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TEILDOKUMENT:
Generationenbeziehungen sind aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Familien ausländischer Herkunft und für die Funktionsweise familialer Solidarpotenziale in ihnen. 1. Die meisten Familien ausländischer Herkunft stammen aus Gesellschaften ohne ein ausgebautes sozialstaatliches System sozialer Sicherung. Entsprechend werden alle Sozialleistungen und alle Absicherungen gegen die Risiken des Lebens zum ganz überwiegenden Teil unmittelbar zwischen den Generationen erbracht. Diese Funktionen der unmittelbaren materiellen Absicherung durch Generationenbeziehungen haben weitreichende Auswirkungen auf ihre kulturelle Ausgestaltung, d. h. darauf, was Eltern und Kinder füreinander bedeuten, was sie gegenseitig voneinander erwarten und welchen "Wert" sie füreinander haben. 2. Die Migrationssituation selbst hat unmittelbare Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen, lassen sich doch viele Migrationsziele nur im Generationenzusammenhang legitimieren und realisieren. Von besonderer Bedeutung sind diese Generationenbeziehungen bei einem ungesicherten Aufenthaltsstatus. Eine gewünschte oder erzwungene Rückkehr in die Herkunftsgesellschaft bedeutet zugleich, wieder auf soziale Sicherungssysteme zurückgreifen zu müssen, die nicht auf Versicherungsleistungen, sondern auf Generationenbeziehungen basieren. Die Generationenbeziehungen sollen hier unter zwei Gesichtspunkten beleuchtet werden: Zunächst werden kulturelle Unterschiede in den Generationenbeziehungen unter dem Gesichtspunkt elterlicher Erwartungen an ihre Kinder untersucht ("Werte von Kindern"), anschließend werden Befunde zu den gelebten Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern im Jugendalter unter dem Gesichtspunkt der Weitergabe von Orientierungen und Einstellungen dargestellt ("Intergenerative Transmission").
3.1 Werte von Kindern für ihre Eltern
Als die zentrale Dimension der Ausgestaltung kultureller Unterschiede in den Generationenbeziehungen hat sich in kulturvergleichenden Studien erwiesen, inwiefern hier jeweils ökonomisch-utilitaristische bzw. psychologisch-emotionale Erwartungen eine Rolle spielen:
Wenngleich in allen Gesellschaften immer beide Dimensionen der Eltern-Kind-Beziehungen präsent sind, ergeben sich doch deutliche Unterschiede in der Wertigkeit: Nur in Wohlstandsgesellschaften mit hohen sozialstaatlichen Leistungen ist denkbar, dass ausschließlich psychologisch-emotionale Erwartungen bei der Entscheidung der Übernahme elterlicher Verantwortung bedeutsam sind und ökonomische Aspekte der Eltern-Kind-Beziehungen nur mehr als Kostenfaktoren in Erscheinung treten. Demgegenüber werden in Armutsgesellschaften ohne sozialstaatliche Leistungen immer Nützlichkeitserwägungen bei der Entscheidung für Elternschaft im Vordergrund stehen. Hierzu liegt ein systematisch ausgearbeiteter Erklärungsansatz vor, der die Werte von Kindern für ihre Eltern (values of children = VOC) in das Zentrum der Erklärung von interkulturellen Unterschieden im generativen Verhalten und in der Ausgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen stellt (L.W. Hoffman & M.L. Hoffman 1973; D. Friedman, M. Hechter & S. Kanazawa 1994; B. Nauck & A. Kohlmann 1999; B. Nauck 2001a). Solche Unterschiede reflektieren insbesondere, inwiefern in den jeweiligen Kulturen Kinder bedeutsame "Zwischengüter" für die Erlangung von materieller Sicherheit und sozialer Anerkennung darstellen bzw. in welchem Ausmaß institutionalisierte Alternativen außerhalb von intergenerativen Beziehungen bestehen. So sind in einigen Gesellschaften Investitionen in Kinder unerlässlich, um in der Subsistenzwirtschaft zu überleben, als Erwachsener in der Dorfgemeinschaft ernstgenommen zu werden, oder um eine Absicherung im eigenen Alter und bei Pflegebedürftigkeit zu haben, während in anderen Gesellschaften dies vielleicht durch Investitionen in Technisierung, in akademische Ehrentitel und in sozialstaatliche oder privatwirtschaftliche Versicherungen geschieht. Selbstverständlich variieren auch die direkten und indirekten Kosten von Kindern erheblich entsprechend den jeweiligen institutionellen Voraussetzungen und Erfordernissen einer Gesellschaft für die Betreuung und Sozialisation von Kindern, d. h. der Höhe und der Länge der von den Eltern zu erbringenden Leistungen und den durch Investitionen in Kinder entgangenen Nutzen aus anderen Tätigkeiten. Solche unterschiedlichen Erwartungen und Werte von Kindern finden sich auch in Familien ausländischer Herkunft in Deutschland. Zu berücksichtigen ist bei der nachfolgenden Ergebnisinterpretation, dass es sich ausschließlich um die Antworten von Eltern handelt und sich bereits bei der Bereitschaft, Verantwortung für Kinder zu übernehmen, deutliche kulturelle Unterschiede ergeben, die sich in unterschiedlichen Anteilen von Kinderlosen an der erwachsenen Gesamtbevölkerung ergeben: Während Kinderlosigkeit (als bewusste Lebensplanung) in Gesellschaften wie der Türkei und Vietnam außerordentlich selten anzutreffen ist, polarisiert sich die deutsche Gesellschaft zunehmend in einen familiären und einen nicht-familiären Sektor (K.P. Strohmeier & H.J. Schulze 1995); entsprechend ist davon auszugehen, dass dies auch seinen Niederschlag in einer größeren Einstellungs-Differenz zwischen Eltern und Nicht-Eltern in dieser Gesellschaft findet. Dieses Modell zum Wert von Kindern für ihre Eltern wird hier zunächst angewandt, um den Wandel von Werten in türkischen Familien zu beschreiben, bevor es anschließend zur Erklärung von Unterschieden zwischen den einzelnen Migrantenfamilien herangezogen wird.
