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TEILDOKUMENT:


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5. Flüchtlinge auf dem deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt

Grundlegender Indikator für den Prozess sozialer Integration in einer von ökonomischen Austauschbeziehungen geprägten Aufnahmegesellschaft ist das Recht und die tatsächliche Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Dieser Indikator ist ökonomisch grundlegend, weil nur über ihn eine unabhängige Einkommenssicherung erzielt, also die stigmatisierende Abhängigkeit von staatlicher Alimentierung überwunden werden kann.

Er ist aber auch psychologisch grundlegend: Im Sinne einer Bestätigung des Selbstwertgefühls und des Gefühls der Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft.

Und er hat eine sozial-integrative Funktion: Als Einstieg in das Rollengefüge und Statussystem der Aufnahmegesellschaft und die damit gegebenen Möglichkeiten verstetigter und gleichzeitig „normalisierter„ Interaktionen und Kommunikationen.

Ganz nebenbei würden die kommunalen Sozialhaushalte entlastet, die Systeme sozialer Sicherung gestützt und, aufgrund vermehrter Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, neue Erwerbsmöglichkeiten sowohl für Einheimische wie Einwanderer geschaffen. [Vgl. die Übersicht zu diesbezüglichen Ergebnissen der Wirtschaftsforschung in von Loeffelholz, D. 1998 u. 2001.] Dies, wie auch der demographische Hinweis auf das relativ niedrige Durchschnittsalter von Fluchtmigranten, hätte positive Auswirkungen im Sinne einer wechselseitigen sozialen Integration. Bei der ansässigen Mehrheitsbevölkerung würde die Akzeptanz der Flüchtlinge und die Bereitschaft, mit Fluchtmigranten in vielfältige Interaktionen einzutreten, bestärkt.

Ein derart angedachter Prozess der Arbeitsmarktintegration wird sich allerdings nicht umstandslos realisieren lassen. Denn er stößt auf strukturelle Barrieren, sodann auf Wahrnehmungsdefizite und eine weit unterentwickelte Bereitschaft zahlreicher Arbeitsmarktakteure, sich der Flüchtlinge, und hier insbesondere derjenigen mit prekärem Status, gezielt anzunehmen. [Ein Rückblick auf die Asyldebatte im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates 1949 zeigt, dass die damaligen Abgeordneten noch sehr gut zu realisieren vermochten, was es bedeutet, als politischer Flüchtling von Erwerbsarbeit im Aufnahmeland ausgeschlossen zu sein. Bittere Erfahrungen deutscher Fluchtmigranten zur Zeit des Nationalsozialismus waren ihnen gegenwärtig. Als der Abgeordnete Renner (KPD) folgende Formulierung des Verfassungsartikels vorschlug: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht einschließlich des Rechts auf Arbeit", fand dies allgemeine Zustimmung. Man unterließ den Zusatz Renners nur deshalb, weil die Befugnis zu arbeiten bereits durch Artikel 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) mitgeschützt sei. "Im übrigen sei es Sache des Gesetzgebers, dafür zu sorgen, daß Menschen, die bei uns Asyl gefunden hätten, auch die Möglichkeit zur Arbeit erhielten, weil die bloße Unterstützung vor allem bei Flüchtlingen ,demoralisierend‘ wirke" (Schneider, H.-P. 1992).]

  • Zunächst: der Arbeitsmarkt stellt sich nicht als integrales Gebilde, sondern als segmentiert, also z.B. aufgeteilt in einen primären und sekundären Sektor, dar. Die hochwertigen Arbeitsplätze des primären Sektors sind zum größten Teil den Einheimischen vorbehalten, zum kleineren Teil den hierfür direkt Angeworbenen. Die niedrigwertigen Arbeitsplätze des sekundären Sektors umfassen das Gesamtspektrum so genannter „Jedermanns- und Niedriglohn-Tätigkeiten„ bis hin zu prekären „bad jobs„.

  • Gerade dieser sekundäre Sektor unterliegt allerdings einem u. a. technologisch bedingtem Erosionsprozess. Gerade wirtschaftliches Wachstum, das Investitionen in arbeitssparende Fertigungsweisen ermöglicht, wird häufig zum Motor der Arbeitsplatzvernichtung. Ein

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    Beschäftigungswachstum im Bereich (wiederum einfacher) Dienstleistungen könnte den Verlust niedrigwertiger Industriearbeitsplätze kompensieren. Hier fehlt es allerdings an der notwendigen Bereitschaft, durch entsprechende Rahmenbedingungen einen Durchbruch zu erzielen. [Dieser Durchbruch ließe sich u.a. durch Einführung eines Kombilohns im Bereich kleiner Unternehmen, und hier vor allem der Unternehmensneugründungen befördern. Kern des Kombi-Lohnkonzeptes ist die Ein führung eines Freibetrages für Sozialabgaben bei Niedriglöhnen, und dies in Branchen mit vergleichsweise hoher Personalintensität und niedriger Arbeitsproduktivität. Die Lohnkosten der Arbeitgeber würden sinken, die Nettoeinnahmen der Beschäftigten steigen, der negative statistische Zusammenhang zwischen der Höhe der Sozialabgaben einerseits und niedrigem Beschäftigungsniveau andererseits wäre aufgebrochen. Ein Beschäftigungsboom insbesondere im Dienstleistungsbereich erscheint so als machbar. Er könnte die sog. Stille Reserve der Arbeitsuchenden und hier auch zahlreiche Immigrant(inn)en miterfassen, die, noch dazu, in der Regel bereits über eine hohe Arbeitsmotivation verfügen. Im Rahmen laufender Modellversuche (im Saarland und in Sachsen bzw. in Rheinland-Pfalz und in Brandenburg) wurde inzwischen geklärt, wie unerwünschte Mitnahmeeffekte vermieden werden können, sollen tarifgebundene Arbeitsplätze tatsächlich ausgeweitet und nicht verdrängt werden. Auch müsste eine Gettoisierung der so Beschäftigten als "Klasse der Dienstboten" unbedingt vermieden werden. Hier würden Qualifizierungs programme z.B. für die Ziel gruppe subsidiär geschützter Flüchtlinge und andere Instrumente klassischer Arbeitsmarktpolitik ihren hohen Stellenwert behalten. (Vgl. Der Spiegel 19/1999: 30ff. und dort insbesondere Streeck, W. u. Heinze, R.; sodann: Der Spiegel 17/2001: 22 ff. "Verpasste Chance". Des Weiteren: Simonis, H. 1999; Gerster, F. 2001; Lange, Ch. 2001. Zum Diskurs in und mit den Gewerk schaften vgl. Einblick – gewerkschaftlicher Info-Service, 10/99: 7 und 15/99: 7; sodann: Die Mitbestimmung 8/99: 12ff.]

  • Wichtige Arbeitsmarktakteure, wie z.B. die Arbeitsverwaltung, aber auch Kommunen und Bundesländer, Kammern und Verbände sowie diejenigen Institutionen und Träger, die die Mittel zur Bundesausbildungsförderung, des Garantiefonds, des Sprachverbandes Deutsch und des Europäischen Sozialfonds verwalten bzw. ausgeben, verschanzen sich hinter dem geltenden Arbeitsgenehmigungsrecht und tragen so zur gesellschaftlichen Marginalisierung hunderttausender Fluchtmigranten bei.

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5.1 Allgemeine Situationsbeschreibung

Alle von uns herangezogenen Statistiken und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen stimmen allerdings insoweit überein, dass es – sektorenübergreifend einen Teil-Arbeitsmarkt auch für Fluchtmigranten gibt.

Bundesweites statistisches Signal war hier die Steigerung der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer aus Drittstaaten im Bereich „anderweitig nicht genannter„ Dienstleistungen, also vor allem in Berufsfeldern des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes und der Gebäudereinigung, eine Steigerung, die noch in den Jahren des konjunkturellen Abschwungs und außerordentlich hoher registrierter Arbeitslosigkeit 1993-1996 verzeichnet werden konnte [Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen Juni 1999: 46.].

