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[Seite der Druckausg.: 19]


2. Aufnahme oder Zurückweisung von Fluchtmigranten:
Die rechtlichen Rahmenbedingungen


Es ist nicht leicht, Fluchtmigration von anderen Formen grenzüberschreitender Wanderungen zu unterscheiden. Auch Hunger und ökologische Katastrophen konstituieren einen Zwang zur Auswanderung. Millionen von Menschen sind weltweit diesem Zwang ausgesetzt (vgl. Nuscheler, F., 1995: 27 ff.). Der Ansturm der Hungernden hat Europa und die Bundesrepublik Deutschland bisher allerdings, jedenfalls in größerer Zahl, nicht erreicht. Er vollzieht sich in den Staaten bzw. zwischen den Staaten des Südens.

Bezogen auf Europa kann deshalb an einer zugegebenermaßen problematischen Unterscheidung von „Arbeits- und „Fluchtmigration„ festgehalten werden. [Zur Problematik dieser Unterscheidung vgl. z.B. Feldhoff, J. 1992; Höfling-Semnar, B. 1995 und Komitee für Grundrechte und Demokratie 1995.] Arbeitsmigration aus zum Beispiel Ost- und Südosteuropa ist zwar häufig genug dem internationalen Wohlstandsgefälle, also dem Push-Faktor Armut geschuldet und insoweit unbedingt legitim. Dennoch lässt sie sich unterscheiden von Fluchtmigration und denjenigen sowohl objektiven wie subjektiven Faktoren, die eine Flucht auslösen können. Besonderes Gewicht kommt hier der Furcht vor staatlicher Verfolgung zu oder, ein neuerdings immer häufigeres Phänomen, vor einem aus der Gesellschaft heraus inszenierten nicht-staatlichen Terror, dem staatlicherseits nichts entgegengesetzt wird oder werden kann. Staatliche wie nicht-staatliche Verfolgung haben viele, häufig ineinander verwobene Facetten: Gezielte individuelle Verfolgung, Verfolgung ethnischer Minderheiten und „ethnische Säuberung„, Verfolgung religiöser Gemeinschaften, politischer Parteien, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften. Im Zusammenhang damit: Einsatz militärischer Gewalt gegen die zivile Bevölkerung, Zerstörung ganzer Dörfer und Landschaften, Bürgerkrieg, Zwangsrekrutierung zum Militärdienst, Haft und unmenschliche Haftbedingungen, Folter, Vergewaltigung, Mord, Verschwindenlassen, Massaker, Genozide.

Allen Facetten gemeinsam ist der Tatbestand schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen und die begründete Furcht, von ihnen betroffen zu sein. Häufig genug sind es nicht allein die Armen, die derartigen Bedrohungsszenarien ausgesetzt sind, sondern Angehörige der politisch artikulations- und organisationsfähigen Mittel- und Bildungsschichten in den urbanen Milieus.

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2.1 Internationale Konventionen und nationales Asylrecht*
* [Vgl. die Übersichten bei Keßler, St. 2001; UNHCR 2001; amnesty international 1999.]

Die Mehrheit der Staaten der Welt hat sich mit ihrem Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und deren Zusatzprotokoll von 1967 verpflichtet, verfolgten Menschen Schutz zu gewähren. Diese Mehrheit zog Konsequenzen aus Erfahrungen der Zwischenkriegszeit, als nur ein geringer Teil der Juden Europas und der politischen Emigranten, insbesondere Deutschlands und Österreichs, in den demokratischen Nachbarstaaten bzw. in den Staaten Nordamerikas Aufnahme fanden. Die gescheiterte Flüchtlingskonferenz von Evian (Juli 1938) unter Vorsitz des Hochkommissars (des Völkerbundes) für Flüchtlinge aus Deutschland war 1951 noch in lebhafter Erinnerung (vgl. Lustiger, A., 1998). [Eine "Unabhängige Expertenkommission Schweiz Zweiter Weltkrieg" legte 1999 einen umfassenden Bericht zur Aufnahme von Flüchtlingen in der Schweiz zur Zeit des Nationalsozialismus vor. In der Einleitung heißt es: "Als 1933 die ersten vom Nationalsozialismus verfolgten Menschen in der Schweiz Zuflucht suchten, kamen sie in ein Land, dessen politische und wirtschaftliche Institutionen Ausländer generell, besonders aber Juden ablehnten, die in der politischen Linken eine Gefahr sahen und die jede wirtschaftliche Konkurrenz durch Ausländer auszuschalten versuchten. Deshalb verstand sich die Schweiz – mit Bezugnahme auf ihre geringe Größe und Einwohnerzahl (1930: 4,1 Millionen) – als sog. Transitland, das Flüchtlingen allenfalls einen kurzfristigen Aufenthalt zur Organisation der Weiterreise in ein anderes Land gewähren könne. Diese Politik versagte, als sich die nationalsozialistische Verfolgung 1938 zur Vertreibung radikalisierte und einen bisher unbekannten Flüchtlingsstrom auslöste (...) Ab 1942 aber, als die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in vollem Gang war, in Frankreich die Deportationen einsetzten und Südfrankreich besetzt wurde, war die Schweiz für jene, die ihre Grenzen erreichten, die letzte Hoffnung. In dieser Situation schloss das Land seine Grenzen und überließ Tausende von Flüchtlingen ihrem Schicksal" (Unabhängige Expertenkommission 1999: 15). Es war Hannah Arendt, selbst deutsch-jüdische Emigrantin in den USA, die wie kein(e) andere(r) unter den politischen Intellektuellen der Nachkriegszeit den Diskurs zur Entgrenzung bisher nur nationalstaatlich garantierten Grundrechtsschutzes führte. Am Beispiel der ermordeten Flüchtlinge und Staatenlosen der Zwischenkriegszeit konnte sie zeigen, dass als "Menschenrechte" definierte Rechte günstigstenfalls den jenigen zukommen, die als Angehörige eines Nationalstaates dessen Schutz genießen. Denn der Begriff der Menschenrechte "brach in der Tat in dem Augenblick zusammen, wo Menschen sich wirklich nur noch auf sie und auf keine national garantierten Rechte mehr berufen konnten. Sobald alle anderen gesell schaftlichen und politischen Qualitäten verloren waren, entsprach dem bloßen Menschsein keinerlei Recht mehr. Vor der abstrakten Nacktheit des Menschseins hat die Welt keinerlei Ehrfurcht empfunden; die Menschenwürde war offenbar durch das bloße Auch-ein-Mensch-Sein nicht zu realisieren." Für diese "vogel freien" und "politisch gesprochen lebenden Leichname" forderte Arendt ein grundlegendes, den prokla mierten Menschen rechten noch vorausgehendes Recht, nämlich das "Recht, Rechte zu haben" und setzte damit die Entgrenzung nationalstaatlich konstituierter Grundrechtschutzes auf die politische Tages ordnung (1955, 2. Aufl. 1991: 462-466).]