3.1.1 Kontinuität und Wandel von Werten in türkischen Familien
In Tabelle 5 sind empirische Befunde zu einem wesentlichen Aspekt des Wandels in türkischen Migrantenfamilien zusammengestellt, nämlich der Bedeutung von ökonomisch-utilitaristischen Erwartungen für die Ausgestaltung intergenerativer Beziehungen. Die Prozentzahlen geben den jeweiligen Anteil der Befragtengruppe an, die in der jeweiligen Eltern-Kind-Dyade Hilfeleistungen erwartet. Solche Erwartungen sind für generatives Verhalten, für Geschlechtsbevorzugung, für Erziehungseinstellungen sowie Pflege- und Sozialisationspraktiken außerordentlich konsequenzenreich (B. Nauck 1989b, 1997a). Da in der Erhebung über türkische Migrantenfamilien die Fragen zu Hilfe- und Unterstützungserwartungen von Müttern und Vätern an ihre Söhne und Töchter aus den interkulturell-vergleichenden Studien zu den "values of children" (L.W. Hoffman 1987; C. Kagitcibasi 1982) übernommen worden sind, lassen sich einige direkte Vergleiche ziehen:
Bezüglich des Modernisierungsgefälles machen die Befunde deutlich, dass ökonomisch-utilitaristische Erwartungen von Eltern an ihre Kinder in den USA auf einem drastisch niedrigeren Niveau liegen als in der Türkei; sie reduzieren sich auf Hilfen in Notfällen. In der Türkei sind die utilitaristischen Erwartungen 1975 bei den Müttern durchweg höher als die bei Vätern; diese positionsspezifische Differenzierung ist bei den Angloamerikanern - obgleich noch sichtbar - weitgehend eingeebnet. In der Türkei richten sich zu diesem Zeitpunkt die Erwartungen durchweg stärker auf Söhne als auf Töchter; diese geschlechtsspezifische Differenzierung ökonomisch-utilitaristischer Erwartungen ist in den USA praktisch verschwunden. Auch beim zweiten Erhebungszeitpunkt 1992 in Istanbul sind die ökonomisch-utilitaristischen Erwartungen der türkischen Eltern an ihre Söhne und Töchter außerordentlich hoch. Berücksichtigt man ferner, dass bei der beträchtlichen regionalen Variabilität dieser Erwartungen diese in den urbanen Metropolen eher unterdurchschnittlich ausgeprägt sind, so lässt sich ein Werte-Wandel in den Erwartungen der Eltern an ihre Kinder kaum konstatieren. Tendenziell fällt dieser Wandel eher dahingehend aus, dass Töchter nunmehr etwas stärker in die ökonomisch-utilitaristischen Erwartungen einbezogen werden. Tabelle 5:
1) C. Kagitcibasi 1982;
Diese Angleichung der Erwartungen gegenüber Töchtern und Söhnen auf sehr hohem Niveau lässt sich in keiner Weise als Angleichung an die kulturell-normative Strukturierung intergenerativer Beziehungen nach dem Muster westlicher Industriegesellschaften (mit ihrer weitgehenden Spezialisierung auf psychologisch-emotionale Werte) deuten, vielmehr scheint umgekehrt eine "Mobilisierung" auch der weiblichen Nachkommen für utilitaristische Erwartungen stattzufinden. Bei den türkischen Eltern in Deutschland lassen sich eine Reihe von Modifikationen in den ökonomisch-utilitaristischen Erwartungen an ihre Kinder beobachten. Stark zurückgegangen ist (wahrscheinlich nicht zuletzt wegen des deutlich hinausgeschobenen Zeitpunkts) die Erwartung an eine finanzielle Beteiligung der nachwachsenden Generation am Familieneinkommen. Reduziert haben sich auch die Erwartungen an eine Unterstützung der jüngeren Geschwister (wahrscheinlich auch deswegen, weil solche Aufwendungen in Deutschland nicht durch Zahlung von Schulgeld sondern allenfalls indirekt erfolgen). Wie bei anglo-amerikanischen Eltern verbleibt dagegen die Erwartung auf gegenseitige Unterstützung in finanziellen Notfällen auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Wie bei Eltern in der Türkei sind allerdings die Erwartungen auf Mitarbeit im Haushalt recht häufig, und zwar insbesondere in den gleichgeschlechtlichen Dyaden. Ebenso stabil sind die elterlichen Erwartungen einer finanziellen Hilfe im Alter. Insgesamt lassen diese Modifikationen nur den Schluss zu, dass es sich hier um eine situationsspezifische Umdeutung einer in ihrer kulturellen Tiefenstruktur stabilen intergenerativen Beziehung handelt, in der nach wie vor utilitaristische Erwartungen konstitutiv sind: Während die langfristigen Hoffnungen (auf Hilfen in Notfällen und insbesondere im Alter) stabil bleiben, werden kurzfristige ökonomische Erwartungen in der Migrationssituation zurückgestellt. Wegen der vergleichsweise hohen außerhäuslichen Erwerbstätigkeit beider Eltern besteht jedoch ein starker Druck auf die Jugendlichen, in der Migration Dienstleistungen im Haushalt zu übernehmen. Bemerkenswert ist nun an der zusätzlichen Befragung der betroffenen türkischen Jugendlichen in der Türkei und Deutschland, in welchem Ausmaß diese die elterlichen Erwartungen antizipieren (und wohl auch: internalisieren). So glauben 49% der Söhne in der Türkei, dass sie bei Berufsbeginn Teile des Gehalts abzugeben haben, für 55% gehört dazu, dass sie zu Hilfeleistungen im Haushalt herangezogen werden, 71% denken daran, ihre jüngeren Geschwister zu unterstützen, 90% rechnen damit, ihre Eltern im Alter finanziell zu unterstützen und 93% stehen für Hilfen in finanziellen Notfällen bereit. Nicht anders sieht es bei den Mädchen in der Türkei aus, die zu 51% glauben, Gehalt abgeben zu müssen, zu 68% davon ausgehen, ihre Geschwister zu unterstützen, zu 83% mit einer Unterstützung ihrer alten Eltern, zu 95% mit Hausarbeit und zu 99% mit der Hilfe in Notfällen rechnen. An diesem Sachverhalt scheint auch die Migration und der damit verbundene Einfluss eines anderen normativen Musters intergenerativer Beziehungen in der Aufnahmegesellschaft wenig zu ändern, denn auch bei den türkischen Jugendlichen ist die Antizipation ökonomisch-utilitaristischer Erwartungen außerordentlich hoch. Besonders hoch und über alle Eltern-Kind-Dyaden hinweg stabil ist dabei die Erwartung finanzieller Unterstützung im Alter und in finanziellen Notfällen. Wenn man berücksichtigt, dass die antizipierten Erwartungen der Jugendlichen teilweise sogar auf einem höheren Niveau als die der Eltern liegen, lassen diese Befunde keinesfalls den Schluss zu, dass in den türkischen Familien in der Herkunfts- und in der Aufnahmegesellschaft ein rascher intergenerativer Wandel stattfindet.
3.1.2 Werte von Kindern für ihre Eltern in Migrantenfamilien
Ein Vergleich der Befragungsergebnisse von Eltern deutscher, griechischer, italienischer, türkischer und vietnamesischer Herkunft und aus Aussiedlerfamilien in Tabelle 6 zeigt, dass sich die nachhaltigsten interkulturellen Differenzen im Hinblick auf ökonomisch-utilitaristische Erwartungen an den Besitz von Kindern ergeben (B. Nauck 2000: 360).
Selbstverständlich erhält die Frage nach der Bedeutung von Kindern für die Entwicklung der Gattenbeziehung im zweiten Entwicklungsmodell eine völlig andere Bedeutung als im ersten Modell: Während im ersten Modell Kinder die Folge einer verfestigten Paarbeziehung sind, sind sie im zweiten Entwicklungsmodell dessen Ursache.
