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DER KRIEG IN TADSCHIKISTAN - Zusammenprall der Zivilisationen?-

Vom Krieg in Tadschikistan nehmen westliche Medien und auch die russische Presse kaum Notiz, obwohl dieser Krieg hinsichtlich der Zahl der Opfer die kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien, Abchasien oder Karabach in den Schatten stellt. Und nicht nur aus diesem Grunde sollte die Öffentlichkeit den Ereignissen in Tadschikistan mehr Aufmerksamkeit schenken. Vielmehr stellt sich die Frage, ob der Krieg in diesem zentralasiatischen Land als ein erstes Beispiel für die Thesen des Harvard-Politologen Samuel P. Huntington über den Zusammenprall der Zivilisationen dienen kann (vgl. Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations?, in: Foreign Affairs, Bd. 72, Nr. 3, Sommer 1993, S. 22-49).

Als Kriegsparteien stehen sich Vertreter der Moderne - Kommunisten und Demokraten - sowie der Postmoderne - Nationalisten und Islamisten - gegenüber. Demokraten, Nationalisten und Islamisten verbündeten sich gegen die Kommunisten. Trotzdem gelang es den Kommunisten mit Hilfe Moskaus, sich an der Macht zu halten. Die russische Zivilisation setzte sich gegenüber der traditionellen zentralasiatischen Zivilisation durch. Während die Islamisten heute einen Partisanenkrieg gegen das kommunistische Terrorregime führen, spalteten sich die Demokraten und die Nationalisten, die schwächsten Glieder dieser Auseinandersetzung. Die Anhänger des westlichen Wertesystems (Liberalismus) unter den Demokraten verließen das Bündnis mit den Islamisten und zeigten sich kompromißbereit gegenüber den anderen Repräsentanten der Moderne in Tadschikistan, den Kommunisten. eine ähnliche Entwicklung ergab sich bei den Nationalisten, die sich die Schaffung eines modernen tadschikischen Nationalstaates zum Ziel gesetzt haben.

Die Tadschiken - und die anderen zentralasiatischen Völker - machen jetzt einen Prozeß durch, den Westeuropa vor 500 und die Türkei (Kemal Atatürk) vor 70 Jahren abgeschlossen haben: die Herausbildung der Nation. Die Islamisten stehen zwar der nationalstaatlichen Idee ablehnend gegenüber, wollen sie jedoch als politischer Machtfaktor wirken, müssen sie die nationalistischen Ideen differenziert betrachten. Ein tadschikischer Nationalismus kann nur auf dem Boden der islamischen Kultur gedeihen, d.h. in Distanz gegenüber nichtislamischen Ausländern (z.B. Russen).

Die tadschikischen Kriegsparteien beteuern zwar, daß sie ausnahmslos für Demokratie, Pluralismus und Marktwirtschaft sind, doch sind diese Begriffe des westlichen Liberalismus der traditionellen Kultur der Völker Tadschikistans ebenso fremd wie der europäische Etatismus (Staatsgedanke). Im künstlich geschaffenen „sowjetischen" Tadschikistan kannte man weder eine nationale Identität noch nationalstaatliche Ideen nach westlichem Muster. Und auch der gegenwärtige Zivilisationskampf in Tadschikistan läßt sich auf einen Machtkampf zwischen den regionalen Klanen reduzieren. Unter dem Deckmantel der Ideologie des offiziellen Kommunismus hatte in Tadschikistan die traditionelle patriarchale Gesellschaft fortbestanden. Ihre Hauptmerkmale: politischer Despotismus und Ausbeutung sozial schwacher Schichten durch die lokale Elite. Diese Elite bestand aus Parteifunktionären, Verwaltungsbeamten sowie Direktoren von Industrie- und Agrarbetrieben mit ihrer weitverzweigten Verwandtschaft. Man war KPdSU-Mitglied, russifiziert, gebildet und reich. Homogen war diese Elite nicht. Sie gliederte sich in Klane, die bestimmte Gebiete kontrollierten und sich die Macht teilten. In den letzten Jahrzehnten übten vor allem Vertreter der Klane des Nordens die Macht aus, während die Klane des Südens als eine Art Opposition auftraten. Zusammenfassend kann man sagen: Tadschikistan wird von einer kommunistischen Oligarchie beherrscht, die in ethnische Klane untergliedert ist.