Im regionalen Kontext ließen sich weitere Facetten eines Teilarbeitsmarktes für Fluchtmigranten ermitteln. Teils im Saarland [Vgl. Bruhn-Wessel, T. u.a.1993.], teils in Niedersachsen [Vgl. Müller, A. J. 1995 und 1998 und Projekt INTEGRA 2000.] fanden sich „Mangelberufe„ zunächst im Bereich der schon genannten Dienstleistungen, zusätzlich aber auch in Gesundheits- und Pflegeberufen. Sie fanden sich des Weiteren in produktionsnahen Dienstleistungen, wie zum Beispiel in den Berufen des Kraftfahrers, Lageristen, Gabelstaplerführers und C-Schweißers, sodann im Garten- und Landschaftsbau, den Gärtnereien, in verschiedenen Ernährungsberufen, im Baugewerbe und sogar in der Metallindustrie.

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Eine in Hessen getätigte Umfrage [Vgl. Blahusch, F. 1992.] bestätigt dies und zeigt noch weitere breitgestreute Berufsfelder, in denen Flüchtlinge zu Anfang der 90er-Jahre, also unter günstigen konjunkturellen Bedingungen, beschäftigt werden konnten.

Untersuchungen stimmen des Weiteren darin überein, dass Fluchtmigranten zu erheblichen Anteilen ein hohes oder jedenfalls beträchtliches Qualifikationsniveau aufweisen. Dies gilt in herausgehobener Weise für Flüchtlinge aus dem Iran, dem Irak, Afghanistan und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, in unterschiedlichem Ausmaße aber auch für die Mehrzahl der anderen zufluchtsuchenden communities [Vgl. z.B. Seifert, W. 1996 a und b; Velling, J. 1995; Frick, J. und Wagner, G. 1996, Goldschmidt, A.M.F. u.a. 1997, Schoeps, J. H. u.a. 1996, Kühne, P. u. Rüßler, H. 2000: 306 ff. und 538 ff.].
Eigene Recherchen in Düsseldorf und Dortmund ergaben, dass weit über die Hälfte der dort wohnenden jüdischen Kontingentflüchtlinge akademisch ausgebildet sind. Sie sind Ingenieure, Informatiker, Naturwissenschaftler, Ökonomen, Ärzte, Pädagogen, Künstler. Am höchsten ist der Anteil der Ingenieure. Nimmt man die Techniker und DV-Fachleute mit hinzu, sind fast zwei Drittel der jüdischen Kontingentflüchtlinge im erwerbsfähigen Alter als beruflich hochqualifiziert einzustufen. Dies gilt im Übrigen für beide Geschlechter.

Eingebrachte Qualifikationen und Berufserfahrung in Leitungspositionen finden allerdings nicht die ihnen zustehende Beachtung. [So stehen Fluchtmigranten häufig vor dem Problem einer formellen Anerkennung ihrer Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse im Herkunftsland. "In manchen Fällen genügt die Beglaubigung eines im Ausland erworbenen Abschlusses, um hier eine Anerkennung zu bekommen. Häufiger jedoch ist, daß die im Ausland erworbene Schulbildung bzw. Ausbildung auf ihre Gleichwertigkeit beurteilt werden muss. Zuständig dafür sind unterschiedliche Einrichtungen auf Bundesländerebene (Regierungspräsidenten, Handwerkskammern usw.). Sie beziehen sich bei ihrer Entscheidung auf die "Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen" (ZfaB) in Bonn. Die ZfaB sammelt sämtliche Informationen zu den Schul- und Ausbildungsbedingungen verschiedener Länder und vergleicht sie mit dem deutschen Niveau. Antragsteller müssen damit rechnen, daß unter Umständen Schul- oder Ausbildungsabschlüsse nicht oder nur teilweise anerkannt werden. Da die Bearbeitungszeit häufig ein halbes Jahr und länger dauern kann, sind die Unterlagen so früh wie möglich einzureichen" (Tatzko, U. und Müller, A. 1995: 13).]
Es fehlt sodann an passgenauen Anschlussqualifikationen gerade auch für Hochqualifizierte. [Kühne, P. u. Rüßler, H., a.a.O.; Gruber, S. u.a. 1999; Gruber, S. 2000; Rüßler, H. 2000.] In der Mehrzahl können Fluchtmigranten deshalb nicht in ihren erlernten bzw. bisher ausgeübten Berufen tätig werden. Es sind vor allem die akademisch und künstlerisch Ausgebildeten, die unter diesem Tatbestand leiden. Viele steigen schließlich „irgendwo„ in das System der Erwerbsarbeit ein. Den damit verbundenen Statusverlust verknüpfen sie mit der Hoffnung, über einen beruflichen Neuanfang gesellschaftliche Anerkennung finden und einen (begrenzten) Wiederaufstieg realisieren zu können. Das vergleichsweise niedrige Durchschnittsalter jedenfalls der Asylsuchenden begünstigt diese Sichtweise.

Bei befragten Unternehmern findet sich eine – nur auf den ersten Blick überraschende große Bereitschaft, Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge zu beschäftigen. Dies scheint nicht nur in Niedriglohnbereichen (Beispiel: Gebäudereinigerhandwerk) der Fall zu sein. Es scheint sich auch nicht nur auf eine den Flüchtlingen zugeschriebene hohe Belastungsfähigkeit und Flexibilität bei Arbeitseinsatz und Zeitregime zu beziehen (Beispiel: Systemgastronomie). Gefragt sind fachliche Qualifikationen, eine hohe Arbeitsmotivation und Verlässlichkeit in den eingegangenen Arbeitsbeziehungen. Exakt dies finden Unternehmen bei den von ihnen beschäftigten Flüchtlingen. Nur so erklären sich die landesweiten Proteste mittelständischer Unternehmer gegen die zwangsweise Rückführung von ihnen eingestellter Bosnier und Kosovaren. Unterstützt von Kommunalparlamenten und Bürgermeistern (z.B. in Konstanz,

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Singen und Arnsberg i. W.) konnten sie die Innenminister zunächst einiger Bundesländer und dann die Konferenz der Innenminister zum Einlenken bewegen [Vgl. Beschlussniederschriften über die 165. und 167. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 23./24.11.2000 in Bonn bzw. 10.5.2001 in Schierke/Harz und Die Tageszeitung, 19.10.2000: Reportage "Die schicke ich nirgendwo hin!" Bürgermeister Hans-Josef Vogel von der CDU kämpft für das Bleiberecht der Kosovo-Albaner.].

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5.2 Angebote sprachlicher und berufsbezogener (Anschluss-) Qualifizierung?

Derartige Angebote gibt es. Jedoch erreichen sie nur einen kleinen Teil derjenigen, die ihrer bedürfen. Denn zum einen reicht ihre Zahl bei Weitem nicht aus, zum anderen sind staatlich verordnete Regulative vorgeschaltet, die die Gesamtgruppe zunächst aller Zuwanderer und dann der Flüchtlinge in Teilgruppen unterschiedlich Berechtigter aufteilen und eine Statushierarchie errichten: Von denjenigen, die als Unionsbürger, angeworbene Drittstaatsangehörige oder auch Kontingentflüchtlinge als erwünscht oder jedenfalls unvermeidlich gelten, bis hinab zu denjenigen, die als Asylsuchende nicht einmal mehr über eine Duldung verfügen, sondern lediglich mit einer sogenannten Grenzübergangsbescheinigung ausgestattet sind.

Ein erstes selektives Regulativ teilt ein in die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den Anwerbestaaten und deren Familien einerseits und die Gesamtheit aller Statusgruppen von Flüchtlingen andererseits. Dies betrifft diejenigen Sprachkursangebote, die aus dem größten Fördertopf gefördert werden, nämlich aus dem des Bundesarbeitsministeriums, verwaltet durch eine eigens geschaffene Institution, den „Sprachverband ausländische Arbeitnehmer„ mit Sitz in Mainz. [Vgl. Kühne, P. u. Rüßler, H. 2000: 342 f.] Es sind zum Beispiel die Volkshochschulen und die Wohlfahrtsverbände, deren Sprachkursangebote aus diesem Fonds subventioniert werden. Allenfalls als „Gäste„ haben Flüchtlinge hier Zugang, sofern die erforderliche Mindest- Kursteilnehmerzahl aus dem Kreis der Angeworbenen bereits erreicht ist und die Kursleiter bereit sind, Flüchtlinge zusätzlich aufzunehmen – ein in soweit fragwürdiges Unterfangen, als mit der Vergrößerung der Lerngruppen die Qualität des Sprachenlernens Schaden nehmen kann.