Zusammenfassend lässt sich zu den interkulturellen Unterschieden feststellen, dass bei allen Nationalitäten psychologisch-emotionale Werte von Kindern stärkere Zustimmung erfahren als ökonomisch-utilitaristische Werte. Zugleich ergeben sich jedoch einige charakteristische Unterschiede:
Deutliche Unterschiede ergeben sich auch hinsichtlich der wahrgenommenen Kosten von Kindern bei den Eltern der jeweiligen Herkunftsnationalitäten (Tabelle 7) (B. Nauck 2000: 363):
Sicher kann man davon ausgehen, dass Familien ausländischer Herkunft durch die Migrationssituation und ihre Platzierung im Beschäftigungssystem im Durchschnitt stärkeren Belastungen bei der Versorgung von Kindern unterliegen als nichtgewanderte deutsche Familien. Um so bemerkenswerter ist es, dass die durch die Migranten-Eltern wahrgenommenen Kosten von Kindern nicht deutlich über denen der deutschen Eltern liegen. Die wahrgenommenen Kosten bleiben außerdem weit hinter den positiven Erwartungen an die Kinder zurück. Dies unterstreicht nochmals die grundsätzliche Bedeutung der Generationenbeziehungen in der Migrationssituation. Da es sich als ein Charakteristikum bei allen Familien ausländischer Herkunft herausgestellt hat, dass Nützlichkeitserwartungen ein konstitutives Element dieser Beziehungen sind, soll dies abschließend an ergänzenden Befunden zu elterlichen Erwartungen an Söhne und Töchter im Hinblick auf Hilfeleistungen illustriert werden (Tabelle 8). In der ersten Hälfte der Tabelle (Tabelle 8a) werden die Befunde zu den Erwartungen der Eltern an ihre Kinder dargestellt, in der zweiten Hälfte (Tabelle 8b) die Befragungsergebnisse für deren jugendliche Kinder, d. h. in welchem Umfang diese solche Nützlichkeitserwartungen wahrnehmen bzw. antizipieren. Es handelt sich somit in diesem Teil um eine Analyse von Erwartungs-Erwartungen, die in besonderer Weise wechselseitige Rollenverpflichtungen repräsentieren. Diese Befunde zeigen ein durchweg konsistentes Muster geschlechtsspezifisch differenzierter intergenerativer Erwartungen:
Ein Vergleich der Antworten der Eltern mit denen ihrer jugendlichen Kinder zeigt, dass diese die elterlichen Erwartungen in hohem Maße antizipiert und internalisiert haben. Ihre Antwortmuster folgen denen der Elterngeneration, so dass sich bei ihnen die gleichen geschlechtsspezifischen Differenzierungen wiederfinden.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass keine gravierenden geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen den Migrantennationalitäten hinsichtlich der intergenerativen Erwartungen bestehen; die Ähnlichkeit der Antwortmuster lässt vielmehr auf eine fest verankerte Arbeitsteilung zwischen den Generationen und Geschlechtern schließen, die von Eltern und Kindern in hohem Maße akzeptiert sind - wenn auch je nach der Dominanz von psychologisch-emotionalen bzw. ökonomisch-utilitaristischen Werten in unterschiedlichem Ausmaß: In den italienischen und griechischen Familien sind die Erwartungen der Eltern jeweils stärker vorhanden als dies von den Jugendlichen antizipiert wird; in den türkischen Familien und in den Aussiedler-Familien übertreffen dagegen die Antizipationen der Jugendlichen gelegentlich die faktischen Erwartungen ihrer Eltern.
3.2 Intergenerative Transmission in Migrantenfamilien
Die Weitergabe von Kultur zwischen den Generationen ist eine notwendige Bedingung für kulturelle Gemeinsamkeit und Kontinuität, sie erfolgt aber niemals vollständig. Vielmehr wird die Kultur in der kontinuierlichen Interaktion zwischen Personen und Gruppen hervorgebracht und ständig verändert. Entsprechend führt der Prozess der kulturellen Transmission nicht zu einer perfekten Reproduktion der Kultur in den jeweils nachfolgenden Generationen, sondern bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen einer exakten Transmission (und entsprechend keinen bemerkbaren Unterschieden zwischen den Generationen) und einem vollständigen Fehlen jeglicher kulturellen Transmission (und entsprechend keinen bemerkbaren Ähnlichkeiten zwischen den Generationen). Beide Extreme sind gleichermaßen problematisch: Perfekte Transmission würde keinerlei Wandel zulassen und keinerlei Kapazität zur Anpassung an neue Situationen ermöglichen, fehlende Transmission würde dagegen koordiniertes Handeln zwischen den Generationen unmöglich machen und jede intergenerativen Solidarpotenziale zerstören (K. Phalet & U. Schönpflug 2001). Wenn nur wenige neue Mitglieder eine gesellschaftliche Gruppe eintreten, kann die Weitergabe der Kultur langsam und diffus erfolgen. Wenn jedoch viele neue Mitglieder in die gesellschaftliche Gruppe eintreten, dann muss die Kultur schnell und intensiv weitergegeben werden, wenn sie aufrechterhalten werden soll. Migrationssituationen sind nun typischerweise - wenn sie ein nennenswertes Ausmaß annehmen - durch sozialen Wandel in der Aufnahmegesellschaft gekennzeichnet, in jedem Falle sind sie jedoch eine Situation des rapiden kulturellen Wechsels für die Migranten selbst. Migrationssituationen führen damit sowohl bei den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft als auch bei den Migranten zu einer stärkeren Akzentuierung der jeweils eigenen Kultur. Intergenerative Transmission ist in dieser Situation häufig die einzige Möglichkeit, das kulturelle Erbe aus der Herkunftsgesellschaft oder eine Minoritäten-Subkultur aufrecht zu erhalten. Das Paradoxe an der Migrationssituation ist somit, dass die Elterngeneration zu gleicher Zeit eine größere Schwierigkeit und eine größere Notwendigkeit intergenerativer Transmission von Kultur gegenüberstehen. Einerseits haben elterliche Vorbilder im Aufnahmekontext ihren adaptiven Wert eingebüßt, andererseits können sich die Migranteneltern veranlasst sehen, mit noch größeren Anstrengungen ihre Herkunftskultur an die Kinder weiterzugeben, insbesondere wenn eine diesbezügliche Unterstützung durch kulturvermittelnde Institutionen (z. B. durch entsprechende Bildungsangebote in den Kindergärten und Schulen) weitgehend fehlt. Es kann aus diesen Gründen nicht verwundern, wenn in Migrantenfamilien intergenerative Beziehungen besonders hoch motiviert sind und die Generationenbeziehungen stärker koordiniert sind, als dies in nichtgewanderten Familien - sei es in der Herkunfts-, sei es in der Aufnahmegesellschaft - der Fall ist.
3.2.1 Intergenerative Transmission in türkischen Familien in Deutschland und der Türkei
Durch einen Vergleich zwischen gewanderten und nichtgewanderten türkischen Familien kann geprüft werden, ob das Ausmaß der intergenerativen Transmission, d. h. der Übereinstimmung in der Situationswahrnehmung, in Einstellungen und Handlungspräferenzen zwischen den Generationen, unter Migrationsbedingungen größer oder kleiner ist als bei nichtgewanderten türkischen Familien. In Tabelle 9 sind Befunde zur Übereinstimmung von Einstellungen in den gleichgeschlechtlichen Eltern-Kind-Dyaden zusammengestellt worden (B. Nauck 1995). Die Befunde stammen aus einer Vergleichsuntersuchung von türkischen Familien in Deutschland und der Türkei, bei der jeweils Mütter und jugendliche Töchter bzw. Väter und jugendliche Söhne (gleichgeschlechtliche Eltern-Kind-Dyaden) befragt wurden. Aus dem Vergleich der Mittelwerte in den herangezogenen Indikatoren lassen sich Rückschlüsse auf die Niveau-Unterschiede zwischen den Generationen und Geschlechtern ziehen; die intragenerativen (+) und intergenerativen (*) Niveauunterschiede in den Migrantenfamilien sowie zwischen den gewanderten und nichtgewanderten Familien (°) sind durch T-Tests auf ihre Signifikanz hin überprüft worden. Die Korrelationen in den Vater-Sohn- und Mutter-Tochter-Dyaden verweisen auf den Grad der Übereinstimmung zwischen Eltern und Jugendlichen auf der Individualebene und vermögen damit Hinweise auf das Ausmaß der intergenerativen Transmission in Migrantenfamilien zu geben.
