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TEILDOKUMENT:






2. Solidarpotenziale in den Partnerschaftsbeziehungen


Bezüglich der Partnerschaftsbeziehungen lassen sich zwei wichtige Dimensionen unterscheiden, die Einfluss auf die Solidarpotenziale nehmen:

(1) Die Modalitäten der Partnerwahl haben entscheidenden Einfluss darauf, in welcher Weise die Beziehungen zur Migrantenminorität und zur Herkunftsgesellschaft aufrechterhalten werden. Entscheidend hierbei ist, in welchem Umfang die Partnerwahl durch die Interessen der Herkunftsfamilien beeinflusst sind oder nicht. Handelt es sich nämlich um eine Partnerwahl, die weitestgehend frei von Einflussnahmen durch die Herkunftsfamilien ist und wesentlich auf den individuellen Präferenzen der die Beziehung Eingehenden beruhen, kann nicht in gleichem Umfang davon ausgegangen werden, dass Eheschließungen zugleich auch der Stärkung familialer Solidarpotenziale dient, als wenn die Partnerwahl unter intensiver Mitwirkung der jeweiligen Verwandtschaftssysteme erfolgt. Insofern stellen die Modalitäten der Partnerwahl ein wichtiges Bindeglied zwischen den Solidarpotenzialen der Partnerschaftsbeziehungen und denen des Verwandtschaftssystems dar.

(2) Die Aufgabenteilung zwischen den (Ehe-)Partnern ist insofern für die Ausgestaltung der Solidarpotenziale von Bedeutung, als sich diese erheblich nach dem Ausmaß der Kooperation und der Ko-Orientierung bei Entscheidungen, die die Familie betreffen, unterscheiden kann. Geringes Ausmaß an Kooperation deutet dann auf einen hohen Grad der Geschlechtersegregation hin. Sofern dies mit einer hohen Integration in das jeweils eigene Verwandtschaftssystem verbunden ist, muss dies nicht in gleicher Weise von einer Verminderung der Solidarpotenziale verbunden sein, als wenn es sich um eine Gattenfamilie mit starken Außengrenzen handelt. Zugleich ist die Aufgabenteilung zwischen den Ehepartnern der wesentliche Ausdruck der Machtverteilung in der Ehe. Veränderungen in den ehelichen Machtverhältnissen im Verlauf der Migrationsdynamik sind deshalb ein wesentlicher Indikator für das eheliche Solidarpotenzial.

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2.1 Partnerwahl und Eheschließung

Partnerwahl und Eheschließungen gehören neben der intergenerativen Transmission in den Eltern-Kind-Beziehungen zu den "strategischen" Entscheidungen bei Angehörigen von Migrantenminoritäten bezüglich des Eingliederungsverhaltens im Generationenzusammenhang. Grundsätzlich lassen sich hierbei drei Heiratsmärkte voneinander unterscheiden: (1) die Aufnahmegesellschaft, (2) die eigene Migrantenminorität und (3) die jeweilige Herkunftsgesellschaft bzw. darin eine spezifische ethnische, regionale oder verwandtschaftliche Abstammungsgemeinschaft. Je nachdem, ob der Ehepartner unter den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft, den Angehörigen der eigenen Migrantenminorität oder unter den Mitgliedern der Herkunftsgesellschaft gewählt wird, hat dies weitreichende Folgen für den eigenen Eingliederungsprozess und eigene weitere Mobilitätsoptionen des/der Heiratenden, für den Sozialisations- und Akkulturationsprozess der aus dieser Verbindung hervorgehenden Kinder und für die Ausgestaltung der familialen Solidarpotenziale. Binationale Eheschließungen sind zwangsläufig sehr viel stärker auf die Ko-Orientierung der Ehepartner angewiesen, während Heiraten innerhalb der eigenen Migrantenminorität bzw. innerhalb der eigenen Herkunftsgemeinschaft mit größerer Wahrscheinlichkeit eine hohe Integration in die jeweiligen Verwandtschaftssysteme aufweisen. Binationale Ehen können damit zwar weniger stark auf außerfamiliäre soziale Ressourcen zurückgreifen und unterliegen weitaus weniger der sozialen Kontrolle durch die Verwandtschaft, haben dafür aber weitaus höhere Anpassungskapazitäten an den sozialen Kontext der Aufnahmegesellschaft. Binationale Ehen unterliegen damit weit stärker den Risiken starker innerfamiliärer Konflikte und des Scheiterns der Beziehung, sie schaffen aber gleichzeitig günstige Voraussetzungen für den Verlauf des Eingliederungsprozesses aller Familienmitglieder. Intraethnische Heiraten sind dagegen - nicht zuletzt wegen der höheren sozialen Kontrolle - weitaus "sicherer", haben jedoch das Problem, den Eingliederungsprozess der Familienmitglieder mit dem Verwandtschaftssystem koordinieren und ihn vor ihm legitimieren zu müssen. Dies wird vielfach zur Folge haben, dass der Eingliederungsprozess von geringeren Risiken begleitet ist, sich aber verlangsamt.

Wie Befunde zur sozialen Distanz immer wieder zeigen, sind Familienbeziehungen diejenigen, in denen "zuletzt" interethnische Beziehungen gewünscht werden. Entsprechend häufig sind interethnische oder gemischtnationale Eheschließungen als ein besonders "harter" Indikator für den Zustand interethnischer Beziehungen in einer Gesellschaft und für den Assimilationsgrad von Zuwandererminoritäten herangezogen worden. Empirische Untersuchungen von Heiratsbeziehungen zwischen ethnischen Minoritäten und der Bevölkerungmajorität haben deshalb in den klassischen Einwanderungsländern, insbesondere in den USA, eine lange Tradition (M.M. Gordon 1964, 1975; G. Crester & J.J. Leon 1982; D.M. Heer 1985). In der Bundesrepublik sind hingegen entsprechende Untersuchungen nach wie vor spärlich (B. Müller-Dincu 1981; H.P. Buba, W. Ueltzen, L.A. Vaskovics & W. Müller 1984; T.T. Kane & E.H. Stephen 1988; P. Scheibler 1992; T. Klein 2000; G. Straßburger 2000; S. Vetter 2001). Die meisten Analysen basieren dabei ausschließlich auf Zeitreihen der Registrierung gemischtnationaler Eheschließungen vor deutschen Standesämtern, während (auch binationale) Heiraten in den Herkunftsländern oder in Drittstaaten dabei von vornherein unberücksichtigt bleiben. Aber selbst wenn davon abgesehen wird, lassen sich solche Eheschließungsregister keineswegs so eindeutig als "Gradmesser" sozialer Distanz bzw. von Assimilation interpretieren, vielmehr sind sie das aggregierte Ergebnis von vielfältigen, sich überlagernden Prozessen, die einer differenzierten Analyse bedürfen, wenn Fehlschlüsse vermieden werden sollen.

Für das Verständnis von Eheschließungen bei Migranten ist es z. B. notwendig, einerseits zwischen ethnisch endogamen und exogamen Heiraten zu unterscheiden, d. h. ob innerhalb der eigenen ethnisch-kulturellen Gruppe geheiratet wird oder nicht, und andererseits zwischen nationalitätsinternen und -externen Heiraten. Die Einführung dieser Unterscheidung ist nötig, weil Staatsangehörigkeit und ethnische Herkunft in der Einwanderungssituation oft nicht übereinstimmen. Zunehmende Einbürgerungen von in Deutschland lebenden Ausländern werden dazu führen, dass nationale und ethnische Zugehörigkeiten zunehmend auseinander fallen. Entsprechend muss z. B. eine Zunahme deutsch-türkischer Eheschließungen nicht zwangsläufig ein Indiz für eine Annäherung zwischen der türkischen Minderheit und der deutschen Mehrheitsbevölkerung sein. Das Ausmaß von Ehen, in denen die Partner zwar unterschiedliche Pässe, aber dieselbe ethnisch-kulturelle Herkunft haben, steigt ebenso wie die Anzahl der Ehen, in denen eine Einbürgerung bewirkt hat, dass die Staatsangehörigkeit der Partner identisch ist, obwohl sich ihr ethnisch-kultureller Hintergrund unterscheidet. Schließlich ist zukünftig auch zu erwarten, dass Angehörige von Zuwanderungsnationalitäten in Europa sich in verschiedene Staaten einbürgern lassen, aber gleichwohl intra-ethnische, transnationale Netzwerke etablieren, die auch als Heiratsmärkte genutzt werden; insofern mag sich hinter einer als deutsch-schwedisch registrierten binationalen Ehe ein Paar verbergen, in dem beide türkischer, griechischer oder marokkanischer Abstammung sind.