Für Flüchtlinge geöffnet sind Qualifizierungsangebote aus Mitteln der Arbeitsverwaltung und des sog. Garantiefonds der Bundesregierung. Hier allerdings gelten diejenigen Statuskriterien, die generell beim Zugang zur Erwerbsarbeit greifen: nur eine Minderheit anerkannter Flüchtlinge hat Zutritt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass das SGB III zwar nicht mehr im Erstausbildungs- wohl aber im Weiterbildungsbereich selbst die immer wichtiger werdende Teilgruppe der Flüchtlinge mit kleinem Asyl ausgrenzt. Diese nach Paragraph 51,1 AuslG Anerkannten haben Konventionsstatus. Sie verfügen über Aufenthaltsbefugnis und Arbeitsberechtigung. Dennoch bleiben sie im Weiterbildungsbereich von jedwedem Integrationsangebot ausgeschlossen. Dies gilt erst Recht für die Großgruppe der Flüchtlinge im Verfahren und für De-facto-Flüchtlinge. Sie werden auch nach Jahren des Aufenthalts hier als transitorisch, weil grundsätzlich zur Ausreise verpflichtet, angesehen. Dies legitimiere allenfalls den nachrangigen Zugang zu Erwerbstätigkeit, sofern bevorrechtigte Arbeitsuchende für einen bestimmten Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehen. Von Integrations- und damit auch Qualifizierungsangeboten sind sie ausgeschlossen.

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Zu den Angeboten im Einzelnen:

Sprachlernangebote

An erster Stelle sind hier zu nennen die Intensivsprachkurse „Deutsch als Fremdsprache„ des Arbeitsamtes. Diese Vollzeitsprachkurse sind mittlerweile von zwölf auf sechs Monate verkürzt, bei einer täglichen Unterrichtszeit von etwa 7 Stunden. Durchführende Trägerinstitutionen sind ausgewählte professionelle Sprachlehrschulen der jeweiligen Region, die allerdings, wegen des verknappten Zeitbudgets und sich verknappende Zuwendungen von Seiten der Arbeitsverwaltung, mit Problemen der Lehr- Lernqualität zu kämpfen haben.

Auf Seiten der Lehrgangsteilnehmer sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Zum einen der Nachweis über eine Erwerbstätigkeit von mindestens 70 Kalendertagen während des letzten Jahres vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsland. Sollte dieser Nachweis nur schwer zu führen sein, gilt eine Härtefallregelung. Zum anderen die erklärte Absicht, nach Abschluss des Sprachlehrgangs eine nicht der Ausbildung dienende Erwerbstätigkeit im Inland auf - zunehmen.

Die Sprachkursteilnehmer erhalten eine Eingliederungshilfe in Höhe der Arbeitslosenhilfe, bemessen nach 60 % des Durchschnitts- Erwerbseinkommens in der Bundesrepublik. Erstattet werden zudem Lehrgangskosten, Fahrtkosten, Kosten der Kinderbetreuung sowie Kosten für Unterkunft und Verpflegung, falls wegen des Sprachkurses eine auswärtige Unterbringung erforderlich ist.

Die Klassenstärke in den Sprachkursen liegt bei 14 bis 22 Teilnehmern. Die Abschlussprüfung besteht aus fünf Teilen: Geprüft werden das Hörverstehen, das Leseverstehen und die Wortsatzstruktur. Außerdem ist ein Brief zu schreiben. Es folgt noch eine mündliche Prüfung. Was das Leistungsniveau angeht, orientieren sich die Bildungsträger am Grundstufenniveau des Goethe-Instituts. Die Zertifikatsprüfung des Goethe- Instituts sei jedoch für viele Teilnehmer nicht zu erreichen.

Zweitens sind zu nennen die Sprachkursangebote aus Mitteln des Garantiefonds. Dieser seit etwa 40 Jahren existierende Haushaltstitel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der der Förderung junger Menschen bis zum 30. Lebensjahr gewidmet ist, kam zunächst ausschließlich jugendlichen Aussiedlerinnen und Aussiedlern zugute. Inzwischen sind auch junge Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge und diejenigen Flüchtlinge mit kleinem Asyl anspruchsberechtigt, die außerhalb der Bundesrepublik anerkannt wurden.

Zu unterscheiden sind die seit 2. bzw. 15. April 1996 geltenden Richtlinien des Garantiefonds für den Schul- und Berufsbildungs- bzw. für den Hochschulbereich. Erstere regeln die Vergabe von Zuwendungen zur gesellschaftlichen, d. h. zur sprachlichen, schulischen, beruflichen und damit in Verbindung stehenden sozialen Eingliederung. Vergeben werden Beihilfen z.B. für die außerschulische Förderung schulpflichtiger Jugendlicher. Nicht mehr schulpflichtige Jugendliche erhalten Intensiv-Sprachkurse in Vollzeitmaßnahmen, teilweise mit internatsmäßiger Unterbringung. Gefördert werden können auch die Teilnahme an einer Berufsausbildung und die im Einzelfall hierzu notwendige Hinführung, des Weiteren als notwendig erscheinende Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Der Antrag muss spätestens ein Jahr nach Erhalt des Reiseausweises für Flüchtlinge gestellt werden. Anträge sind an die Stadtverwaltungen bzw. an die Landkreise zu richten.

Anträge zur Förderung im Hochschulbereich sind an die Otto Benecke Stiftung e.V. in Bonn zu richten. Diese Stiftung wurde 1965 auf Initiative der Deutschen Studentenverbände gegründet, um Zuwanderern und Flüchtlingen den Zugang zu Ausbildungs- und Stipendienprogrammen im In- und Ausland zu ermöglichen. Sie trägt den Namen eines Wegbereiters der studentischen Selbstverwaltung. Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge, die in ihrem

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Herkunftsland die Sekundarschule beendet oder bereits studiert haben, werden mit Stipendien für Sprachkurse und Lehrgänge gefördert, die zur Hochschulreife führen. Angeboten werden des Weiteren Abiturvorbereitungskurse, die sog. ASA-Kurse. Bewerben kann sich, wer im Herkunftsland die Sekundarschule abgeschlossen hat und noch nicht 30 Jahre alt ist. Asylberechtigte müssen ihren Antrag innerhalb eines Jahres nach Erhalt des Reiseausweises stellen, Kontingentflüchtlinge zwei Jahre nach ihrer Einreise.

Drittens sind Sprachkursangebote von Volkshochschulen und verschiedener sozialgewerblicher Träger auch für Flüchtlinge von Bedeutung. Am Beispiel der VHS Dortmund lässt sich dies veranschaulichen. Zunächst: Auch an dieser kommunalen Einrichtung tun sich Barrieren auf. Ein Teil der dortigen Sprachkursangebote wird zwar vom Sprachverband Deutsch gefördert. Der aber schließt, wie bereits dargestellt, den Aufenthalt von Flüchtlingen – ganz gleich welcher Aufenthaltskategorie – aus. Gerade die vom Sprachverband geförderten Elementarkurse würden sich aber für Asylbewerber in besonderer Weise eignen. Sie wenden sich vorrangig an Frauen und Jugendliche ab 16, die mehr über Deutschland und das lokale Umfeld in Dortmund wissen möchten. Der größere Teil der Kurse findet vormittags statt und bietet den Teilnehmerinnen eine gleichzeitige Betreuung ihrer Kinder. Die subventionierte Teilnehmergebühr liegt zur Zeit bei nur 15,- DM pro Semester.

Zu den nicht- subventionierten Zertifikatskursen der VHS haben Flüchtlinge Zutritt. Hier aber greift die Schranke der hohen Gebühren. Zertifikatskurse, für die bis zum 31.12. 1997 eine Teilnehmergebühr von 10,- DM pro Semester erhoben wurde, sind durch eine der VHS von der Stadt Dortmund auferlegte neue Gebührenordnung ab 01.01.1998 erheblich verteuert. Die Teilnehmergebühr pro Semester beläuft sich zur Zeit – je nach Kurstypus – in der Spanne von 141,60 DM bis zu 166,20 DM. Als Inhaber des Dortmund-Passes für geringe Einkommensbezieher können Flüchtlinge zwar eine Ermäßigung in Höhe von 50 % in Anspruch nehmen. Doch dürfte auch das für viele, insbesondere für diejenigen, die nach Maßgabe des Asylbewerberleistungsgesetzes alimentiert werden, unerschwinglich sein. Die VHS registriert jedenfalls seit 1998 einen starken Rückgang der Nachfrage nach Zertifikatskursen.