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Als Flüchtlinge im Sinne des Art. 1 der Genfer Konvention gelten diejenigen Personen, „die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung„ sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen und die den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen wollen.

Weiteres Kernstück der GFK ist das Zurückweisungsverbot („Refoulement-Verbot„) des Art. 33: „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde„.

Art. 17-24 GFK definieren Standards für den Zugang zu Erwerbstätigkeit, Wohnungswesen, Bildung und öffentlicher Fürsorge sowie zur arbeits- und sozialrechtlichen Gleichstellung. Danach sind z.B. einschränkende Maßnahmen zum Schutz des eigenen Arbeitsmarktes nur für maximal drei Jahre erlaubt.

Die GFK schreibt im Übrigen kein bestimmtes Verfahren vor, mittels dessen die Flüchtlingseigenschaft festgestellt wird. Es bleibt den Vertragsstaaten überlassen, entsprechende Regelungen zu treffen. In der Bundesrepublik gehört hierzu neben dem Verwaltungsverfahren die Möglichkeit, gemäß Art. 19 Abs. 4 GG die Gerichte anzurufen.

Überwachungsinstanz zur Einhaltung der Konvention ist der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und ein diesem zugeordneter Exekutivrat. UNHCR hat einen Repräsentanten auch in der Bundesrepublik Deutschland am Sitz der Bundesregierung.

Anlässlich des 50. Jahrestages der Konvention am 27. Juni 2001 stellte der amtierende UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers in Berlin fest, dass im deutschen Asylrecht ein „Kernthema ungelöst„ sei: der Schutz von Opfern nichtstaatlicher Verfolgung. Er forderte die

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Bundesregierung auf, diejenigen „als Flüchtlinge zu schützen, die in ihrem Heimatland von oppositionellen politischen oder religiösen Fanatikern verfolgt werden und dort keinen Schutz erhalten können.„ Die Täterperspektive könne doch nicht Vorrang vor der Opferperspektive haben. Durch eine derartige Neuregelung würde das deutsche Asylrecht „lediglich an die europäische und internationale Praxis angeglichen„. [Frankfurter Rundschau, 26.6.2001; vgl. auch Süddeutsche Zeitung, 26.6.2001 und "Das Parlament" Nr. 28, 6.7.2001.]

In Europa gilt im Übrigen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), deren Umsetzung Aufgabe des Straßburger Europarates ist. Art. 3 dieser Konvention schreibt vor: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.„ Hieraus ergeben sich Konsequenzen für die Zurückweisung oder Ausweisung bzw. Abschiebung Schutzsuchender.

In der Bundesrepublik Deutschland hat das Asylrecht politisch Verfolgter Verfassungsrang. Dies galt bis zum 30.06.1993 für den alten Art. 16 Abs. 2, Satz 2 des Grundgesetzes. Es gilt noch immer für Abs. 1 des neuen Art. 16a GG, wird durch weitere Absätze des neuen Verfassungsartikels allerdings entscheidend eingeschränkt. So können sich Asylsuchende, die über einen so genannten sicheren Drittstaat einreisen (EU-Mitgliedsstaaten sowie Polen, die Schweiz und die Tschechische Republik) nicht mehr auf das Grundrecht auf Asyl berufen. Eine Widerlegungsmöglichkeit der Sicherheit in diesen Staaten besteht nicht. Dies hat zwar zu einer gewissen Aufwertung asylrechtlicher bzw. ergänzender (subsidiärer) Schutzbestimmungen des geltenden Ausländergesetzes (vgl. z.B. §§ 51 u. 53 AuslG) geführt, die sich ihrerseits an der GFK bzw. EMRK orientieren. Doch werden diese Schutzbestimmungen nur spärlich angewandt. [Vgl. die ausführlichen Darstellungen des Flüchtlings- bzw. Asylrechts bei Münch, U. 1993; Grenz, W. 1993 u. 1998; Pro Asyl 1993 a u. b; Barwig, K. u.a., Hg. 1994: 135ff.; Höfling-Semnar, B. 1995; Krais, J. und Tausch, Ch. 1995; Heinhold, H. 1996 und 2000; Tobiassen, B. 1997; Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 1996; Diakonisches Werk 1997; Göbel-Zimmermann, R. 1999; Keßler, St. 1998.]

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2.2 Das Asylverfahren

Behördliche Zuständigkeiten

Zuständig für die Entgegennahme und Prüfung der Asylanträge ist das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) mit Sitz in Zirndorf bei Nürnberg bzw. eine der zahlreichen Außenstellen dieses Bundesamtes in den Regierungsbezirken der Bundesländer.

Dem Bundesamt zugeordnet ist die Institution des dem Bundesinnenminister unterstellten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (BBfA). Als weisungsabhängige Instanz kann sich der Bundesbeauftragte jederzeit an Asylverfahren vor dem Bundesamt oder an Klageverfahren vor den Gerichten beteiligen. Seine Hauptaufgabe ist zum einen die Überprüfung der Entscheidungen der Einzelentscheider des BAFl, das heißt er kann gegen deren Entscheidungen, seien sie anerkennend oder ablehnend, Klage erheben. Zum anderen soll der BBfA dem „Auseinanderlaufen der Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte entgegenwirken und so Rechtseinheit und Rechtssicherheit herbeiführen„ (Huzel, E. 1996: 7).

Flüchtlinge, die die Bundesrepublik Deutschland auf dem Landwege erreichen und an der Grenze bzw. im grenznahen Bereich einen Asylantrag stellen, werden gem. § 18 AsylVG nach erkennungsdienstlicher Behandlung durch den Bundesgrenzschutz in den jeweiligen

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Nachbarstaat als „sicheren Drittstaat„ zurückgeschoben. Auch die (theoretische) Möglichkeit, hiergegen Rechtsmittel einzulegen, hat keine aufschiebende Wirkung.

Flüchtlinge, die unbemerkt die Grenze überschreiten, haben die Möglichkeit, im Landesinneren Asyl zu beantragen, denn hier ist nur selten nachvollziehbar, welchen Reiseweg sie genommen haben. Das Bundesinnenministerium beklagt deshalb ein sog. Praxisdefizit der Drittstaatenregelung. „Aus der Sicht der Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsorganisationen liegt gerade in diesem Praxisdefizit die einzige Chance für Flüchtlinge auf Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik„ (Hügel, V. M., 1999: 160).