Binationale Partnerwahlen hängen - wie Partnerwahlen generell - von zwei Faktoren ab: (a) den jeweiligen Gelegenheitsstrukturen, einen Partner zu finden, und (b) den individuellen Präferenzen der Partnersuchenden.

Die Gelegenheitsstrukturen für intraethnische Partnerwahlen in der Aufnahmegesellschaft hängen somit ganz erheblich von der jeweiligen Gruppengröße der jeweiligen Ethnie ab, die sich im Zuwanderungsprozess deutlich verändert. Hinzu kommt typischerweise ein erhebliches Ungleichgewicht in den Geschlechterproportionen, d. h. in der Pioniermigrations-Situation besteht wegen des Überhangs an Männern eine größere Nachfrage nach Frauen, als es der intraethnische Heiratsmarkt in der Aufnahmegesellschaft hergeben kann. Dies betrifft in Deutschland die Arbeitsmigranten ebenso wie die hierzulande stationierten ausländischen Streitkräfte und Asylbewerber. Da nicht immer auf den Heiratsmarkt in der Herkunftsgesellschaft zurückgegriffen werden kann, führt dies dazu, dass männliche Migranten insbesondere in Pionierwanderungssituationen verstärkt in die einheimische Bevölkerung einheiraten. Da seit geraumer Zeit auch in der deutschen Bevölkerung im heiratsfähigen Alter ein Männerüberschuss herrscht, führt dies zu einer erheblichen Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt in Aufnahmegesellschaften.

Entsprechend bleibt in einer solchen Situation den heiratswilligen Migranten keine andere Wahl, als entweder eine Frau in der Herkunftsgesellschaft oder eine Angehörige der Bevölkerungsmajorität zu heiraten. Da die Heiraten mit Frauen der Herkunftsgesellschaft fast ausschließlich dort stattfinden (und dort nicht besonders im Standesamtsregister ausgewiesen werden, und somit als "Migranten"-Heiraten nirgendwo in Erscheinung treten), werden in der deutschen Aufnahmegesellschaft die in der Pionier-Migrationssituation vergleichsweise vielen binationalen Ehen erfasst, die auf diese besondere Gelegenheitsstruktur zurückzuführen sind. Entsprechend ist nicht verwunderlich, dass mit zunehmendem Nachzug ("Kettenmigration") und der damit verbundenen Veränderung auf dem intraethnischen Heiratsmarkt (Vergrößerung des "Angebots", Angleichung der Geschlechterproportionen) die bei deutschen Standesämtern registrierten (!) Eheschließungen von Ausländern gleicher Nationalität zunehmen und gleichzeitig die binationalen Eheschließungen abnehmen. Da die Gelegenheitsstrukturen aber insbesondere von den kleinräumigen Lebensbedingungen abhängen, wirkt sich hier die Konzentration von Ausländern in bestimmten Regionen und Wohnquartieren ebenso verstärkend auf diesen Prozess aus wie ihre Konzentration in bestimmten Beschäftigungszweigen und Arbeitsverhältnissen. National homogene Beschäftigungs- und Wohnverhältnisse erhöhen deshalb die Wahrscheinlichkeit, einem Partner gleicher Herkunft zu begegnen und vermindern die Wahrscheinlichkeit einer binationalen Partnerwahl.

Diese Entwicklungstendenzen sind vielfach als besorgniserregende Tendenz "zunehmender ethnischer Schließung", zur "Segregation" und zur wachsenden Konfliktträchtigkeit interethnischer Beziehungen missdeutet worden, da unterstellt wurde, dass diese Entwicklung nicht auf veränderte Gelegenheitsstrukturen, sondern auf sich verändernde Präferenzen zurückzuführen ist. Veränderungen in den Präferenzen treten jedoch erst langfristig ein, sie können somit keinesfalls erklären, warum am Anfang eines Zuwanderungsprozesses binationale Ehen besonders häufig sind. Von solchen Präferenzveränderungen ist jedoch dann auszugehen, wenn entweder die ethnische Zugehörigkeit als Selektionskriterium seine Bedeutsamkeit verloren hat oder sogar eine bewusste Distanzierung von der Herkunftskultur erfolgt. Dies kann aufgrund vollzogener Assimilationsprozesse der ersten Migrantengeneration eintreten, oder wenn im Laufe der Zeit eine zunehmende Zahl von Angehörigen der zweiten Migrantengeneration in den Heiratsmarkt eintreten.

Diese beiden, sich überlagernden Prozesse führen mittelfristig zu dem für Zuwanderernationalitäten typischen U-förmigen Entwicklungsverlauf binationaler Eheschließungen. Diese U-Kurve ist inzwischen nicht nur für viele andere Zuwanderungsgesellschaften, sondern auch für den Verlauf der Einheiratungsquoten der meisten Nationalitäten von Arbeitsmigranten in Deutschland beobachtet werden (T.T. Kane & E.H. Stephen 1988; T. Klein 2000).

Auskunft darüber, in welchem Ausmaß soziale Distanz zwischen einheimischen und zugewanderten Bevölkerungsgruppen interethnische Heiraten beeinflusst, geben Bevölkerungsumfragen. In zwei vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in Auftrag gegebenen Repräsentativerhebungen (P. König, G. Schultze & R. Wessel 1986; U. Mehrländer, C. Ascheberg & J. Ueltzhöffer 1996) wurden 1985 und 1995 ausländische Eltern danach gefragt, ob sie damit einverstanden wären, wenn ihr Kind einen Deutschen oder eine Deutsche heiraten würde (Tabelle 1).



Tabelle 1:
Einstellung ausländischer Eltern zur Heirat ihrer Kinder mit Deutschen nach Nationalität und Geschlecht der Befragten 1985 und 1995 (in Prozent)




Türken

Italiener

Griechen

1995

1985

1995

1985

1995

1985

Einverstanden

Mütter

50

31,2

84,8

61

88,6

44,8

Väter

55,9

35,3

93

72

89,9

50,7

Nicht einverstanden

Mütter

46,3

68,8

7,1

39

9,5

55,2

Väter

38,1

64,7

3,8

28

8,5

49,3

Keine Angabe

Mütter

3,7

-

8,1

-

1,9

-

Väter

6

-

3,2

-

1,5

-

Quelle: U. Mehrländer, C. Ascheberg & J. Ueltzhöffer 1996: 227

1995 sagten etwas mehr als 50% der türkischen und rund 90% der italienischen und griechischen Eltern, sie wären mit einer Heirat ihrer Kinder mit einem deutschen Partner bzw. einer deutschen Partnerin einverstanden. Die Gegenüberstellung zu den 10 Jahre zurückliegenden Befragungsergebnissen zeigt insbesondere, dass in diesem - vergleichsweise kurzen - Zeitraum die Akzeptierung interethnischer Ehen bei den Familien ausländischer Herkunft aller befragten Nationalitäten stark zugenommen hat: Die Anteile derjenigen, die binationale Ehen ihrer Kinder akzeptieren würden, ist bei allen Eltern um etwa 20% gestiegen. Die Unterschiede zwischen den Türken einerseits und den Italienern und Griechen andererseits dürften dabei vor allem auf die längere Aufenthaltsdauer dieser Bevölkerungsgruppen in Deutschland zurückzuführen sein: Mit zunehmendem Alter der befragten Eltern nimmt nämlich deren Bereitschaft zur Akzeptierung einer binationalen Ehe zu (U. Mehrländer, C. Ascheberg & J. Ueltzhöffer 1996: 224).

