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4. Instanzen und Akteure im Prozess sozialer Integration

Die Mehrheit der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Flüchtlinge ist nicht „bleibeberechtigt„ im Sinne asyl- und ausländerrechtlicher Regularien. Diese Mehrheit ist somit weit entfernt von einem Zustand gesellschaftlicher Eingliederung, der als „gleichberechtigte und gleichrangige Beteiligung an den Chancen und Möglichkeiten„ der Aufnahmegesellschaft definiert werden könnte (vgl. Esser, H. 1998: 21).

Der rechtliche Ausnahmezustand, der über sie verhängt ist, behindert Prozesse sozialer Integration. Sie gilt als unerwünscht. Ganz zu verhindern vermag er sie dennoch nicht. Denn Fluchtmigranten müssen, wie alle Zuwanderer in einer ihnen fremden Aufnahmegesellschaft, „eine Sprache lernen, Verkehrsregeln einüben, wissen, wie man Rechnungen bezahlt und telefoniert, oder was man tun kann, wenn man krank wird„ (Heckmann, F. 1991: 167). Sie müssen wissen, wo die Kinder zur Schule gehen und welches öffentliche Verkehrsmittel sie nutzen können, wenn sie einen Punkt im Stadtzentrum erreichen wollen. Heckmann spricht in diesem Zusammenhang von „Akkomodation„ als funktionalem Lern- und Anpassungsprozess, der für die Handlungsfähigkeit im neuen gesellschaftlichen Umfeld unverzichtbar ist.

Aufbauend auf derart elementare Lernvorgänge entfalten sich – ob gewollt oder nicht – Prozesse einer weiterreichenden sozialkulturellen Annäherung, die auch zu Veränderungen in den jeweiligen Werthaltungen, Kommunikationsformen, Rollenmustern und Lebensstilen führen kann. Soziologen sprechen in diesem Zusammenhang von „Akkulturation„, die in einem Wechselverhältnis zu sehen ist mit Prozessen sozialstruktureller Integration: der Suche nach einer sozialen Stellung, einem Status im System der Aufnahmegesellschaft. [Hartmut Esser spricht in diesem Zusammenhang von "Sozialintegration" und "Platzierung" (2001: 67 ff.).]

Interaktionspartner der Aufnahmegesellschaft sind in diesem Zusammenhang Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Wohlfahrtsverbände, die in den staatlichen wie kommunalen Großunterkünften tätig werden. Sie wirken als Helfer in vielfältigen Problemlagen, die sich aus dem Zusammenleben in einer beengten Großunterkunft ergeben, als Vermittler von Orientierungswissen über die Aufnahmegesellschaft und das jeweilige lokale Umfeld, als Berater im Asylverfahren oder jedenfalls Vermittler von Beratungskompetenz und als Kontaktpersonen zu weiteren Kontaktkreisen. Als weitere Kontaktkreise sind zu nennen die Initiativgruppen und Partnerschaftskreise von Bürgerinnen und Bürgern, die sich ihrerseits auf die soziale Infrastruktur örtlicher Kirchengemeinden, Parteigliederungen, Menschenrechtsorganisationen und andere Netzwerke der Flüchtlingshilfe stützen können [In diesem Zusammenhang favorisieren wir die Kategorie "bürgerschaftliches Engagement". Ohne näher auf die soziologischen und sozialpolitischen Debatten über die Sozialstaatskrise oder über gesellschaftliche Desintegrationstendenzen eingehen zu können (vgl. z.B. Häußermann, H. u. Oswald, J., Hg. 1997; Heit meyer, W., Hg. 1997; Herkommer, J., Hg. 1999): Die vielfach beschworene Notwendigkeit, mittels Ent wick lung, Förderung und Ausweitung von ehrenamtlicher Tätigkeit, Freiwilligenarbeit und/oder bürger schaft lichem Engagement einer diagnostizierten Erosion gemeinschaftsbezogener Wert- und Leitvor stel lungen entgegen zuwirken, zielt auf ein auch für unser Thema wichtiges Moment gesellschaftlicher Praxis. Unter bürgerschaftlichem Engagement verstehen wir demnach eine Variante solidarischen Handelns, die sich primär im lokalen Zusammenhang äußert und in selbstbestimmter wie selbstorganisierter Weise auf Belange, die das Gemeinwesen berühren, reagiert. Im Unterschied zur klassischen ehren amtlichen Tätigkeit oder zur Freiwilligenarbeit im Kontext von Verbänden, Parteien oder Kirchen ist das bürgerschaftliche Engagement stärker projektartig ausgerichtet und mit der Haltung verbunden, sich in bestimmte Problem konstellationen einzumischen. "Es kommt dabei nicht auf die Zustimmung und den Beifall anderer Menschen an, mindestens potentiell aber auf die Anerkennung, dass etwas im gemeinsamen Interesse getan wird" (Wendt, W.R. 1996: 19). Bürgerschaftlich engagierte Menschen ergreifen somit dort, "wo sie Handlungsbedarf sehen, Partei, gründen Projekte, starten Initiativen, weisen auf Missstände hin. Niemand hat sie qua Amt legitimiert oder zu ihrem Tun beauftragt" (Born, G. 1997: 5).],
teils aber

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auch selbst zu lokalen, regionalen und bundesländerweiten Flüchtlingsräten vernetzen, die sich auf Bundesebene zu „Pro Asyl„ zusammengeschlossen haben [Vgl. die umfänglichen Adressenverzeichnisse in: Pro Asyl 2001 und Woge e. V./Institut für Soziale Arbeit e.V., Hg.: 1999: 664 ff.; vgl. auch die Kurzbeschreibungen einiger Netzwerke der Flüchtlingshilfe in: Förder verein Niedersächsischer Flüchtlingsrat 2000: 86 ff.; zur Entstehungsgeschichte von Pro Asyl vgl. Pro Asyl 1996.].
Des Weiteren sind zu nennen die professionellen sozialen Akteure im Stadtteil, also zum Beispiel Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, Lehrerinnen und Lehrer, Pfarrerinnen und Pfarrer und die Sachwalter sozialer Dienste in der Kommune.

Zusammen konstituieren die genannten Akteurgruppen so genannte Runde Tische und lokale Flüchtlingsräte, die die Kompetenz aller Beteiligten zusammenführen. Sie stellen gleichzeitig einen Brückenschlag her zu denjenigen Teilen der lokalen Einwohnerschaft, die sich gegen die Einrichtung von Unterkünften für Flüchtlinge wenden und/oder gegenüber der Zuwanderung von Flüchtlingen skeptisch bis feindlich eingestellt sind. [Vgl. hierzu auch Kühne, P. u. Rüßler, H. 2000: 19 ff.]

Interaktionspartner der ersten Stunde sind aber auch Landsleute und hier besonders: Angehörige der eigenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften oder auch Exilparteien am Ort, die Flüchtlingen mit Rat und Tat zur Seite stehen und gleichzeitig den Kontakt zu bereits bestehenden Selbstorganisationen vermitteln.

