haben, Sunniten. Nur die Berg-Völker des Pamir in Berg-Badachschan, die früheren Anhänger des Zoroastrismus, sind ismailitische Schiiten. Das geistige Oberhaupt der Ismailiten ist Aga Khan. Seine Stiftung wurde im Mai 1995 im Auftrag der Europäischen Union in Chorog (Berg-Badachschan) tätig, indem sie dort Spenden verteilte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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