Schließlich können Zuwanderer ohne Kenntnis der lateinischen Schrift oder solche Zuwanderer, die bisher keine Gelegenheit hatten, lesen und schreiben zu lernen, an kombinierten Alphabetisierungs- und Deutschkursen der VHS teilnehmen. Auch diese Kurse sind für Flüchtlinge zugänglich und ausnahmsweise preisgünstig (30,- DM pro Semester). Sie gliedern sich in fünf Semester bzw. Stufen mit jeweils drei Nachmittagsterminen und werden beispielsweise von bisher nicht alphabetisierten Pakistani und Afghanen wahrgenommen.

Angebote berufsbezogener Qualifizierung

Jede berufsbezogene Qualifizierung (auch diejenige mit fachsprachlichen Anteilen), setzt ein Fundament an deutschsprachigen Kenntnissen voraus. Hier allerdings sieht es nicht gut aus. Selbst die Minderheit der Asylberechtigten bzw. Kontingentflüchtlinge, die Gelegenheit hatte, den Vollzeitintensivsprachkurs des Arbeitsamtes zu absolvieren, sieht sich häufig nicht in der Lage, weiteren Angeboten beruflicher Qualifizierung gewachsen zu sein. Dies gilt häufig bereits für jene berufsvorbereitenden zwei- bis achtwöchigen Trainings- oder Feststellungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung, die zunächst die Vermittlungschancen der Arbeitsuchenden erleichtern sollen, etwa durch Bewerbungstrainings und intensive Beratung über Möglichkeiten der Arbeitsuche, die aber systematische berufsbezogene Ausbildung noch ausklammern.

Dabei ist das Problem der nicht hinreichenden Sprachkenntnisse von Flüchtlingen längst erkannt. Dies lässt sich an solchen komplementären Maßnahmen ablesen, die z.B. in NRW zunächst ausschließlich Kontingentflüchtlingen und Spätaussiedlern vorbehalten waren, in-

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zwischen aber auch für Asylberechtigte geöffnet sind [Vgl. RdErl. des Ministeriums für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie vom 21.5.2001.] und als beispielhaft für die Gesamtheit aller Statusgruppen von Flüchtlingen angesehen werden können.

So finanziert das Land NRW einen dreimonatigen, den Intensivsprachkurs des Arbeitsamtes ergänzenden berufsorientierten Sprachkurs mit sowohl fachsprachlichen- wie berufsbezogenen Unterrichtseinheiten einschließlich eines Bewerbungstrainings. Die Zahl der verfügbaren Plätze reicht allerdings nicht annähernd aus.

Akademikerinnen und Akademiker aus der Gruppe der russischsprachigen Kontingentflüchtlinge haben sodann die Möglichkeit, zusammen mit Spätaussiedlern an Sprachprogrammen der Otto Benecke Stiftung teilzunehmen, finanziert aus Mitteln des Bundesbildungsministers. Angeboten werden hier unter anderem Beratung, Sprachkurse, Ergänzungsstudien und Praktika. Im Einzelnen seien beispielhaft genannt:

  • dreimonatige Aufbausprachkurse, die auf den Vollzeit- Intensivsprachkurs des Arbeitsamtes aufbauen,

  • dreimonatige Fachsprachkurse für Ökonomen, Ärzte und Ingenieure,

  • dreimonatige praxisnahe Studien- und Berufsorientierungen,

  • Bafögfähige, individuelle Ergänzungsstudien für diejenigen Bewerber, deren im Herkunftsland erworbene Abschlüsse nur zum Teil oder gar nicht anerkannt werden,

  • Bafögfähige Aufbaustudien für diejenigen, deren Abschlüsse zwar anerkannt wurden, die aber dennoch einer – auf die hiesigen Verhältnisse zugeschnittenen – fachlichen Weiterbildung und Vertiefung bedürfen,

  • Hilfen zum Fachrichtungswechsel, sofern für erworbene oder auch anerkannte Qualifikationen keine Verwendungsmöglichkeiten bestehen,

  • Förderung von Anpassungszeiten, das sind zwölf- bis achtzehnmonatige Praktika für Ärztinnen und Ärzte, die zur Approbation führen können. Hier allerdings greift ein, die Kontingentflüchtlinge benachteiligender, Unterschied: Spätaussiedler erhalten die Approbation mit den entsprechenden Zeugnissen sofort, Kontingentflüchtlinge erst zum Zeitpunkt ihrer etwaigen Einbürgerung.

Einschränkend ist auch hier anzumerken, dass die Otto Benecke Stiftung über einen zunehmend verengten finanziellen Rahmen klagt, innerhalb dessen sie zu agieren hat: keinesfalls alle Akademiker, die sich um einen Platz im Akademikerprogramm bewerben, können auch tatsächlich aufgenommen werden. Es gibt Wartelisten.

Angesichts nur begrenzt nutzbarer Regelangebote im Felde der Qualifizierung gewinnen solche Maßnahmen/Programme an Bedeutung, die, teils komplementär zu regulären Maßnahmen, teils verzahnt mit ihnen, auch diejenigen Menschen zu erfassen versuchen, die von regulären Angeboten zur Berufsvorbereitung oder -bildung nicht erreicht werden. Zielgruppen sind vor allem Frauen und Jugendliche, aber auch Langzeitarbeitslose beider Geschlechter und jeden Alters. Arbeitspolitische Akteure sind hier zum Beispiel die Landesregierungen und Kommunen, die verfügbare Haushaltsmittel bündeln und zum Teil mit denjenigen der Bundesanstalt für Arbeit kombinieren. Ein weiterer wichtiger Akteur ist die Europäische Union, aus deren Sozialfonds weitere zielgruppenorientierte Beschäftigungsprogramme kofinanziert werden. Hier fanden gelegentlich auch solche Flüchtlinge Zugang, die als Konventions- oder De-facto-Flüchtlinge wenigstens mit einer Aufenthaltsbefugnis ausgestattet sind. [Vgl. ausführlich Kühne, P. u. Rüßler, H. 2000: 353 ff., 415 ff. und 432 ff.] Wie den einschlägigen Evaluationsberichten zu entnehmen ist, konnte die Caritas

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Freiburg i. Br. zu Anfang der 90er Jahre ein Qualifizierungsprojekt durchführen, in das ausdrücklich auch Asylbewerberinnen und -bewerber integriert waren. Dies scheint aber eine Ausnahme gewesen zu sein. Erst in jüngster Zeit ist hier eine geringfügige Öffnung zu verzeichnen: Programmschriften zur Gemeinschaftsinitiative EQUAL 2000 bis 2006 ist zu entnehmen, dass neben Konventionsflüchtlingen gem. § 51,1 AuslG auch Asylbewerberinnen und -bewerber sowie geduldete Flüchtlinge in den Aktionsradius von EQUAL einbezogen werden, allerdings mit deutlicher Akzentuierung einer Integration in den Arbeitsmarkt nicht der Bundesrepublik, sondern des jeweiligen Herkunftslandes. [Vgl. Bundesrepublik Deutschland – Gemeinschaftsinitiative EQUAL 2000.]

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5.3 Ergebnisse Dortmunder Recherchen *

* [Vgl. auch Kühne, P. u. Rüßler, H. 2000: 368 ff.]

Zufluchtnahme und daraus sich ergebende Prozesse der sozialen Integration werden hautnah erfahrbar im Kontext der Städte und Gemeinden, denen die Flüchtlinge zugewiesen sind. Unsere Dortmunder Recherchen verdeutlichen zum einen den Problemdruck, der auf hier ansässigen Fluchtmigranten lastet und wie wenig Aufmerksamkeit wichtige Arbeitsmarktakteure ihnen bisher zuteil werden ließen. Zum anderen wird aber auch deutlich, welcher Einsatz und Einfallsreichtum im Einzelfall mobilisiert und welche Ressourcen erschlossen werden können, um – allen bundes- wie landespolitischen Restriktionen zum Trotz – Pfade in die Aufnahmegesellschaft und damit auch in deren ersten bzw. zweiten Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt zu eröffnen.