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4.1 Die Wohlfahrtsverbände

Um zunächst auf die Rolle der Wohlfahrtsverbände [Arbeiterwohlfahrt, Caritasverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Paritätischer Wohl fahrts verband.] einzugehen: Die Übernahme von Betreuungs- und Beratungsaufgaben für Flüchtlinge reiht sich ein in ein Kontinuum langjähriger Erfahrungen dieser Verbände mit der Betreuung von Zuwanderern.

Diese Betreuung vollzieht sich in Kooperation, gelegentlich auch im Konflikt mit der kommunalen Sozialverwaltung. [Kommunale Sozialarbeit konzentriert sich gegenüber der verbandlichen Sozialarbeit auf die Umsetzung rechtlicher und administrativer Aufgaben. "Wir haben Gesetze umzusetzen, ein freier Wohlfahrtsverband kann Gesetze kritisieren" (Sozialamts vertreter). Die derart eingegrenzte Aufgabenstellung sieht Beratungen und Hilfen nach dem Bundes sozialhilfegesetz (BSHG) oder dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vor, des weiteren Beratungen und Hilfen im Rahmen der Familienfürsorge unter Einbeziehung von Kinder- und Jugend hilfemaßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) sowie gesundheitliche Beratungs- und Hilfsaufgaben. Ihrer eigenen, wie auch der Wahrnehmung der Verbandssozialarbeiter nach, übt sie "eine Doppelfunktion aus" (Sozialarbeiter). Zum einen eine Betreuungsfunktion, zum anderen eine "Kontrol lfunktion" . Letztere besonders im Zusammenhang mit den Bedürftigkeitsüberprüfungen in Privat wohnungen. Demgegenüber können sich die Verbandssozialarbeiter als Anwälte der Fluchtmigranten be greifen und stärker klientelorientiert auftreten. Hinzukommt, dass sich kommunale Flücht lings sozial arbeiter oft mals in der Rolle eines "Blitzableiters vor Ort" (Sozialarbeiterin) sehen müssen. Dies gilt ganz besonders in Verbindung mit Leistungskürzungen, die unter anderem durch Neuregelungen des Asyl bewerber leis tungs gesetzes (AsylbLG) fällig wurden – wie z.B. die Ausweitung des Kreises der unter das AsylbLG fallenden Leistungsberechtigten auf Bürgerkriegsflüchtlinge mit einer Aufenthaltsbefugnis gem. §32 AuslG und die Erhöhung der Zeitspanne der abgesenkten Leistungen von einem Jahr auf drei Jahre. Qua Berufsrolle haben die kommunalen Flüchtlingssozialarbeiter diese massiven Verschlechterungen mit umzusetzen. So gesehen verwundert es nicht, dass ihnen bei ihren (Haus-)Besuchen hier und da "Angst" und "Empörung" (Sozial arbeiter) entgegenschlagen und sie sich deshalb selbst auch als "Blitzableiter" wahr nehmen.]
In NRW wird sie kommunal bzw. staatlich refinanziert. Hieraus ergeben sich vertraglich fixierte Zielsetzungen, die das Ziel einer sozialen Integration (noch) nicht anerkannter Flüchtlinge eher ausschließen. So ist beispielsweise die Rede von

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„praktischen Hilfen zur Lebensführung„ für die Dauer einer Unterbringung von Flüchtlingen. Des Weiteren wird angestrebt, „im Umfeld der jeweiligen Einrichtungen die notwendige Akzeptanz zu erreichen, um somit ein sozialverträgliches Betreiben der Einrichtungen zu gewährleisten„. [Beschluss des Rates der Stadt Dortmund vom 28.01.1991.]

Dafür werden den Wohlfahrtsverbänden folgende Aufgaben zugewiesen:

  • „Koordination bestehender Angebote von Kirchengemeinden, Verbänden, Vereinen etc.

  • Einberufung bzw. Fortführung sog. Runder Tische zur weiteren Kontaktpflege mit dem Umfeld,

  • Orientierungshilfen für neuankommende ausländische Flüchtlinge und Asylbewerber,

  • Hilfen in der praktischen Lebensführung. Angebote zur Freizeitgestaltung,

  • Motivation, Schulung, Einsatz von am Ort befindlichem Helferpersonal in enger Zusammenarbeit mit Gemeinden, Verbänden, aber auch ehrenamtlichen Helfern„. [ebd.]

Innerhalb eines derart gesteckten engen Rahmens bleibt Sozialarbeit der Wohlfahrtsverbände darauf bedacht „die Rechte der Flüchtlinge zu sichern und sie – zumindest in kleinen Schritten – durch Sachinformation, Vermittlung von Kulturtechniken und Orientierungshilfen„ darin zu unterstützen, ihre Lebensführung „so weit wie möglich autonom zu gestalten„ (Meinhardt, R., Schulz-Kaempf, W. 1994: 24). Dies besagt zugleich, dass verbandlicher Flüchtlingssozialarbeit daran gelegen ist, ihre „Klientel„ zumindest „heimlich„ zu integrieren, „damit sie sich hier zurechtfinden und ihr Fluchtschicksal bearbeiten können. Dazu gehört: die Sprache lernen, den Rechtsweg begreifen, der richtige Umgang mit der Administration, die Einschulung der Kinder u. a. m.„ (Börsch, E. 1993: 503). Als typische Formen eingeführter Sozialarbeit bieten sich hierbei die Einzelfallhilfe bzw. -beratung, gruppenbezogene Unterstützungs- und Freizeitangebote und Gemeinwesenarbeit an.

Einzelfallhilfe

Anforderungen an die Einzelfallhilfe ergehen in Rechts- und Aufenthaltsangelegenheiten, bei Fragen zu Unterbringung und zum materiellen Lebensunterhalt, in Gesundheits- und Familienangelegenheiten. Dazu im Einzelnen:

Rechts- bzw. Aufenthaltsangelegenheiten: Die Betreuungsarbeit hierzu erstreckt sich vor allem auf die Herstellung von Kontakten bzw. die Begleitung zu Behörden und Gerichten, die Vermittlung an Rechtsanwälte und die Erläuterung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen. Bei sprachlichen Problemen werden Übersetzungshilfen gegeben oder Dolmetscher herangezogen. Bei jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtlingen haben Weiterwanderungs- bzw. Rückkehrangelegenheiten einen hohen Stellenwert.

Fragen zur Unterbringung und zum materiellen Lebensunterhalt: Infolge des oftmals langen und beengten Zusammenlebens in den Wohnheimen kommt es immer wieder zu Spannungen der Bewohner untereinander. Um diese zu mildern ist man bemüht, insbesondere bleibeberechtigten, kranken oder behinderten Flüchtlingen bei der Wohnraumsuche (außerhalb des Heimes) zu helfen. Zugunsten derjenigen, deren Alimentierung unter das Sachleistungsregime fällt, sind Interventionen zur Versorgung mit ausreichenden und adäquaten Lebensmitteln erforderlich. Notwendig sind außerdem Hilfen bei Problemen mit dem Sozialamt. Zudem werden – gemeinsam mit den Initiativgruppen in den Stadtteilen – Sachspenden (Kleider, Kinderspielzeug, etc.) zusammengetragen und an die Bedürftigen in den Häusern verteilt.

