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II. Ausgangslage




1. Ausmaß und Struktur der betrieblichen Weiterbildung

Verschiedene Untersuchungen quantifizieren Ausmaß und Entwicklung beruflicher bzw. betrieblicher Weiterbildung. Sie verweisen auf Stärken und Schwächen. Übereinstimmend heben sie u. a. folgende Probleme hervor. Erstens bestehen erhebliche Differenzen in der betrieblichen Weiterbildungsintensität. Zweitens ist es nicht gelungen, die seit Jahren beklagte Selektivität der betrieblichen Weiterbildung, die vor allem gering qualifizierte Beschäftigte und Ältere benachteiligt, zu durchbrechen. Die wichtigsten Ergebnisse aktueller empirischer Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen.



1.1 Ausmaß und Entwicklung

Berufliche Weiterbildung ist längst noch keine betriebliche Selbstverständlichkeit. Die Intensität der betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten streut stark. Nur ein Teil aller Betriebe betreibt überhaupt berufliche Weiterbildung. In diesem Ergebnis stimmen sämtliche jüngeren Untersuchungen überein. Sie differieren lediglich in den vorgefundenen Durchschnittswerten der betrieblichen Weiterbildungsquoten, die je nach Definition der Weiterbildung und je nach abgefragtem Zeitraum der Aktivitäten variieren. Nach Berechnungen auf Basis des IAB-Betriebspanels waren im ersten Halbjahr 1999 38% der Betriebe in den alten und 42% in den neuen Bundesländern weiterbildungsaktiv (Bellmann et al. 2001). Wenn die von Uni-Duisburg/WSI für Westdeutschland durchgeführte Erhebung auf eine deutlich höhere Weiterbildungsquote von 72% kommt, dann hat dies vor allem damit zu tun, dass sie die Weiterbildungsaktivitäten für einen erheblich längeren Zeitraum abgefragt hat, der sich auf die zurückliegenden drei Jahre zwischen 1997 und 2000 erstreckt (Dobischat/Seifert 2001), während die IAB-Erhebung nur das jeweils letzte halbe Jahr erfasst.

Weiterbildungsattentismus ist primär ein Problem von Kleinbetrieben mit weniger als 20 Beschäftigten. Ein knappes Drittel der Betriebe in dieser Größenklasse gibt an, in den letzten drei Jahren keinerlei Weiterbildungsaktivitäten durchgeführt zu haben. Relativierend zugunsten der Kleinbetriebe könnte der Umstand angeführt werden, dass diese Betriebe eine vergleichsweise hohe Ausbildungsquote aufweisen und die intensiven Aktivitäten bei der Erstausbildung als Substitut für eigene berufliche Weiterbildung dienen können (Bellmann/Düll 1999: 344).

Angesichts des sich rascher vollziehenden technisch-organisatorischen Wandels, der auch nicht vor Kleinbetrieben Halt macht, kommen ernsthafte Bedenken auf, inwieweit Betriebe bei mehrjährigem Verzicht auf Weiterbildung in der Lage sind, den Herausforderungen eines verschärften Wettbewerbs zu begegnen. Unter diesen Vorzeichen dürfte es zumindest in Teilen der Wirtschaft schwerfallen, das im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie verfolgte Ziel einzulösen, sowohl die Beschäftigungsfähigkeit ("employability") der Arbeitnehmer als auch die Anpassungs-fähigkeit der Betriebe ("adaptability") zu verbessern.

Das Bild der Weiterbildungsaktivitäten trübt sich weiter ein, wenn man die Weiterbildungsquote nicht am Anteil der Betriebe sondern am Anteil der Beschäftigten misst, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes an Weiterbildung teilgenommen haben. Die IAB-Erhebung (1. Hj. 1999) kommt für Westdeutschland auf eine Quote von

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18,4% und für Ostdeutschland auf 22,6% (Bellmann et al. 2001), die Erhebung von Uni-Duisburg/WSI für Westdeutschland auf eine Quote von 42% während der letzten drei Jahre (Dobischat/Seifert 2001). Das Berichtssystem Weiterbildung beziffert die Teilnahmequote mit 48% auf eine ähnliche Größenordnung (Kuwan et al. 2000). Eine deutlich niedrigere Weiterbildungsintensität weist eine Analyse auf Basis des Sozioökonomischen Panels (SOEP-Erhebung) aus, nach der etwa 28% der Vollzeitbeschäftigten im Zeitraum 1997 bis 2000 an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen haben (Pannenberg 2001). Unabhängig von diesen methodisch bedingten Differenzen bedeuten die präsentierten Befunde, dass eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten innerhalb der abgefragten Zeiträume (zwischen einem und drei Jahren) an keinerlei beruflicher Weiterbildung teilgenommen hat.

Positiver färbt sich das Bild der Weiterbildungsaktivitäten, wenn man den Blick auf deren Entwicklung richtet. Jeder zweite weiterbildungsaktive Betrieb (49%) verweist darauf, dass seine Aktivitäten in den letzten drei Jahren zugenommen haben; 40% haben ihr Aktivitätsniveau im Vergleichszeitraum gehalten, und nur 7% vermerken ein rückläufiges Engagement (vgl. Abb. 1). Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen der WSI-Betriebsräte/Personalräte-Befragung (Dobischat/Seifert 2001). Zwischen Betriebsgröße und dem Grad der Weiterbildungsaktivität besteht ein positiver Zusammenhang.