In der gleichen Befragung wurden auch ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die noch nicht verheiratet sind, aber heiraten möchten, gefragt, ob sie einen deutschen Partner oder eine deutsche Partnerin wählen würden (Tabelle 2).

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Tabelle 2:
Bereitschaft unverheirateter ausländischer Frauen und Männer zu einer Ehe mit Deutschen (in Prozent)




Türken

Italiener

Griechen



1995

1985

1995

1985

1995

1985

Positive
Einstellung

w

44,3

13,8

73,8

50,6

70,6

27,5


m

42,8

49,1

63,4

58,3

71,9

31,7

Negative
Einstellung

w

38,3

63,1

18,7

31

7,3

43,1


m

34,3

35,2

26,9

20,5

18,8

33,3

Unent-
schlossen

w

17,4

23,1

7,6

18,4

22,1

29,4


m

22,9

15,7

9,7

21,2

9,3

34,9

Quelle: U. Mehrländer, C. Ascheberg & J. Ueltzhöffer 1996: 243

Die Bereitschaft zur Ehe mit deutschen Partnern variiert nach Nationalität und Geschlecht. Über 70% der griechischen Frauen und Männer sagten 1995, sie wären bereit, Deutsche zu heiraten. Hier liegt sowohl der insgesamt höchste Anteil als auch die größte Steigerungsrate im Vergleich zu 1985 vor. Die Bereitschaft italienischer Frauen und Männer war hingegen auch schon 1985 relativ hoch. Bei türkischen Männern ist mit rund 43% die geringste Zustimmung zu einer Ehe mit einer deutschen Partnerin zu verzeichnen; sie ist im Vergleich zu 1985 sogar um rund 6% gesunken. Hingegen hat sich die Einstellung türkischer Frauen im selben Zeitraum erheblich zugunsten gemischtnationaler Ehen verändert und ist von 14 auf 44% gestiegen.

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Tabelle 3:
Wahrscheinlichkeitseinschätzung einer Heirat mit einem einheimischen Ehepartner bei italienischen, griechischen, türkischen und Aussiedler-Jugendlichen und ihren Eltern



Italiener

Griechen

Türken

Aussiedler


Väter

Mütter

Väter

Mütter

Väter

Mütter

Väter

Mütter

ja,
auf jeden Fall

17.0%

16.6%

15.2%

9.7%

6.3%

3.0%

4.2%

3.3%

ja,
möglicherweise

63.1%

56.3%

58.6%

56.9%

39.5%

18.5%

47.0%

56.5%

nein, wahr-
scheinlich nicht

17.5%

21.6%

22.2%

24.1%

28.8%

32.0%

46.0%

34.4%

nein, auf
keinen Fall

2.4%

5.5%

4.0%

9.2%

25.4%

46.5%

2.8%

5.7%

N

(206)

(199)

(198)

(195)

(205)

(200)

(215)

(212)


Söhne

Töchter

Söhne

Töchter

Söhne

Töchter

Söhne

Töchter

ja, auf
jeden Fall

30.2%

22.5%

23.1%

14.7%

31.2%

46.0%

5.6%

6.2%

ja, möglich-
erweise

56.6%

59.0%

57.8%

62.4%

31.2%

30.0%

38.0%

41.6%

nein, wahr-
scheinlich nicht

8.6%

15.0%

10.1%

16.8%

34.6%

22.5%

42.7%

41.1%

Nein, auf
keinen Fall

1.5%

2.0%

3.0%

4.1%

2.9%

1.5%

13.6%

11.0%

möchte nicht
heiraten

2.9%

1.5%

6.0%

2.0%

-

-

-

-

N

(205)

(200)

(199)

(197)

(205)

(200)

(215)

(212)

Quelle: Survey Generationenbeziehungen in Migrantenfamilien

In der Tendenz ähnliche Ergebnisse ergeben sich in der Befragung "Intergenerative Beziehungen in Migrantenfamilien", in der Eltern und Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren aus Familien italienischer, griechischer und türkischer Herkunft sowie aus Aussiedlerfamilien gefragt worden sind, für wie wahrscheinlich sie eine Ehe (bzw. ihres Kindes) mit einem einheimischen Ehepartner halten (Tabelle 3). Bei den Eltern beurteilen jeweils die Mütter die Wahrscheinlichkeit einer Heirat ihres Kindes mit einem deutschen (einheimischen) Ehepartner zurückhaltender als Väter (auch in Aussiedlerfamilien). Ganz erhebliche Unterschiede gibt es zwischen den Angaben der Eltern und ihren Kindern - besonders in den türkischen Familien: Während nur 6% der Väter und 3% der Mütter glauben, dass ihr Kind "auf jeden Fall" einen deutschen Ehepartner heiraten wird, sind dies bei ihren Söhnen 31% und bei den Töchtern sogar 46%.

Einen begrenzten Einblick in die Bedeutung von Teilheiratsmärkten ermöglichen Befunde zu Bildungs- und Altersunterschieden in deutsch-ausländischen Partnerschaften und Ehen (T. Klein 2000). Entgegen weitverbreiteten Vorstellungen kommt eine binationale Partnerwahl gehäuft vor, wenn zumindest ein Partner Abitur oder Fachhochschulreife hat. Binationale Partnerwahl erscheint somit bei Deutschen wie bei Ausländern an gehobene Bildungsschichten gekoppelt. Wie eingehendere Analysen zeigen, ist der Anteil binationaler Partnerschaften dann besonders hoch, wenn der Beginn der Partnerschaft in die Studienzeit fiel; Universitäten geben somit offenbar vergleichsweise günstige Gelegenheiten, eine deutsch-ausländische Partnerschaft zu beginnen.

Bildungshomogamie ist weitaus deutlicher ausgeprägt, wenn beide Partner deutsch sind oder ein ausländischer Mann mit einer deutschen Frau zusammenfindet. Nur ein geringes Maß an Bildungshomogamie zeigen hingegen die deutsch-ausländischen Partnerschaften mit einem deutschen Mann: Hier überwiegen ganz eindeutig Eheschließungen mit Partnerinnen, die einen höheren Bildungsabschluss aufweisen als sie selbst. Analysen auf der Basis des Mikro-Zensus kommen zu ähnlichen Befunden (S. Weick 2001): Die Wahrscheinlichkeit von ausländischen Männern, eine deutsche Frau zu heiraten, steigt ganz erheblich mit ihrem Bildungsgrad an: Italienische Männer mit einem Hauptschulabschluss heiraten bereits mit einer um 57% höheren Wahrscheinlichkeit eine deutsche Frau als Italiener ohne Schulabschluss, bei Italienern mit mittlerer Reife steigt diese Wahrscheinlichkeit auf 79% an, fällt dann bei den Abiturienten allerdings wieder auf 11%. Bei türkischen Männern ist diese Tendenz noch ausgeprägter: Männer mit Hauptschulabschluss heiraten mit 42% höherer Wahrscheinlichkeit eine deutsche Frau als solche ohne Schulabschluss; bei Männern mit mittlerer Reife und Abitur erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit auf 193% bzw. 184%. Binationale Ehen stellen somit eine nach Bildungsgrad positive Selektion dar und bewirken - entgegen allen üblichen Vorstellungen - einen Beitrag zum Import von Humankapital, da die ausländischen Ehepartner typischerweise über einen gleichhohen oder höheren Bildungsgrad verfügen als die deutschen.

Deutsch-ausländische Partnerschaften mit deutschen Männern haben einen im Durchschnitt besonders großen Altersabstand. Dies zeigt sich insbesondere bei Ehen zwischen einem deutschen Ehemann und einer Frau aus den Ländern Thailand, Philippinen und Südamerika. Hier liegt der Altersunterschied bei neun Jahren und ist damit dreimal höher als der Bundesdurchschnitt. Dabei hat allerdings in deutsch-ausländischen Partnerschaften der Altersabstand generell eine größere Streuung, und das Heiratsalter bzw. das Alter bei Beginn der Partnerschaft ist generell höher, wenn ein Partner eine ausländische Staatsangehörigkeit hat.