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Weiterhin kommt es vor, dass Flüchtlinge mit Bußgeldbescheiden (meistens wegen Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln) ins Büro kommen und nicht in der Lage sind, diese zu begleichen: Aufgabe des Sozialarbeiters ist es hier, mit den zuständigen Behörden eine der finanziellen Situation des Flüchtlings angemessene Ratenzahlung zu vereinbaren. Unter dem Sachleistungsregime ist „der Drang der Bewohner, Arbeit zu finden, Geld zu verdienen, eine Perspektive hier zu finden, sehr stark„ (Sozialarbeiterin). Von daher geht es in den Hilfegesprächen nicht selten um das Thema Arbeit und den Wunsch nach Erhalt einer Arbeitserlaubnis.

Gesundheitsangelegenheiten: Belastungssituationen, wie körperliche und seelische Gebrechen durch kriegerische Einwirkungen, Folter, Vergewaltigung, Verfolgungs-, Kriegs-, Trennungs- und/oder Verlusterlebnisse, denen Flüchtlinge oftmals ausgesetzt waren (bzw. sind), führen in der Einzelfallarbeit häufig dazu, gesundheitliche Maßnahmen einleiten zu müssen. Konkret stehen hier an die Vermittlung von ärztlichen Behandlungen, einschließlich (sozial-)therapeutischer und psychiatrischer Maßnahmen. Sodann: Herstellung von Kontakten zu Pflegediensten und Versorgungsämtern. Belastungsfaktoren im Aufnahmeland tragen ihrerseits dazu bei, dass sich die psychosoziale Befindlichkeit zahlreicher Flüchtlinge in den Übergangsheimen zunehmend verschlechtert. Zu nennen sind beispielsweise: der Ausschluss vom Arbeitsmarkt [Die Ausgrenzung der Flüchtlinge und Asylbewerber vom Arbeitsmarkt ist eine verordnete Untätigkeit. Sie verstärkt die soziale Isolation. Dies kann "je nach Charakter und Bildungsgrad zuweilen zu Selbstmitleid, Aggression, Rückzug in ethnisch/politische oder ethnisch/religiöse Subkulturen, Aufbau von selbst recht fertigenden Scheinwelten oder auch zum Start von Sucht- (Alkohol, Spiel, Rauschgift) oder Krimi nali tätskarrieren" führen (Blahusch, F. 1991: 51).], der ungesicherte Aufenthaltsstatus, wohnheimbedingte Stressmomente (soziale Konflikte, Wohnraumenge, unzureichende Sachmittelversorgung etc.), Heimweh und schlechte Nachrichten aus dem Herkunftsland, die bevorstehende Abschiebung. Die auftretenden psychosozialen Probleme äußern sich auch bei Kindern in Verhaltensauffälligkeiten und massiven Schulschwierigkeiten.

Familienangelegenheiten: Weitere Einzelfallhilfen beziehen sich auf Familien und deren spezifische Probleme. Es geht vor allem um Konfliktberatung (bei Streitigkeiten zwischen (Ehe-)Partnern oder bei Schwierigkeiten mit den Kindern), Schwangerschaftsberatung sowie um Hilfen in Erziehungsangelegenheiten der Kinder/Jugendlichen (Kindergarten, Schule, Berufsausbildung etc.). Besonders die Frauen seien „das schwächste Glied in der Kette„ (Sozialarbeiterin); deshalb benötigten sie mehr Hilfe als die Männer, die eher außenorientiert seien. Oftmals stehen die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt der sozialarbeiterischen Betreuungsarbeit. Dies nicht nur bei der Beschaffung eines Kindergartenplatzes oder ihrer Eingliederung in eine Schule. Einen beispielhaften Einblick in familiale Problemkonstellationen vermag der folgende Erfahrungsbericht einer Sozialarbeiterin zu geben: „Die meisten Personen leben jetzt vier Jahre hier; bei den Familien gehen die Kinder zur Schule und in den Kindergarten. Sie lernen relativ schnell Deutsch und passen sich auch relativ schnell an. Sie finden sich zurecht und sind in der Schule bzw. in der Klasse eigentlich auch integriert. Dann kommen sie wieder zurück und ihr Leben hier spielt sich auf einem engen Zimmer ab. Der Vater, das Familienoberhaupt, ohne Arbeit; er fühlt sich in seiner Rolle völlig entmachtet. Die Frau kann größtenteils ihre Hausarbeitsrolle ausüben. Manchmal ist sie die Einzige, die Geld nach Hause bringen kann – durch eine Putzstelle. In den Familien wird die Heimatsprache gesprochen; die Kinder sprechen Deutsch und werden leider viel zu oft als Dolmetscher benutzt. Die Kinder sprengen das gewohnte Leben der Familie auf. Wenn zum Beispiel Mädchen in die Pubertät kommen, dann wird es ganz, ganz schwierig. Es werden Bedürfnisse geweckt, sie möchten Geld haben, um sich bestimmte Klamotten zu kaufen, sie möchten mit andern mal zu McDonald’s gehen. Das kann dann so weit führen, dass ein Vater seiner Tochter nachspioniert. Es entgleiten den Eltern die eigenen Normen und Werte. Sie

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fühlen sich bedroht. Das kann darin gipfeln, dass die Kinder vom Vater geschlagen oder in den Zimmern festgehalten werden„.

Gruppenbezogene Unterstützungs- und Freizeitangebote

Als solche sind zu nennen hauseigene Deutsch-Sprachkurse; Kinder- und Jugendbetreuungsmaßnahmen: Hierzu zählen (Klein-)Kindbetreuungen, Hausaufgabenhilfen für Schüler und sportliche bzw. spielerische Betreuungsangebote; spezielle Gruppenangebote wie Fahrradwerkstätten, Frauengruppen und Mutter-Kind-Gruppen; eine Vielzahl von situationsbezogenen Aktivitäten: Orientierungsmaßnahmen für neu ankommende Flüchtlinge, spezielle Informationsveranstaltungen (z.B. über Rückkehr- und Weiterwanderungsbedingungen für Bosnier), Hausfeste, Ferienfreizeiten für Kinder, Fußball- und Kricket-Turniere etc.

Gemeinwesenarbeit

Gemeinwesenarbeit schließlich weitet den professionellen Zielgrupppen-Bezug aus auf die ansässige Wohnbevölkerung in den Stadtteilen und Gemeinden. Hier hat die Koordination bestehender Angebote von Kirchengemeinden, Verbänden, Vereinen etc., die Initiierung bzw. Unterstützung bürgerschaftlicher Initiativgruppen sowie Motivation, Schulung und Einsatz von am Ort befindlichem Helferpersonal einen eigenen hohen Stellenwert. Allgemein formuliert geht es bei Gemeinwesenarbeit um eine öffentliche und „kollektive Problembearbeitung„ (Oelschlägel, D. 1994: 13) unter Einbeziehung von Gruppen aus dem örtlichen Milieu. Mit dieser Arbeit wird das sozialräumliche Vor-Ort-Milieu als Ganzes in den Blick genommen und zu gestalten versucht.