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Quelle: Betriebsbefragung 2000 Mercator-Universität Duisburg/WSI Düsseldorf
WSI-Betriebs-/Personalrätebefragung 1999/200.

Wie das Ausmaß der derzeitigen Weiterbildungsaktivitäten zu bewerten ist, zeigt der internationale Vergleich. Die verfügbaren Indikatoren weisen Deutschland eine eher mittelmäßige Position zu (OECD 1999; OECD 2001b). Die beruflichen Weiterbildungsaktivitäten liegen sowohl gemessen am Grad der Teilnahme der Beschäftigten an beruflicher Weiterbildung als auch an der pro Kopf der Bevölkerung aufgewendeten Weiterbildungszeit im unteren Mittelfeld der Industrieländer. Zu einer ähnlichen Einstufung kommt man, wenn man das finanzielle Engagement der Betriebe zugrun-

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de legt. Der Anteil der Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen an den gesamten Arbeitskosten der Betriebe liegt in Deutschland deutlich unter den Werten der meisten übrigen Industrieländer (Ochel 2000: 48).



1.2 Teilnehmerstruktur

An beruflicher Weiterbildung nehmen nicht sämtliche Beschäftigtengruppen mit gleicher Intensität teil. Die Teilnahmequoten streuen stark nach dem Grad der beruflichen Qualifikation, dem Alter der Beschäftigten sowie nach dem Stamm-Randbelegschafts-Status.

  • Die Weiterbildungsintensität der Beschäftigten korreliert positiv mit deren Qualifikationsniveau. Je besser die Beschäftigten ausgebildet sind, desto größer sind deren Chancen, an betrieblicher Weiterbildung teilzunehmen und umgekehrt (Gerlach/Jirjahn 2001). Die höchste Teilnahmequote wiesen 1999 die qualifizierten Angestellten mit 32% auf gegenüber nur 6,5% bei den un- und angelernten Arbeitern (Bellmann et al. 2001:108). Ein ähnliches Bild zeichnen die Befunde auf Basis der SOEP-Erhebung. Während etwa ein Drittel der Qualifizierten an Weiterbildungsmaßnahmen teilnimmt, liegt die Weiterbildungsquote bei den gering Qualifizierten bei mickrigen 7% in West- und knapp 9% in Ostdeutschland. (vgl. Tabelle 1). Es zeigt sich eine deutliche Persistenz im Bildungsverhalten.



Tabelle 1:

Absolvierte Weiterbildungsmaßnahmen in Deutschland 1997 bis 2000


Westdeutschland

Ostdeutschland

Teilnehmerstruktur
(in %)



Alle

27,8

28,4

Gering Qualifizierte

7

8,7

(Hoch) Qualifizierte

33,8

31,8

Alter bis 50 Jahre

30,1

30

Alter über 50 Jahre

19,7

21,9

Quelle: Pannenberg 2001



  • Ältere Arbeitnehmer (über 50 Jahre) nehmen seltener (ca. 20%) an beruflicher Weiterbildung teil als Jüngere (30%).

  • Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsformen sind ebenfalls bei beruflicher Weiterbildung unterrepräsentiert. Dies gilt für Teilzeitbeschäftigte ebenso wie für befristet Beschäftigte oder Leiharbeitnehmer (OECD 1999).

  • Die Weiterbildungsquote von Frauen hat sich im Laufe der letzten Jahre immer stärker der von Männern angenähert. Bei den Erwerbstätigen beträgt die Diffe-

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    renz zuletzt (1997) nur noch 2%-Punkte: Während 43 % der Männer an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, sind es 41% der weiblichen Erwerbstätigen (Kuwan et al. 2000: 139).

Diese Qualifizierungs-Schere hat sich in den letzten Jahren ungeachtet des wiederholt kritisierten "Segmentations-Dilemmas" (Baethge 1992) oder der "doppelten Selektivität" eher noch weiter geöffnet. Für qualifizierte Angestellte haben sich die Chancen, in Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen zu werden, in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Qualifikationsgruppen weiter verbessert (Bellmann et al. 2001: 107). Besonders ausgeprägt ist die bei Weiterbildungsmaßnahmen bevorzugte Position der qualifizierten Angestellten in verschiedenen Dienstleistungsbereichen.



1.3 Weiterbildungszeiten

Anhaltspunkte über die Aufwendungen in das Humankapital der Beschäftigten liefern Daten über die für berufliche Weiterbildung aufgebrachten Zeitvolumina. Sie können entweder Teil der Arbeitszeit oder der Freizeit sein oder aus einer Mischung beider Zeitbereiche bestehen. Durchschnittlich wenden die Beschäftigten, die sich beruflich weiterbilden, hierfür 91 Stunden pro Jahr auf (Kuwan et al. 2000: 61). Auffallend ist, dass Teilnehmer aus Kleinbetrieben, deren Weiterbildungsintensität insgesamt nur gering ist, durchschnittlich mehr Zeit in Weiterbildung investieren als die Vergleichsgruppe aus Großbetrieben.