Zuständig für die Entgegennahme des Asylantrages sind die örtlichen Ausländerämter und die Polizei (vgl. § 19 AsylVG).

In NRW sind Asylsuchende, bevor sie das Bundesamt aufsuchen, gehalten, sich bei einer der Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) in den Regierungsbezirken zu melden, – denn diese Stellen sind für die Aufnahme von Flüchtlingen administrativ zuständig. Erst wenn sie hier registriert und in einer ZAB-Wohnanlage kurzfristig untergebracht sind, führt ihr nächster Weg zur Außenstelle des Bundesamtes. Dort werden die Personalien aufgenommen. Es wird ein Aktenzeichen und der Termin für die persönliche Anhörung (i.d.R. innerhalb einer Woche) festgelegt. Der/Die Asylsuchende wird sodann über seine/ihre Mitwirkungs- und Sorgfaltspflichten sowie über die Pflicht zur ständigen Erreichbarkeit (jeder Anschriftenwechsel muss dem Bundesamt sofort mitgeteilt werden) belehrt.

Des Weiteren muss er/sie sich (in der Mehrzahl der Fälle) einer erkennungsdienstlichen Behandlung (Lichtbilder und Fingerabdrücke aller zehn Finger) unterziehen. [Das hierfür entwickelte Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) wird seit dem 1.4.1993 unter Feder führung des Bundeskriminalamtes bundesweit eingesetzt. Es soll dazu beitragen, Mehrfachantragsteller bzw. Mehrfachidentitäten im Antragsverfahren aufzuspüren und die doppelte Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu verhindern.]
Diese, als „Sicherung der Identität„ (§ 16 AsylVfG) bezeichnete Maßnahme, gewann unter Aspekten eines europäischen Datenabgleichs nach den Abkommen von Schengen und Dublin an Bedeutung. Schließlich folgt eine computerisierte Anfrage beim Ausländerzentralregister (AZR) [Das AZR wird vom Bundesverwaltungsamt in Köln geführt.] nach etwaigen, bereits vorhandenen Eintragungen zur jeweiligen Person. „Die so gewonnenen Erkenntnisse werden in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt ausgewertet„ (Krais, J. und Tausch, Ch. 1995: 216).

Zur Durchführung des Asylverfahrens wird Asylbewerberinnen und -bewerbern der Aufenthalt in der Bundesrepublik vorläufig „gestattet„. Das Bundesamt stellt eine Bescheinigung aus, die Angaben zur Person enthält und mit einem Lichtbild versehen ist (vgl. § 63 AsylVfG). Mit dieser Aufenthaltsgestattung wurde eine Regelung geschaffen, die Asylsuchenden einerseits den vorläufigen Aufenthalt ermöglicht, andererseits aber nicht als Aufenthaltsgenehmigung gem. AuslG bewertet werden kann. Sie ist auf zunächst drei Monate befristet und wird für die Dauer des Verfahrens immer wieder verlängert. Die Aufenthaltsgestattung ist räumlich auf den Bezirk derjenigen Ausländerbehörde beschränkt, zu deren Zuständigkeitsbereich der Asylbewerber/die Asylbewerberin gehört (sog. Residenzpflicht, vgl. § 56 AsylVG).

Flüchtlinge, die das Territorium der Bundesrepublik auf dem Luftwege erreichen, werden zunächst am Flughafen als noch „exterritorial„ festgehalten und unterliegen hier einem Sonderverfahren gem. § 18a AsylVG. Es handelt sich um Flüchtlinge aus einem als sicher definierten Herkunftstaat und um solche mit fehlenden oder gefälschten Papieren. Auch Minderjährige sind von dieser Regelung betroffen. Nach einer ersten Befragung durch den

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Bundesgrenzschutz ["Sinn der Befragung durch den Bundesgrenzschutz ist es festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine Ein reiseverweigerung vorliegen, also vor allem aufgrund einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat oder weil die Voraussetzungen einer anderweitigen Sicherheit vor Verfolgung im Sinne von §27 AsylVG offen sicht lich vorliegen. Geht der BGS von diesen Voraussetzungen aus, wird dem Flüchtling die Einreise verweigert. Ein Flughafenverfahren findet dann nicht statt. Gleichwohl müssen manche der Flüchtlinge noch Tage und Wochen in den Flughafenunterkünften bleiben, weil eine Rückführung in den Drittstaat technisch nicht mög lich ist, sei es, weil die Identität nicht feststeht, sei es, weil der Drittstaat sich weigert, die Flüchtlinge zurück zunehmen." (Heinhold, H., 2000: 39).] muss das BAFl innerhalb 48 Stunden über den Asylantrag entscheiden, andernfalls ist dem Flüchtling die Einreise zu gestatten. Bei Ablehnung wird dem Flüchtling die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer Woche Rechtsmittel einzulegen. Die Verweildauer in den Flughafenunterkünften soll drei Wochen nicht überschreiten. Dieses zeitliche Limit wird in zahlreichen Einzelfällen jedoch nicht eingehalten.

Entscheidungsvarianten und Rechtsfolgen

Die formal weisungsungebundenen Einzelentscheider des Bundesamtes haben nach persönlicher Anhörung eine der drei folgenden Entscheidungen zu treffen: Erstens können sie sich für die Anerkennung als asylberechtigt gem. Art. 16a GG aussprechen. Sofern dies nicht der Fall ist, haben sie zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs.1 AuslG (sog. Kleines Asyl) vorliegen. Der Wortlaut des § 51 Abs.1 AuslG ist eng an das Zurückweisungsverbot der Genfer Füchtlingskonvention (GFK) angelehnt.

Liegen weder die Voraussetzungen des Art. 16a GG noch die des § 51 Abs.1 AuslG vor, hat das Bundesamt drittens zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Die Sammelvorschrift des § 53 AuslG sieht aus folgenden Gründen die Gewährung eines Abschiebungsschutzes vor:

  • es besteht die konkrete Gefahr der Folter (§ 53 Abs. 1),

  • es besteht die Gefahr der Todesstrafe (§ 53 Abs. 2),

  • es besteht die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung, die der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht entspricht (§ 53 Abs. 4),

  • es besteht die erhebliche und konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit des Flüchtlings im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland (§ 53 Abs. 6 Satz 1).

Beschränkt ein Asylbewerber seinen Asylantrag ausdrücklich auf die Gewährung von Schutz nach § 51 Abs.1 AuslG und liegen diese Voraussetzungen nach Auffassung des Entscheiders offensichtlich nicht vor, dann werden auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht mehr geprüft (vgl. Krais, J. und Tausch, Ch. 1995:168).

