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Vorbemerkung


Das know-how ist in der wissensbasierten Gesellschaft nach Ansicht aller ExpertInnen der entscheidende „Rohstoff„. Lebenslanges Lernen, so die Botschaft, ist eine Aufgabe für alle, sowohl für die Beschäftigten als auch für die Unternehmen. Ältere Beschäftigte, dies wurde durch eine jahrzehntelange betriebliche Frühverrentungspraxis gefördert, gelten auch heute noch häufig als „Alterslast„ und nicht als personal- und betriebswirtschaftliche Ressource. Die Erwerbsquote der Älteren liegt deutlich niedriger als die anderer Altersgruppen, und ihre Arbeitslosigkeit, insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit, ist überproportional hoch. Eine Gesellschaft, die angesichts des demographischen Wandels alle qualifizierten Arbeitskraftressourcen nutzen muss, kann auf diese Beschäftigtengruppe heute und vor allem langfristig nicht verzichten.

Mit der hier vorgelegten Expertise möchten wir die Sensibilität für ein Thema stärken, das aus unserer Sicht zukünftig noch an Bedeutung gewinnen wird. Neben einer differenzierten Analyse der aktuellen Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der ausführlichen Darstellung der gegenwärtigen betrieblichen Qualifizierungspraxis für diese Beschäftigten werden Modelle und beispielhafte Ansätze vorgestellt und Umrisse für eine altersübergreifende Qualifizierungsstrategie aufgezeigt.

Wir bedanken uns bei Frau Dr. Corinna Barkholdt von der Forschungsgesellschaft für Gerontologie für die Erstellung der Expertise. Wir hoffen, dass unsere Expertise dazu beitragen kann, der Diskussion und der Suche nach praktischen Ansätzen für die Qualifizierung älterer ArbeitnehmerInnen neue Anregungen und Impulse zu geben.



Dr. Ursula Mehrländer

Leiterin des Gesprächskreises
Arbeit und Soziales

Ruth Brandherm

Referentin für Beschäftigungspolitik

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Einleitung

Bisher wurden Fragen der Qualifizierung nicht unbedingt mit älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Zusammenhang gebracht. Im Gegenteil: In der betrieblichen, aber auch in der arbeitsmarktpolitischen Praxis richtete sich das Hauptaugenmerk von Qualifizierungskonzepten und -maßnahmen eher auf andere, vorrangig jüngere, Beschäftigtengruppen. Im Rahmen der fast drei Jahrzehnte umfassenden betrieblichen Frühverrentungspraxis schienen Qualifizierung und Ältere einander sogar eher auszuschließen: Ältere mit veralteten Qualifikationen wurden durch jüngere mit aktuelleren Qualifikationen ausgetauscht. Investitionen in das Humankapital Älterer spielten in betrieblicher Personalpolitik überwiegend keine Rolle. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sahen sich aber auch selbst nicht vor die Notwendigkeit erneuter Qualifizierungsanstrengungen gestellt: sozialversicherungsrechtliche Pfade in einen vorzeitigen Ruhestand, aber auch fehlende betriebliche Angebote und Anreize weckten nicht das Interesse der Älteren an Qualifizierungsmaßnahmen. Arbeitsmarktpolitisch führte auch das hohe Verbleibsrisiko von Älteren in der Arbeitslosigkeit nicht zu vermehrten Qualifizierungs- und aktiven Eingliederungsstrategien.

Was hat sich geändert?

  • Aufkündigung der „stillschweigenden Übereinkunft der Akteure„: Demographische Entwicklung und Arbeitsmarktkrise in Verbindung mit der Finanzkrise der Sozialversicherungssysteme führten in der Anhebung der Altersgrenzen für einen abschlagsfreien Altersrentenbezug auf 65 Jahre zu einer Aufkündigung des hinter dem Frühverrentungsgeschehen stehenden Konsenses der maßgeblichen Akteure.

  • Notwendige Weiterarbeit bis 65: Mit der gesetzlichen Altersgrenzenanhebung sehen sich Beschäftigte nicht zuletzt unter einem verstärkten ökonomischen Druck, ihre Erwerbstätigkeit bis zum 65. Lebensjahr aufrechtzuerhalten, um den Übergang in einen finanziell prekären Ruhestand zu vermeiden. Daraus ergibt sich auch der Druck, stärker in die Weiterarbeits- und Beschäftigungsfähigkeit zu investieren.