Schließlich nehmen Verbands-Sozialarbeiter/innen – neben ihrer Rolle als Milieuarbeiter eine bestimmte Mittlerrolle wahr. Dies gilt zum einen für das Verhältnis der Flüchtlinge zu den Exekutoren gesetzlich administrativer Regelungen. Hier sehen sich Verbandssozialarbeiter/innen überwiegend als Anwälte der Flüchtlinge („die haben es verstanden, dass ich auf ihrer Seite bin„, so ein Sozialarbeiter); unter Inkaufnahme auch von Konflikten versuchen sie, zugunsten ihrer „Klientel„ Ermessensspielräume auszuloten und/oder Hilfen zu mobilisieren. Die vielfältigen Restriktionen, mit denen Flüchtlinge konfrontiert sind, werden so – wenigstens teilweise – gemildert.

Dies gilt zum anderen für verschiedene gruppenbezogene Konfliktkonstellationen zwischen ethnischen/nationalen Gruppen in den Unterkünften bzw. zwischen Bewohnern untereinander. Häufig genannt werden: Beengtes Zusammenleben über Jahre hinweg, Veränderungen in der Bewohnerzusammensetzung durch Fluktuationen und administrativ veranlasste Umsiedlungen, Streitigkeiten über die Reinigung von gemeinschaftlich genutzten Räumen. Ein häufiger Streitpunkt, insbesondere zwischen Familien und Alleinstehenden, ist die Nichteinhaltung der von den Hauswarten aufgestellten Reinigungspläne. Insbesondere Mütter beklagen sich darüber, dass allein stehende Männer „sich nicht an den Reinigungsplan halten und ihnen die Arbeit überlassen. Die Männer übernehmen die Reinigungsarbeiten häufig nicht, weil sie das Wohnheim nicht als ihr ‚Eigentum‘ ansehen und sich deshalb auch nicht dafür verantwortlich fühlen. Ein aufgrund der kulturellen Herkunft unterschiedliches Hygienebewusstsein kann ebenfalls dazu führen, dass es zu Beschwerden über den hygienischen Zustand kommt„ (Boekholt, R. 1998: 43). Zudem wirken sich mehr und mehr auftretende bauliche Mängel an und in den Übergangsheimen konfliktverschärfend aus. Dringend notwendige Renovierungsarbeiten bleiben aus (mitbedingt durch den Personalabbau im Hausmeisterbereich). Man kann von „struktureller Vernachlässigung„ der Wohnheime durch die Sozialverwaltungen der Kommunen sprechen.

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Unabhängig davon würden unter den Bewohnern ethnisch geprägte Hierarchiekämpfe ausgetragen: „Unter den verschieden Nationalitäten im Haus gibt es eine Hackordnung, eine Hierarchie, unten sind die Afrikaner, die Chinesen sind ganz neutral und oben sind im Moment die Kosovo-Albaner; die Kurden halten aber auch stark zusammen und üben Einfluss aus„ (Sozialarbeiterin). Manchmal gebe es sogar „einen regelrechten Rassismus im Übergangsheim„ (Sozialarbeiter), von dem zumeist die Schwarzafrikaner betroffen seien.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass Flüchtlingssozialarbeit nur unter der Voraussetzung breit gefächerter fachlicher und sozial-kommunikativer Kompetenzen geleistet werden kann. Erforderlich sind z.B. umfängliche Rechtskenntnisse, Kommunikations- und Einfühlungsvermögen, interkulturelle Kompetenzen, Teamfähigkeit, sozialpädagogische Fertigkeiten, psychologische Kenntnisse, Verständnis von Verwaltungsvorgängen im Kontakt mit Behörden, Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Reflexionsvermögen (etwa im Umgang mit eigenen Vorurteilen), Frustrationstoleranz und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein.

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4.2 Bürgerschaftliche Initiativgruppen

Im Unterschied zur etablierten Sozialarbeit der Wohlfahrtsverbände geht es den vor Ort engagierten Bürgerinnen und Bürgern um mehr als bloß „heimliche Integration„ der Flüchtlinge. Sie wollen die Einbeziehung dieser Menschen in das örtliche bzw. nachbarschaftliche Gemeinwesen. Ihre Bemühungen um die Flüchtlinge soll deshalb Lücken füllen, die Staat, Kommune und Wohlfahrtsverbände offen lassen. Die genauere Betrachtung des bürgerschaftlichen Wirkens zeigt, dass sich auch hier verschiedene Tätigkeitsfelder unterscheiden lassen, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird:

Maßnahmen unmittelbarer erster Hilfe

Hierzu gehören zunächst eine Reihe von Sammelaktivitäten. Zahlreiche Gegenstände und Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs sowie Hausrat zur Verbesserung der räumlichen Ausstattung der Gemeinschaftsräume und -küchen werden von Bürgerinnen und Bürgern eingesammelt und herbeigeschafft, wie etwa: Kleiderspenden, Bettwäsche, Kinderwindeln und -wäsche, Hygieneartikel, Möbel, Kinderspielzeug, Briefmarken, Telefonkarten, Gardinen, Küchengeräte und vieles mehr. Nicht selten konnten durch entsprechende Spendenaufrufe Fahrräder, insbesondere Kinderfahrräder, an die Flüchtlinge verteilt bzw. für einen geringen (symbolischen) Geldbetrag verkauft werden. Und hie und da fanden sich in den bürgerschaftlichen Initiativgruppen auch Personen, die den Flüchtlingen regelmäßig Reparaturhilfsdienste anboten.

Zur Verbesserung der räumliche Mobilität wurden den Heimbewohnern übertragbare Tickets zur Benutzung von Bus und Bahn bereitgestellt, die mittels Geldspenden beschafft werden konnten. Die Summe der Geldspenden, die von Flüchtlingshelfern entweder aus deren eigenen Portemonnaies und/oder durch Einwerbung von Geldern zusammengetragen wurde und wird, ist hoch, aber nicht exakt quantifizierbar.

Neben verschiedenartige Spenden- und Sammelaktionen treten Orientierungshilfen („wo ist die Bushaltestelle, wie kommt man in die Stadt„) und die Begleitung der Flüchtlinge bei Behörden- und Arztbesuchen.

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Angebote für Frauen, Kinder und Jugendliche

Da ein nicht unerheblicher Anteil der Flüchtlinge in familiären Verhältnissen lebt, sind Hilfen für Familien zugleich wirksame Hilfen für Einzelne, besonders für Frauen, Kinder und Jugendliche. „Frauen„, so eine Helferin, „benötigen„, mehr als die Männer „einen Vermittler; weil die Männer, die sind tagsüber weg, die Frauen aber leben wirklich wie eingeschlossen„. Vor allem aber sind es die Kinder, die nach Ansicht unserer Interviewpartner immer der Vermittlung und vielfältiger Hilfen bedürfen, denn „die können doch am wenigsten etwas für ihre beschissene Situation„.