Bezogen auf den Bleibestatus sind die Rechtswirkungen dieser Entscheidungen selbst bei einem positiven Ausgang sehr unterschiedlich. So erhalten die Asylberechtigten gem. GG die unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Sozialhilfe gem. BSHG und vollen arbeitserlaubnisrechtlichen Zugang zum Arbeitsmarkt, einschließlich der Integrationsangebote der Arbeitsverwaltung und anderer Stellen. Ehegatten, die sich bereits in der Bundesrepublik aufhalten, werden ebenfalls als asylberechtigt anerkannt (Familienasyl). Voraussetzung ist, dass die Ehe bereits in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wurde und dass der Ehegatte seinen Asylantrag vor oder gleichzeitig mit dem Asylberechtigten oder unverzüglich nach der Einreise gestellt hat. Ebenfalls asylberechtigt sind die minderjährigen ledigen Kin-

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der, die zum Zeitpunkt der Anerkennung bereits geboren waren sowie später in Deutschland geborene Kinder, sofern für sie innerhalb eines Jahres nach der Geburt Asyl beantragt wird. [Vgl. UNHCR und BAGFW, Hg. 1997.]

Asylsuchende, die gem. § 51, 1 AuslG anerkannt wurden, erhalten lediglich eine (befristete) Aufenthaltsbefugnis, Sozialhilfe und arbeitserlaubnisrechtlichen Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Integrationsangebote der Arbeitsverwaltung und anderer Institutionen bleiben ihnen allerdings verschlossen (Ausnahme: junge Menschen im Ausbildungsalter), da eine sichere Aufenthaltsperspektive nicht gegeben sei. Hiervon ausgenommen sind kurioserweise diejenigen Flüchtlinge mit „kleinem Asyl„, die im Ausland als Flüchtlinge im Sinne der GFK anerkannt wurden.

Asylsuchende, die bloß subsidiär gem. § 53 AuslG geschützt werden, erhalten in der Regel eine bloße Duldung.

Bei Verweigerung der Asylanerkennung bzw. subsidiärer Schutzgewährung hat das Bundesamt ebenfalls mehrere Entscheidungsmöglichkeiten: Asylanträge können als unbeachtlich behandelt oder als offensichtlich unbegründet bzw. (einfach) unbegründet abgelehnt werden.

Asylanträge werden dann als „unbeachtlich„ behandelt, wenn als offensichtlich erscheint, dass der/die Asylsuchende bereits in einem sonstigen Drittstaat vor Verfolgung sicher war und die Rückführung in diesen oder einen anderen Staat möglich ist. „In diesen Fällen droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den sicheren Drittstaat oder in den Vertragsstaat an (vgl. § 35 AsylVfG). Die dem Ausländer zu setzende Ausreisepflicht beträgt eine Woche (§ 36 Abs. 1 AsylVfG). Diese Entscheidung ist sofort vollziehbar, was bedeutet, dass eine Klage keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Wenn der Ausländer nicht nach Ablauf der Wochenfrist ausreisen will, muss er neben der Klage (...) beantragen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage hergestellt wird„ (Heinhold, H. 1996: 64).

Aus einer Reihe weiterer Gründe kann das Bundesamt einen Asylantrag als „offensichtlich unbegründet„ (§ 30 AsylVfG) ablehnen. Mit dieser Entscheidung wird zugleich zum Ausdruck gebracht, dass die Voraussetzungen des so genannten kleinen Asyls (§ 51 Abs.1 AuslG) nicht vorliegen. Als „offensichtlich unbegründet„ gilt ein Antrag insbesondere dann, „wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeine Notsituation oder einer kriegerischen Auseinandersetzung zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.„

Als weitere Ablehnungsgründe werden genannt, dass

  • „das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird,

  • der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert,

  • er unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag oder ein weiteres Asylbegehren anhängig gemacht hat,

  • er den Asylantrag gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden (...),

  • er seine Mitwirkungspflichten (...) gröblich verletzt hat.„

Schließlich kann auch die Herkunftsstaatenregelung (vgl. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG) zu einer offensichtlich unbegründeten Ablehnung des Asylantrags führen, dies immer dann, wenn der

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Flüchtling keine Beweise anführen kann, die die im Allgemeinen unterstellte Sicherheitsvermutung widerlegen können (vgl. § 29a AsylVfG).

Wie im Falle der Unbeachtlichkeit entfaltet die Entscheidung „offensichtlich unbegründet„ keine aufschiebende Wirkung; d. h. mit ihr geht unmittelbar eine Abschiebungsandrohung einher. Auch die etwaigen weiteren rechtlichen Schritte und Fristsetzungen entsprechen denen der als „unbeachtlich„ behandelten Fälle.

Wird der Asylantrag im Sinne von Art.16a GG und § 51 Abs.1 AuslG als (einfach) „unbegründet„ abgelehnt, hat der Flüchtling sein Asylbegehren nicht glaubhaft machen können. Die dem Flüchtling zu setzende Ausreisefrist beträgt dann einen Monat. Im Falle der Klageerhebung, die bei dieser Bundesamtsentscheidung eine aufschiebende Wirkung entfaltet, endet die Ausreisefrist einen Monat nach dem – im negativen Sinne – unanfechtbaren Verfahrensabschluss.

Noch bevor die Entscheidung schriftlich fixiert und dem Asylbewerber zugegangen ist, treffen die Einzelentscheider eine Tendenz- bzw. Prognoseentscheidung darüber, ob der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird oder nicht. „Dies wird in der Regel handschriftlich in der Verfahrensakte des Bundesamtes vermerkt„ (Krais, J. und Tausch, Ch., 1995: 285). Das Bundesamt muss die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich über die vom Bundesamt selbst bzw. über die von gerichtlichen Instanzen getroffenen Entscheidungen in Kenntnis setzten. Vom Bundesamt ausgesprochene Abschiebungsandrohungen und -anordnungen sind verbunden mit der Aufforderung an die Ausländerbehörde, diejenigen Dokumente zu beschaffen, die für den Vollzug einer Abschiebung erforderlich sind (vgl. §§ 24 und 40 AsylVfG).

In der Zeit von der Erstaufnahme bis zur persönlichen Anhörung werden Asylsuchende in eigens dafür vorgehaltenen ZAB-Wohnanlagen untergebracht. Die Aufenthaltsdauer in diesen Einrichtungen beträgt je nach Anhörungstermin ungefähr 4 Tage. Nach der Anhörung werden sie auf landeseigene Gemeinschaftsunterkünfte (GUK) verteilt. Je nach Prognoseentscheidungen des Bundesamtes werden sie spätestens nach drei Monaten einer Kommune zugewiesen und dort zum weiteren Verbleib untergebracht.