  • Politischer Paradigmenwechsel: Die demographische Entwicklung erfordert aufgrund einer generellen Alterung des Erwerbspersonenpotentials und der Schrumpfung der nachrückenden Altersgruppen verstärkte Ein- statt Ausgliederungsstrategien bezogen auf Ältere, um die Innovationsfähigkeit mit alternden Belegschaften aufrechtzuerhalten.

  • Bedeutungszuwachs des Humankapitals: Der Globalisierungstrend, die Veränderung der Arbeitslandschaft unter dem Eindruck eines qualifikatorischen Strukturwandels erfordern generell die Institutionalisierung von Lebenslangem Lernen, d.h. den Einschluss aller, also auch der älteren Beschäftigten in eine umzustrukturierende (Weiter-) Bildungslandschaft, um mit dem technisch-innovativen Wandel Schritt halten zu können.

Vor diesem Hintergrund wurde mit dem Spitzengespräch des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit vom 4. März 2001 in der arbeitsmarktpolitischen Behandlung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Kurswechsel von zentraler Bedeutung eingeleitet: Statt an der bisherigen Praxis der vorzeitigen Ausgliederung Älterer festzuhalten wurde nunmehr ein Strategiewechsel in Richtung Eingliederung verabredet:

    „Wurde bislang versucht, auch durch den vorzeitigen Ruhestand älterer Arbeitnehmer, die Beschäftigungschancen Jüngerer zu erhöhen, so halten die Bündnispartner es für angezeigt, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Auch Änderungen bei den Arbeitsbedingungen, der Arbeitsorganisation und den sozialrechtlichen Rahmenbedingungen müssen einen wichtigen Beitrag leisten, damit ältere Menschen länger erwerbstätig bleiben. Anstelle einer vorzeitigen Ausgliederung aus dem Erwerbsleben sollte künftig die verstärkte Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorbeugende Verhinderung von Arbeitslosigkeit und die Wiedereingliederung be-

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    reits Arbeitsloser vorrangiges Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sein.„ (Gemeinsame Erklärung der Bündnispartner, Anlage 2: Verbesserung der Beschäftigungsaussichten älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer).

Begründet wird dieser Kurswechsel nicht zu letzt mit der absehbaren demographischen Entwicklung, sowie mit den hohen gesamtgesellschaftlichen Kosten, die sich aus der Verschwendung umfangreichen Humankapitals im Zuge der fortgesetzten Ausgliederung Älterer ergeben.

Diese Begründung stützt sich auf Prognosen, die auf eine mittel- bis langfristig zu erwartende Alterung und Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials hinweisen (vgl. Prognos 1998; Deutscher Bundestag 2001a), in deren Folge die Anforderungen der Arbeitswelt von morgen und übermorgen von insgesamt weniger Erwerbspersonen bewältigt werden müssen. Ab 2010/15 kommt es aufgrund des natürlichen Bevölkerungsrückgangs zu einer kontinuierlichen Abnahme des Arbeitskräfteangebotes von jährlich deutlich mehr als 1 Prozent pro Jahr (kritisch gegenüber der Abnahme des Arbeitskräfteangebots vgl. Wiegmann 1995). Da das Erwerbspersonenpotenzial zugleich altert – der Anteil der Erwerbstätigen über 50 Jahre wird von 23 % im Jahre 1999 auf ca. 25 % im Jahr 2020 steigen - könnte es (bei unterstellter nur moderat sinkender Arbeitskräftenachfrage), bereits ab 2010/2015 zu sog. Missmatches im Arbeitskräfteangebot, zumindest in bestimmten Regionen und Arbeitsmarktsegmenten, und ganz sicher – wie bereits jetzt erkennbar – im Bereich der Fachqualifikationen kommen (vgl. hierzu ausführlicher Kistler & Hilpert, 2001; Deutscher Bundestag, 2001a; 2001b).