Die soziale Situation der Fluchtmigranten ist auch davon bestimmt, dass Dortmund seit längerem von Prozessen des wirtschaftlichen Strukturwandels geprägt ist, also des Übergangs von strukturbestimmenden Alt-Industrien (genauer: den Grundstoffindustrien Kohle und Stahl) hin zu neuen Technologien und Unternehmensformen sowie zu Dienstleistungen aller Art, ein Übergang, der von Entwertung bisheriger Qualifikationen, Freisetzung menschlicher Arbeitskraft, hoher Arbeitslosigkeit und verbreiteter privater wie öffentlicher Armut begleitet ist. [Vgl. Arbeitnehmerfraktion 1997; Kock, K. 1998; Gallas, A. 1996; Vollmer, H. u.a. 1995; Trägerkreis der Armutskonferenz 1997 und 1998.] In Besorgnis erregender Weise ist auch die Langzeitarbeitslosigkeit gestiegen: Immer mehr Arbeitslose sind deshalb auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Dies wiederum bindet und schwächt die Finanzkraft der Kommune. Gegen Ende 1997 erreichte der nicht-deutsche Bevölkerungsanteil die 13-Prozent-Marge. Mit diesem Anteil liegt Dortmund im oberen Viertel der kreisfreien Städte des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. (Vgl. Landessozialbericht NRW 1994: 46). Unter diesen Bedingungen stehen Fluchtmigranten, als häufig „zuletzt„ Angekommene, vor besonderen Schwierigkeiten, wenn es darum geht, sowohl in der kommunalen Administration als auch in der Mehrheitsbevölkerung die ihnen gebührende Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erhalten.

Auch in Dortmund wird nur denjenigen ein formelles Integrationsangebot unterbreitet, die der Gruppe der Asylberechtigten und Kontingentflüchtlinge angehören. Sie haben die Möglichkeit, den Vollzeit-Intensivsprachkurs des Arbeitsamtes wahrzunehmen und, gegebenenfalls, die eine oder andere Maßnahme der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Ihnen sind des weiteren Leistungen der Bundesausbildungsförderung und des Garantiefonds eröffnet. Jüdische Kontingentflüchtlinge aus den GUS-Staaten haben darüber hinaus Zugang zu Integrationsangeboten, die zunächst für deutsche Spätaussiedler eingerichtet wurden. Die Großgruppe (noch) nicht anerkannter Fluchtmigranten bleibt jedoch weitgehend sich selbst

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überlassen. Sollte es auch für sie einmal „ernst werden„, dass nämlich ein Arbeitgeber Interesse zeigt und mit einem Arbeitsplatz „winkt„: Dann greift in der Mehrzahl der Fälle der Inländervorrang des Arbeitserlaubnisrechts.

Dabei gibt es deutliche Anzeichen, dass der regionale Arbeitsmarkt – auch unter den spezifischen schwierigen Bedingungen einer Stadt und Region im Strukturwandel – durchaus in der Lage wäre, mehr Fluchtmigranten als bisher aufzunehmen. Zugänglich sind z.B. diejenigen – zum Teil noch expandierenden – einfachen Dienstleistungen, die für Einheimische als nicht attraktiv gelten. Hier lassen sich Tätigkeitsfelder identifizieren, in denen Fluchtmigranten nicht nur akzeptiert, sondern stark nachgefragt sind. Es handelt sich um das Gebäudereinigerhandwerk, die Systemgastronomie, das Taxigewerbe, die ambulante wie stationäre Alten- und Krankenpflege und verschiedene kommunale Dienstleistungen im Rahmen des öffentlich subventionierten zweiten Arbeitsmarktes.

Auch in Dortmund wurden Fluchtmigranten von solchen Angeboten der Weiterbildungsträger erfasst, die sich an Zielgruppen aus dem Kreis nicht-deutscher Zuwanderer mit Bleiberecht richten. [Ob und inwieweit z.B. Asylberechtigte an allgemein zugänglichen berufsbezogenen Qualifizie rungs an ge boten (noch dazu erfolgreich) partizipiert haben, wurde statistisch nicht ermittelt.] Es handelt sich um Angebote sprachlichen Lernens, sodann fachsprachlicher und fachlicher Berufsvorbereitung, die mit Praxisphasen in Betrieben und Einrichtungen verknüpft sind. Hier fanden gelegentlich auch solche Fluchtmigranten Zugang, die als Konventions- oder De-facto-Flüchtlinge wenigstens über eine Aufenthaltsbefugnis verfügen. Einige Fluchtmigranten wurden in solchen Sprachkursen „mitdurchgezogen„ (Mitarbeiter eines Weiterbildungsträgers), die seitens der Förderinstanz „Sprachverband Deutsch„ den Arbeitsmigranten aus den Anwerbestaaten vorbehalten sind. Anderen wurden Pfade in neu erschlossene bzw. eigens für sie entwickelte Berufsfelder gebahnt. Es war bzw. ist das Verdienst in Dortmund tätiger Weiterbildungsträger, hier unkonventionell und eigeninitiativ vorangegangen zu sein. Diese Weiterbildungsträger waren zum einen in der Lage, neu entstandene gesellschaftliche Bedarfe zu ermitteln. Sie knüpften andererseits an die spezifischen sprachlichen bzw. sozio-kulturellen Kompetenzen der Fluchtmigranten bestimmter Sprachräume und Herkunftsländer an.

Erwähnt seien in diesem Zusammenhang die Zusatzausbildung zur Umweltfachkraft für Medizingerätetechnik, die Ausbildung zum Osteuropa-Kaufmann, die Ausbildung zum/zur Alten- bzw. Krankenpfleger/in im sowohl ambulanten wie stationären Bereich, der Ausbildungsgang zum/zur Restaurantfachmann bzw. -frau, die Ausbildung zum sozialen Betreuer in Behindertenwerkstätten und verschiedene Angebote einer qualifizierten Einführung in die Datenverarbeitungstechnologien. Es waren und sind nicht zuletzt die ESF-kofinanzierten Träger und Projekte, die derart ebenso qualifizierte wie innovative Ansätze ermöglichten. In den Kontext wirklicher Innovation gehört auch die Einrichtung einer Abiturklasse für russischsprachige Fluchtmigranten aus den GUS-Staaten in einem städtischen Institut zur Erlangung der Hochschulreife. Hier werden – zusätzlich zu den überlokal organisierten Internatskursen der Otto Benecke Stiftung – wohnortnahe und kostengünstige Pfade zum Abitur eröffnet.

Nicht zuletzt die Jüngeren unter den Flüchtlingen sind froh, überhaupt eine Beschäftigung gefunden zu haben. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in denjenigen beiden Branchen, die als „typisch„ für die Beschäftigung von Asylsuchenden angesehen werden, sich als teilweise nicht seriös bzw. konfliktbeladen darstellen. Es handelt sich um das Gebäudereinigungshandwerk und die Systemgastronomie. In beiden Branchen wird, sofern es sich um Firmen handelt, die sich selbst als „seriös„ einstufen, nach Tarif entlohnt, wenngleich sehr niedrig. In beiden Branchen herrschen Teilzeit-

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arbeitsverhältnisse vor. Kennzeichnend für die Systemgastronomie sind darüber hinaus heftige innerbetriebliche Auseinandersetzungen um bessere Arbeitsbedingungen und die Einrichtung von Betriebsräten. Gerade hier zeigen sich allerdings erste Anzeichen einer gewerkschaftlichen Organisationsbereitschaft und gewerkschaftlichen Engagements sogar von Seiten der (ausländerrechtlich) besonders gefährdeten Asylbewerber und De-facto-Flüchtlinge.

Die folgenden beiden Fallstudien beleuchten die Situation in den beiden Branchen. Dies geschieht im einen Fall aus dem Blickwinkel des Personalmanagements (Gebäudereinigungshandwerk), im anderen Fall aus demjenigen der zuständigen Gewerkschaft bzw. gewerkschaftlich organisierter Betriebsrätinnen und Betriebsräte (Systemgastronomie).

Exkurs 1: Zur Beschäftigungssituation im Gebäudereinigungshandwerk

Hier fand sich ein Personalmanager bereit, seine Sicht der Dinge in einem mehrstündigen Experteninterview darzustellen.

Die von ihm repräsentierte Unternehmensgruppe mit Schwerpunkt in Dortmund beschäftigt insgesamt 1.500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, darunter zu 80 % Frauen, zu 60 % Ausländerinnen und Ausländer. 80 % der Beschäftigten werden „normal„ wenngleich häufig in Teilzeit, 20 % geringfügig beschäftigt. Das Unternehmen hält sich zugute, einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Ausbildungsplätzen bereitzuhalten. Es verfügt sodann über einen Betriebsrat, der auf die Einhaltung aller rechtlichen Vorschriften bedacht sei. Eine spezifische Aufgabe des Betriebsrates bestehe darin, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Lohn auch persönlich in bar zu übergeben. Dies sei immer dann der Fall, wenn Zweifel daran bestehen, dass Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter ihren Lohn auch tatsächlich erhalten.