Asylsuchende, die gegen eine ablehnende Entscheidung des Bundesamtes Rechtsmittel einlegen, erwartet ein häufig mehrjähriges verwaltungsgerichtliches Verfahren. Nach schließlich rechtskräftiger Anerkennung wird eine Aufenthaltsgenehmigung gem. § 5 AuslG erteilt. Nach rechtskräftiger Ablehnung sind sie ausreisepflichtig. Ist die Ausreisepflicht vollziehbar, „hat der Ausländer das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen„ (§ 42 Abs. 3 AuslG).

Bestehen Zweifel an der „freiwilligen Erfüllung der Ausreisepflicht„, wird Abschiebung angedroht und ggf. durch die ZAB-Administration umgesetzt (§§ 49 u. 50 AuslG). Erweist sich die Ausreisepflicht dagegen als faktisch zurzeit nicht durchführbar, kann sie vorübergehend in Form einer Duldung oder einer Grenzübertrittsbescheinigung ausgesetzt werden.

Die Duldung ist keine Form der Aufenthaltsgenehmigung; sie hebt die bestehende Ausreisepflicht nicht auf (vgl. § 56 AuslG). Mit anderen Worten: „Die Wirkung der Duldung besteht darin, dass die Behörde die Ausreisepflicht nicht per Abschiebung durchsetzen darf, wenn der Ausländer nicht freiwillig ausreist. Der geduldete, aber zur Ausreise verpflichtete Ausländer begeht durch den weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik daher keine Straftat„ (Krais, J. und Tausch, Ch. 1995: 198). Gründe für die Erteilung einer Duldung können sein:

  • das Vorliegen von rechtlichen Abschiebungshindernissen

  • landesweite Abschiebungsstoppregelungen nach § 54 AuslG. Die Innenminister der Länder können Abschiebungen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen

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    Erwägungen für eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen generell aussetzen; soll der Abschiebungsstopp länger gelten als sechs Monate, bedarf es des Einvernehmens mit dem Bundesinnenminister [Dieses Einvernehmen beschneidet insofern die Länderkompetenz, als es voraussetzt, "daß sämtliche Länder dem Abschiebungsstopp zustimmen" (Bethäuser, F. 1996: 14).] (§ 54 Abs. 2 AuslG).

  • sonstige individuelle Abschiebungshindernisse, die nicht von § 53 AuslG erfasst werden. Die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall geltend gemacht werden können, wird nicht vom Bundesamt, sondern von den zuständigen Ausländerbehörden geprüft und ggf. verfügt (vgl. §§ 55 und 56 AuslG). [Unterschieden werden hier so genannte tatsächliche Abschiebungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie sowie verfassungsunmittelbare Abschiebungshindernisse. Tatsächliche Abschiebungshindernisse und "damit Duldungsgründe sind vor allem Krankheit, und ähnliche in der Person des Ausländers liegende Umstände, aber auch Passlosigkeit oder die Unmöglichkeit, einen aufnahmebereiten Staat zu finden. Bei Personen, die ohne ausreichende Dokumente im Bundesgebiet aufhältlich sind, weigern sich viele Staaten, den Betref fenden aufzunehmen, mit dem Argument, die Staatsbürgerschaft oder auch nur der vorherige Aufenthalt im angeblichen Herkunftsstaat sei keineswegs nachgewiesen oder glaubhaft" (Heinhold, H. 1996: 123). Un abhängig von irgendeiner für den Flüchtling gegebenen Gefahrenlage muss die Ausländerbehörde den grund gesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) als mögliches Abschiebungs hindernis beachten. So ist die Ehe zwischen Ausländern und Deutschen dem Grundsatz nach vor einer Abschiebung des ausländischen Ehepartners geschützt; dieser Schutz erstreckt sich auch auf das Recht, eine solche Ehe erst noch schließen zu wollen (vgl. Krais, J. und Tausch, Ch. 1996: 184ff.). Den Schutz der Familieneinheit bewirkt auch ein Verweis auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. § 53 Abs. 4 AuslG). Als weiteres bestehen noch so genannte verfassungsunmittelbare Abschiebungs hindernisse , die sich beziehen können auf den Schutz der Menschenwürde, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Freiheit. Das kann dann der Fall sein, wenn Gefahren für Leib und Leben gegeben sind, "die mit dem Abschiebungsvorgang selbst zusammenhängen, z.B. weil der Betreffende krank und daher nicht reisefähig ist. Dasselbe gilt für Schwangere jedenfalls in der Zeit vor und nach der Entbindung. (...) Bei akuter Selbstmordgefahr kann Abschiebung ebenfalls aus grundrechtlichen Erwägungen heraus untersagt sein, bis eine psychische Stabilisierung eintritt. Voraussetzung für die Aussetzung der Abschiebung in diesen Fällen ist, dass ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit be stehen. Vielfach bilden diese genannten Beispiele jedoch nur kurzfristige und vorüber gehende Abschie bungshindernisse. Sie hindern insbesondere nicht den Erlass einer Abschiebungs androhung. Sobald die Gefahr vorüber ist, kann die Abschiebung (...) vorgenommen werden" (Krais, J. und Tausch, Ch. 1996: 184).]

Die Grenzübertrittsbescheinigung ist ein Dokument, das die Ausreisefrist verbrieft. Sie ist gesetzlich nicht vorgesehen, wird in der Verwaltungspraxis der Kommunen wie Bundesländer aber dennoch dazu benutzt, den Ausreisedruck zu erhöhen. Nicht von ungefähr spricht man von einer „kleinen Duldung„, – allerdings mit für die betroffenen Flüchtlinge noch nachteiligeren Konsequenzen. An eine Arbeitserlaubnis ist unter diesen Umständen z.B. nicht mehr zu denken. Das Abtauchen in die sog. Illegalität erscheint zahlreichen Flüchtlingen nunmehr als einzige Überlebensperspektive.

Schärfste ausländerrechtliche Zwangsmaßnahme ist die Möglichkeit der Inhaftierung (Abschiebungshaft). Nach § 57 AuslG kann die Inhaftierung zum Zweck der Abschiebung als Vorbereitungs- oder als Sicherungshaft angeordnet werden. Beide Haftarten unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Gründe, die zur Haft führen können und die Haftdauer.

Die Vorbereitungshaft, die sechs Wochen nicht überschreiten darf, dient zur Vorbereitung einer Ausweisung. Sie setzt nicht voraus, dass bereits eine Ausreiseverpflichtung vollziehbar besteht. Nicht zuletzt wegen der Sechswochen-Frist ist diese Haftart in der Praxis eher unbedeutend.