Tabelle 9:
Diese Befunde belegen dramatische Unterschiede zwischen den gewanderten und nichtgewanderten türkischen Familien hinsichtlich der Übereinstimmung zwischen Eltern und Jugendlichen bei den individuellen Einstellungen. - In den Migrantenfamilien zeigt sich die größte Übereinstimmung in den Bereichen, die spezifisch für die intergenerativen Beziehungen sind. Besonders herausragend ist hierbei die Bildungsaspiration, d. h. die erwartete Sicherheit, mit dem ein größtmöglicher Schulabschluss erwartet wird, die die Eltern für ihre jugendlichen Kinder bzw. die Jugendlichen für sich selbst haben (r = .62 in der Mutter-Tochter-Dyade und .52 in der Vater Sohn-Dyade). Die Bildungsaspirationen der Eltern liegen dabei im Niveau deutlich höher als die der (betroffenen) Jugendlichen, die bei weitem weniger sicher sind, einen entsprechend hohen Bildungsabschluss zu erreichen; die geschlechtsspezifischen Differenzen (zugunsten einer etwas höheren Aspiration bei männlichen Jugendlichen) treten dagegen deutlich zurück. Insgesamt ergibt sich damit auch in dieser jüngsten Untersuchung, dass türkische Migranteneltern außerordentlich hohe Bildungsaspirationen für ihre Kinder besitzen. - Der Mittelwertvergleich zwischen Migranten und nichtgewanderten türkischen Familien zeigt nun allerdings, dass die Nichtgewanderten die Migranten in beiden Geschlechtern und in beiden Generationen im Niveau ihrer Bildungsaspirationen noch bei weitem übertreffen. An den recht niedrigen Korrelationskoeffizienten wird jedoch deutlich, dass in der Türkei die hohen Bildungsaspirationen nicht unmittelbar auf intergenerative Transmission zurückzuführen ist. Homogene Milieus werden vielmehr dazu beitragen, dass solche Aspirationen auch dann auf hohem Niveau stabilisiert werden, wenn eine direkte Verankerung in den Eltern-Kind-Dyaden nicht gegeben ist. - Wie bei den Bildungsaspirationen ist auch bei den Nützlichkeitserwartungen an die Kindgeneration in den Migrantenfamilien eine deutliche intergenerative Transmission zu verzeichnen, wobei diese in der weiblichen Dyade stärker ist als in der männlichen. An den Mittelwertvergleichen wird deutlich, dass Niveauunterschiede allein bei den männlichen Jugendlichen zu verzeichnen sind, deren antizipierte Nützlichkeitserwartungen sowohl bezüglich der Töchter als auch bezüglich der Söhne außerordentlich hoch ausfallen und die aller anderen Gruppen deutlich übertreffen. Türkische Migrantensöhne antizipieren damit höhere ökonomisch-utilitaristische Erwartungen an sich, als sie von ihren Eltern geäußert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass diese männlichen Jugendlichen die mit Abstand stärksten normativen Geschlechtsrollenorientierungen besitzen und damit nicht nur alle anderen Gruppen in Deutschland, sondern auch in der Türkei übertreffen. Die Migrantensöhne neigen auch am ehesten dazu, externale Kontrollüberzeugungen zu äußern, d. h. von einer eher geringen Situationskontrolle ausgehen. Der Vergleich mit nichtgewanderten türkischen Familien zeigt, dass die utilitaristischen Erwartungen an Kinder in der Herkunftsgesellschaft bei den Eltern (noch) ausgeprägter ist als in der Migrationssituation. Auffällig sind die Einstellungen der weiblichen Jugendlichen in Istanbul: Sie bilden die Gruppe, die die mit Abstand stärksten utilitaristischen Erwartungen an Mädchen haben, die aber zugleich die geringsten normativen Geschlechtsrollenorientierungen und die geringsten internalen Kontrollüberzeugungen aufweisen. Dies scheint auf einen intergenerativen Wandel in der Geschlechtsrollenorientierung hinzudeuten, der in mancherlei Hinsicht nach einem anderen Muster verläuft als in westlichen Industriegesellschaften: Egalitäre Vorstellungen zur weiblichen Geschlechtsrolle werden nicht verknüpft mit Individualismus und Selbstständigkeit (d. h. mit geringen utilitaristischen Komponenten in den intergenerativen Beziehungen und hohen internalen Kontrollüberzeugungen), vielmehr wird Egalitarität als Gleichwertigkeit der Töchter im bestehenden utilitaristischen Verständnis intergenerativer Beziehungen innerhalb der 'culture of relatedness' (C. Kagitcibasi 1987) gedeutet. Wie an den insgesamt deutlich höheren Korrelationen der Einstellungen von Eltern und Jugendlichen in den Eltern-Kind-Dyaden sichtbar geworden ist, vollzieht sich intergenerative Transmission in Migrantenfamilien in sehr viel höherem Maße als in nichtgewanderte Familien. Migrantenfamilien substituieren damit Sozialisationsleistungen, die sonst von homogeneren kulturellen Milieus (mit-)übernommen werden. Diese ausgeprägte intergenerative Transmission führt nicht nur dazu, dass die Einstellungen in Migrantenfamilien sehr viel konformer sind als in nichtgewanderten Familien. Vielmehr ist auch die Ko-Orientierung der Familienmitglieder in den Migrantenfamilien ebenfalls höher: Die Familienmitglieder 'wissen' mehr übereinander, sind sehr viel sensibler für innerfamiliäre Interaktionen und synchronisieren diese stärker, wie an der gleichfalls absolut wie relativ recht hohen Übereinstimmung in der Wahrnehmung des familiären Erziehungsklimas sichtbar geworden ist.