An konkreten integrationsorientierten Maßnahmen, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richten, lassen sich folgende nennen: Kontaktaufnahme zu Kindergärten und Schulen, Organisation von Kleinkindgruppen in den Unterkünften, Anleitung zu sportlichen und spielerischen Betätigungen (einschließlich deren Voraussetzungen, der Anschaffung von Spiel- und Sportgeräten), die Planung und Durchführung verschiedener Feierlichkeiten, wie zum Beispiel zu Nikolaus und zu Weihnachten, Einladung zu Kinder -und Jugendfreizeiten (Zeltlager, Ferienaufenthalte) der Kirchengemeinden und/oder Jugendverbände.

Viele der in den kommunalen Flüchtlingsunterkünften lebenden Kinder haben Aufnahme in Kindergärten gefunden, die von Kommunen oder von den freien Trägern (Kirchen, Wohlfahrtsverbände) betrieben werden. In seltenen Fällen (wenn z.B. die Eltern bzw. ein Elternteil schwer und dauerhaft erkrankt ist) werden Kleinkinder auch in Kindertagesstätten aufgenommen. Dies hätte auch verweigert werden können. Jedenfalls wäre es möglich gewesen, das geltende Kinder- und Jugendhilfegesetz restriktiv auszulegen. Es gereicht den Trägern der verschiedenen Einrichtungen zur Ehre, dass dies nicht geschah. Ergänzend dazu werden Kindern und Jugendlichen in den Übergangswohnheimen Angebote sozialer Betreuung und Förderung gemacht.

Des Weiteren führen Mitglieder der Bürgerschaftsgruppen selbstorganisierte Hausaufgabenhilfen durch. Im Rahmen dieser Aktivitäten knüpfen sie zudem Kontakte zu „den entsprechenden Schulen und Lehrkräften„ (Helferin). Hier und da ergeben sich derartige Kontakte auch über Lehrerinnen und Lehrer, die an einer Schule im Stadtteil beschäftigt sind und gleichzeitig im Partnerschaftskreis ehrenamtlich mitwirken. So haben beispielsweise in einer Initiativgruppe Grundschullehrer „von Anfang an mitgearbeitet und haben auch die erste Informationsveranstaltung im Stadtteil miterlebt mit den pogromartigen Stimmungen. Und unser Schulleiter hat da schon beschlossen, unbürokratisch und schnell über das Schulamt eine Auffangklasse zu organisieren. Ja, dann war von uns Schularbeitenhilfe zu organisieren„ (Lehrerin).

Vermittlung sozialer Kontakte und von Beschäftigungsmöglichkeiten

Wichtiges Forum der Begegnung von Flüchtlingen und Einheimischen sind zum einen jährlich durchgeführte Sommerfeste, die in und rund um die betreffenden Flüchtlingsunterkünfte veranstaltet werden. Hier entstanden bzw. entstehen auch persönliche, ja freundschaftliche Beziehungen zwischen deutschen Anwohnern und Heimbewohnern: „An diesem lebendigen Nachmittag sind viele Kontakte entstanden. Wenn die Flüchtlinge ein bisschen Deutsch oder Englisch konnten und Leute aus unserem Arbeitskreis auch, daraus sind sehr viele persönliche Kontakte entstanden„, so ein Helfer im Rückblick auf ein erstes Sommerfest im Jahre 1993. Auf der anderen Seite tragen die Begegnungen, die in diesem Rahmen stattfinden, dazu bei, dass den Flüchtlingen im örtlichen Gemeinwesen mehr Aufmerksamkeit und Verständnis entgegengebracht wird. So seien etwa „Neugierige„ aus den „Straßen drum herum einfach mal gekommen„ (Helfer).

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Zum anderen richteten bürgerschaftlich Engagierte in Flüchtlingswohnheimen Cafés ein, die regelmäßig zu bestimmten Zeiten für jede und jeden zugänglich sind. „Den Gemeinschaftsraum im Wohnheim bekamen wir zu diesem Zweck. Und dann haben wir Aufrufe gestartet, in den Gemeinden (gemeint sind Kirchengemeinden, d. Verf.), in den Kirchenblättern. Wir brauchen Geschirr, Tischdecken etc. Wir haben nicht eine Tasse gekauft. Auch die Hängeschränke für das Geschirr usw., alles ist aus Spendengeldern oder nach Aufrufen gekommen. Und so haben wir dann angefangen. (...). Die Idee war, Ängste abzubauen und dass man sich gegenseitig kennen lernt. Und ich sage, solange Leute da leben, läuft das„ (Helferin).

Es entbehrt wohl kaum der Plausibilität, dass im Rahmen solcher Begegnungsformen den Flüchtlingen auch Beschäftigungsangebote zugetragen werden. Denn: „Was die wollen, ist Arbeit haben„ (Helfer). Da ein legaler Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge sehr erschwert, bzw. seit Mai 1997 für viele im Grunde gar nicht mehr möglich war, finden nur sehr wenige einen Arbeitgeber und auch dies nur durch entsprechende Anstrengungen und Vermittlungsbemühungen engagierter Bürgerinnen und Bürger.

Öffentlichkeitsarbeit und Lobbytätigkeit

Eine zentrale Aufgabe aller Flüchtlingsinitiativen vor Ort ist es, die eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu informieren. Derart aufklärerische Aktivitäten sind vielfältig. Sie reichen von eigens durchgeführten Informationsveranstaltungen, zum Teil mit Repräsentanten aus Politik und Verwaltung, über vermittelnde Dialoge in den Nachbarschaftszusammenhängen bis hin zur Abgabe öffentlicher Stellungnahmen und dem Schreiben von Leserbriefen. Am Anfang dieser Aktivitäten steht häufig eine öffentliche Informationsveranstaltung, mit der bürgerschaftlich Engagierte zugleich die Absicht verbinden, weitere Mitarbeiter/innen für die Initiativarbeit zu gewinnen. Allen derartigen Aktivitäten kommt eine „Brückenfunktion„ zu: Mitglieder der bürgerschaftlichen Initiativkreise werden zu Multiplikatoren in ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld und in verschiedenen Teil-Öffentlichkeiten des Stadtteils.

Auf der Ebene der Kommunen betätigen sich die Initiativen gleichzeitig als Flüchtlingslobbies, die für eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität von Fluchtmigranten eintreten. Initiativgruppen, die zunächst die Standortentscheidungen der Kommunalverwaltungen offensiv mitvertreten haben, avancieren so zu öffentlichen Kritikern der Kommunen. Häufig schließen sie sich – nicht zuletzt aus diesem Grund – in lokalen oder regionalen Flüchtlingsräten zusammen. So konnten Verbesserungen der Innen- und Außengestaltung der Unterkünfte (zum Beispiel: Umgestaltung der Gemeinschaftsräume, Einrichtung von Fernsprechern, Installation angemessener Beleuchtung in Zugängen und auf Wegen, Installation von Außenspielgeräten etc.) durchgesetzt werden. In manchen Fällen gelang dies allerdings erst nach hartem Ringen mit Vertretern der jeweiligen Kommunalverwaltung.