Relevanter und Gegenstand öffentlicher Kritik ist das Instrument der Sicherungshaft (zur Sicherung der Abschiebung), die maximal 18 Monate dauern kann. Als Gründe, die zu dieser Art von Haft führen können, werden in § 53 Abs.2 AuslG die folgenden genannt:

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  • Es besteht eine vollziehbare Ausreiseverpflichtung aufgrund unerlaubter Einreise;

  • bei bestehender Ausreisepflicht und abgelaufener Ausreisefrist wurde entweder ein Orts- bzw. Anschriftenwechsel nicht angezeigt oder die betreffende Person war zum angekündigten Abschiebungstermin nicht anwesend (Haftgrund des „Untertauchens„ oder der Abschiebungsentziehung).

Haben die Ausländerbehörden diese Kriterien einzelfallbezogen geprüft und bewertet, können sie, je nach Ergebnis, einen Antrag auf Inhaftierung bei dem zuständigen Amtsgericht stellen.

Erfahrungen mit der Abschiebungshaft zeigen, „dass bei deren Anordnung die gesetzlichen Vorschriften nicht immer hinreichend beachtet werden. Abschiebungshaft wird teilweise zu schnell und zu oft beantragt sowie zu lange vollzogen. Das Abschiebungsverfahren ist häufig mit gerichtsorganisatorischen Mängeln, Verfahrensfehlern und Fehleinschätzungen der Rechtslage belastet, sodass es zu einer nicht unerheblichen Zahl fehlerhafter Entscheidungen kommt„ (Göbel-Zimmermann, R. 1996: 110). Zudem sind die Haftbedingungen für Abschiebungshäftlinge nicht selten schlechter als für Straftäter. So gibt es zum Beispiel für Abschiebungshäftlinge keinen Pflichtverteidiger als Rechtsbeistand. Schon gar nicht sind spezielle – vom normalen Strafvollzug getrennte – Hafteinrichtungen der Regelfall.

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2.3 Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge

Unbegleitete Flüchtlinge, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gehören zur Gruppe der Minderjährigen und bedürfen nach internationaler Auffassung eines besonderen Schutzes (vgl. UNHCR 1997). Demgegenüber bestimmt die restriktive Rechtsauffassung des bundesdeutschen Asylverfahrensgesetzes, dass bereits Jugendliche, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, als asylmündig zu betrachten und deshalb wie erwachsene Flüchtlinge zu behandeln seien (vgl. § 12 AsylVfG).

Das heißt, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Alter von 16 bis 18 Jahren in Deutschland nach den Regelungen des AsylVfG dem Weiterleitungsverfahren unterliegen und auf die Bundesländer verteilt werden. Sie müssen ohne einen gesetzlichen Vertreter Asyl beantragen, sie werden, ganz auf sich allein gestellt, ohne besondere erzieherische Hilfen in Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften und kommunalen Übergangswohnheimen untergebracht. Dies widerspricht sowohl den Bestimmungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), als auch des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) [Das MSA vom 5. Oktober 1961 ist am 17.9.1971 für die Bundesrepublik in Kraft getreten (vgl. von Loeper, D. u. A. 1995: 12.014.001ff.) Als besonders skandalös erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Bundesregierung 1994 per Erlass an den Bundesgrenzschutz verfügte, "das Flughafenverfahren nach § 18a AsylVfG auch für unbegleitete Flüchtlingskinder unter 16 Jahren" durchzuführen (Jockenhövel-Schiecke, H. 1998: 165).] und der UN-Kinderkonvention (KK). [Dem Wohl des Kindes gilt auch die KK vom 20.11.1989 (vgl. von Loeper, D. u. A. 1995: 12.003.001ff.). In der Bundesrepublik trat sie am 05.04.1992 in Kraft. Gemäß Artikel 22 der KK verpflichten sich die Un ter zeichner- bzw. Vertragsstaaten, "geeignete Maßnahmen" zu treffen, die gewährleisten, "daß ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt (...) angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahr nehmung der Rechte erhält". Die Bundesregierung hatte bei Ratifizierung der KK im Jahr 1992 eine Vorbe haltserklärung abgegeben, worin sie darlegt, dass die KK kein Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt (vgl. Göbel-Zimmermann, R. 1999: 18). Die Bundesrepublik Deutschland unternimmt damit den Versuch, sich von ihrer völkerrechtlichen Staatenverpflichtung freizusprechen, "innerstaatliche Gesetze bezüglich Ausländer- und Asylrecht dem Inhalt der Konvention anzupassen" (Jockenhövel-Schiecke, H. 1998: 165).]

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Auf Basis des MSA sind unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen die gleichen Schutzmaßnahmen zu gewähren, wie inländischen Kindern und Jugendlichen. „Die wichtigsten Schutzmaßnahmen sind die Einrichtung einer Vormundschaft durch das Vormundschaftsgericht (§ 1773 BGB), nachdem das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt worden ist (§ 1674 BGB), sowie die volle Einbeziehung des minderjährigen Asylsuchenden in die Jugendhilfe. Deren wichtigste Schutzmaßnahme ist die Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe„ (Marx, R. 1999: 125).

Die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für junge Flüchtlinge ergibt sich auch aus § 6 Abs. 2 KJHG. Selbst wenn es dort einschränkend heißt, dass Ausländer Leistungen nach diesem Gesetz nur beanspruchen können, „wenn sie rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben„, ist davon auszugehen, dass auch die Aufenthaltsgestattung einen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des KJHG begründet (vgl. Schnapka, M. 1995: 12.040.001).

Da die meisten Flüchtlingskinder und -jugendlichen über keine Ausweispapiere verfügen, besteht nicht selten das Erfordernis der Altersbestimmung durch Mitarbeiter der ZAB. Geben die jugendlichen Asylsuchenden ihr Alter mit weniger als 16 Jahren an, ohne dies entsprechend objektiv belegen zu können, findet in der Regel eine fiktive Altersfeststellung durch „Inaugenscheinnahme„ statt. Dies kann dazu führen, dass das Alter eines nach eigenen Angaben 15-jährigen nach oben korrigiert wird – mit allen sich daraus ergebenden nachteiligen Folgewirkungen. ["Zur Frage der Rechtsgrundlagen solcher Alterskorrekturen wird von der Bundesregierung auf eine Absprache zwischen Bund und Ländern aus dem Jahr 1993 verwiesen. Nach dieser Absprache sollen ‚bei offenkundigen Zweifeln an der Richtigkeit einer Altersangabe von unter 16 Jahren‘ Alterskorrekturen vorgenommen werden. Rechtsgrundlage für die Inaugenscheinnahme ist nicht das AsylVfG, sondern das VwVfG von 1976" (Jockenhövel-Schiecke, H. 1998: 166). Nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz gilt der Augenschein als ein "taugliches Beweismittel" (ebd.).]
In Zweifelsfällen greift man auch auf die medizinisch-röntgenologische Handwurzelknochenuntersuchung zur Altersbestimmung zurück. [Dies ungeachtet eines von Pro Asyl und dem Verein Demokratischer Ärzte in Auftrag gegebenen Gut achtens, demzufolge eine Handwurzelknochenuntersuchung "jedenfalls bei außereuropäischen Jugendlichen völlig ungeeignet (ist, d.Verf.) zur Bestimmung des Lebensalters" (Pro Asyl 1995: 14). Abgesehen von den medizinischen Bedenken gegen die Zuverlässigkeit dieser Methode handelt es sich "um einen unzulässigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II 1 GG." (Göbel-Zimmermann, R. 1999: 143). Von daher ist dem Pro-Asyl-Gutachten zuzustimmen, das vorschlägt: "Ist das Alter eines möglicherweise Minderjährigen nicht sicher feststellbar, so erfordert das Prinzip des Minderjährigenschutzes, daß vom spätesten möglichen Geburtstermin ausgegangen wird" (Pro Asyl 1995: 14).]