Was die nicht-deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht, so würden vorrangig Frauen und Männer aus der Türkei, aus Russland, aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Polen und aus schwarzafrikanischen Ländern beschäftigt. Wie viele dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Status von Flüchtlingen haben, sei nicht bekannt. Da das Unternehmen aber über leidvolle Erfahrungen mit der Erteilung von Arbeitserlaubnissen verfüge und immer wieder vor der Notwendigkeit stehe, kurzfristig erteilte Arbeitserlaubnisse verlängern zu lassen, könne davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Beschäftigten aus der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien (vor allem Bosnien-Herzegowina und Kosovo) sowie aus den schwarzafrikanischen Staaten den Status von Flüchtlingen haben.

Voraussetzung für eine Beschäftigung sei auf jeden Fall ein legaler Aufenthaltsstatus, worunter auch Aufenthaltsgestattungen und Duldungen verstanden werden, und eine gültige Arbeitserlaubnis. Bei Neueinstellungen werde anhand einer Checkliste festgestellt, welche personenbezogenen Daten bzw. Unterlagen im Einzelnen vorzulegen sind. Die Firma sei schon deshalb auf äußerste Korrektheit bedacht, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb der zu betreuenden Objekte Zugang zu allen Räumen haben und insoweit das volle Vertrauen auch der Kunden genießen müssen. Dies schließe einzelne tragische Fälle nicht aus, so die Inhaftierung zweier afrikanischer Flüchtlinge mit gefälschtem englischen Pass, die vom Unternehmen beschäftigt wurden.

4 von 40 leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Zentralen des Unternehmens kommen aus dem Kreis der ausländischen Beschäftigten. Es handele sich um je einen Staatsbürger bzw. eine Staatsbürgerin der Türkei, Russlands, des ehemaligen Jugoslawien und Polens.

Nach Neueinstellungen werde die Einweisung durch Objektleiter/innen bzw. Vorarbeiter/innen unter Beteiligung eines Dolmetschers aus dem Kreis der Mitarbeiter/innen vor-

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genommen. Von besonderer Wichtigkeit seien in diesem Zusammenhang Informationen über den Umgang mit Chemikalien in den zu reinigenden Objekten. Informationen hierzu in verschiedenen Sprachen könnten in den so genannten „Objektordnern„ nachgelesen werden.

Es liege im Interesse des Unternehmens, Fluktuation möglichst zu vermeiden. Die Objektleiter/innen seien deshalb angehalten, Stammpersonal zu entwickeln. Langjährige Beschäftigungen bis zu 15 und 20 Jahren seien keine Seltenheit und würden vom Unternehmen vielfältig gewürdigt. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhielten ein jährliches Dankesschreiben des Firmeninhabers. Ein weiteres qualitätssteigerndes Moment stellten die ständigen Qualitätskontrollen dar: Sofern irgendwelche Mängel festgestellt werden, würden Mitarbeitergespräche anberaumt. Im Übrigen besuche die Geschäftsleitung halbjährlich alle Objekte. Die Betriebsleiter tun dies monatlich, die Objektleiter wöchentlich.

Unter dem Aspekt der Qualitätssicherung vermeide die Unternehmensleitung nach Möglichkeit geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Dies auch vor dem Hintergrund einer Konkurrenz von Billiganbietern, auf deren Niveau man sich nicht begeben wolle. Hier vermutet das Unternehmen zum Teil mafiose Strukturen, insofern z.B. türkische oder auch russische Arbeiterinnen und Arbeiter zur Beschäftigung unter Tarifniveau angeboten würden.

Die Rekrutierung von Beschäftigten stelle sich inzwischen als nicht ganz einfach dar. Insbesondere die Rückwanderung bzw. „Rückführung„ bosnischer Flüchtlinge stelle sich für das Unternehmen als „mittlere Katastrophe„ dar.

Was die Kundenzufriedenheit angeht, sei auch von solchen Kunden zu berichten, die nur deutsche Reinigungskräfte wünschten.

Exkurs 2: Zur Beschäftigungssituation in Betrieben der Systemgastronomie

Hier entzog sich „der Chef„ (Franchise-Nehmer) ["Franchising" wird in einer Handreichung der Bundesanstalt für Arbeit für Existenzgründer so definiert: "Franchise-Geber und Franchise-Nehmer gehen eine Partnerschaft ein, bei der dem Franchise-Nehmer ein schon erprobtes Geschäftskonzept gegen Gebühr überlassen wird. Die Vorteile für den Franchise-Geber liegen darin, dass seine Produkte/Dienstleistungen samt Firmenimage schnell verbreitet werden können. Dafür hat der seriöse Franchise-Geber die eigene Geschäftsidee unter z.T. großem finanziellen Aufwand bis ins kleinste durchkonzipiert, am Markt erprobt und alles in einem Franchise-Handbuch schriftlich niedergelegt" (IBZ – Ihre berufliche Zukunft 9 a: 22).] örtlicher McDonald’s-Stores [Der Begründer der erfolgreichsten Imbisskette der Welt, Richard McDonald, verstarb am 14.07.1998 im Alter von 89 Jahren. Zusammen mit seinem Bruder Maurice, genannt "Mac", modernisierte er 1948 sein Imbiss-Restaurant in San Bernardino/Kalifornien. Die Speisekarte wurde von 25 auf 9 standardisierte Produkte reduziert. Die Lizenz für ein derart entwickeltes Imbiss-System wurde später an Klein-Unter nehmer, sog. Franchise-Nehmer, weiterverkauft. 1998 waren 23.300 McDonald’s-Restaurants in 111 Ländern der Welt zu verzeichnen. Dieser weltweite wirtschaftliche Erfolg "ging rasch einher mit der negativen Imagekarriere des Unternehmens. McDonald’s wurde nicht nur zum Inbegriff einer indus tri alisierten Nahrungsproduktion, sondern galt bald als Generalangriff auf den guten Geschmack" (Die Tages zeitung, 16.07.1998: "Old McDonald had a firm"). Wegen der schlechten Bezahlung und des Bestrebens, Gewerkschaften von den Restaurants fernzuhalten, wurde McDonald’s mit dem Spitznamen "Mc jobs" belegt (vgl. "Ein weltweites Imperium im Zeichen des gelben M", a.a.O.). In der Bundesrepublik Deutsch land wurden Anfang 1999 931 McDonald’s-Stores verzeichnet, mit insgesamt 51.000 Mit ar bei te rinnen und Mitarbeitern, darunter 40% Vollzeitkräfte, 45% Teilzeitkräfte und 15% geringfügig Beschäftigte. Fast Zwei Drittel der Stores wurden zum damaligen Zeitpunkt von selbständigen Franchise-Nehmern betrieben. Mit einer Bilanzsumme von 2,3 Milliarden DM ist die Bundesrepublik Deutschland für McDonald’s wichtigster Standort nach den USA, Japan und Kanada. Der Umsatz hier wurde 1998 noch einmal, um 11,8 %, auf 3,78 Milliarden DM gesteigert (vgl. Die Tageszeitung, 03.03.1999: "McDonald’s mit starkem Übergewicht").] dem an ihn herangetragenen Interviewwunsch. Die Projektgruppe wurde zunächst an eine für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Mitarbeiterin verwiesen, die sich dann aber nicht für legitimiert

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hielt, ein Interview zu geben und an den – stets „in Dortmund nicht anwesenden„ – Chef zurückverwies. Die folgende Darstellung stützt sich deshalb auf Kontakte zur zuständigen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und gewerkschaftlich organisierten Betriebsräten.