Bei türkischen Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation ist ein leichter Anstieg der Heiraten vor deutschen Standesämtern zu beobachten. Sie integrieren sich damit auch verstärkt in das deutsche Rechtssystem, da Ehen in deutschen Standesämtern nicht nach türkischem, sondern nach deutschem Recht geschlossen werden. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Eheschließung nach deutschem Recht für Ausländer mit relativ hohen bürokratischen Schwierigkeiten verbunden ist. Das gilt insbesondere, wenn sie im Ausland geboren sind und deshalb die zur Trauung erforderlichen Unterlagen von dort herbeischaffen und übersetzen lassen müssen. Dies erübrigt sich für in Deutschland geborene Türken; insofern dürfte der zunehmende Prozentsatz der in deutschen Standesämtern getrauten türkischen Paare auch den steigenden Anteil junger Erwachsener mit türkischem Pass reflektieren, die bereits in Deutschland geboren sind. In deutschen Standesämtern haben 1996 insgesamt 2.210 Frauen und 5.028 Männer türkischer Staatsangehörigkeit geheiratet. Fünf Jahre zuvor waren es erst 1.395 Frauen und 4.154 Männer gewesen. Innerhalb dieser Jahre stieg die Zahl also um 30%. Bei fast 85% (4.920) der nationalitäts-internen Ehen, die 1996 in der BRD geschlossen wurden, gaben sich die türkischen Paare das Jawort nicht in einem deutschen Standesamt, sondern in einem türkischen Konsulat (G. Straßburger 2000). Der bei weitem größte Teil nationalitäts-interner Ehen wurde jedoch in der Türkei geschlossen. Dies lässt sich indirekt aus der Zahl der Visa ableiten, die die deutschen Auslandsvertretungen in Ankara, Istanbul und Izmir für den Familiennachzug nach Deutschland ausstellen. 1996 erteilten die deutschen Auslandsvertretungen rund 17.500 Visa für den Ehegattennachzug zu nicht-deutschen (d. h. zu türkischen) Männern und Frauen. Dabei wurden deutlich mehr Visa für Frauen als für Männer ausgestellt, was darauf schließen lässt, dass mehr in Deutschland lebende türkische Männer eine Frau aus der Türkei heiraten, als Migrantinnen einen in der Türkei lebenden Mann zum Ehemann nehmen. Andererseits gibt es deutlich mehr türkische Männer als Frauen mit einem Ehegattennachzug zu einer Person deutscher Staatsangehörigkeit. Dieses Ungleichgewicht fällt allerdings geringer aus als bei den binationalen Ehen, die in deutschen Standesämtern geschlossen wurden. Es ist auch schwächer als bei der Gesamtheit der deutsch-türkischen Paare, die in der Türkei getraut wurden, wobei es sich wiederum zu einem Teil um Ehen mit eingebürgerten Migranten und Migrantinnen handeln dürfte.

Heiratsmigration wird in seiner quantitativen Bedeutung in Zukunft zunehmen. Dies gilt insbesondere, so lange eine restriktive Zuwanderungspolitik keine anderen Zuwanderungsmöglichkeiten zulässt und entsprechend insbesondere für solche Personengruppen, deren Herkunftsländer von restriktiven Zuwanderungsmöglichkeiten betroffen sind. Heiratsmigration kann unter solchen Bedingungen zur Erzielung und Verfestigung des eigenen Aufenthaltsstatus beitragen. Nur hierdurch sind z. B. die starken periodischen Schwankungen in den Heiraten zwischen türkischen Männern und deutschen Frauen zu erklären (T. Klein 2000).

Für das Verständnis der Entwicklung binationaler Ehen ist auch zu berücksichtigen, dass Heiratsmigration sich auch nach den kulturellen Mustern vollzieht, die den jeweiligen Herkunftsgesellschaften entstammen und die erheblich von dem Muster abweichen können, die der Eheschließung als "kulturelle Selbstverständlichkeit" in der Aufnahmegesellschaft unterliegen. Hierzu kann es beispielsweise auch gehören, dass Ehen nicht unmittelbar Ausdruck "romantischer Liebe" sind und auf der individuellen, gegenseitigen Partnerwahl beruhen, sondern durch arrangierte Heiraten (seitens der Eltern des Paares oder durch institutionalisierte "Heiratsvermittler") zustandekommen oder unter Verwandten geschlossen werden. Einem solchen eher instrumentellen Verständnis von Eheschließung kommt ihr zweckrationaler Einsatz zur Erzielung eines Aufenthaltsstatus sehr viel stärker entgegen, als wenn "romantische Liebe" eine zwingende Eingangsvoraussetzung ist. Dies ist u. a. die kulturelle Voraussetzung dafür, warum gerade in der Pioniermigrationssituation binationale Eheschließungen vergleichsweise häufig vorkommen und "problemlos" möglich sind. Dies hat in der breiten Öffentlichkeit, aber auch in Behörden und Institutionen, die mit binationalen Ehen zu tun haben, häufig Missverständnisse hervorgerufen. Begünstigt worden sind diese Missverständnisse auch dadurch, dass die Diskussion um die sogenannten Scheinehen im wesentlichen auf einer Unterscheidung von "wahren" (legitimen) und "falschen" (illegitimen) Heiratsmotiven beruht. Dies hat alle nicht der Entwicklungslogik des mitteleuropäischen Familienideals folgenden Ehen vorschnell und häufig zu Unrecht in den Verdacht einer "Scheinehe" gebracht.

Darüber hinaus gibt es aber auch starke Anreize für Angehörige der ersten und zweiten Zuwanderergeneration, ihren Ehepartner nicht in der Aufnahmegesellschaft, sondern in der Herkunftsgesellschaft zu suchen. Dies gilt wiederum insbesondere dann, wenn bei der Heirat weniger "romantische Liebe", sondern vielmehr sozialer Status und die Einbettung in ein deszendenzverwandtschaftliches Heiratsregime (unter starker Mitwirkung der beteiligten Verwandtschaftsgruppen) im Vordergrund steht (B. Nauck 2001b). Der eigene verfestigte Aufenthaltsstatus dient dann als zusätzliche Offerte auf dem Heiratsmarkt in der Herkunftsgesellchaft, der eingesetzt werden kann, um dort einen Ehepartner mit höherem sozialen Status zu bekommen - ein Vorteil, der auf dem Heiratsmarkt in der Aufnahmegesellschaft weder bezüglich der Einheimischen noch der Angehörigen der eigenen Zuwanderungsminorität zur Geltung käme: "Marrying into a Turkish family in Germany is an added attraction for young men in Turkey and raises the bride-price and bargaining power of a young girl’s family inasmuch as they can offer a future son-in-law prospects of a residence permit and access to the German labour market" (C. Wilpert 1992: 183 f.); "Marrying a migrant’s daughter is by far the most attractive way to gain admittance to the Netherlands, or in fact any Western European country" (A. Böcker 1994: 97). Hinzu kommt, dass Ehen innerhalb eng verbundener Verwandtschaftssysteme einem höheren Ausmaß an sozialer Kontrolle unterliegen, was sie u.a. auch "sicherer" macht und dem schwächeren Partner in einer Ehe zusätzliche Verhandlungsmacht gibt. Dies mag ein Gesichtspunkt sein, der insbesondere für Migrantinnen aus patrilinear organisierten Gesellschaften von Bedeutung ist. Es bestehen somit insbesondere für Migrantinnen dauerhaft starke Anreize, weder ein Mitglied der Aufnahmegesellschaft noch ein Mitglied der eigenen Migrantenminorität zu heiraten. Für türkische Männer ist die Anreizstruktur dagegen weniger eindeutig, doch dürfte auch hier bei der Heirat einer Partnerin aus der Herkunftsgesellschaft der Migrantenstatus als günstige Offerte wirken, so dass hier insbesondere Anreize für eine heiratsbedingte Kettenmigration gegeben sind.