Die durchschnittliche Dauer der absolvierten Weiterbildungsmaßnahmen ist ein weiterer Indikator, an dem sich das Ausmaß der beruflichen Weiterbildung ablesen lässt. Der Medianwert liegt bei drei Tagen, 75% der Maßnahmen waren kürzer als sechs Tage und 10% der Maßnahmen dauerten in Westdeutschland länger als 1,5 Monate und in Ostdeutschland länger als drei Monate (Pannenberg 2001: 486).

Bei den für berufliche Weiterbildung durchschnittlich aufgebrachten Zeitquanten handelt es sich teils um Arbeits- und teils um Freizeit. Etwa ein Fünftel (Weiß 2000) bis ein Viertel (Dobischat/Seifert 2001; Pannenberg 2001) der durchschnittlichen Zeit für berufliche Weiterbildung fällt in die Freizeit der Beschäftigten. Der relative Anteil der Freizeit an der Weiterbildungszeit steigt mit dem Qualifikationsniveau der Beschäftigten (Dobischat/Seifert 2001: 98). Führungskräfte bringen durchschnittlich mehr erwerbsarbeitsfreie Zeit für Weiterbildung auf als un- und angelernte Arbeitskräfte, sofern diese überhaupt an Weiterbildung teilnehmen. Während bei der ersten Gruppe nach den Angaben der Betriebe etwa ein gutes Drittel der Weiterbildungszeiten außerhalb der Arbeitszeit stattfindet, ist es bei der zweiten Gruppe nur ein knappes Fünftel. Bei den Fachkräften liegt der entsprechende Wert bei einem Viertel. Dabei ist allerdings relativierend zu berücksichtigen, dass zwischen dem durchschnittlichen Gesamtvolumen der Weiterbildungszeit und dem Qualifikationsniveau der Beschäftigten ein positiver Zusammenhang besteht. Je besser die Beschäftigten qualifiziert sind, desto mehr Zeit investieren sowohl sie selbst als auch die Betriebe in ihre Weiterbildung.

Gering Qualifizierte nehmen also nicht nur seltener sondern auch durchschnittlich kürzer an Weiterbildungsmaßnahmen teil als höher Qualifizierte. Insofern erscheint es gerechtfertigt, von einer doppelten Benachteiligung gering Qualifizierter bei der beruflichen Weiterbildung zu sprechen.

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Der Grundsatz, betriebliche Weiterbildungszeit ausschließlich als Arbeitszeit zu definieren, ist, wie die Befunde der zitierten Untersuchungen übereinstimmend zeigen, in der betrieblichen Praxis längst durchbrochen. Teilweise müssen die Beschäftigten auch für die Teilnahme an betriebsnotwendiger Weiterbildung Freizeit aufbringen. Offen ist, inwieweit es zukünftig zu einer weiteren Verlagerung von Weiterbildungszeit in die erwerbsarbeitsfreie Zeit kommen wird. Mehr als die Hälfte (58%) der Betriebe zeigt sich skeptisch (Dobischat/Seifert 2001: 99). Sie vermuten grundsätzliche Bedenken auf Seiten der Belegschaften und fürchten, dass drohende Freizeit- bzw. Einkommensverluste bei den Mitarbeitern deren Weiterbildungsmotivation und -aspiration negativ beeinflussen können und es daher zu kontraproduktiven Effekten für das betriebliche Lernen kommen könnte. Lediglich jeder zehnte Betrieb sieht Probleme in der organisatorischen Umsetzung. Befürchtungen, es könnten generelle Anspruchsgrundlagen etabliert werden und neue Aushandlungs- und Konfliktfelder zwischen den Sozialpartnern im Betrieb entstehen, fallen dagegen kaum ins Gewicht.



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2. Hemmnisse

Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass die Ausweitung betrieblicher Weiterbildung auf Hemmnisse stößt, die sowohl auf der Seite der Betriebe als auch der Beschäftigten liegen können. Für Westdeutschland ergab die bereits zitierte Betriebsbefragung von Uni Duisburg/WSI, dass 28% der Betriebe in dem Zeitraum zwischen 1997 und 2000 keinerlei Weiterbildungsaktivitäten durchgeführt haben. Ihren Weiterbildungsattentismus begründeten die Betriebe am häufigsten mit einem als ausreichend angesehenen Qualifikationsniveau der Beschäftigten (vgl. Abb. 2). An zweiter Stelle der Gründe rangieren dann aber schon zeitliche Restriktionen.

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Quelle: Betriebsbefragung 2000 Mercator-Universität-Duisburg/WSI Düsseldorf

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Auf die hohe Bedeutung, die zeitlichen Restriktionen für die Intensität der betrieblichen Weiterbildung zukommt, verweisen auch die Befunde der WSI-Betriebs-/Personalrätebefragung (vgl. Abb. 3). In 18% der privatwirtschaftlichen und 26% der öffentlichen Betriebe kollidiert nach Auffassung der betrieblichen Interessenvertreter betriebliche Weiterbildung mit den betrieblichen Arbeitszeitregelungen und bereitet organisatorische Probleme. Wenn ferner 43% der Personal- und 21% der Betriebsräte betriebliche Weiterbildung aufgrund mangelnder Freistellungen durch die Vorgesetzten behindert sehen, dann dürften sich hinter diesem Problem ebenfalls Zeitrestriktionen bzw. eine zu knappe Personaldecke verbergen. Zeitrestriktionen stellen im Zusammenspiel mit anderen Faktoren offensichtlich ein wesentliches Hemmnis für