3.2.2 Intergenerative Transmission in griechischen, italienischen und türkischen Migrantenfamilien
Nun ist zu fragen, ob sich der Befund einer hohen intergenerativen Transmission eher auf Faktoren zurückführen lässt, die mit den Spezifika der türkischen Herkunftskultur in Zusammenhang stehen, oder auf die Migrationssituation; dies wäre dann als gegeben anzusehen, wenn die intergenerative Transmission in den Migrantenfamilien anderer Herkunftsnationalitäten ähnlich hoch ist wie in den türkischen Migrantenfamilien. Hierzu können Befunde aus parallelen Befragungen in griechischen und italienischen Migrantenfamilien in Deutschland herangezogen werden. Zu Vergleichszwecken werden auch Befunde für vietnamesische Eltern in Deutschland mitgeteilt, allerdings wurden hier - wegen der anderen Altersstruktur der vietnamesischen Migranten - keine Jugendlichen in diesen Familien befragt (B. Nauck 2000, 2001). Tabelle 10 zeigt als Hauptergebnis, dass sich die Einstellungen der Eltern- und der Kindgeneration in allen Migrantennationalitäten deutlich voneinander unterscheiden: In der Vater-Sohn-Dyade sind alle Mittelwerte signifikant unterschiedlich, in der Mutter-Tochter-Dyade die große Mehrzahl. - In den italienischen und griechischen Familien haben sowohl Väter als auch Mütter jeweils höhere ökonomisch-utilitaristischen Erwartungen an Söhne und Töchter als ihre jugendlichen Kinder. In den türkischen Familien ist die Relation jedoch umgekehrt: Hier antizipieren die Jugendlichen jeweils höhere Erwartungen, als ihre Eltern zum Ausdruck bringen. - Für alle Nationalitäten gilt, dass die normativen Geschlechtsrollenorientierungen bei den Jugendlichen stärker ausgeprägt sind als bei den Eltern (nur in der türkischen Mutter-Tochter-Dyade sind die Differenzen nicht signifikant). Dagegen haben die Eltern jeweils eine stärkere Geschlechtspräferenz für das erste Enkelkind (zugunsten eines männlichen Nachkommen) als ihre Kinder für das erste eigene Kind (nur in der italienischen Mutter-Tochter-Dyade ist die Differenz nicht signifikant). - Für alle Nationalitäten gilt weiterhin, dass die Eltern höhere internale Kontrollüberzeugungen äußern als ihre jugendlichen Kinder (nur in der griechischen Mutter-Tochter-Dyade sind die Differenzen nicht signifikant). - Wie bei den Nützlichkeitserwartungen gibt es auch bei den Bildungsaspirationen deutliche Unterschiede zwischen den griechischen und italienischen Familien einerseits und den türkischen Familien andererseits: In den griechischen und italienischen Familien haben die Eltern jeweils niedrigere Bildungserwartungen als ihre Kinder, in den türkischen Familien dagegen höhere Aspirationen, d. h. in den italienischen und griechischen Familien sind die Eltern weniger "sicher", dass ihre Kinder einen angestrebten Bildungsabschluss erreichen, während in den türkischen Familien die Kinder unsicher sind, ob sie den hohen Bildungsaspirationen ihrer Eltern genügen können.
Tabelle 10:
Aufschlussreich für die Feststellung kultureller Differenzen ist ein Vergleich der Mittelwerte für die Mitglieder der Eltern-Kind-Dyaden zwischen den jeweiligen Herkunftsnationalitäten. Hierbei ergibt sich erneut die klare Trennung zwischen den griechischen und italienischen Familien einerseits und den türkischen (und vietnamesischen) Familien andererseits, wenn auch in einer in dieser Form nicht unbedingt erwartbaren Weise: - Bestätigt werden zunächst die klaren Unterschiede zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich der Bedeutung ökonomisch-utilitaristischer Werte von Kindern; sowohl bei der Eltern- wie bei der Kindgeneration weisen diesbezüglich türkische und vietnamesische Familien die weitaus höheren Werte auf. - Anders als erwartet, sind in diesen beiden Herkunftsnationalitäten jedoch nicht die stärksten normativen Geschlechtsrollenorientierungen zu finden, vielmehr zeigt sich hier, dass in den türkischen Familien die geringsten Präferenzen für eine starke Trennung der Geschlechtsrollen, wohingegen die normative Geschlechtsrollenorientierung in beiden Generationen in den italienischen Familien sowie bei den vietnamesischen Eltern am deutlichsten ausgeprägt ist. - Ebenfalls passt nicht zu den üblichen Vorstellungen über kulturelle Differenzen zwischen den Herkunftsnationalitäten, dass türkische Eltern höhere internale Kontrollüberzeugungen und höhere Bildungsaspirationen haben als griechische oder italienische Eltern. Nach diesen Befunden entspricht die griechische Migrantenfamilie weit mehr dem Bild, das üblicherweise der türkischen Familie zugeschrieben wird: Eine starke Trennung zwischen den Geschlechtern hinsichtlich der geäußerten normativen Geschlechtsrollenorientierungen und starke Einstellungsunterschiede zwischen Vätern und Müttern, gepaart mit hohen internalen Kontrollüberzeugungen der Väter und niedrigen der Mütter. Die beobachteten Niveau-Unterschiede zwischen den Generationen in den Mittelwerten zu den einzelnen Einstellungsdimensionen können nicht als konflikthaftes Auseinanderbrechen der Generationenbeziehungen in den Migrantenfamilien gedeutet werden. Konnte zunächst festgestellt werden, dass die intergenerative Transmission von Einstellungen in türkischen Migrantenfamilien stärker ist als in nichtgewanderten Familien in der Türkei, so zeigen die vergleichenden Befunde nun, dass die Übereinstimmung von Einstellungen in den Eltern-Kind-Dyaden in den italienischen und griechischen Migrantenfamilien durchweg noch höher als in den türkischen Familien ist. Somit kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei der hohen Transmission von Einstellungen zwischen den Geschlechtern um ein Spezifikum der türkischen Familienkultur handelt, vielmehr kann dieser erweiterte Befund nur als Ergebnis einer situationalen Anpassung der Migrantenfamilien an ihre Minoritätensituation gedeutet werden. Die größte Übereinstimmung zwischen den Generationen herrscht in den Migrantenfamilien aller Herkunftsnationalitäten in den Bildungsaspirationen, d. h. die erwartete Sicherheit, mit dem ein größtmöglicher Schulabschluss erwartet wird (r = .69 bei den griechischen Vätern und Söhnen; r = .66 bei den italienischen Müttern und Töchtern), jedoch sind auch bei den meisten übrigen Einstellungsdimensionen außerordentlich hohe Korrelationen feststellbar; die geringste Übereinstimmung herrscht in allen Herkunftsnationalitäten zwischen Müttern und Töchtern bezüglich der Geschlechtspräferenz für ein (Enkel-)Kind. Insgesamt lässt diese hohe Übereinstimmung zwischen den Generationen auf eine hohe Synchronität in den intergenerativen Beziehungen in den Migrantenfamilien schließen. Die Migrationssituation scheint somit intergenerative Beziehungen nicht zu schwächen, sondern in der Mehrzahl der Fälle zu stärken. Angesichts der bestehenden Einstellungsunterschiede zwischen den Generationen lässt sich der Befund im Zusammenhang nur so deuten, dass zwar die Migration den intergenerativen Wandel in den Familien außerordentlich zu beschleunigen scheint, aber die Migrantenfamilien diesen akkulturativen Wandel als Generationen-Konvois durchleben. Intergenerative Transmissionsprozesse sind auch für das Verständnis der Reaktionen der Familienmitglieder auf die Aufnahmegesellschaft und für das Eingliederungsverhalten in den beiden Generationen von ausschlaggebender Bedeutung (B. Nauck, A. Kohlmann & H. Diefenbach 1997). So lassen sich zunächst vergleichsweise große Unterschiede zwischen den Generationen in ihren Reaktionen auf die Aufnahmegesellschaft feststellen (Tabelle 11).