Ein anderer, für die Lebensbedingungen in den Unterkünften bedeutsamer Tatbestand ist die Beseitigung von Schädlingen (Kakerlaken). Von Beginn an wurden diese Maßnahmen von den Flüchtlingsinitiativen kritisch begleitet. Derartige „Entwesungsaktionen„ (so die Amtssprache) wurden sowohl wegen möglicher Gesundheitsgefahren für Bewohner und Beschäftigte als auch wegen der als unzureichend eingeschätzten Sicherheitsvorkehrungen und der „viel zu kurzen Evakuierung„ öffentlich angeprangert. „Wir haben gefordert, dass Fachleute kommen und uns noch einmal genau erzählen und zwar in Gegenwart von Ärzten, was sie vorhaben und wie sie es sehen, dass die Säuglinge und Kleinkinder nicht zusätzlich bedroht oder von diesem Gift befallen werden„ (Helfer). Dass Stadtverwaltungen inzwischen auf chemische Mittel verzichten und statt dessen auf auf konventionelle Klebefallen zurück

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greifen, ist auf diese Proteste zurückzuführen, denn: „Wir haben wirklich auf die Pauke gehauen„ (Helfer).

Bezüglich der Versorgung mit Lebensmitteln setzen sich die Initiativkreise ausdauernd mit dem Sachleistungsverfahren auseinander und treten für Bargeldleistungen ein. [Vgl. z.B. Kühne, P. u. Rüßler, H. 2000: 170 ff. und Dokumentation Dezember 2000.]

Was die Betreuungssituation angeht, haben sich die örtlichen Flüchtlingsinitiativen immer um eine gute Zusammenarbeit mit den vor Ort beschäftigten Sozialarbeitern bemüht. Gleichzeitig treten sie für den Erhalt einer angemessenen Zahl von Betreuungsstellen ein. Ohne die professionelle Betreuung durch Sozialarbeiter sei auch die eigene ehrenamtliche Arbeit auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten: „Sie haben die Kontakte vermittelt, aufrechterhalten und vieles organisiert. Ohne ihren Einsatz wäre das ,Netz der Hilfe‘, das immer wieder und in vielen Einzelfällen geknüpft werden musste, gewiss längst zerrissen„ (Helfer).

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4.3 Selbstorganisationen

Selbstorganisationen in der Community

Flüchtlinge verstehen sich – in der Mehrzahl der Menschen – nicht nur als Angehörige abstrakt-sozialstatistischer Kategorien wie zum Beispiel „Asylbewerber„ oder „Ausländer„, sondern als Angehörige einer ethnischen oder religiösen Gemeinschaft („community„) ihrer Herkunftsgesellschaft bzw. Herkunftskultur in der Bundesrepublik Deutschland. Wesentliche Strukturelemente derartiger communities sind zum einen verwandtschaftliche und nachbarschaftliche (dorfgemeinschaftliche) bzw. regionale Netzwerke, zum anderen Selbstorganisationen und religiöse Vereinigungen. Wenn sie schon nicht Mitglieder der Einwanderungsgesellschaft sein dürfen, so wollen sie doch Mitglieder der Gemeinschaften der Einwanderer sein. Mehr noch als für die Bleiberechtigten, die häufig verantwortliche Funktionen innerhalb der Selbstorganisationen übernehmen, gilt dies für diejenigen, die in der Einwanderungsgesellschaft (noch) nicht akzeptiert sind, wie z.B. Asylbewerber und De-facto-Flüchtlinge.

Häufigster Typus einer Selbstorganisation [Zur Typologie von Selbstorganisationen und Partizipationsmöglichkeiten vgl. Fijalkowski, J. und Gill meister, H. 1997; MASSKS 1999; Jungk, J. 2001.] ist derjenige des soziokulturellen Zentrums als „organisatorische und lokale Zusammenfassung vielfältiger Bedürfnisse, Interessen und Tätigkeiten auf ethnischer Grundlage„ (Heckmann, F. 1992: 104). Kultur, Sport, gesellige Freizeitgestaltung, nicht selten nach Lebensalter und nach Geschlechtern differenziert, gehören zu den Aktivitäten dieses Vereinstyps. Derartige Zentren verfügen häufig über eigene Räumlichkeiten, zum Teil mit Gastronomie, Büro, Jugendraum und kleiner Bibliothek. Andere sind allerdings nicht in der Lage, die entsprechenden Mietkosten aufzubringen. Hier werden Privatwohnungen als Versammlungsräume genutzt oder ad hoc und kostengünstig zur Verfügung gestellte Räumlichkeiten von z.B. Kirchengemeinden in Anspruch genommen. Einige dieser Selbstorganisationen verdanken sich teilweise der Initiative bereits seit langem anwesender Arbeitsmigranten. Dies gilt z.B. für Bosnier, Kosovo-Albaner und Kurden türkischer Staatsangehörigkeit. Fluchtmigranten können hier auf Hilfsangebote der Arbeitsmigranten, aber auch der seit längerem eingewanderten Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Ärztinnen und Ärzte usw. zurückgreifen. Andere Selbstorganisationen verdanken sich ausschließlich der Initiative bleibeberechtigter Flüchtlinge.

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Ein weiterer Typus von Selbstorganisation ist derjenige der religiösen Vereinigung zum Beispiel kurdischer Aleviten, tamilischer Hindus oder afghanischer Schiiten. In diesem Zusammenhang sind auch die jüdischen Kultusgemeinden als bereits vorhandene (deutsch-jüdische) Sozialisationsinstanzen jüdischer Immigranten mit zu benennen.

Ein dritter Typus ist derjenige des Elternvereins als Organisator selbstorganisierter muttersprachlicher Lernangebote für Kinder.

Ein vierter Organisationstypus ist derjenige einer örtlichen oder regionalen Gruppe oppositioneller Exilparteien.

Selbstorganisationen finden sich auch bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen aus GUS-Staaten, – und zwar bei denjenigen, die der jüdischen Kultusgemeinde als religiöser Instanz eher fern stehen und deshalb den Wunsch entwickeln, sich als „Russen„ unter vor allem kulturellen Aspekten zu versammeln bzw. selbst zu organisieren. Nicht zuletzt jüdische Akademiker und Kulturschaffende fühlen sich diesen Zentren zugehörig. Hier sind sie in einen Interaktionszusammenhang eingebunden, der im Rahmen der jüdische Kultusgemeinde so nicht existiert. Denn: „Die Religion spielt in der Gemeinde eine große Rolle. Die jüdische Gemeinde ist eine Kultusgemeinde und wir sind eine Kulturgemeinde. Zwischen dem ‚s‘ und dem ‚r‘ gibt es eine Differenz. Es gibt zwar auch russische Juden im Gemeindevorstand. Aber wir Künstler sind ökumenisch„ (Vereinsvertreter). Sodann: „Viele kommen zu uns und bitten um Hilfe. Ich schreibe viele Briefe„ (ders.). Kulturelle Aktivitäten werden flankiert durch einen eigenen Beratungsdienst für neu Eingewanderte.

Ganz gleich, um welchen Selbstorganisations-Typus es sich handelt: Hier verlassen Fluchtmigranten erstmals die Enge der ihnen zugewiesenen Unterkunft und/oder des eigenen familiären Umfeldes und konstituieren ein Stück „Öffentlichkeit„. Hier erhalten sie erste Orientierungen und Verhaltensmaßregeln im Hinblick auf Beratungsinstanzen und Behörden in der Aufnahmegesellschaft. Hier werden sie von denjenigen, die bereits in Arbeit sind, für Erwerbstätigkeiten u. U. in derselben Firma/Branche rekrutiert, hier politisieren sie sich, insofern sie für die eigenen Rechte in der Bundesrepublik Deutschland eintreten oder für Demokratie und Selbstbestimmung im Herkunftsland, und dies auch öffentlich demonstrieren.