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Quelle: WSI-Betriebs-/Personalrätebefragung 1999/2000

betriebliche Weiterbildungsaktivitäten dar. Sie können durch eine inkompatible Lage von Arbeits- und Weiterbildungszeit oder quantitativ durch einen Zeitmangel verursacht sein. Auch wenn die vorliegenden Befunde keine Auskunft über gruppenspezifische Zeitengpässe geben können, so ist vermuten, dass Beschäftigte mit zeitlichen Doppelbelastungen durch Arbeit und Haushalt/Familie – und dies sind in aller Regel Frauen – besonders unter zeitlichen Engpässen leiden und kaum in der Lage sein dürften, zusätzliche Zeitelemente in berufliche Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit zu investieren, ohne den zeitlichen Einsatz an anderer Stelle zurückzunehmen. Frauen, die familiale Versorgungsaufgaben leisten, sind in aller Regel auch weniger flexibel bei der Lage der Arbeits- und Weiterbildungszeit. Angesichts des von der zukünftigen Wissensgesellschaft abverlangten höheren zeitlichen Aufwandes für berufliche Weiterbildung sind, solange die bestehenden Muster familialer Arbeitsteilung unverändert bleiben, weiterbildungsgerechte Zeitarrangements gefordert, wenn Frauen im Karrierewettlauf nicht weiter zurückfallen sollen.

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Probleme betrieblicher Weiterbildung können aber auch in der Zurückhaltung der Beschäftigten begründet sein. Aus Sicht der Betriebsräte (vgl. Abb. 3) kommt diesem Aspekt eine hohe Bedeutung bei (35% bei privatwirtschaftlichen und 54% bei öffentlichen Betrieben). An zweiter Stelle der Nennungen (in privatwirtschaftlichen Betrieben) folgt ein als unzureichend eingestuftes Weiterbildungsangebot der Betriebe. Es ist nicht auszuschließen, dass zwischen beiden Befunden ein enger Zusammenhang besteht. Ferner wird die Weiterbildungsabstinenz vor allem im Segment der Jedermann- und Minderqualifikationen darauf zurückgeführt, dass diese Zielgruppe formalisierte Formen beschäftigungsnaher Weiterbildung meidet, da "ihnen deren institutionelle Absicherung vorenthalten wird und sie ihren individuellen Anstrengungen keinen angemessenen Gewinn gegenüberstehen sehen" (Bolder/Hendrich 2000: 260). Aus Sicht der Beschäftigten lassen deren individuelle Kosten-Nutzen-Bilanzen eine Teilnahme an formalisierten Weiterbildungsveranstaltungen nicht vorteilhaft erscheinen.



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3. Aktuelle Weiterbildungsbedarfe

Die derzeitigen Weiterbildungsaktivitäten gelten als nicht bedarfsgerecht. Die festgestellten Defizite lassen sich zwar nicht quantifizieren. Identifizierbar sind aber die als defizitär angesehenen inhaltlichen Qualifikationsbereiche. Eine gemeinsame Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsforschung (BIBB) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat Erwerbstätige nach ihrem individuellen Weiterbildungsbedarf befragt. Wie die Ergebnisse zeigen, reklamiert ein großer Teil derjenigen, die am Arbeitsplatz auf besondere Kenntnisse angewiesen sind (Spezialisten), akuten Weiterbildungsbedarf (Ulrich 2000: 111). Die hier als Spezialisten eingestuften Beschäftigten sehen Weiterbildungsbedarfe vor allem im Bereich der medizinischen Kenntnisse, der Entwicklung von Computer-Software, Fremdsprachen usw. Erweitert man den Personenkreis auf sämtliche Beschäftigte und bezieht auch jene ein, die die als unzureichend reklamierten Qualifikationen nicht für ihre unmittelbaren Tätigkeiten benötigen, dann wird der größte Bedarf bei der Anwendung von Computer-/PC-Standardprogrammen genannt.

Auch die WSI-Erhebung von Betriebs- und Personalräten verortet zusätzlichen Weiterbildungsbedarf. Aus Sicht der Befragten bestehen bei sämtlichen, nach dem Qualifikationsniveau differenzierten Beschäftigtengruppen ungedeckte Qualifizierungsdefizite [Diese Befunde sollten allerdings lediglich als Tendenzaussagen interpretiert werden, da es sich um subjektive Einschätzungen handelt.].



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4. Organisatorische Aspekte

Planung, Organisierung und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen setzen eine entsprechende Weiterbildungsinfrastruktur im Bereich der Personalentwicklung voraus. Ohne systematische Planungs- und Organisationsgrundlagen, die betrieblich oder auch überbetrieblich organisiert sein können, drohen konzeptionelle Ansätze, die mit Hilfe einer investiven Arbeitszeitpolitik und Lernzeitkonten die Weiterbildungsaktivitäten ausweiten und auf eine breitere Grundlage stellen wollen, ihr Ziel zu verfehlen. Um betriebliche Weiterbildungsaktivitäten gezielt intensivieren zu können, ist es notwendig, die absehbaren Qualifizierungsbedarfe zu identifizieren, Weiterbildungsprogramme zu entwickeln, Träger auszuwählen usw. Derartige Voraussetzun-