Selbstverständlich haben solche Heiratsmodalitäten auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Standortwahl der Eheschließung. Statusorientierte Heiraten von Migrantinnen werden in den allermeisten Fällen sicher am Herkunftsort der Abstammungsgemeinschaft durchgeführt, unabhängig davon, wo die eigene Herkunftsfamilie wohnt. Aber auch für Migranten wird zumindest dann die Heirat mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in Deutschland registriert werden, wenn die Partnerin aus der Herkunftsgesellschaft stammt. Aus diesen Umständen ergibt sich auch eine Antwort auf die Frage, in welche Richtung die (wohl dramatische) Untererfassung aller Eheschließungen mit Beteiligten aus Nicht-EU-Staaten wie z. B. der Türkei gehen und was die Zeitreihen der in Deutschland registrierten Ehen von Türkinnen und Türken eigentlich bedeuten: Bei Türken spiegeln die Zahlen den Kompositionseffekt der starken periodischen Schwankungen unterlegenen und häufigen Vorurteilen unterlegenen "aufenthaltsstatus-orientierten" Heiraten insbesondere mit Angehörigen der ersten Migrantengeneration und die kontinuierlich ansteigenden Resultate von Assimilationsprozessen und der damit zusammenhängenden Zunahme von Heiraten, die der "westlichen" Entwicklungslogik von Familiengründungsprozessen folgen; bei den türkischen Frauen bedeuten sie (wie die langsamere, aber kontinuierliche Entwicklung dieser Heiraten zeigt) nur letzteres, also den stetigen Anstieg von dem, was man in der deutschen Gesellschaft allgemein unmissverständlich "Liebesheiraten" nennt (B. Nauck 2001b: 54).

Insgesamt machen diese Befunde und Schlussfolgerungen deutlich, dass Heiratsmigration ein wichtiger Mechanismus der Selbstergänzung von Migrantenminoritäten in Deutschland ist. Sie trägt somit dazu bei, dass auch bei den etablierten Zuwandernationalitäten weiterhin mit Migranten der ersten Generation zu rechnen ist, die den Eingliederungsprozess "von vorn" absolvieren, dabei aber auf vergleichsweise günstige Voraussetzungen wegen des Vorhandenseins von Sozialbeziehungen treffen, die für diesen Eingliederungsprozess genutzt werden können. Empirische Analysen über die Struktur internationaler Heiratsmärkte fehlen bislang vollständig. So ist es beispielsweise eine völlig offene Frage, ob diese Form von statusorientierter Heiratsmigration vorzugsweise von solchen Migranten praktiziert wird, die über vergleichsweise geringe Ressourcen verfügen, die für die strukturelle Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft eingesetzt werden konnten und somit "alternativlos" handeln: Der abgesicherte Aufenthaltsstatus wäre dann möglicherweise häufig "das Einzige", was sie auf dem Heiratsmarkt in der Herkunftsgesellschaft einzusetzen in der Lage sind. Ebenso ist jedoch denkbar, dass Heiratsmigration umso wahrscheinlicher ist, je höher die einzusetzenden Ressourcen auf diesem Heiratsmarkt sind: Hierzu würden dann jedoch nicht nur ein abgesicherter Aufenthaltsstatus, sondern eben auch eine gute Ausbildung und damit ein besonders aussichtsreiche materielle Zukunftsofferte gehören. Hierfür würden die Befunde zur positiven Selektion bei den binationalen Ehen sprechen.

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2.2 Aufgabenteilung in der Ehe

Mit der Migration sind häufig Umverteilungen in den ökonomischen, kognitiven, sozialen und zeitlichen Ressourcen der Ehepartner verbunden, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Entscheidungsmacht und Aufgabenverteilung zwischen den Ehepartnern haben. Mit dem migrationsbedingten Kontextwechsel ist zumeist eine veränderte Berufstätigkeit, häufig eine erstmalige außerhäusliche Erwerbstätigkeit der Frau, ungleiche Kompetenzen in der Partizipation an der Aufnahmegesellschaft durch unterschiedliche Aufenthaltsdauer und eine Neuzusammensetzung sozialer Netzwerke mit veränderten Koalititionsmöglichkeiten verbunden. So ist mit dem Pionierwandererstatus ein deutlicher Zuwachs an innerfamiliären Aufgaben und Entscheidungskompetenzen verbunden, der darauf zurückzuführen ist, dass das ersteinreisende Familienmitglied als erstes Kontakte in der Aufnahmegesellschaft knüpft, die ihm offenbar dauerhafte Vorsprünge vor den anderen Familienmitgliedern sichern. So ist noch nach über 10 Jahren Aufenthaltsdauer an der innerfamiliären Aufgabenorganisation und Entscheidungskompetenz die Form der Wanderungsabfolge zwischen den Ehepartnern nachweisbar, d. h. ob der Ehemann zuerst, die Ehefrau zuerst oder beide gemeinsam nach Deutschland gegangen sind (B. Nauck 1985).

Migration stellt eine große Herausforderung an die Flexibilität der Ehegattenbeziehungen dar. Kulturelle Faktoren nehmen einen erheblichen Einfluss darauf, wie Ehepaare auf die veränderten Lebensbedingungen in der Aufnahmegesellschaft mit einer Neuorganisation der innerfamiliären Interaktionsstruktur reagieren können, d. h. in welchem Ausmaß sie Anpassungskapazitäten besitzen oder ob sie an einer starren, geschlechtsrollenspezifischen Aufteilung der Aufgaben und Entscheidungskompetenzen festhalten. Grundsätzlich bewegt sich beides auf zwei Dimensionen:

  • Aufgaben und Entscheidungen können kooperativ oder autonom erledigt werden, d. h. entweder begleitet von gemeinsamen Abstimmungsprozessen und Diskussionen oder getrennt in selbstständige Entscheidungs- und Aufgabenbereiche, in die der jeweils andere "nicht hinein zu reden hat";

  • nur für relativ autonome Bereiche stellt sich sodann die Frage der Entscheidungs- und Aufgabendominanz, ob sie stärker in den "männlichen" oder "weiblichen" Kompetenzbereich fallen.

Von einer "patriarchalischen" Familienstruktur wird man entsprechend dann zu sprechen haben, wenn alle wesentlichen Entscheidungen und Aufgaben in die Kompetenz des Ehemann fallen, von einer "matriarchalischen" Struktur dann, wenn die Entscheidungsmacht bei der Frau liegt.

Einen Einblick in die Dynamik der durch Familienmigration ausgelösten Veränderungen gibt ein Vergleich von verschiedenen Formen familieninterner Kettenmigration, d.h. von solchen Familien, bei denen entweder die Ehefrau oder der Ehemann zuerst gewandert sind bzw. solchen Familien, bei denen beide Ehepartner gemeinsam nach Deutschland gekommen sind. Nach einer Untersuchung über türkische Familien (S. Özel & B. Nauck 1987) ist hierbei der Typus der männlichen Erstwanderung am häufigsten (76.4%), gefolgt von der Ersteinreise der Ehefrau (13.1%) und der gemeinsamen Einreise beider Eheleute (10.4%). Im historischen Verlauf verändert haben sich dabei die Trennungszeiten: Betrugen diese Anfang der 60er Jahre noch durchschnittlich mehr als 10 Jahre, so ist seitdem die Trennungsdauer kontinuierlich auf weniger als zwei Jahre zurückgegangen. In dieser Untersuchung zeigte sich, dass die ausgeprägtesten Leitbilder der Trennung von Aufgaben zwischen solchen des Mannes und solchen der Frau am stärksten in Familien männlicher Pionierwanderer zu finden sind. Demgegenüber favorisieren gemeinsam gewanderte Familien häufiger das Leitbild geringer Geschlechtsrollendifferenzierung. Dem entsprechen die Ergebnisse zur Entscheidungsmacht und Aufgabenverteilung zwischen den Ehepartnern: Gemeinsam gewanderte Familien zeigen das höchste Ausmaß an gemeinsamen Entscheidungen und Kooperation in der Aufgabenerfüllung, Familien männlicher Pionierwanderer zeigen dagegen die größte Rollentrennung. Auf die Dominanzverhältnisse in den autonomen Aufgaben- und Entscheidungsbereichen hat die Wanderungsabfolge zwischen den Ehepartnern einen stärkeren Einfluss als auf gemeinsame Entscheidungen und Kooperation. Dabei zeigt sich, dass insbesondere die weibliche Pionierwanderung mit deutlichen Verschiebungen in der autonomen Aufgabenerfüllung zugunsten der Frau verbunden ist. Dagegen sind die Familien männlicher Pionierwanderer durch eine vergleichsweise hohe männliche Dominanz in der Entscheidungsmacht und Aufgabenerfüllung geprägt. Familien männlicher Pionierwanderer zeigten die geringste Strukturflexibilität, d.h. sie versuchen am wenigsten, sich durch Reorganisation der familiären Interaktionsstruktur den wechselnden Umweltbedingungen anzupassen. Gemeinsam gewanderte Familien zeigen dagegen eine durchgängig hohe Anpassungsbereitschaft. Familien weiblicher Pionierwanderer mit der ihnen abgeforderten Reorganisation des Familienalltags zeigten sich dagegen am konfliktanfälligsten. Offenbar durchzieht diese Konfliktanfälligkeit den gesamten Migrationsprozess, angefangen bei den der Wanderung vorausgehenden schwierigen Entscheidungsprozessen über die Bewältigung der unmittelbaren Nachwanderungssituation bis hin zur Reorganisation der familiären Aufgabenverteilungen im Verlaufe des gemeinsamen Eingliederungsprozesses.