In jedem Fall bleibt der Rückbezug zur Herkunftsgesellschaft und -kultur. Gesprochen wird die jeweilige Muttersprache. Ausgetauscht werden Nachrichten über die Lage im Herkunftsland. Geplant werden auch Aktionen humanitären oder politischen Zuschnitts, die zur Veränderung der Lage im Herkunftsland beitragen sollen. Dies trifft naturgemäß in besonderer Weise zu, wenn Selbstorganisationen sich als Exilgruppe einer im Herkunftsland verbotenen politischen Oppositionspartei verstehen.

Insgesamt ist es zutreffend, ethnische communities als eine Art „Zwischenwelt„ (vgl. Heckmann, F. 1992: 115) zu bezeichnen. Ob und inwieweit sie eine „Brückenfunktion„ (vgl. Goldschmidt, A. M. F. u. a., 1997: 29) in die Aufnahmegesellschaft wahrnehmen oder ein bloßes Reservat der Herkunftsgesellschaft im fremden Land bleiben, hängt auch davon ab, wie „zugänglich„ bzw. „unzugänglich„ Staat und Gesellschaft des Aufnahmelandes und das jeweilige bürgerschaftliche Umfeld sich ihnen gegenüber verhalten. [Zu den Begriffen "Zugänglichkeit" bzw. "Unzugänglichkeit" vgl. Fijalkowski, J. und Gillmeister, H. 1997: 24ff., die den sozialwissenschaftlichen Diskussionsstand zur Funktion von Selbstorganisationen als "Mobilitätsfalle" oder auch "-schleuse" eingehend diskutieren. Sie selbst kommen abschließend zu folgender Einschätzung: "Soviel Anhaltspunkte es dafür gibt, dass die ethnischen Eigenorganisationen als Schleuse in die Aufnahmegesellschaft funktionieren, so wenig Anhaltspunkte gibt es dafür, dass sie zur Falle werden und auf den Weg einer segregierten Ghettoexistenz zu führen helfen. Ein Zusammenhang zwischen Resonanz des ethnischen Vereinslebens und ethnischer Segregation ist nicht erkennbar, im Gegenteil: Vereinsnähe geht zusammen mit besserer Sozialvernetzung, höherer Problemlösungsfähigkeit, besserem Zugang zum öffent lichen-politischen Leben in der Aufnahmegesellschaft."]

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Übergreifende Selbstorganisationen

Vereinzelt zeigen sich auch Ansätze einer die Ethnien etc. übergreifenden Vereinigung von Flüchtlingen – so z.B. das Migranten Medien Zentrum (MMM). Journalistinnen und Journalisten aus dem Kreis der Fluchtmigranten (Herkunftsländer Iran, Kurdistan, Afrika) und ausgebildet am Institut für Journalistik der Universität Dortmund gründeten – unter Beteiligung auch deutscher und niederländischer Journalisten – im November 1996 das Migranten Medien Zentrum e.V. als Träger vielfältiger Integrationsangebote für Migranten und besonders für Flüchtlinge. Drei Säulen bestimmen die Arbeit des Zentrums: Medienarbeit, Beratung und Bildung. Besonderes Anliegen des Medienzentrums ist es, Migrantinnen und Migranten, nicht zuletzt auch junge Menschen, an die deutsche Medienlandschaft heranzuführen und zu befähigen, diese Medien für sich zu nutzen. „Die Zeitung ist ein wichtiges Medium, um sich über politische Entwicklungen und kommunale Ereignisse zu informieren. Es ist bedauerlich, daß viele Migranten von diesem Angebot keinen Gebrauch machen.„ – „Auf der anderen Seite wollen wir dem Anliegen der Flüchtlinge zu mehr Beachtung in der deutschen Presse verhelfen.„ (Vorstandsmitglied).

Zu nennen sind des Weiteren solche Initiativen und Netzwerke, die sich, meist ausgehend von Bewohnern einer Massenunterkunft, auf diejenigen einer ganzen Region ausweiten. Anlass sind Erfahrungen von Gewalt, extremer sozialer Isolation sowie der Diskriminierung im Alltag. Bundesweit bekannt wurde in diesem Zusammenhang eine Gruppe in Rathenow/Brandenburg lebender Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus Pakistan, Togo, Kamerun und Afghanistan, die sich nach zahlreichen Angriffen auf Ausländer und Asylsuchende [Die Tageszeitung veröffentlichte am 19.2.2001 Chroniken der fremdenfeindlichen Übergriffe in Rathenow und im Bundesland Brandenburg. Vgl. auch Frankfurter Rundschau, 9.2.2000 und 23.3.2000.] mit einem Memorandum an Kommunalpolitiker und Polizei wandten. Dieses Memorandum enthielt die Kernsätze: „Wir finden das Land zu unsicher, um darin zu leben.„ Und: „Bitte bringen Sie uns aus dem Land Brandenburg.„ (Die Tageszeitung, 19. Februar 2001). Dies war begleitet von dem Versuch, einen landesweiten Erfahrungsaustausch unter Heimbewohnern im Bundesland Brandenburg zu organisieren. Delegationen der Rathenower Initiative besuchten deshalb die anderen Unterkünfte dieses Bundeslandes.

Einen hohen bundesweiten Bekanntheitsgrad erreichte auch „The VOICE Afrikaforum„, eine zunächst unter Bedingungen der östlichen Bundesländer [Zentrale Anschriften: Schillergässchen 5, 07745 Jena und Am Ostbahnhof 11, 58644 Iserlohn. Vgl. auch Förder verein Niedersächsischer Flüchtlingsrat 2000: 90.] entstandene Selbstorganisation Asylsuchender vor allem aus Ländern Afrikas, aber auch Asiens und Lateinamerikas. Diese Selbstorganisation thematisiert Aspekte sozialer Ausgrenzung, denen Asylsuchende in der Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert sind: Isoliertes Wohnen in Massenunterkünften, Einschränkung der Mobilität (sog. Residenzpflicht), Einschränkungen beim Zugang zu Arbeitsmarkt, Sprachlernen und beruflicher Bildung, Abschiebungsdrohung. Organisatorische Ziele sind zum einen die regionale wie nationale Vernetzung von Flüchtlingen, zum anderen die Öffentlichkeitsarbeit. Beiden Zielsetzungen dienten z.B. die Beteiligung an der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge„, die im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 44 Städte der Bundesrepublik bereiste [Dies geschah unter dem Motto "Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme!" In einem web-Journal teilen die Organisatoren mit: "Als wir begannen, für unsere Rechte zu kämpfen, sahen wir uns anfänglich verstärkten Repressionen ausgesetzt. Doch in den letzten eineinhalb Jahren waren wir zunehmend darin erfolgreich, gerade diejenigen zu verteidigen, die sich trotz der Gefahren engagierten und sich unserem Kampf an schlossen. Außerdem begann die Karawane als Netzwerk zwischen verschiedenen Städten und Nationali täten zu fungieren und legte somit das Fundament dafür, als eine starke und ernstzunehmende Bewegung in Kraft zu treten." Vgl. auch die Tageszeitung, 24.8.1998: "Ohne Wahlrecht, aber nicht stimmlos" und Förder verein Flüchtlingsrat Niedersachsen 2000: 88.], sodann ein erster bundesweiter Flüchtlingskongress in