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gen für eine systematische betriebliche Weiterbildung sind aber, nach den Ergebnissen der Betriebsbefragung von Uni-Duisburg/WSI, nur in knapp der Hälfte aller Weiterbildungsbetriebe gegeben, von den Weiterbildungsabstinenten ganz zu schweigen; in 56% der Betriebe mit Weiterbildungsaktivitäten sind die Beschäftigten mehr oder minder auf Eigeninitiativen angewiesen. Mit betrieblicher Unterstützung in Form von Beratung, Planung und Organisierung der Weiterbildungsaktivitäten können sie nicht oder nur eingeschränkt rechnen, obwohl die Betriebe Weiterbildung betreiben bzw. fördern. Die Rahmenbedingungen für berufliche Weiterbildung verbessern sich mit steigender Betriebsgröße. Formen systematischer Planung und Organisation von Weiterbildung sind umso eher anzutreffen, je größer die Betriebe sind. Mit einem "Professionalisierungsgrad" von 41% fallen die Kleinbetriebe deutlich gegenüber Großbetrieben ab, bei denen in 92% der Betriebe eine systematische Planung und Organisation von Weiterbildung zum personalpolitischen Standardrepertoire gehören.

Einen weiteren Indikator für eine systematische betriebliche Weiterbildung liefert die WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung, die Auskunft über die Existenz eines betrieblichen Bildungsprogramms gibt. Solche Programme liegen in 43% der privatwirtschaftlichen und in 57% der öffentlichen Betriebe (mit Interessenvertretungen) vor. Auch hier steigt mit der Betriebsgröße die Wahrscheinlichkeit, dass ein Weiterbildungsprogramm existiert. Dies ist in mehr als vier Fünftel (84%) aller Betriebe mit mehr als 1000 Beschäftigten der Fall, in Kleinbetrieben (20 bis 50 Beschäftigte) aber nur bei 10%. Auch zwischen den Wirtschaftszweigen zeigen sich beträchtliche Differenzen. Während die Betriebsräte im Bereich Kredit- und Versicherungswesen in knapp vier Fünftel der Betriebe (79%) ein Bildungsprogramm angeben, sind es im Verbrauchsgütergewerbe nur 14% und im Baugewerbe 15%.



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5. Mitwirkung der betrieblichen Interessenvertretung

Ausmaß, Struktur und Inhalte der betrieblichen Weiterbildung können durch die Mitwirkung der betrieblichen Interessenvertretungen beeinflusst werden. Betriebliche Weiterbildung gehört zu den Mitbestimmungsbereichen der betrieblichen Interessenvertretungen (§§ 98ff. BetrVG). Die Mitbestimmungsrechte beziehen sich auf die Organisierung sowie die Inhalte der Weiterbildung. Die Interessenvertretungen können zudem Vorschläge für die Teilnehmerauswahl machen. Analysen haben gezeigt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der betrieblichen Weiterbildungsintensität und dem Vorhandensein eines Betriebsrates besteht (Bellmann et al. 2001; Gerlach/Jirjahn 2001). Über die näheren Zusammenhänge ist jedoch wenig bekannt. Aus der WSI-Betriebs-/Personalrätebefragung geht lediglich hervor, dass die betrieblichen Interessenvertreter ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten nur teilweise nutzen. Von den Betriebs- und Personalräten gibt ein Viertel bzw. ein Fünftel an, nicht an Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung beteiligt zu sein (vgl. Tabelle 2). Mit der Betriebsgröße steigt die Beteiligungsquote. Dieser Zusammenhang gilt für den privatwirtschaftlichen wie für den öffentlichen Bereich gleichermaßen, wobei die Beteiligungsintensität im ersten Bereich, mit Ausnahme der Großbetriebe, durchgängig auf einem niedrigeren Niveau liegt.

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Tabelle 2:

Mitwirkung der Betriebs- und Personalräte an betrieblicher Weiterbildung
Angaben in %, Westdeutschland


Privatwirtschaft-
licher Bereich

Öffentlicher
Bereich

Information

61

62

Mitwirkung: Weiterbildungsbedarf

21

21

Mitwirkung: Planung

27

20

Mitwirkung: Teilnehmerauswahl

23

42

Nicht beteiligt

25

20

Quelle: WSI-Betriebs-/Personalrätebefragung 1999/2000.



Wenn die betrieblichen Interessenvertretungen in den Prozess der betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen eingeschaltet werden (vgl. Tabelle 2), dann am ehesten in Form von Informationen (61% bzw. 62%). Seltener wirken sie an der inhaltlichen Gestaltung der Weiterbildung mit. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen dem privatwirtschaftlichen und dem öffentlichen Bereich. Während die Personalräte häufiger bei der Teilnehmerauswahl (42% gegenüber 22% bei BR) mitwirken, sind die Betriebsräte häufiger in den Planungsprozess eingeschaltet (27% bzw. 20%). Bei der Feststellung des Weiterbildungsbedarfs sind die Häufigkeitswerte mit jeweils 21% identisch.