Weibliche Ersteinwanderung verdient somit aus zweierlei Gründen Aufmerksamkeit:
(1) In der Phase der Arbeitskräfteanwerbung Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre hat zeitweilig eine größere Nachfrage nach weiblichen als nach männlichen Arbeitsmigranten bestanden, was dazu geführt hat, dass um 1970 ca. 1 Million türkischer Männer nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Ehefrauen und Töchter eine Arbeitserlaubnis beantragt haben: Bei eigenem Misserfolg sollte die Arbeitserlaubnis indirekt über die Familienzusammenführung erreicht werden. Tatsächlich hat dies zu einer vergleichsweise großen Zahl weiblicher Pioniermigrantinnen geführt, ohne dass diese Frauen jemals zu einer besonderen "Problem"-Gruppe oder für sozialpädagogische Maßnahmen "auffällig" geworden wäre. Vielmehr sprechen die vorliegenden Befunde dafür, dass auch für diese Frauen zutrifft, was allgemein über den Zusammenhang zwischen Wanderungsabfolge und Handlungsautonomie gilt: Die auf die Aufnahmegesellschaft bezogenen kulturellen, sozialen und ökonomischen Ressourcen verschieben sich dauerhaft zugunsten des Ersteinreisenden; insbesondere die autonome Übernahme außerfamiliärer Aufgaben und die Entscheidungen im außerfamiliären Bereich steigt mit der Länge des Aufenthaltsvorsprunges an.
(2) Obwohl hierzu bislang keine Forschungsbefunde vorliegen, ist anzunehmen, dass dieselben Mechanismen auch beim neuen Typus weiblichen Erstaufenthalts in der Aufnahmegesellschaft wirksam sind, wenn nämlich Frauen der zweiten Migrationsgeneration ihren Ehepartner nicht unter Angehörigen der eigenen Minorität in der Aufnahmegesellschaft wählen, sondern in der Herkunftsgesellschaft, um ihn dann nachzuholen. Auch hier ist davon auszugehen, dass solche Ehen vor besonderen Entwicklungsaufgaben stehen und dabei kaum durch - traditionale - Rollenleitbilder kulturell unterstützt werden und deshalb besonders - seitens der Männer - konfliktanfällig sind und hohe Handlungskompetenzen bei den Frauen erfordern. Sie durchleben damit einen ähnlichen Prozess wie die Ehen von Kriegsheimkehrern im Nachkriegsdeutschland, in denen Frauen ebenfalls aus situativen Erfordernissen heraus hohe außerfamiliäre Handlungsautonomie erwarben, was zu dem bekannt hohen Stabilitätsrisiken dieser Ehen geführt und zur außergewöhnlich hohen Scheidungsrate in den Nachkriegsjahren beigetragen hat.

Einen eingehenderen Einblick in die Rollenverteilung in den Familien ausländischer Herkunft bieten Ergebnisse zur Aufgabenverteilung und zur Beteiligung an familiären Entscheidungsprozessen. Zunächst ist hierzu festzustellen, dass die innerfamiliären Aufgaben ganz überwiegend in der Elterngeneration erledigt werden (A. Kohlmann 2000): Einkäufe für den Haushalt, Putzen und Behördengänge werden bei allen Nationalitäten in überwiegendem Maße von der Elterngeneration erledigt (Einkaufen und Behördengänge in über 60% der Fälle, Putzen in über 50% der Fälle), die Kinder und Jugendliche sind hieran nur in ca. 10 - 20% der Familien beteiligt. Dies zeigt sich noch deutlicher bei familiären Entscheidungsprozessen, z. B. über größere Anschaffungen, die Freizeitgestaltung, Entscheidungen über die Schulwahl für das Kind und über berufliche Veränderungen. Über 80% der Eltern geben an, dass nur sie oder ihr Partner einen sehr großen oder ziemlich großen Einfluss auf diese Entscheidungen besitzen. Kinder haben lediglich auf die Freizeitgestaltung (Italiener: 65.9%, Griechen: 59.0%, Türken: 52.2%) sowie die Wahl ihrer Schule (Italiener: 73.0%, Griechen: 74.6%, Türken: 84.4%) einen deutlichen Einfluss.

Wie sich die Aufgaben und Entscheidungen zwischen den Eheleuten in den einzelnen Nationalitäten verteilen, ist in Tabelle 4 wiedergegeben. Es handelt sich hier um die Ergebnisse einer Befragung mit Familien ausländischer Herkunft, die mindestens ein Kind im Jugendalter haben, sowie um eine nichtgewanderte deutsche Vergleichsgruppe. Berichtet werden jeweils ausgewählte Aufgaben und Entscheidungen, die entweder überwiegend von der Frau oder gemeinsam bzw. abwechselnd erledigt werden; nicht wiedergegeben sind die Prozentwerte für Bereiche mit männlicher Dominanz, die jeweils die Differenz zu 100% ausmachen.



Tabelle 4:
Aufgabenverteilung zwischen den Ehepartnern in Familien ausländischer Herkunft und in nichtgewanderten deutschen Familien



überwiegend.

Italiener

Griechen

Viet-
namesen

Türken

Aus-
siedler

Deutsche

Einkaufen

die Frau

87.2%

88.4%

64.1%

40.3%

70.4%

66.5%

gemeinsam

9.3%

7.6%

22.0%

47.5%

25.1%

25.7%

Putzen

die Frau

96.0%

95.2%

79.6%

88.0%

94.0%

82.7%

gemeinsam

2.7%

3.3%

15.1%

11.3%

3.0%

13.9%

Behördengänge

die Frau

18.8%

15.7%

14.1%

10.6%

52.8%

34.3%

gemeinsam

23.2%

24.2%

17.8%

23.5%

22.9%

34.2%

Entscheidung über
größere Anschaffungen

die Frau

6.4%

7.3%

9.5%

9.8%

8.5%

2.7%

gemeinsam

46.3%

44.2%

56.3%

71.7%

65.3%

94.4%

Entscheidung über die
Freizeitgestaltung

die Frau

14.2%

16.8%

11.5%

15.5%

15.6%

3.9%

gemeinsam

68.2%

64.2%

78.4%

71.7%

72.9%

93.2%

Entscheidung über die
Schulwahl der Kinder

die Frau

14.1%

11.6%

10.3%

8.5%

14.6%

8.2%

gemeinsam

63.5%

62.1%

62.6%

74.7%

71.3%

89.9%

Entscheidung über
berufliche Veränderung

die Frau

10.1%

10.7%

11.6%

5.2%

18.4%

19.8%

gemeinsam

46.5%

51.3%

45.2%

66.0%

42.6%

63.4%

Quellen: Survey intergenerative Beziehungen in Migrantenfamilien; Familiensurvey 1988