Tabelle 11:
- Für alle Nationalitäten gilt, dass es in den Migrantenfamilien ein erhebliches Gefälle in der Beherrschung der Sprache der Aufnahmegesellschaft zwischen den Generationen zugunsten der Kinder und in der Elterngeneration ein Gefälle zwischen den Geschlechtern zugunsten der Väter gibt, das dann in der Kindgeneration völlig verschwunden ist. Die weitestgehenden Deutschkenntnisse sind bei den italienischen Jugendlichen, die geringsten bei den türkischen Eltern zu verzeichnen. Die Angleichung der Sprachkenntnisse in der Kindgeneration und das vergleichsweise niedrige Ausmaß der intergenerativen Transmission (insbesondere bei den türkischen Vätern und Söhnen bzw. den italienischen Müttern und Töchtern) deuten darauf hin, dass die Jugendlichen ihre Deutschkenntnisse weitgehend unabhängig davon erwerben, welche Sprachkenntnisse ihre Eltern besitzen. - Diskriminierungen in der Aufnahmegesellschaft werden in allen Nationalitäten von den Eltern häufiger wahrgenommen als von den jugendlichen Kindern. Während in der Elterngeneration einige signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen, haben sich diese in der Kindgeneration völlig eingeebnet: Türkische Väter nehmen solche Benachteiligungen in der Wohnumgebung, in Behörden, beim Einkaufen und am Arbeitsplatz deutlich häufiger wahr als türkische Mütter, umgekehrt fühlen sich griechische Mütter häufiger diskriminiert als griechische Väter. Am seltensten berichten italienische Jugendliche von Diskriminierungserfahrungen, am häufigsten vietnamesische Eltern, die mit ihren Diskriminierungserfahrungen weit vor allen Migrantennationalitäten liegen. Auffällig ist, das die intergenerative Transmission von Diskriminierungserfahrungen in türkischen Familien (insbesondere in der Mutter-Tochter-Dyade) weitaus geringer ist als in griechischen oder italienischen Familien, was auf eine deutlichere Trennung der Interaktionsfelder, in denen die Generationen mit Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft in Kontakt kommen, schließen lässt. - Deutlichere Unterschiede, die die Migrationsgeschichte der jeweiligen Herkunftsnationalitäten reflektieren, sind bezüglich der Entfremdung der Familienmitglieder von ihrer Herkunftsgesellschaft zu verzeichnen. Bei den griechischen und italienischen Familien sind diese Entfremdungsgefühle bei den Jugendlichen jeweils stärker ausgeprägt als bei den Eltern, während dies bei den türkischen Familien nur bei den Müttern und Töchtern der Fall ist: Türkische Väter äußern von allen Elterngruppen am allerhäufigsten solche Entfremdung von der Herkunftsgesellschaft, türkische Sohne äußern sie dagegen von allen Kindgruppen am allerseltensten. Entsprechend gering fällt in dieser Dyade die intergenerative Korrelation aus (r = .11). Eine entscheidende Frage intergenerativer Solidarpotenziale in Migrantenfamilien ist es, inwiefern es den Eltern gelingt, in der Aufnahmegesellschaft ihr kulturelles Kapital an ihre Kinder weiterzugeben. Dies betrifft einerseits den Erwerb von Kompetenzen, die für den Erwerb von Berufspositionen (in der Aufnahmegesellschaft) notwendig sind. Dies geschieht insbesondere durch schulische Bildung und den Erwerb formaler Bildungszertifikate, die zum Erwerb der Berufspositionen die zentrale Zugangsvoraussetzung darstellen. Bildungsbeteiligung und Bildungsmobilität sind damit von strategischer Bedeutung für die strukturelle Eingliederung von Migranten der Folgegeneration. Andererseits gehört zur Transmission von kulturellem Kapital in Migrantenfamilien die Weitergabe von Elementen der Herkunftskultur, wie z. B. die Bewahrung der Herkunftssprache, das Offenhalten der Rückkehroption und (indirekt) über Heiratshomogamie (vgl. Kap. 2.1). Die folgenden Befunde stellen die Niveauunterschiede zwischen den Generationen und Geschlechtern anhand von Prozentvergleichen gegenüber und untersuchen die intergenerative Transmission durch Korrelationsmaße (B. Nauck 2001). Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Anteile in einer bedeutsamen Kategorie, die Korrelationen berücksichtigen jedoch den gesamten Range der Variablen. Da das Sample bei den türkischen Migrantenfamilien nach dem Bildungsniveau der Kinder geschichtet worden war, lassen die Befunde keine Rückschlüsse auf die Verteilung in der Grundgesamtheit oder auf Niveauunterschiede zu den übrigen Herkunftsnationalitäten zu; wohl aber auf Unterschiede in den intergenerativen Transmissionsprozessen.
Tabelle 12:
Quelle: Survey Generationenbeziehungen in Migrantenfamilien
- Das Bildungsniveau in der Elterngeneration (und damit das kulturelle Kapital, das in den Migrationsprozess investiert werden kann) variiert erheblich zwischen den einzelnen Herkunftsnationalitäten, wobei die Trennungslinie zwischen den klassischen Arbeitsmigranten und den Aussiedlern verläuft, die etwa zur Hälfte einen Sekundarschulabschluss aufweisen. Bei ihnen zeigt sich dann mit besonderer Schärfe, dass diese Eltern am seltensten in der Lage sind, ihr kulturelles Kapital an ihre Kinder weiterzugeben, denn diese sind weitaus häufiger auf Schulzweigen, die einen ähnlichen Bildungsabschluss nicht erwarten lassen. Ganz erhebliche Unterschiede zeigen sich auch in der intergenerativen Transmission. Das stabilste Muster ist bei den Italienern (als ältester Zuwanderungsgruppe) zu finden, bei denen in den männlichen und weiblichen Dyaden ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Eltern und Kindern gegeben ist. - Ein zentraler Mechanismus der Sprachbewahrung besteht darin, ob in der Familie die Herkunftssprache benutzt wird oder nicht, wobei es offenbar große Unterschiede gibt, ob es sich um Kommunikation zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern handelt. Etwas mehr als die Hälfte der Eltern in Migrantenfamilien in Deutschland berichten, dass sie ausschließlich Italienisch, Griechisch, Türkisch oder Russisch benutzen, wenn sie mit ihren Kindern sprechen. Die Sprachbewahrung ist etwas höher in den Mütter-Töchter-Dyaden in den Arbeitsmigranten-Nationalitäten, und etwas höher in den Väter-Söhne-Dyaden in den Aussiedlerfamilien. Für alle Herkunftsnationalitäten gilt jedoch, dass die Sprachbewahrung bereits in der Geschwisterkommunikation (der zweiten Zuwanderungsgeneration) erheblich abnimmt. Der Kontrast ist am größten in den türkischen Migrantenfamilien und am geringsten in den Aussiedlerfamilien. Die höchsten Sprachverluste berichten die türkischen Töchter: Weniger als ein Drittel gab an, Türkisch "sehr gut" zu sprechen (aber etwa 50% der türkischen Söhne!); bei den übrigen Nationalitäten sind die Sprachverluste jeweils bei den männlichen Jugendlichen größer. - Heiratshomogamie und Rückkehrpläne verweisen auf die langfristigen Ziele der Transmission von kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital. Heiratshomogamie ist dabei mindestens auf die Schaffung einer mehr oder weniger stabilen Migrantenminoritäts-Subkultur bezogen, wohingegen Rückkehrpläne zumindest indizieren, dass sich die langfristigen Pläne nicht auf Investitionen in die Aufnahmegesellschaft beziehen. Die Tendenz zur Heiratshomogamie ist am höchsten in türkischen