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Jena (21.4.-1.5.2000). [Die Veranstalter teilen mit, dass zahlreiche Flüchtlinge an diesem Kongress nicht teilnehmen konnten, weil jeweils zuständige Behörden nicht die erforderliche Genehmigung erteilten. "Eine Aufhebung der sog. ‚Residenzpflicht’ ist nur bei gravierenden Gründen möglich und welche Gründe das sind, darüber entscheidet die Ausländerbehörde. Trotz eines Schreibens der Bundesausländerbeauftragten Marieluise Beck, das den Ausländerbehörden empfiehlt, die Teilnahme an dem Kongress zu gestatten, verweigerten viele Ämter die Reisegenehmigung, zum Teil verbunden mit Einschüchterungsversuchen und der Drohung, dass eine Teil nahme die Abschiebung beschleunigen würde (...) Die Residenzpflicht für Flüchtlinge, die europaweit nur in Deutschland existiert, bedeutet natürlich nicht nur eine Einschränkung für politisch aktive Personen: auch für die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte durch Besuche bei Freunden oder Verwandten stellt sie eine massive Behinderung dar. (...) So erklärt sich, dass der Kongress die Forderung nach ihrer Aufhebung zum themen übergreifenden Schwerpunkt hat." Vgl. auch Die Tageszeitung, 25.4.2000: "Kritische Töne unerwünscht".]
Hinzu kommen Aktionen zivilen Ungehorsams (etwa beim unerlaubten Überschreiten von Landkreisgrenzen) [ Vgl. Frankfurter Rundschau, 12.10.2000: "Wer ohne Erlaubnis woanders hinfährt, muss zahlen oder fliegt raus"; Die Tageszeitung, 10.11.2000: "Staat demonstriert Härte"; Die Tageszeitung, 16.5.2001: "Cornelius Yufany und sein Recht auf Bewegungsfreiheit"; vgl. auch Mesovic, B. 2001: 21 f.] , Demonstrationen zur EXPO in Hannover und in westdeutschen Städten [ So z.B. am 8.2.2001 in Iserlohn und am 7.4.2001 in Düsseldorf.] und zuletzt: bundesweite Aktionstage gegen die Residenzpflicht auf dem Berliner Schlossplatz (17.-19.5.2001), wo zu diesem Zweck eine Zeltstadt errichtet wurde. [ Vgl. Die Tageszeitung, 14.5.2001: "Protestreisen ohne amtlichen Segen"; Frankfurter Rundschau, 18.5.2001: "Eingriff in Grundrechte. Flüchtlinge und Grüne fordern Aus für Residenzpflicht".]

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4.4 Die deutschen Jüdische Kultusgemeinden. Das Beispiel Dortmund

Die kleine, nur wenige hundert Mitglieder umfassende jüdische Gemeinde in Dortmund wurde zur herausragenden Anlaufstelle und Integrationsinstanz für jene gut 3.000 Kontingentflüchtlinge aus den GUS-Staaten, die während der 90er Jahre nach Dortmund kamen.

Die Integrationshilfen der jüdischen Gemeinde stehen gleichermaßen den zuwandernden potentiellen Mitgliedern der Gemeinde, also denjenigen, die nach dem jüdischen Religionsgesetz Juden sind, zur Verfügung, als auch deren nicht-jüdischen bzw. nicht als solchen anerkannten Angehörigen. [Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der Gemeinde ist, daß die Mutter Jüdin war oder ist. Dieses Mitgliedschaftsprinzip wird streng gehandhabt. In jedem Aufnahmefall wird gemeindeintern geprüft, ob diese Voraussetzung vorliegt. Praktisch bedeutet dies, daß in den nicht seltenen Fällen sog. Mischehen nur der jüdische Ehepartner in die Gemeinde aufgenommen wird. Ist nur der Familienvater Jude, können die Kinder nicht Gemeindemitglieder werden.]
Mit den Integrationshilfen wurden die folgenden beiden Ziele verfolgt: Zum einen die Eingliederung der Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft und speziell auch in das kommunale Institutionengefüge. Hier wirkt die jüdische Gemeinde gleichzeitig auch als Lobby der jüdischen Flüchtlinge. Zum anderen sieht die jüdische Gemeinde ihre Aufgabe darin, Einwanderer in die Religionsgemeinschaft zu integrieren. Was die erstgenannte Integrationsleistung angeht, werden, durchaus vergleichbar denjenigen der Selbstorganisationen nicht-deutscher Zuwanderer, Dolmetscherdienste angeboten, Begleitung bei Behördengängen, Hilfen beim Ausfüllen und Übersetzen von Formularen oder Dokumenten, Beistand in Sachen Zeugnisanerkennung, Sprachkursberatung, Vermittlung von adäquaten Schulplätzen für Kinder und Jugendliche, Durchführung selbstorganisierter Deutschkurse insbesondere für die Älteren, die vom Arbeitsamt als nicht mehr vermittlungsfähig angesehen und deshalb nicht gefördert werden; Informationen über im Umkreis

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angebotene Bildungsmaßnahmen und – nicht zuletzt – Beistand und Hilfe bei der Wohnungssuche. Was die zweite Zielsetzung angeht, werden Einführungskurse in die jüdische Religion, Bibelstunden und Religionsunterricht für Kinder und Jugendliche angeboten, sodann zielgruppenspezifische Angebote für Kinder und Jugendliche einerseits, Frauen und die Älteren andererseits.

Inzwischen hat sich die Zahl der Gemeindemitglieder – seit Beginn der 90er-Jahre – etwa verzehnfacht. Von daher ergibt sich eine gewisse Ambivalenz bei der Bewertung der Zuwanderung: Einerseits ist die kleine jüdische Gemeinde bis an die Grenzen der ihr zur Verfügung stehenden Kräfte gefordert. Auch musste festgestellt werden, dass dem größeren Teil der neuen russischsprachigen Gemeindemitglieder die religiösen Grundlagen des Judentums nahezu unbekannt sind. Die Gemeinde müsse deshalb darauf achten, so ein Vorstandsmitglied, „kein russisches Kulturzentrum„ zu werden; denn: „Wir sind eine religiöse Gemeinschaft„. Auf der anderen Seite sind die Einwanderinnen und Einwanderer willkommenes „Lebenselixier„, nicht nur „zur Verjüngung des Altersdurchschnitts der Mitglieder, sondern auch zur Erneuerung jüdischen Lebens in Deutschland„ (Schoeps, J. H. u. a. 1996: 20). In Dortmund wird der damit verbundene Aufbruch unter anderem auch durch die bauliche Erweiterung des Gemeindehauses sichtbar.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2002

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