Die Tabelle zeigt zunächst, dass weniger Variabilität in Bezug auf Aufgabenverteilung und Entscheidungskompetenz zwischen den jeweiligen Herkunftsnationalitäten bestehen, als die vielfältigen Annahmen über die kulturelle Prägung der Geschlechtsrollen nahelegen. So sind Einkaufen und Putzen durchgängig "weibliche", die Erledigung von Behördengängen eine "männliche" Tätigkeit, während wichtige Entscheidungen in der Familie zu einem sehr großen Teil gemeinsam getroffen werden. Erst in zweiter Linie stellen sich Unterschiede ein, die mit der jeweiligen Herkunftskultur in Zusammenhang stehen: Auch andere als die hier dargestellten Befunde deuten darauf hin, dass in italienischen und griechischen Familien eine etwas stärkere Polarisierung der Geschlechtsrollen gegeben ist als z. B. in den türkischen und vietnamesischen Familien: Nicht nur sind "männliche" und "weibliche" Tätigkeiten deutlicher unterschieden, vielmehr ist auch das Ausmaß gemeinsamer Entscheidungen geringer und männlicher Entscheidungen höher. Umgekehrt zeichnen sich vietnamesische und türkische Familien durch eine höhere Involviertheit des Mannes in allen familiären Aufgabenbereichen und durch ein höheres Ausmaß gemeinsamer Entscheidungen aus. Dass die türkischen Familien unter allen Familien ausländischer Herkunft diejenigen mit der höchsten Kooperation zwischen den Ehepartnern sind (B. Nauck 1985; A. Kohlmann 2000), entspricht dabei (erneut) nicht dem Stereotyp, das in Deutschland über diese Herkunftsnationalität existiert. Aussiedlerfamilien sind den nichtgewanderten deutschen Familien keineswegs ähnlicher als die übrigen Familien ausländischer Herkunft, sie weisen vielmehr eigene Spezifika auf: Hierzu gehört insbesondere der Rückzug des Mannes aus allen Aufgaben (auch die Behördengänge werden überwiegend von den Aussiedlerinnen übernommen) und eine vergleichsweise starke Stellung der Frau auch in den innerfamiliären Entscheidungsprozessen. Diese innerfamiliären Interaktionsstrukturen stehen dabei in engem Zusammenhang mit den individuellen Ressourcen und sind im Eingliederungsprozess deutlichen Veränderungen unterworfen: Mit dem Bildungsniveau der Ehefrau, mit ihrer Beteiligung am Erwerbsleben, mit der Aufenthaltsdauer und den Deutschkenntnissen nimmt in allen Herkunftsnationalitäten der Einfluss der Frau auf familiäre Entscheidungen und das Ausmaß der Kooperation zwischen den Ehepartnern zu, wohingegen hohe Kinderzahlen und starke religiöse Bindungen den gegenteiligen Effekt haben (mit Ausnahme der vietnamesischen Familien, bei denen religiöse Bindungen die Kooperation der Ehepartner steigert).

Bestätigt werden diese Befunde durch eine Untersuchung, in der türkische Migrantenfamilien, Aussiedlerfamilien und nichtgewanderte deutsche Familien miteinander verglichen worden sind (S. Gümen, L. Herwartz-Emden & M. Westphal 1994): Frauen aus der Türkei können danach weitaus häufiger auf die Hilfe des Mannes bei der Betreuung der Kinder zurückgreifen als Aussiedlerfrauen oder deutsche Frauen; diese greifen eher auf institutionelle Betreuungsformen und auf weibliche Mitglieder der Verwandtschaft zurück. Deutliche Unterschiede ergaben sich auch hinsichtlich der Frage, wie idealerweise die Hausarbeit zwischen den Familienmitgliedern aufgeteilt sein sollte. In allen drei Gruppen ordneten sich die Frauen auch im Idealfall den größten Teil der Hausarbeit zu. Die Kinder sollen ebenso zur Hausarbeit beitragen, wobei die Tochter einen größeren Anteil übernehmen soll als der Sohn. "Die Frauen aus der Türkei setzten ihren eigenen Anteil an der Hausarbeit höher an als die beiden anderen Gruppen. Ebenso wiesen sie den Kindern mehr Hausarbeit zu als in den anderen beiden Gruppen, wobei der Tochter sogar mehr Hausarbeit zugeteilt wird als dem Mann. Die deutschen Frauen teilten den Kindern den geringsten Anteil der Hausarbeit zu. Überraschenderweise zeigte sich, dass der Mann bei den deutschen Frauen weniger Hausarbeit machen soll als bei den Aussiedlerinnen oder den Frauen aus der Türkei. Andere Verwandte wurden von den Aussiedlerinnen oder den Frauen aus der Türkei stärker in die Hausarbeitsverteilung einbezogen, als es bei deutschen Frauen üblich zu sein scheint" (S. Gümen, L. Herwartz-Emden & M. Westphal 1994: 73).

Der Bedeutung von Ehefrauen und Müttern für den Verlauf und das Gelingen des Eingliederungsprozesses von Familien ausländischer Herkunft ist in der bisherigen familien- und migrationspolitischen Diskussion immer noch nicht genügend Beachtung geschenkt worden. Sie gestalten den Eingliederungsprozess aktiv mit, und von ihren Ressourcen und Handlungskompetenzen hängt es letztlich ab, in welche Richtung und in welcher Intensität sich der Eingliederungsprozess der gesamten Familie entwickelt und wie nachhaltig die Anpassung der Familie an ihren neuen Kontext erfolgt. Aus familienpolitischer Sicht sind alle Maßnahmen, die zur Stärkung der Fähigkeiten (empowerment) von Frauen und Müttern beitragen, zugleich ein wirksames Mittel zur Bewältigung der familiären Aufgaben im Eingliederungsprozess. Hierzu gehört insbesondere auch die unmittelbare Möglichkeit, durch eigene Erwerbstätigkeit zur ökonomischen Absicherung der Familie beitragen zu können. Die Reichweite und die Wirksamkeit von familienunterstützenden Einrichtungen und von Bildungsmaßnahmen, die zur Stärkung der Fähigkeiten von Frauen ausländischer Herkunft beitragen wollen, werden wesentlich davon abhängen, wie sie deren Nützlichkeit für die gesamte Migrantenfamilie unmittelbar einsichtig machen können. Gerade für Frauen aus Herkunftskulturen, in denen familiär-verwandtschaftliche Solidarpotenziale ohnehin eine hohe Bedeutung haben und sich in der Migrationssituation nochmals verstärken, sollte alles vermieden werden, was darauf hinausläuft, dass ein empowerment dieser Frauen zugleich die Übernahme einer individualistischen Kultur bedeutet: Die sich aus einer solchen Dilemma-Situation ergebenden Risiken und Gefährdungen, die eigene Weiterentwicklung ("Emanzipation" als individualistische Selbstfindung) nur um den Preis der Gefährdung der Solidarpotenziale der Migrantenfamilie betreiben zu können, sind kaum abschätzbar.

Selbstverständlich sind solche Überlegungen zu den Solidarpotenzialen in Migrantenfamilien nicht auf Frauen und Mädchen zu beschränken, noch soll der Eindruck erweckt werden, als wäre familiale Solidarität ausschließlich oder überwiegend eine Angelegenheit von Frauen. Allerdings sind die Risiken, die sich aus der Preisgabe von familiären Beziehungen ergeben, für Frauen oftmals weit höher als für Männer, insbesondere dann, wenn sie aus einer Herkunftskultur stammen, in der die Qualität sozialer Beziehungen höher bewertet werden als Individualität. Solche besonderen Gefährdungsrisiken können durch institutionelle Angebote der Aufnahmegesellschaft oftmals nicht aufgefangen werden. In der Vergangenheit sind in vielen der mit guten Absichten durchgeführten Bildungsmaßnahmen und Modellprojekten für Frauen ausländischer Herkunft solche Gefährdungsrisiken übersehen oder unterschätzt worden.