Migrantenfamilien, insbesondere in der weiblichen Dyade, in den übrigen Herkunftsnationalitäten ist sie dagegen eher gering. Auffälligerweise nimmt die Tendenz zur Heiratshomogamie bei den Arbeitsmigranten-Nationalitäten intergenerativ ab, bei den Aussiedlerfamilien jedoch deutlich zu, d.h. Aussiedler-Jugendliche zeigen eine größere Distanz zur Aufnahmegesellschaft als ihre Eltern. Die Rückkehrpläne variieren beträchtlich nach Herkunftsnationalität und Generationenzugehörigkeit, wobei die Rückkehrpläne in der ersten Migrantengeneration jeweils stärker vorhanden sind als in der zweiten Generation. In Aussiedlerfamilien sind Rückkehrpläne am geringsten, in der zweiten Generation praktisch nicht vorhanden. Am stärksten ausgeprägt sind sie bei den Griechen der ersten Generation und insbesondere in den türkischen Familien, bei denen etwa 30% der Eltern und 20% der Jugendlichen Rückkehrabsichten äußern. Generell zeigen diese Ergebnisse einen klaren intergenerativen Trend in Richtung stärkeren kulturellen und sozialen Kontakt bei der zweiten Migrantengeneration. Die Niveau-Unterschiede zwischen den Generationen sind jedoch miteinander verbunden, wie die relativ hohen Korrelationen zwischen den Einstellungs- und Verhaltensindikatoren für beide Generationen in den Familien-Dyaden zeigen. Es gibt jedoch einige Abweichungen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Hierzu gehört einerseits die besondere Situation von Aussiedlern und Repatriierten, bei denen hohe ethnische Identifikation nicht am Ende des Eingliederungsprozesses steht, sondern an dessen Anfang bzw. ein zentrales Migrationsmotiv darstellt (A. Steinbach & B. Nauck 2000). Dies führt u. a. zu einem anderen Verlauf intergenerativer Transmissionsprozesse und zu einer größeren sozialen Distanz zur Aufnahmegesellschaft bei der Folgegeneration als bei ihren Eltern. Die andere Abweichung betrifft die Gruppe der türkischen männlichen Jugendlichen, die sich z. B. auch in Bezug auf Sprachbewahrung deutlich anders verhalten als die übrigen Angehörigen der zweiten Zuwanderergeneration. Im Zusammenhang mit den übrigen Befunden zu den türkischen Söhnen deutet somit einiges darauf hin, dass sich bei ihnen am ehesten das Phänomen der "ethnic retention" bzw. eines "ethnic revival" zeigt: Türkische Migrantensöhne antizipieren höhere ökonomisch-utilitaristische Erwartungen an sich, als sie von ihren Eltern geäußert werden, sie haben stärkere normative Geschlechtsrollenorientierungen und stärkere externale Kontrollüberzeugungen als ihre Väter, d. h. sie gehen von einer eher geringen Situationskontrolle aus. Diese Akzentuierung von Einstellungen bei den männlichen türkischen Jugendlichen, die sie in einen normativen Konflikt nicht nur zu ihren Familien, sondern besonders auch zur Aufnahmegesellschaft führt, in der weder utilitaristische Erwartungen an Kinder, noch ausgeprägte normative Geschlechtsrollenorientierungen oder externale Kontrollüberzeugungen positive Bewertungen erfahren; entsprechend häufig - im Vergleich zu anderen Migrantenjugendlichen - fühlen sich türkische Söhne diskriminiert und entsprechend selten haben sie die Erwartung, sich an die Aufnahmegesellschaft anzugleichen (B. Nauck 2000). All dies kann möglicherweise als ein weiterer Beleg dafür gewertet werden, dass männliche türkische Jugendliche in der Migrationssituation häufig "strukturell überfordert" sind (B. Nauck 1989a: 296): Sieht man als Hauptquelle von Konflikten enttäuschte Erwartungen an, so lässt sich begründet vermuten, dass Erwartungen an Söhne sehr viel häufiger, langanhaltender und tiefgreifender enttäuscht werden als solche, die an Töchter gerichtet werden: Utilitaristischen Elternerwartungen an Söhne sind höher und längeranhaltend sind als an Töchter; hinzu kommt, dass unter den Lebensbedingungen der Aufnahmegesellschaft die Investitionen in die Ausbildung der Kinder - im Vergleich zur Herkunftsgesellschaft- sehr viel höher ausfallen, daran aber extrem hohe intergenerative Mobilitätsaspirationen geknüpft werden. Das Konfliktpotenzial liegt insbesondere bei Söhnen also nicht nur darin, dass die Mobilitäts-Aspirationen in aller Regel nicht erfüllt werden (sie haben ihre Bildungsaspirationen bereits gesenkt), sondern dass darüber hinaus der "individuelle Generationenvertrag" zwischen den einzelnen Eltern und ihren Kindern bezüglich lebenslanger Loyalität und Unterstützung von letzteren (unter den Lebensbedingungen der Aufnahmegesellschaft: erzwungenermaßen) einseitig aufgekündigt wird. Die Aufkündigung des individuellen Generationenvertrages zeigt noch eine andere ungeplante Folge von Migrationsentscheidungen: Die (selbst gewanderten) Eltern werden bezüglich der intergenerativ - auch materiell - zu erbringenden Leistungen unvermittelt zu einer "lost generation", die einerseits den Loyalitätsverpflichtungen zur Herkunftsfamilie (häufig genug: mit erheblichem finanziellen Aufwand) weiterhin nachkommen, andererseits aber durch die veränderten Bedingungen in der Aufnahmegesellschaft solche Leistungen von den eigenen Kindern nicht mehr erwarten können. Demgegenüber werden sich Konflikte zwischen Eltern und Töchtern eher in vordergründig sichtbarer Weise abspielen und von situativen Normverletzungen verursacht sein; tiefgreifende Erwartungsenttäuschungen bei den Eltern sind dagegen weniger "zwangsläufig": Diese Erwartungen der Eltern an ihre Töchter sind eher kurzfristig angelegt und von den Töchtern prinzipiell erfüllbar. Gleichwohl dürften solche Erwartungen an die Mithilfe im Haushalt und an die Versorgung der Geschwister, - von denen türkische Mädchen häufiger betroffen sind als ihre Altersgenossinnen in der Türkei (B. Nauck 1989b) - dann zu situationsorientierten Zielkonflikten bei den Mädchen führen, wenn sie mit Ausbildungsaspirationen und an Deutschen orientierten Bezugsgruppenbindungen konkurrieren. Zu ähnlichen Ergebnissen, was die intergenerative Transmission in türkischen Migrantenfamilien anbetrifft, kommt auch die empirische Erhebung von W. Heitmeier, J. Müller & H. Schröder (1997: 69 f.), die sich unter jugendsoziologischen Gesichtspunkten speziell mit Re-Islamisierungstendenzen bei türkischen Migrantenjugendlichen in Deutschland auseinandersetzt. Sie kommen bezüglich der Generationenbeziehungen in türkischen Migrantenfamilien zu dem Ergebnis, dass aus dem "Aufwachsen in zwei unterschiedlichen Kulturen" nicht zwangsläufig potenzielle Konflikte abzuleiten sind: "Unsere Ergebnisse deuten vielmehr darauf hin, dass das Aufwachsen in (oder zwischen) zwei Kulturen für türkische Jugendliche der zweiten oder der dritten Generation durchaus Normalität darstellt und keineswegs automatisch zu einem misslungenen Sozialisationsprozess oder gar zu abweichendem Verhalten führt. Es scheint vielmehr so zu sein, dass sich (ausländische) Jugendliche sehr wohl einen Freiraum für die Durchsetzung eigener Interessen und Vorstellungen auch dann sichern, wenn ihre eigenen und die Orientierungen der Altersgleichen erheblich von denen der Eltern abweichen." Tatsächlich zeigt sich an einem Vergleich zwischen den türkischen Migrantenjugendlichen und einer deutschen Vergleichsgruppe, dass das emotionale Verhältnis der türkischen Jugendlichen zu ihren Eltern weit enger ist als das der deutschen Jugendlichen: Während 61% der türkischen Jugendlichen das emotionale Verhältnis zu ihrer Mutter als "sehr gut" bezeichnen (zu den Vätern: 51%), liegen die entsprechenden Werte bei den deutschen Jugendlichen bei 42% und 33%. Damit belegen auch diese Befunde die allgemeine Schlussfolgerung, dass Migrationssituationen die intergenerativen Beziehungen eher stärken und die intergenerative Transmission sich eher vergrößert. " Die Antworten der Jugendlichen machen insgesamt deutlich, dass von einem außerordentlich hohen Bindungspotenzial türkischer Familien ausgegangen werden kann. Trotz eines überaus guten emotionalen Verhältnisses und eines hohen innerfamilialen Bindungspotenzials finden innerhalb türkischer Familien selbstverständlich auch Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Jugendlichen über die unterschiedlichsten Bereiche des Alltags statt. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die familiale Lebenswelt von türkischen Jugendlichen sehr heterogen ist und dass sich bei näherem Hinsehen manche als Kulturkonflikt gedeutete Probleme als generationsspezifische Auseinandersetzungen ... entpuppen, wie sie sich in allen Familien finden" (W. Heitmeier, J. Müller & H. Schröder 1997: 71 f.). Bezüglich der Determinanten des religiösen Fundamentalismus kommt diese Studie zu dem empirischen Befund, dass dessen wesentlich Ursachen in einer Disposition der Jugendlichen zu Angst, vermehrten Selbstzweifeln und vermindertem Selbstwertgefühl zu suchen sind, die ihrerseits eng mit überproportionalen Konflikten in den türkischen Familien in Zusammenhang steht (W. Heitmeier, J. Müller & H. Schröder1997: 150): "Fehlt beispielsweise den Jugendlichen der emotionale Rückhalt durch die Familie, was tendenziell mehr auf Jugendliche mit einer schlechteren beruflichen Perspektive zutrifft, neigen sie auch eher zu religiös fundierter Gewaltbereitschaft als Gleichaltrige, die diesen Rückhalt durch die Familie haben." Stabile intergenerative Beziehungen erweisen sich damit für Migrantenjugendliche der zweiten Generation als der wichtigste protektive Faktor gegen drohende Marginalisierung.
Fazit
(1) Hinsichtlich der kulturell vermittelten Werten von Kindern können zwischen der Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft deutliche Unterschiede bestehen, die sich u. a. auch in der Institutionalisierung von Sicherungssystemen gegen die Risiken des Lebens niederschlagen. In vielen Herkunftsgesellschaften sind Kinder nicht nur ein Potenzial von besonders loyalen Arbeitskräften für ihre Eltern, sondern zugleich auch die bedeutendste Absicherung gegen Armut und Hilflosigkeit im Alter. Generationenbeziehungen sind in vielen dieser Gesellschaften die einzig verfügbaren Solidarpotenziale überhaupt. (2) Die subjektiv wahrgenommenen Werte von Kindern für ihre Eltern in Migrantenfamilien in Deutschland variieren stärker nach der jeweiligen Herkunftsnationalität als nach dem Geschlecht der Eltern und Kinder. Die Ausgestaltung der Generationenbeziehungen scheint dabei insgesamt sehr stabil zu sein, d. h. die in ihnen enthaltenen Solidarpotenziale werden von Eltern und Kindern als eine "sichere" Ressource wahrgenommen, die in der Migrationssituation an Bedeutung noch gewinnt. Diese intergenerative Ko-Orientierung hat allerdings zur Folge, dass sich die Akkulturation der Migrantenfamilien ist bei allen Nationalitäten eher als ein langfristiger, aber koordinierter Prozess vollzieht, in den alle Generationen einbezogen sind. (3) Die größten kulturellen Unterschiede in der Ausgestaltung der Generationenbeziehungen beziehen sich auf deren Instrumentalität. Während deutsche, griechische und italienische Familien die Generationenbeziehungen ausschließlich von ihrer psychologisch-emotionalen Qualität bestimmt sind, haben in vietnamesischen und türkischen Familien auch ökonomisch-utilitaristische Erwartungen große Bedeutung. Die Generationenbeziehungen der letzten beiden Herkunftsnationalitäten haben, da auch bei ihnen psychologisch-emotionale Werte eine große Rolle spielen, einen multifunktionalen Charakter. Aussiedlerfamilien nehmen auf diesem Kontinuum eine Mittelstellung ein. (4) Die wahrgenommenen Kosten der Kindererziehung bleiben bei Migranteneltern weit hinter den positiven Erwartungen an Kinder zurück. Außerdem werden von ihnen die Kosten nicht höher wahrgenommen als von deutschen Eltern, obwohl die Migrationssituation besonders hohe Anforderungen an die Eltern stellt. (5) Kinder ausländischer Familien antizipieren und internalisieren die Erwartungen der Eltern in hohem Maße. Geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Erwartungen an die Generationenbeziehungen sind in den Migrantenfamilien der verschiedenen Herkunftsnationalitätem nicht gegeben. Die fest verankerte Arbeitsteilung zwischen den Generationen und Geschlechtern scheint auch in der Migrationssituation fortzubestehen und wird von Eltern und Kindern gleichermaßen akzeptiert. Die empirischen Befunde liefern keine Anhaltspunkte, dass Migranten der zweiten Generation die von ihnen erwarteten Solidarleistungen für ihre Eltern nicht erbringen werden. (6) Die Migrationssituation selbst hat unmittelbare Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen, lassen sich doch viele Migrationsziele nur im Generationenzusammenhang legitimieren und realisieren. Von besonderer Bedeutung sind diese Generationenbeziehungen bei einem ungesicherten Aufenthaltsstatus. Eine gewünschte oder erzwungene Rückkehr in die Herkunftsgesellschaft bedeutet zugleich, wieder auf soziale Sicherungssysteme zurückgreifen zu müssen, die nicht auf Versicherungsleistungen, sondern auf Generationenbeziehungen basieren. (7) Die intergenerative Transmission ist ein wirkungsvoller Mechanismus des Erhalts familialer Solidarpotenziale in Migrantenfamilien. Die Einstellungen von Eltern und Kindern ist konformer, die Ko-Orientierung höher und die Synchronität stärker ausgeprägt als in nicht-gewanderten Familien. Die Stärkung der intergenerativen Beziehungen in Zuwandererfamilien kann als Folge der Anpassung der Migranten an die Minoritätensituation gewertet werden. (8) Bei aller Synchronität und Koordiniertheit ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen hinsichtlich der Stellung im Eingliederungsprozess. Jugendliche der zweiten Zuwanderungsgeneration sind im Vergleich zu ihren Eltern deutlich stärker assimiliert, sie nehmen diskriminierende Handlungen seltener wahr als ihre Eltern, haben eine geringere soziale Distanz zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft und spüren gleichzeitig eine größere Entfremdung zur Herkunftsgesellschaft und haben seltener konkrete Rückwanderungsabsichten. (9) Stabile intergenerative Beziehungen in Migrantenfamilien sind der wichtigste protektive Faktor gegen eine drohende Marginalisierung von Jugendlichen der zweiten Generation. Darüber hinaus gibt es einige Anhaltspunkte dafür, dass familiale Solidarpotenziale auch präventiv gegen ethnische Segmentierung wirken. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002 |