Die Beteiligung der Betriebsräte an betrieblicher Weiterbildung hat Einfluß auf das Niveau der Aktivitäten sowie auf die Ausstattung der Bildungsinfrastruktur. Betriebe, in denen die Interessenvertreter an der Weiterbildung beteiligt sind, verfügen, unabhängig von der Betriebsgröße, signifikant häufiger über ein betriebliches Bildungsprogramm. Auch wenn die Ergebnisse der WSI-Betriebsrätebefragung keine weitergehenden Informationen über Initiativen und Zustandekommen sowie Inhalte der Bildungsprogramme liefern können, so scheint die Vermutung plausibel, dass ständige Interaktionen zwischen Management und Betriebsrat das Zustandekommen von formalisierten Verfahren und verbindlichen Handlungsgrundlagen fördern.

Die teilweise geringe Mitwirkung der betrieblichen Interessenvertretungen an betrieblicher Weiterbildung ist erklärungsbedürftig. Hinweise der Betriebs- und der Personalrätebefragungen deuten an, dass die betrieblichen Interessenvertretungen diesem Aktionsfeld nur einen mittleren Stellenwert im Rahmen ihrer Gesamtaktivitäten zuweisen. Als bedeutsamer bewerten sie Fragen, die mit Personalbbau, Altersteilzeit, Änderungen der Arbeitsorganisation, Leistungsdruck, Überstunden oder Arbeitsschutz zu tun haben. Offensichtlich erfordern die beschränkten Arbeitskapazitäten, Prioritäten in der Arbeit der Interessenvertreter zu setzen.

Bereits frühere Analysen haben gezeigt, dass der Betriebsrat bzw. der Personalrat nur geringe strategische Möglichkeiten besitzt, in angemessener Form als Interessenvertretung der Belegschaften mitzubestimmen und eigene Initiativen zu entwickeln. Aufgrund dieser strukturellen betrieblichen Machtverhältnisse agiert der Betriebsrat im Handlungsfeld der Weiterbildung deutlich „zurückhaltend„ und verlagert

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sich eher auf seine traditionellen Aktionsfelder [Zu verweisen ist hier auf Ergebnisse einer Untersuchung von Bahnmüller et al. (1993) im Zusammenhang mit der Umsetzung des Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrags I für die Metallindustrie Nordwürttemberg-Nordbadens, der umfassende Regelungen zur betrieblichen Qualifizierung und Weiterbildung enthält. Danach war die Selbsteinschätzung der befragten Betriebsräte im Hinblick auf deren Aktivitäten und Init i ativen bei der Initiierung betrieblicher Weiterbildung im Rahmen der Umsetzung des Tarifvertrags sehr hoch, während die befragten Manager den Betriebsräten bei der Initiierung nur eine untergeordnete Rolle zubilligten. Die Zurückhaltung der Betriebsräte wird u.a. damit in Verbindung gebracht, dass sie zeitlich, fachlich und kapazitär überfordert sind, sich dem Handlungsfeld Weiterbildung und Qualifizierung zu öffnen, wobei sich auch unterentwickelte Erwartungshaltungen der Belegschaften als aktivitätsdämpfend darstellen.] wie z.B. der Arbeitszeitpolitik, wobei Verknüpfungen zwischen beiden Handlungsfeldern durchaus möglich sind.

Inwieweit die Mitwirkung der betrieblichen Interessenvertreter an betrieblicher Weiterbildung auch die Struktur der Teilnehmer beeinflussen konnte, geht aus den vorliegenden Untersuchungen nicht hervor. Ebenso fehlt es an Erkenntnissen über den Einfluß, den die betrieblichen Interessenvertreter auf Ausmaß und Verteilung von Lernzeiten haben. Angesichts der nur wenigen hier vorgestellten Befunde dürfte aber deutlich geworden sein, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten der betrieblichen Interessenvertreter bislang bei weitem nicht ausgeschöpft sind und Handlungspotenziale bestehen, die bei konzeptionellen Überlegungen über eine investive Arbeitszeitpolitik nicht außer acht bleiben sollten. Für diese Einschätzung spricht, dass Arbeitszeitfragen ebenfalls zu den zentralen Mitwirkungsaufgaben gehören und insofern aufgrund der rechtlichen Mitwirkungsmöglichkeiten zumindest günstige Voraussetzungen bestehen, beide Handlungsfelder aufeinander zu beziehen und sowohl bei konzeptionellen Überlegungen als auch bei der betrieblichen Umsetzung koordiniert zu behandeln.



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6. Zukünftige Anforderungen

Für eine Ausweitung der beruflichen Weiterbildung und des hierfür aufzuwendenden Pensums an Lernzeiten in den nächsten Jahren sprechen verschiedene sowohl nachfrage- als auch angebotsseitige Faktoren, die auf den tiefgreifenden Strukturwandel des Erwerbssystems zurückzuführen sind. Sie sind im Grundsatz in der öffentlichen Debatte unstreitig, lediglich in den erwarteten Quantitäten divergieren die Auffassungen.



6.1 Nachfrageseitige Anforderungen

Auf der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes sind die stärksten Impulse für den zukünftigen Weiterbildungsbedarf von dem anhaltenden Umbruch der Industriegesellschaft zur Informations- und Wissensgesellschaft zu erwarten. Er erfordert von einem wachsenden Teil der Beschäftigten, die beruflichen und sozialen Kompetenzen ständig an sich rasch wandelnde Anforderungen anzupassen. Dieser Prozess verläuft nicht branchenspezifisch sondern, branchenübergreifend (Lichtblau 1998). Betroffen sind sämtliche Bereiche der Wirtschaft, das verarbeitende Gewerbe ebenso wie der Dienstleistungsbereich. Die sich gleichzeitig vollziehende weitere Tertiarisierung der Wirtschaft bedeutet also kein Ende der im industriellen Bereich bereits früher in Gang gekommenen Höherqualifizierung.