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Fazit

(1) Je nachdem, ob der Ehepartner unter den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft, den Angehörigen der eigenen Migrantenminorität oder unter den Mitgliedern der Herkunftsgesellschaft gewählt wird, hat dies weitreichende Folgen für den eigenen Eingliederungsprozess und eigene weitere Mobilitätsoptionen des/der Heiratenden, für den Sozialisations- und Akkulturationsprozess der aus dieser Verbindung hervorgehenden Kinder und für die Ausgestaltung der familialen Solidarpotenziale.

(2) Die Entwicklung binationaler Eheschließungen in Zuwanderergesellschaften folgt im Normalfall einem U-förmigen Verlauf, d. h. sie sind vergleichsweise hoch zu Beginn, sinken dann ab, um schließlich wieder anzusteigen. Das Absinken ist einerseits auf die Zunahme von Gelegenheiten des Kontakts zu Mitgliedern der eigenen Migrantenminorität für die Pioniermigranten und andererseits auf das sich reduzierende Ungleichgewicht der Geschlechterproportionen zurückzuführen. Die spätere Zunahme der binationalen Ehen ist dagegen einerseits auf den sich im intergenerativen Wandel vollziehenden Assimilationsprozess und andererseits auf Ehen zwischen eingebürgerten und nicht-eingebürgerten Mitgliedern derselben Migrantenminorität zurückzuführen.

(3) Binationale Eheschließungen sind zwangsläufig sehr viel stärker auf die Ko-Orientierung der Ehepartner angewiesen, während Heiraten innerhalb der eigenen Migrantenminorität bzw. innerhalb der eigenen Herkunftsgemeinschaft mit größerer Wahrscheinlichkeit eine hohe Integration in die jeweiligen Verwandtschaftssysteme aufweisen. Binationale Ehen können damit zwar weniger stark auf außerfamiliäre soziale Ressourcen zurückgreifen und unterliegen weitaus weniger der sozialen Kontrolle durch die Verwandtschaft, haben dafür aber weitaus höhere Anpassungskapazitäten an den sozialen Kontext der Aufnahmegesellschaft. Binationale Ehen unterliegen damit weit stärker den Risiken innerfamiliärer Konflikte und des Scheiterns der Beziehung - insbesondere in Pioniermigrationssituationen. In späteren Phasen des Zuwanderungsprozesses schaffen sie aber besonders günstige Voraussetzungen für den Verlauf des Eingliederungsprozesses aller Familienmitglieder.

(4) Binationale Ehen erfordern besonders hohe soziale Kompetenzen, sie ermöglichen jedoch zugleich einen "schnellen" Eingliederungsprozess ihrer Familienmitglieder. Sie haben vermutlich auch aus diesen Gründen ihre höchste Verbreitung in den höheren Bildungsschichten. Soziale Homogamie in der Partnerwahl wird hierbei die familialen Solidarpotenziale weiter verstärken. Andererseits ist der Altersabstand zwischen den Ehepartnern vergleichsweise hoch, was auf eine ungleiche Ressourcenverteilung zwischen den Ehepartnern hindeutet. Die ausländischen Ehepartner haben typischerweise einen (noch) höheren Bildungsabschluss als ihre deutschen Männer bzw. Frauen, d. h. Bildung scheint eine wichtige Offerte des ausländischen Ehepartners bei binationalen Eheschließungen zu sein. Binationale Ehen bewirken damit einen Import von Humankapital, der vermutlich das höhere soziale Kapital des einheimischen Ehepartners kompensiert.

(5) Heiratsmigration wird in seiner quantitativen Bedeutung in Zukunft zunehmen. Dies gilt insbesondere, so lange eine restriktive Zuwanderungspolitik keine anderen Zuwanderungsmöglichkeiten zulässt und entsprechend insbesondere für solche Personengruppen, deren Herkunftsländer von restriktiven Zuwanderungsmöglichkeiten betroffen sind. Heiratsmigration kann unter solchen Bedingungen zur Erzielung und Verfestigung des eigenen Aufenthaltsstatus beitragen und führt entsprechend bei einigen Nationalitäten (die nicht zur EU gehören) zu starken periodischen Schwankungen in den Heiraten. Diese Bedingungen führen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu familiären Belastungen, zumal die Phase der ehelichen Anpassung mit dem ungesicherten Aufenthaltsstatus eines Ehepartners zusammenfällt. Leben beide Ehepartner in unterschiedlichen Ländern, sind in der Regel kaum Möglichkeiten gegeben, diesen Anpassungsprozess durch voreheliches Kennenlernen zu gestalten oder die Tragfähigkeit der Beziehung zu erproben. Aufenthaltsrechtliche Regelungen verschärfen diese Situation für Ehepartner aus Nicht-EU-Ländern weiter.

(6) Für Angehörige der ersten und zweiten Zuwanderergeneration gibt es starke Anreize, ihren Ehepartner nicht in der Aufnahmegesellschaft, sondern in der Herkunftsgesellschaft zu suchen. Der eigene verfestigte Aufenthaltsstatus dient dann als zusätzliche Offerte auf dem Heiratsmarkt in der Herkunftsgesellchaft, der eingesetzt werden kann, um dort einen Ehepartner mit höherem sozialen Status zu bekommen - ein Vorteil, der auf dem Heiratsmarkt in der Aufnahmegesellschaft weder bezüglich der Einheimischen noch der Angehörigen der eigenen Zuwanderungsminorität zur Geltung käme. Heiratsmigration ist somit ein wichtiger Mechanismus der Selbstergänzung von Migrantenminoritäten in Deutschland. Sie trägt dazu bei, dass auch bei den etablierten Zuwandernationalitäten weiterhin mit Migranten der ersten Generation zu rechnen ist, die den Eingliederungsprozess "von vorn" absolvieren, dabei aber auf vergleichsweise günstige Voraussetzungen wegen des Vorhandenseins von Sozialbeziehungen treffen, die für diesen Eingliederungsprozess genutzt werden können.

(7) Intraethnische Heiraten sind - nicht zuletzt wegen der höheren sozialen Kontrolle - weitaus "sicherer" hinsichtlich ihrer Belastbarkeit und können häufiger auf verwandtschaftliche Solidarpotenziale zurückgreifen. Eingliederungsprozesse der Familienmitglieder in die Aufnahmegesellschaft müssen dann allerdings mit dem Verwandtschaftssystem koordiniert und vor ihm legitimiert werden. Dies wird vielfach zur Folge haben, dass der Eingliederungsprozess sich verlangsamt, aber von geringeren Risiken begleitet ist. Die höhere Sicherheit und die Koordination mit dem Verwandtschaftssystem werden wesentliche Gründe dafür sein, dass intraethnische Heiraten überdurchschnittlich häufig von Migranten gewählt werden, die selbst über weniger personale Kompetenzen und Ressourcen verfügen und deshalb stärker auf die Stabilität der Primärbeziehungen angewiesen sind.

(8) Der zeitliche Abstand zwischen dem Zuzug von bereits Verheirateten hat sich im Verlauf des Zuwanderungsprozesses nach Deutschland stetig verringert. Gemeinsam nach Deutschland kommende Familien haben die deutlich günstigeren Voraussetzungen für die mit der Migration verbundenen Aufgaben als solche, bei denen sich der Kettenmigrationsprozess über größere Zeiträume hinweg gestaltet. Die Dynamik des Eingliederungsprozesses gestaltet sich bei ihnen zeitgleich mit der Eigendynamik der Veränderung inner- und außerfamiliärer Aufgabenverteilungen und Kompetenzen. Kettenmigration stellt eine zusätzliches Koordinierungsproblem für die Familien dar, die deren Stabilität auf eine starke Belastungsprobe stellt. Kettenmigration selbst scheint wiederum ressourcenabhängig zu sein: Familien mit unterdurchschnittlichem Bildungsniveau weisen längere Trennungszeiten auf als solche mit höherem Bildungsniveau, so dass sich bei Kettenmigration die Problemlagen kumulieren. Zum Erhalt der familialen Solidarpotenziale kann deshalb nur empfohlen werden, die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen der Zuwanderung so zu gestalten, dass eine Trennung der Ehepartner oder der Kinder von ihren Eltern sich minimalisiert.


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