Seit Jahren bemüht sich die Gewerkschaft, bessere Arbeitsbedingungen und betriebliche Vertretungen in den McDonald’s-Stores durchzusetzen. Scharf kritisiert werden das Vorgesetzten-Mitarbeiter-Verhältnis, versäumte Höhergruppierungen, die Abwehr von Betriebsräten und die „Schikanierungen„ einzelner Betriebsratsmitglieder. In Arbeitsgerichtsprozessen konnte die NGG ihre Positionen gegenüber dem Unternehmen durchsetzen. In Aktionswochen während der Jahre 1996 und 1998 wurde auch die Öffentlichkeit auf die Arbeitsbedingungen bei McDonald’s aufmerksam gemacht. Deutsche Männer seien in der Regel nicht bereit, unter den gegebenen Lohnbedingungen zu arbeiten. Somit ergebe sich bei McDonald’s die ungewöhnliche Konstellation, dass die deutschen Beschäftigten zum weitaus größeren Teil Frauen, die ausländischen Beschäftigten zum weitaus größten Teil Männer sind.

In Dortmund gibt es – zum Interviewzeitpunkt (Frühjahr 1999) 5 McDonald’s-Stores. Die Zahl der Beschäftigten pro Store liege zwischen 50 und 90 Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern, insgesamt seien ca. 300 Personen bei McDonald’s erwerbstätig, der größere Teil als Teilzeitbeschäftigte.

Der Anteil ausländischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lag laut Statistik der Gewerkschaft NGG im April 1996 zwischen 46,4 % (Store 2) und 75,8 % (Store 3). Als hauptsächliche Nationalitäten werden Sri-Lanker (Tamilen), Marokkaner, Staatsangehörige des ehemaligen Jugoslawien und Schwarzafrikaner genannt. Flüchtlinge fänden sich vor allem bei den Tamilen und Schwarzafrikanern, zum Teil auch bei den Ex-Jugoslawen. Tamilische Flüchtlinge hätten in der Mehrzahl der Personen den Status von Asylbewerbern oder De-facto-Flüchtlingen, verfügten also noch nicht über eine gesicherte Aufenthaltsperspektive.

Der Kontakt zwischen der Firma und einzelnen ausländischen Arbeitsuchenden werde in der Regel über die jeweiligen Landsleute hergestellt. Bisher seien die von Arbeitgeber und Arbeitnehmern gemeinsam gestellten Anträge auf eine Arbeitserlaubnis vom Dortmunder Arbeitsamt mehr oder weniger anstandslos genehmigt worden. Alle Beschäftigten seien sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das in der Regel angebotene Teilzeitkontingent liege bei 30 Wochenstunden.

Etwa 90 % der Teilzeitbeschäftigten arbeiteten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rotationssystem und seien äußerst niedrig in den Tarifgruppen 1-3 eingruppiert. Unter dem Arbeitseinsatz im Rotationssystem sei eine regelmäßige rollierende Tätigkeit im Gastraum (Restaurant), im Sanitär- und Hygienebereich (einschließlich Toiletten), im Thekenbereich/Kasse und an den Waren- und Getränkestationen (Küche) zu verstehen. Grundsätzlich würden von allen Beschäftigten alle anfallenden Arbeiten verrichtet.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während der ersten zwölf Monate seien in die Tarifgruppe 1 eingruppiert. Sie erhielten gemäß den ab 1.8.1998 festgelegten Entgeltsätzen ein Bruttostundenentgelt von DM 12,27. Nach Ablauf der zwölfmonatigen Anlaufzeit würden sie höher gruppiert in Tarifgruppe 2 (Regeleingruppierung) und erhielten DM 12,66. Bei Teilzeitbeschäftigten würde die Einarbeitungs- und Anlernzeit gegenüber Vollzeitbeschäftigten über 1 Jahr hinaus verlängert, allerdings über nicht mehr als 15 Monate. Nach 30 Monaten der Tätigkeit (bei Teilzeit: 33 Monaten) würden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rotationssystem in die Tarifgruppe 3, mit einem Brutto-Stundenentgelt von DM 13,48, eingestuft. Die Entgeltsätze enthielten insgesamt 12 Tarifgruppen. Das Brutto-Stundenentgelt der höchsten Tarifgruppe 12 liege bei DM 29,35. Nach Einschätzung der Gewerkschaft sind allerdings 90 % aller Beschäftigten als Rotationsarbeiter in die Tarif-

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gruppen 1-3 eingestuft. Der Tarifvertrag lasse im Übrigen zu, dass die Entgelte bis längstens 18 Monate um 10 % gemindert werden dürfen.

Die Verfügbarkeitszeiten der Beschäftigten lägen bei 24 Stunden („rund um die Uhr„) (Betriebsrat). Die Mitarbeiter-Dienstzeiten würden in Schichtplänen für die einzelnen Tage festgelegt. Die notwendigen Reinigungs- und sonstigen Vor- bzw. Nachbereitungsarbeiten seien in ein bis eineinhalb Stunden vor Öffnung bzw. nach Schließung der Stores von den Beschäftigten zu erledigen.

Im Rahmen der Arbeitsrotation bevorzugten Frauen die Arbeit an den Kassen, Männer die Arbeiten im Küchenbereich. Dies hänge auch damit zusammen, dass Männer in der Regel ausländischer Herkunft sind und mit erheblichen Sprachschwierigkeiten zu kämpfen haben. Bei allen Beschäftigten sei die Arbeit im Gästebereich besonders unbeliebt, weil es hier vorrangig um die Entfernung von Schmutz- und Speiseresten gehe.

Es gebe bei McDonald’s keinerlei Ausbildung und keinerlei Sprachkurse, allerdings innerbetriebliche Aufstiegsmöglichkeiten zum „Vorarbeiter„, „Schichtführer„ oder „Assistenten der Restaurantleitung„. Einschlägige betriebliche Weiterbildung bestehe zunächst darin, dass den Beschäftigten unternehmensinterne Broschüren und die sogenannte Mc-Donald’s-Fibel zum Lesen überreicht werden. Am Ende derartiger Lektüren stehe ein Test. Bei erfolgreich bestandenem Test sei eine einwöchige Weiterbildung (Training) in der Regionalverwaltung der Firma in Düsseldorf möglich. Hierauf aufbauend gebe es sodann noch weiterführende Management-Ausbildungsprogramme.

Der hohe Anteil an Ausländern mit nicht-gefestigtem Aufenthaltsstatus erschwere die Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit. Viele dieser Beschäftigten „befürchten negative Auswirkungen, wenn sie sich auf die Gewerkschaft einlassen„ (Gewerkschaftssekretär). Erst recht lehnten sie ein Betriebsratsmandat als für sie zu gefährlich ab.

Unter den beschäftigten „Deutschen„ und „Ausländern„ scheint es kaum Spannungen zu geben. Zu verzeichnen seien „Missverständnisse„ (Betriebsrat) aufgrund mangelnder sprachlicher Kompetenz. Dies betreffe aber auch die „Ausländer-Blöcke„ untereinander, wie z.B. die Gruppe der Tamilen in ihrem Verhältnis zu den Ex-Jugoslawen. Was das Verhältnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den McDonald’s-Kunden angeht, wird bei Kunden immer dann eine niedrige Hemmschwelle verzeichnet, wenn es darum gehe, ausländische Mitarbeiter/innen wegen mangelnder Sprachkenntnisse „anzumachen„ (ders.). Gegenüber dunkelhäutigen Mitarbeitern (Tamilen und Schwarzafrikaner) werde ganz offen „Missachtung„ (ders.) bekundet. Zwischen Tamilen und Schwarzafrikanern habe sich deshalb eine ungewöhnlich starke Solidarität entwickelt. Für alle McDonald’s-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelte, dass sie unter dem ausgeprägten Negativ-Image der Firma leiden.

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5.4 Schulische und außerschulische Angebote für Kinder und Jugendliche*
*[Vgl. zum Folgenden auch Angenendt, S. 1999; Carstensen, C. u.a., Hg. 1998; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998; Apitzsch, G. 1999; Rieker, P. 1999; Reuter, L. R. 2001.]

Erste grundlegende Orientierungen für ein Leben in der Aufnahmegesellschaft und die Befähigung zur sprachlicher Verständigung werden Kindern und jugendlichen Flüchtlingen in den allgemein bildenden Schulen vermittelt. Bundesweit sind deshalb Fördergruppen bzw. Auffangklassen installiert, die Seiteneinsteiger ohne oder mit wenigen Sprachkenntnissen in Deutsch unterrichten. Die Teilnahme an diesem Schulunterricht hat für die Kinder auch eine psychisch stabilisierende Wirkung. Schule bietet die Möglichkeit, zumindest zeitweise den

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beengten Wohnverhältnissen in den Wohnheimen zu entkommen. Hier eröffnen sich Möglichkeiten, Kontakte zu einheimischen Kindern aufzunehmen und somit die soziale Isolierung aufzusprengen.