Auseinandersetzungen konnten in dieser Region - auch im Rahmen der Sowjetunion - stets durch ein ausgeklügeltes ethnisches und regionales Gleichgewichtssystem unter den Stämmen vermieden werden. Ohne Einmischung von außen hätten die regionalen Stammesfürsten auch heute das Gleichgewicht und damit den „Frieden" untereinander schon längst wiederhergestellt. Die Einmischung von außen verwandelte den Machtkampf der Stämme jedoch in einen endlosen Zivilisationskampf, dem die UNO und die OSZE, wie früher etwa in Somalia, Rwanda oder Bosnien, hilflos gegenüberstehen. Die Einmischung Moskaus, das Zentralasien als russische Einflußsphäre betrachtet, basiert auf Moskaus Großmachtanspruch. Paradox ist dabei, daß sich Präsident Jelzin als „Demokrat" auf die Macht der tadschikischen Kommunisten stützt, um die russische Zivilisation vor der angeblichen Bedrohung durch den islamischen Fundamentalismus zu schützen. Die Nachbarstaaten Usbekistan und Afghanistan sowie die regionalen Mächte Iran, Indien, Pakistan und die Türkei mischen kräftig mit in den Auseinandersetzungen - anstatt gemeinsam mit Rußland zur Konfliktlösung beizutragen.

Tadschikistan zählt - neben Turkmenistan - zu den ärmsten und rückständigsten Ländern Zentralasiens. An der Wirtschaftslage hat sich auch nach der Unabhängigkeit nichts geändert. Die Mehrheit der Bevölkerung (70%) lebt in kleinen Dörfern und unterhalb der Armutsgrenze. Weite Teile des Landes bestehen aus Wüsten und Bergsteppe. Nur 6% des Bodens können landwirtschaftlich genutzt werden (Baumwollmonokultur). Deshalb ist das Land auf Lebensmitteleinfuhren angewiesen. Zu den vielfältigen Ursachen des Bürgerkriegs zählt nicht zuletzt die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Bevölkerung - Wohnungsmangel, schlechte medizinische Versorgung, Arbeitslosigkeit, Bevölkerungswachstum (3,5% jährlich) und hohe Kindersterblichkeit. Die hochqualifizierten Arbeiter und Experten - Russen, Ukrainer, Juden, Koreaner und Deutsche - haben Tadschikistan verlassen. Das Bruttoinlandsprodukt ging 1994 im Vergleich zum Vorjahr um 31% zurück. Der Kampf gegen die Hyperinflation brachte trotz der Einführung des neuen russischen Rubels 1994 sowie eines tadschikischen Rubels 1995 keine greifbaren Ergebnisse. Die durch den Bürgerkrieg verursachten Schäden beliefen sich bislang auf 200 Mrd. Rubel. Die Auslandsschulden Tadschikistans betrugen 1994 bereits 432 Mill. Dollar. Exportgüter Tadschikistans sind lediglich Baumwolle und Aluminium. Großes Interesse besteht im Ausland allerdings an den Uranvorkommen. Unter den gegenwärtigen Kriegsbedingungen ist ein Schmuggel mit angereichertem Uran nicht auszuschließen. Einzige Einnahmequellen der Bevölkerung Tadschikistans sowie der dort stationierten russischen Militärs sind Anbau, Herstellung und Handel von bzw. mit Drogen. Tadschikistan ist auch Transitland für Drogen aus Afghanistan und Pakistan.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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