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Szenarien gehen davon aus, dass der Anteil der unqualifizierten Arbeitskräfte, der Mitte der 90er Jahre bei etwa 20% lag, bis zum Jahre 2010 auf eine bescheidenen Restgröße von unter 10% (Schüssler et al. 1999: 59) fallen wird. Dagegen werden zunehmend Tätigkeiten gefragt sein, die längere Ausbildungszeiten (Hoch- und Fachhochschule) erfordern. Hierzu gehören in erster Linie Tätigkeiten im Bereich Organisation und Management, qualifizierte Forschung und Entwicklung, Beratung, Lehre, Publizistik u. a. sowie Fachtätigkeiten mit Führungsaufgaben (Weidig et al. 1999).

Zugleich ist mit tiefgreifenden Umwälzungen in den Tätigkeitsstrukturen zu rechnen (Weidig et al. 1999). Der anhaltende Trend in Richtung Dienstleistungsgesellschaft geht mit einem weiteren Verlust an Tätigkeiten im Bereich der unmittelbar und mittelbar in der Produktion/Fertigung angesiedelten Arbeitsplätze einher, deren Anteil an der Gesamtwirtschaft von aktuell etwa 28% auf 24% bis zum Jahr 2010 fallen wird. Als hauptsächliche Gewinner werden die personenbezogenen Dienstleistungstätigkeiten erwartet. Profitieren werden Reinigungs- und Bewirtungstätigkeiten aber auch Beratungs- und Betreuungsfunktionen. Mit einem abnehmenden Gewicht rechnen die Prognosen im Bereich der produktionsorientierten Dienstleistungstätigkeiten.

Zwischen diesen Tätigkeitsfeldern und den formalen Qualifikationen der darin Beschäftigten besteht ein enger Zusammenhang (Reinberg 1999: 438). Gering Qualifizierte sind bislang hauptsächlich im rückläufigen Bereich der produktionsorientierten Tätigkeiten (im Jahre 1995: 40,9%) und den primären Dienstleistungen (Handelstätigkeiten, Bürotätigkeiten, Allgemeine Dienste) mit 49,3% beschäftigt, deren Wachstumspotenziale eher als gering eingeschätzt werden. Demgegenüber waren fast drei Viertel aller Akademiker in den sekundären Dienstleistungen beschäftigt, dem Bereich mit der stärksten Wachstumsdynamik. Akademiker waren in den 90er Jahren bei einem insgesamt mehr oder minder stagnierenden Arbeitsmarkt auch die einzige Beschäftigtengruppe, die absolute Zuwächse verbuchen konnte. Sollte die Annahme einigermaßen zutreffend sein, dass sich dieses Entwicklungsmuster auch zukünftig fortsetzen wird, dann ist von einer weiter schrumpfenden Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskräften auszugehen. Allein schon dieser Struktureffekt erhöht das durchschnittliche Qualifikationsniveau der Beschäftigten. Da erfahrungsgemäß (vgl. Abschnitt II. 1.2) mit steigendem Qualifikationsniveau auch die durchschnittliche Intensität der beruflichen Weiterbildung zunimmt, steigert der zu erwartende qualifikatorische Strukturwandel im Beschäftigungssystem auch das insgesamt benötigte Weiterbildungsvolumen.

Der skizzierte Strukturwandel konfrontiert die berufliche Weiterbildung mit zwei Anforderungen. Zum einen sinkt mit steigendem Tempo des wirtschaftlichen Strukturwandels und zugleich kürzer werdenden Innovationszyklen die Verwertbarkeitsdauer von Qualifikationen. Es wachsen die Unsicherheiten, zukünftige Arbeitsinhalte und -anforderungen über einen längeren Zeitraum zu prognostizieren. Die Risiken von Fehlqualifizierungen und Profildiskrepanzen nehmen zu. Diese Umstände erfordern, die beruflichen Qualifikationen in kürzeren Abständen anzupassen. Zum anderen steigt mit dem wachsenden durchschnittlichen Qualifikationsniveau der Beschäftigten der Aufwand, den erreichten Stand vor Obsoleszenz zu bewahren.

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6.2 Angebotsseitige Anforderungen

Auch die anstehenden Veränderungen auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes sprechen für eine Ausweitung der beruflichen Weiterbildung. Aufgrund der demographisch bedingten Alterung des Erwerbspersonenpotentials wird der ständige Nachschub an jungen Fachkräften mit aktuellem Wissensstand merklich abebben. Zukünftig wird das gesellschaftliche Lernpensum in vermehrtem Maße von den schon länger im Erwerbsleben stehenden Personen aufzubringen sein. Hierfür sprechen vor allem folgende absehbare Veränderungen:

  • Alterung der Erwerbsbevölkerung: In den nächsten zwei Jahrzehnten wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 1,8 Jahre zulegen (Rössel et al. 1999: 27). Entsprechend verschieben sich die Anteile der einzelnen Altersgruppen. Während die 25- bis 34jährigen im Jahre 2000 noch 22% ausmachten, werden 2020 nur noch 19% auf diese Alterskohorte entfallen. Gleichzeitig steigt der Anteil der 55- bis 64jährigen von 19% auf 23%. Mit dem Rückgang der jüngeren Alterskohorten ebbt auch der Zustrom an Nachwuchskräften ab, die kontinuierlich aktuelles Wissen in die Betriebe transportieren. Der berufliche Nachwuchs verliert quantitativ an Bedeutung bei der Bewältigung des Strukturwandels. Diese Lücke wird die ältere Arbeitnehmergeneration durch vermehrte Weiterbildungsanstrengungen zu füllen haben.