Mit der gesetzlichen Anhebung der Regelaltersgrenzen auf das 65. Lebensjahre im Zuge der Rentenreform 1992 wurde in der Vergangenheit bereits versucht eine (rentenrechtliche) Antwort auf die sich ebenfalls im Bereich der Sozialversicherung abzeichnenden Folgeprobleme der demographischen Entwicklung zu geben. Die arbeitsmarktpolitische Flankierung der rechtlichen Verlängerung der Lebensarbeitszeit stand jedoch bislang aus. Entsprechend erwies sich der Trend zu betrieblichen Ausgliederungsstrategien als ungebrochen, die – ungeachtet der sich abzeichnenden problematischen Implikationen der demographischen Entwicklung für das Arbeitskräftsangebot – auch weiterhin die Lösung innerbetrieblicher Problemlagen (z.B. Rationalisierungserfordernissen, Absatzkrisen) in dem Austausch Älterer gegen Jüngere suchen (vgl. Rosenow & Naschold, 1993).

Eine immer wieder betrieblicherseits vorgebrachte Begründung für die fortgesetzte Ausgliederung Älterer knüpft dabei an den vermeintlichen oder tatsächlichen Qualifikationsdefiziten Älterer an (Barkholdt et al., 2001). Bislang konnte durch den Austausch älterer durch die mit einem tendenziell höheren und aktuelleren Qualifikationsniveau ausgestatteten jüngeren Arbeitnehmerinnen Humankapitalinvestitionen vermieden und gleichzeitig Personalkosten eingespart werden (Bäcker & Naegele, 1993; Frerichs, 1998; Barkholdt et al., 2001b). Für die angesichts der Alterung der Belegschaften nur noch begrenzte Funktionalität dieser Strategie ist jedoch auf betrieblicher Ebene noch keine hinreichende Sensibilität vorhanden. Wenn u.a. in der Förderung der Alterserwerbsarbeit eine wichtige Option zur Bewältigung des demographischen Wandels gesehen wird, erscheint es somit folgerichtig, dass ein zentraler Ansatzpunkt zur Bekämpfung der Arbeitsmarktprobleme Älterer von den Bündnispartnern in der Förderung der Qualifizierung gesehen wird.

Im Rahmen des erwähnten Kurswechsels verabredeten daher die Bündnispartner insbesondere eine sogenannte „Qualifizierungsoffensive„, deren Maßnahmen insbesondere auf eine Sensibilisierung der Betriebe und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens abzielen sollen. Ein bislang vernachlässigtes Politikfeld, aber eine noch stärker vernachlässigte Problemgruppe des Arbeitsmarktes erfährt damit politische Beachtung. Gleichwohl bleiben sowohl die Konturen dieses Politikfeldes, des arbeitsmarktpoliti-

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schen Kurswechsels als auch das Konzept des Lebenslangen Lernens noch überwiegend unklar.

Im folgenden ist es beabsichtigt, die gegenwärtige auf Ältere bezogene Qualifizierungspraxis bzw. -politik, sowie den diesbezüglichen empirischen Forschungsstand darzustellen, um schließlich erste Linien einer zukunftsfähigen Qualifizierungsstrategie zu skizzieren.

Die Vorgehensweise gliedert sich dabei wie folgt:

Im ersten Kapitel wird zunächst kurz die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer skizziert. Im Mittelpunkt stehen dabei die unterschiedlichen Beschäftigungsrisiken der Älteren, wobei ein Schwerpunkt auf die Strukturen und Determinanten des Qualifizierungsrisikos gelegt, sowie dessen Stellenwert für die Beschäftigungsprobleme Älterer analysiert wird.

Das zweite Kapitel befasst sich mit politischen Vorgaben, Strukturen, Problemen und generellen Entwicklungstendenzen im Bereich der Qualifizierung, sofern sie für die gegenwärtige und künftige Qualifizierung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer relevant sind.

Vor diesem Hintergrund wird in Kapitel drei der Stand der gegenwärtigen, auf Ältere bezogenen betrieblichen Qualifizierungspraxis und -politik dargestellt.

Das vierte Kapitel konzentriert sich auf Modelle im Bereich Qualifizierung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Mit dem ersten Anzeichen eines anvisierten Kurswechsels in der Qualifizierungspolitik gegenüber Älteren befasst sich das fünfte Kapitel.

Abschließend werden in Kapitel sechs die Anforderungen an eine zukunftsfähige, d.h. dem angekündigten Kurswechsel hin zur verstärkten Eingliederung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechende Qualifizierungsstrategie formuliert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2002

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