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2.4 Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen

Der Aufenthaltsstatus von Bürgerkriegsflüchtlingen folgt unterschiedlichen Gesetzen und Regelungen. Geltungswirksam sind das Ausländergesetz, das Asylverfahrensgesetz, Beschlüsse der Innenminister-Konferenz sowie diverse Erlasse der Innenminister von Bund und Ländern (vgl. Saenger, M. 1997). Zu erwähnen ist zunächst, dass 1992 in Form des neuen § 32a AuslG explizit eine Regelung geschaffen wurde, die Aufnahme und Aufenthalt von Kriegs- und/oder Bürgerkriegsflüchtlingen außerhalb des Asylverfahrens möglich macht (vgl. hierzu im einzelnen Heinhold, H. 1997). Diese Regelung, die unter anderem bestimmt, dass Bürgerkriegsflüchtlingen zur vorübergehenden Aufnahme eine Aufenthaltsbefugnis erteilt und verlängert wird, wurde für die Gruppe der Bosnier noch nicht umgesetzt: Bund und Länder konnten sich über die Finanzierung nicht einigen. Deshalb gab es für diese Gruppe auch kein geregeltes Aufnahme- und Verteilungsverfahren. Dies wiederum hatte zur Folge,

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dass sich der transitorische Aufenthaltsstatus eines Großteils der im Bundesgebiet lebenden Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien auf die faktische Nichtabschiebung reduzierte.

Einer Systematik des Innenministeriums von NRW zufolge ließen sich vier Aufenthaltsformen identifizieren, die im Folgenden kurz erläutert werden:

  • Abschiebungsstoppregelung (§ 54 AuslG): Demnach fanden die meisten Schutz aufgrund politischer Willensäußerungen: Sie wurden aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen bzw. zur Wahrung der politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorübergehend aufgenommenen. Anordnung, Umfang sowie Geltungsdauer dieses Abschiebungsstopps unterlagen dem politischen Ermessen von Bund und Ländern. Im Mai 1992 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern erstmals beschlossen und dann ständig erneuert, wurde der Abschiebungsstopp im September 1996 ausgesetzt: „Die Innenminister und -senatoren nehmen zur Kenntnis, dass nach Einschätzung der Bundesregierung auch zwangsweise Rückführungen ab dem 1. Oktober 1996 möglich sind„. [Die IMK hatte sich bereits am 26. Januar 1996 darauf verständigt, die Rückführung nach Bosnien-Herzegowina in zwei Phasen zeitlich zu staffeln: In der ersten Phase sollten folgende Personengruppen zurückgeführt werden: Alleinstehende Erwachsene, Erwachsene, deren Ehegatte/Ehegattin und/oder minderjährige Kinder in Bosnien-Herzegowina leben, Ehepaare ohne minderjährige Kinder. Ausgenommen und mithin der zweiten Phase zugeordnet wurden folgende Personengruppen: Traumatisierte Personen, die sich mindestens seit dem 26.1.1996 in ärztlicher Behandlung befinden, Alleinerziehende und Paare mit minderjährigen Kindern, Volljährige, die als Minderjährige eingereist sind und mit ihren Eltern und minderjährigen Geschwistern in Deutschland zusammenleben, Schüler und Auszubildende, die eine Ausbildung begonnen haben und ihren Ausbildungsabschluss bald erreichen.]

  • Verpflichtungserklärung (§ 84 AuslG): Danach kann Ausländern, vermittelt über die jeweiligen Auslandsvertretungen (Visaerteilung), die Einreise in die Bundesrepublik erlaubt werden, wenn sich Personen oder Organisationen bereit erklären, für sämtliche mit der Aufnahme verbundenen Kosten aufzukommen. Diese so genannte Verpflichtungserklärung muss gegenüber der örtlichen Ausländerbehörde in schriftlicher Form abgegeben werden. Die Kostenhaftung, die damit übernommen wird, umfasst – im Grundsatz – neben den Kosten für Lebensunterhalt und Wohnraum auch die Kosten für die Versorgung im Krankheitsfall bzw. für den Fall der Pflegebedürftigkeit sowie die Kosten einer etwaigen Abschiebung (vgl. §§ 82 und 83 AuslG). Die Praxis zeigte dann aber, dass ein Krankenversicherungsschutz für die häufig nicht-erwerbstätigen Flüchtlinge nicht zu erlangen war. In Nordrhein-Westfalen [Vgl. Runderlaß des NRW-Innenministeriums vom 24.07.1992.] wurden die Gastgeber deshalb nicht verpflichtet, solche Kosten zu übernehmen, die über Bedürfnisse des täglichen Lebens hinausgehen. Sofern solche Kosten anfielen, waren sie – nach Überprüfung – von den Trägern der Sozialhilfe zu decken. Trotzdem waren Einladende oftmals überfordert, ihrer Kostenübernahmepflicht nachzukommen. „Die zunächst in den Haushalt der Verpflichteten aufgenommenen Flüchtlinge zogen aus und nahmen irgendwann Sozialhilfe in Anspruch„ (Siehr, A. und Bumke, Ch. 1998: 210). Es häuf(t)en sich Meldungen, dass kommunale Sozialbehörden Rückzahlungen von den Gastgebern einforderten, letztere aber nicht mehr in der Lage waren, anfallende Kosten zu tragen.