    Diese quantitativen Veränderungen gelten als prinzipiell nicht unlösbares Problem, "sofern sich die Bildungsexpansion der vergangenen Jahrzehnte weiter fortsetzen würde, wenn also stetig besser qualifizierte nachwachsende Generationen weniger gut qualifizierte ältere Berufstätige ersetzen würden" (Reinberg/Hummel 2001: 61). Diese Voraussetzung erscheint aber angesichts der seit Beginn der 90er Jahre stagnierenden Bildungsexpansion eher fraglich. Jüngst ansteigende Anteile von Ungelernten an den jüngeren Bevölkerungsgruppen sowie stagnierende Studienanfängerquoten sind äußerst Ernst zu nehmende Hinweise (Reinberg/Hummel 2001), dass es zukünftig zu gravierenden Problemen kommen könnte, den wachsenden Bedarf der Wirtschaft an gut qualifizierten Arbeitskräften zu decken.

  • Hohe Migrationszahlen: Die rückläufige Entwicklung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (bis 2020 um 2 Mio. und bis 2040 sogar um knapp 11 Mio.) kann in Abhängigkeit von der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung und Arbeitsmarktlage eine verstärkte Zuwanderung von Ausländern erfordern. Da mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass nicht sämtliche Zuwanderer die für den Wirtschaftswandel benötigten Qualifikationen mitbringen, sind verstärkte Weiterbildungsaktivitäten zu deren Eingliederung erforderlich.

  • Wechsel zwischen Erwerbs- und Nicht-Erwerbsstatus: Wenn in zukünftigen Erwerbsbiographien phasenweise Unterbrechungen, abgesehen von Erziehungszeiten, nicht mehr nur zur seltenen Ausnahme gehören sollten, ist ein wachsender Kreis der Beschäftigten auf Qualifizierungsmaßnahmen angewiesen, um die Anschlussfähigkeit an die beruflichen Entwicklungen zu sichern. Bei einer zunehmenden Diskontinuität der Berufs- und Erwerbskarrieren sind vor allem Kompetenzen gefordert, die die Beschäftigten in die Lage versetzen, sich auf flexiblen Arbeitsmärkten orientieren und das eigene Arbeitspotenzial planen, anpassen und entwickeln zu können (Voß 1998).

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Während die sich gegenseitig überlagernden nachfrage- sowie angebotsseitigen Strukturänderungen den zukünftigen Weiterbildungsbedarf spürbar anschwellen lassen, verstärkt sich die Tendenz, dass die bislang dominierende betrieblich organisierte berufliche Weiterbildung an wachsenden Teilen des Arbeitskräftepotentials vorbeigeht. Unterrepräsentiert sind Beschäftigte mit atypischen Beschäftigungsformen. Da mit deren weiterer Expansion zu rechnen ist, vor allem wenn die in die Diskussion gebrachten Vorschläge zur weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes zum Zuge kommen sollten, gewinnt auch der Anteil der sogenannten Randbelegschaften, die je nach Bedarf flexibel eingesetzt werden, weiter auf Kosten schrumpfender Stammbelegschaften an Gewicht. Randbelegschaften finden bei der betrieblichen Weiterbildung aber nur stiefmütterlich Berücksichtigung. Beschäftigte auf Teilzeitbasis oder mit befristetem Status nehmen an betrieblicher Weiterbildung wesentlich seltener als Vollzeitbeschäftigte teil, selbst wenn sie vergleichbare Tätigkeiten ausüben (OECD 1999). Aus betrieblicher Sicht kann eine nach dem Stamm-Randbelegschafts-Status differenzierende Qualifizierungspolitik unter Abwägung von Kosten-Nutzenkalkülen durchaus rational erscheinen, da die Amortisation von Investitionen in das Humankapital instabiler Belegschaftsteile aufgrund nur kurzer Beschäftigungsperioden bzw. zu geringer durchschnittlicher Verwertungszeiten als nicht gesichert gilt.

Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass von steigenden durchschnittlichen beruflichen Qualifikationen auszugehen ist, die aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandels sowie kürzer werdender Innovationszyklen zumindest teilweise von rascher Obsoleszenz bedroht sind. Für die zukünftige berufliche Weiterbildung ergibt sich daraus, dass erstens ein wachsender Kreis der Beschäftigten in berufliche Weiterbildung einzubeziehen ist. Zweitens ist ein durchschnittlich steigender Zeitaufwand je Teilnehmer anzusetzen. Drittens sind Lösungen zu finden, die auch Nichtbeschäftigte sowie (Rand)Belegschaften, die entweder phasenweise den Erwerbsprozess unterbrechen oder als atypisch Beschäftigte einen fluktuierenden Belegschaftspuffer bilden, stärker in betriebliche Weiterbildung einbeziehen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2002

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