Weithin brach liegen die Zugangsmöglichkeiten zuwandernder Seiteneinsteiger zu Gymnasien und Gesamtschulen. Förderklassen für bestimmte Sprachgruppen, wie zum Beispiel Türkisch oder Russisch, die es hier und da gegeben hat, mussten angesichts verknappter Ressourcen eingestellt werden bzw. wurden seitens der Schulaufsicht regelrecht untersagt. Somit herrsche an Gymnasium das „Gesetz des Darwinismus„, so ein erfahrener Schulleiter. Nur diejenigen Seiteneinsteiger, die über hinreichende außerschulische Förderung bereits verfügen, haben die Chance, die gymnasiale Oberstufe erfolgreich zu bestehen. Einziger mildernder Umstand: besorgte und engagierte Pädagogen an Gymnasien und denjenigen Hauptschulen, in denen Auffangklassen für Seiteneinsteiger eingerichtet sind, entwickeln informelle Kontakte und beraten sich wechselseitig. So kann es vorkommen, dass solche Kinder von Flüchtlingen, die noch in einer Hauptschule eingeschrieben sind, dennoch probeweise eine gymnasiale Regelklasse besuchen. Ihnen ist somit die Möglichkeit gegeben zu testen, ob bisher erzielte Sprachkenntnisse im Deutschen für den Besuch des Gymnasiums ausreichen. Eine sog. Feststellungsprüfung in der Muttersprache kann sodann die ersatzlose Befreiung vom Unterricht in der Pflichtfremdsprache zur Folge haben.

Weithin brach liegt sodann der Übergang von der Schule zum System beruflicher Bildung. Hier greift wiederum das Arbeitsgenehmigungsrecht, das auch die Heranwachsenden aus dem Kreis der Asylbewerber/innen im Verfahren sowie der De-facto-Flüchtlinge vom Ausbildungsmarkt ausschließt.

Hier fanden wir lediglich zwei Ausnahmen für bestimmte Teilgruppen. Zum einen unbegleitete jugendliche Flüchtlinge, soweit sie vom Christlichen Jugenddorfwerk (CJD) internatsmäßig betreut und in eigene Lehrwerkstätten aufgenommen werden. Sie werden hier ausgebildet und später von den Dienstleistungsbetrieben des Jugenddorfwerkes übernommen. Zum anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Modellversuch einer zweijährigen Vollzeitschule für ausländische Jugendliche mit geringen Deutschkenntnissen. Diesen berufsschulischen Ausbildungsgang zeichnet aus, dass er für alle Statusgruppen jugendlicher Migranten und Migrantinnen geöffnet ist. Er wurde erstmals im Schuljahr 1990/91 an Gewerblichen Schulen der Stadt Dortmund durchgeführt, und zwar mit besonderer Gewichtung der sprachlichen Förderung neben der Vermittlung beruflicher Grundqualifikationen und der Befähigung zur Aufnahme einer Berufsausbildung. Es handelt sich um eine ziel- gruppenspezifische Variante des Berufgrundschuljahres samt Vorklasse. In die Vorklasse eintreten können eingewanderte Schülerinnen und Schüler, die die Vollzeitschulpflicht erfüllt haben, aber nicht über den Hauptschulabschluss der Klasse 9 verfügen. In das Berufsgrundschuljahr können Schüler und Schülerinnen eintreten, die die Vollzeitschulpflicht erfüllt haben, schon über genügende Kenntnisse in der deutschen Sprache verfügen und entweder die Vorklasse erfolgreich besucht haben oder den Hauptschulabschluss der Klasse 9 vorweisen können. Die Schülerinnen und Schüler sind zwischen 16 und 19 Jahre alt und weisen herkunftsbedingt verschiedene Voraussetzungen auf. Im Einzelnen handelt es sich um

  • Schüler/innen aus Griechenland, Marokko, Italien, Portugal und der Türkei, die überwiegend in Deutschland zur Schule gegangen, z. T. aber auch später nachgezogen sind,

  • Schüler/innen aus Polen und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion,

  • Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende aus Bosnien, Kroatien, Afghanistan, Sri Lanka, dem Iran und verschiedenen afrikanischen Staaten.

Am Anfang steht das Erlernen der deutschen Sprache. Angeboten werden Intensivkurse in kleinen Lerngruppen, differenziert nach dem Sprachstand der Schülerinnen und Schüler. Darauf aufbauend werden berufliche Grundqualifikationen in einer Reihe von Berufsfeldern

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vermittelt. Insgesamt wird das Erlernen der deutschen Sprache eng verknüpft mit dem Erlernen handwerklicher Praxis. Interessierte Schülerinnen und Schüler haben zusätzlich die Möglichkeit, Englisch zu lernen.

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5.5 Flüchtlinge in der Schattenwirtschaft

Die bisher referierten statistischen Daten und Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung beziehen sich ausschließlich auf die Großgruppe derjenigen Fluchtmigranten, die über einen – noch so prekären – Aufenthaltsstatus verfügen und, sofern erwerbstätig, mit einer Arbeitserlaubnis ausgestattet sind.

Über die Teilgruppe derjenigen, die über derart rechtliche Zugangsvoraussetzungen zum Arbeitsmarkt nicht verfügt, ist nur sehr wenig bekannt. ["Die illegale Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitserlaubnis entzieht sich ihrem Wesen nach einer statistischen Erfassung" (Beauftragte der Bundesregierung 1997a: 50).]
Statistiken gibt es nur zu den Personen, die beim irregulären Grenzübergang aufgegriffen werden; sodann zu den von der Bundesanstalt für Arbeit anlässlich deren Kontrollen festgestellten Rechtsverstößen. [Vgl. Lederer, H.W. u. Nickel, A. 1997: 35ff.; Beauftragte der Bundesregierung 1997 a: 317ff. und 1997 b: 50 f.] Damit ist auch kaum zu durchschauen, welchen Anteil irregulär erwerbstätige Fluchtmigranten an der Gesamtgruppe der so genannten Illegalen haben. Schätzungen zur Zahl der Gesamtgruppe schwanken zwischen 500.000 und 1 Mio. (vgl. z.B. Cyrus o. J.: 1).

Eine für das Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeitete Expertise [Vgl. Lederer, H. W. u. Nickel, A., Anm. 115.] nennt insgesamt 18 Fallkonstellationen, die im Kontext illegaler Ausländerbeschäftigung von besonderer Relevanz seien, darunter nur drei mit Fluchtmigranten: Rechtskräftig abgelehnte und zur Ausreise verpflichtete Asylbewerber, sodann solche Asylbewerber, die noch während des Verfahrens aus dem Wahrnehmungskreis des BAFl verschwinden, schließlich nicht-registrierte Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Jörg Alt dokumentierte und kommentierte eine Reihe einschlägiger Einzelfälle in Leipzig (1999: 233 ff.). Hinzu kommen solche Asylbewerber und De-facto-Flüchtlinge, die zwar über einen nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt verfügen, aber faktisch legale Arbeit nicht finden.

Alle einschlägigen Untersuchungen verdeutlichen die strukturell bedingte Erpressbarkeit statusloser Erwerbstätiger. Vereinbarte Niedriglohn-Stundensätze werden häufig nicht eingehalten bzw. ausgezahlt. Die allgemeine Lebenssituation dieser Migranten und Flüchtlinge ist bestimmt von der Angst vor Entdeckung und Abschiebung, was unter anderem zur Folge hat, dass Wohnungen häufig gewechselt und Untermietverhältnisse in Privatwohnungen gesucht werden müssen oder der Zwang besteht, in Wohnungen von Freunden und Bekannten zu leben. Es fehlen reguläre Möglichkeiten medizinischer Behandlung. Es gibt keinerlei materielle Absicherung gegen verschiedene Lebensrisiken. Es gibt keinen Schutz gegen Angriffe auf Leib, Leben und Eigentum. [Vgl. Bundeskongreß Entwicklungspolitische Gruppen (BUKO) 1995; Zentralamerikakomitee (ZAK) Tübin gen 1996; von Loeper, D. A. 1995 bis 1998; Erzbischöfliches Ordinariat Berlin 1997; Alt, J. 1999; Alt, J. u. Fodor, R. 2001; Die deutschen Bischöfe – Kommission für Migrationsfragen 2001.]


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