  • Asylbewerberstatus: Ohne eine quantitative Zuordnung vornehmen zu können, beantragten Bürgerkriegsflüchtlinge Asyl, weil sie fürchteten, im Falle einer Rückkehr (erneut) an Leib und Leben gefährdet zu sein. Andere glaubten den (Um-)Weg des

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    Asylverfahrens beschreiten zu müssen, um in Deutschland eine vorübergehende Bleibe zu erhalten. Hinzukommt, dass manche (vor allem in der ersten Hälfte des Jahres 1993) von der Ausländerbehörden geradezu „ins Asyl gedrängt wurden„ (so ein Behördenvertreter). Letzteres gilt zum Beispiel für Flüchtlinge, denen nicht durch eine Verpflichtungserklärung Obdach und Lebensunterhalt gewährt werden konnte bzw. deren „Einlader„ nicht (mehr) in der Lage waren, die damit verbunden Kosten zu tragen. Die Chancen, als asylberechtigt anerkannt zu werden, lagen dann allerdings nahezu bei Null.

  • Humanitäre Sonderkontingente (vgl. §§ 32/33 AuslG): Die relativ geringe Anzahl bosnischer Flüchtlinge, die im Rahmen „humanitärer Sonderkontingente„ einreisen konnte, wurde nicht, wie oft angenommen, auf Basis des Kontingentflüchtlingsgesetzes aufgenommen. Ihre Aufnahme stützt sich in erster Linie auf § 32 AuslG. Im Unterschied zur bloßen Abschiebungsstoppregelung des § 54 schreibt dieser Paragraph allerdings vor, dass den Aufgenommenen eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen ist und dass erteilte Aufenthaltsbefugnisse verlängert werden können. Zur Aufnahmepolitik im Rahmen humanitärer Sonderkontingente gehört noch, dass auch § 33 AuslG bemüht wurde. Nach dieser Regelung kann einem Ausländer der Aufenthalt im Bundesgebiet durch eine Übernahmeerklärung des Bundesinnenministers gewährt werden, wenn völkerrechtliche, humanitäre oder politische Interessen des Bundes dies nahe legen. Die relativ wenigen Bürgerkriegsflüchtlinge, die durch eine solche Übernahmeerklärung Schutz gefunden haben, erhielten ebenfalls eine Aufenthaltsbefugnis.

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2.5 Aufnahme jüdischer Kontingentflüchtlinge

Seit 1991 können Juden aus dem Staatsgebiet der ehemaligen Sowjetunion legal nach Deutschland einwandern. Ihre Einreise bzw. Aufnahme erfolgt – laut Grundsatzvereinbarung der Innenminister vom 9. Januar 1991 – in Anlehnung an das Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22. Juli 1980 (HumAG bzw. Kontingentflüchtlingsgesetz). Mit dieser Vereinbarung übernahm die Bundesrepublik Deutschland eine Regelung der (letzten) DDR-Regierung (de Maizière). Denn diese hatte im Sommer 1990 jüdischen Immigranten aus der Sowjetunion ein Bleiberecht zugesichert. Die Vorgeschichte hierzu reicht zurück in die Phase von Perestrojka und Glasnost, die u. a. eine Liberalisierung der Ausreisebedingungen für Sowjetbürger zur Folge hatte. Sowjetischen Juden war es nun möglich, ihr Herkunftsland ohne Restriktionen zu verlassen. Die meisten auswanderungswilligen Juden emigrierten daraufhin in die Vereinigten Staaten und nach Israel. Die USA reduzierten bald ihre Einwanderungskontingente für diesen Personenkreis und Israel verlor wegen der dortigen Kriegshandlungen an Anziehungskraft. Mit dem Zusammenbruch des DDR-Regimes wurde Deutschland für viele sowjetische Juden zur Emigrationsalternative.

Die Emigrationsmotive sowjetischer Juden gehen zum einen auf Angst vor Antisemitismus und vor Bürgerkriegsgefahren zurück. Zum andern sehen sie sich durch die prekäre ökonomische Situation, die der Systemwandel hinterlassen hat, zur Auswanderung genötigt. Zudem verbinden sich diese negativen Erfahrungszusammenhänge mit der Erwartung einer sicheren und besseren Zukunft insbesondere für die Kinder im Aufnahmeland.

Wegen der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber den Überlebenden der Shoah hielt man es – parteiübergreifend – für geboten, sowjetischen Juden die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Moralische Verpflichtung und Generosität kennzeichnen die bundesdeutsche Immigrationspolitik in diesem Fall. Ein zusätzlicher Beweggrund, sowjetische Juden aufzunehmen, ist das politisch bekundete Interesse, die wenigen, überalterten

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jüdischen Gemeinden in Deutschland durch Zuwanderung lebensfähig zu erhalten bzw. zu stärken.

Als Starttermin (bzw. als Stichtag) für das geregelte Einreiseverfahren war ursprünglich der 15. Februar 1991 vorgesehen. Dieser Tag wurde aber von den Innenministern zunächst auf den 30. April und schließlich auf den 10. November 1991 verschoben. Die Einreise erfolgt im Rahmen des Visumsverfahrens. Die Einreiseanträge werden von den deutschen Auslandsvertretungen entgegengenommen. Durch Vorlage der Pässe und der Geburtsurkunden haben die Antragsteller den Nachweis zu erbringen, dass sie Juden sind. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland galt in den Staaten der früheren Sowjetunion das Judentum als Nationalität und nicht als Religion, dementsprechend findet sich im Inlandspass eines jüdischen Sowjetbürgers an fünfter Stelle, unter der Kategorie „Nationalität„, die Eintragung: Jude. In den jüdischen Gemeinden Deutschlands gilt dagegen der Buchstabe der Halacha, also des Religionsgesetzes. Danach ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Ungeachtet dessen gelten alle Personen, die „jüdischer Nationalität„ sind oder von mindestens einem jüdischen Elternteil abstammen, als einreiseberechtigt.

Je nach Zahl der Ausreiseanträge und Dauer der Antragsprüfung durch die deutschen Auslandsvertretungen müssen die Ausreisewilligen zum Teil lange Wartezeiten in Kauf nehmen. In Fällen nachweislicher antisemitischer Verfolgung oder Diskriminierung sind die Anträge beschleunigt zu behandeln; konkrete Erfahrungen in dieser Hinsicht bilden aber keine Einwanderungsvoraussetzung. Für jüdische Einwanderer gibt es – im Gegensatz zum Aufnahmeverfahren für Spätaussiedler – keine Einwanderungsquoten. Auch müssen sie keinen Deutsch-Sprachtest im Herkunftsland absolvieren. Als Ausländer erhalten die jüdischen Kontingentflüchtlinge in Deutschland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die Arbeitsberechtigung [Vgl. Harris, P. 1997; Schoeps, J. H. u. a. 1996; Kühne, P. u. Rüßler, H. 2000: 83 ff., 142 ff., 303 ff., 538 ff.] und den Zugang zu existenten Integrationsangeboten.


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