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1. Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Rückblick

Zufluchtnahme in der Bundesrepublik und Fluchtmotive

Zufluchtnahme in der Bundesrepublik Deutschland gab es von Anfang an, seit Bestehen der Republik. In den ersten drei Jahrzehnten waren es vor allem Flüchtlinge aus den Ostblockstaaten, die davon Gebrauch machten. Ihnen wurde Zuflucht generös gewährt. Ein Beschluss der Innenminister von Bund und Ländern vom 26.08.1966 sicherte ihnen ein Aufenthaltsrecht auch unabhängig von der asylrechtlichen Prüfung zu.

Die Zahl der Anträge war allerdings vergleichsweise gering. So wurden – beispielsweise – 1966 4.379 Asylanträge verzeichnet. Gegen Ende der 70er Jahre änderte sich dieses Bild. Das Asylrecht wurde seitdem zunehmend von Fluchtmigranten aus Krisenherden der so genannten Dritten Welt oder bestimmten Schwellenländern in Anspruch genommen: Militärputsche in Chile und der Türkei, Umsturz in Pakistan, Krieg im Libanon, Besetzung Afghanistans durch sowjetische Truppen, Bürgerkrieg in Sri Lanka, Sturz des Schah-Regimes und Installierung der Chomeini-Diktatur im Iran. 1979 wurden 51.493 Anträge gezählt. 1980 überschritt die Zahl der Asylbewerber erstmals die Einhunderttausend-Grenze (107.811 Anträge). Dies wiederholte sich, nach einem zwischenzeitlichen Rückgang, 1988 mit 103.076 Anträgen und steigerte sich aufgrund besonderer, noch zu erläuternder Umstände, bis 1992 auf 438.191 Anträge. [Vgl. Schneider, H.-P. 1992; Bade, K. J. 1992: 411ff. und 2000: 360 ff.; Schmalz-Jacobsen, C. u. Hansen, G. 1995: 155ff.; Strenge, I. 1995; Opitz, P. J., Hg. 1997; Butterwegge, Ch. u. Jäger, S., Hg. 1993; Butterwegge, Ch. u. Hentges, G., Hg., 2000.] 1993, auf dem Höhepunkt derartiger Zuwanderung, lebten 1.925.500 Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland. Das entsprach etwa einem Fünftel der hier sich aufhaltenden Immigrantinnen und Immigranten nicht-deutscher Staatsangehörigkeit.

Es waren vor allem drei, teilweise einander überlappende und sich wechselseitig verstärkende Gründe, die seit Ende der achtziger Jahre zu vermehrter Fluchtmigration Anlass gaben:

Zunächst der imperiale Zerfall und die (Re-)Ethnisierung ehemals realsozialistischer Gesellschaften Südost- und Osteuropas und in der Folge: Kriege und Bürgerkriege, pogromartige Verfolgung ethnischer und/oder religiöser Minderheiten, Diskriminierungen jeder Art. Etwa Zweidrittel aller in den Jahren 1989 bis 1994 zu verzeichnenden Asylbewerber/innen rekrutierten sich aus dieser Gruppe.

Von Bedeutung waren und sind des Weiteren die bekannten sozialen und politischen Krisenherde an der inneren und äußeren Peripherie Europas: Autonomiebestrebungen der Kurden in der Türkei, aber auch im Irak, und der Krieg, den die Regierung der Türkei gegen die kurdische Guerilla und deren soziales Umfeld führt; sodann die Zerklüftung der Gesellschaften Afghanistans, des Libanon und Algeriens mit der Folge eines Zerfalls staatlicher Autorität und sowohl staatlichen wie nicht-staatlichen Terrors.

An dritter Stelle zu nennen sind politische Verfolgung, Bürgerkriege und schwere Menschenrechtsverletzungen in weiteren, mehr als hundert Staaten der Welt. Amnesty international legt hierzu einen jährlichen Bericht vor. [Vgl. zuletzt: amnesty international 2001.] Dieser Großgruppe zuzurechnen sind z.B. die zahlreichen Flüchtlinge aus dem Iran, aus Sri Lanka und aus verschiedenen schwarzafrikanischen Staaten.

Schon diese erste Übersicht zeigt:

  • Die Zufluchtnahme in der Bundesrepublik Deutschland hat bis 1992 zwar dramatisch zugenommen, doch handelte es sich um ein vorrangig auf europäische Herkunftsländer

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    und deren Anrainer beschränktes, zum Teil temporäres Phänomen, das sich aus den Umbrüchen und Restrukturierungen vor allem in den Ländern Ost- und Südosteuropas erklärt. Würde es gelingen, in den dortigen Gesellschaften zu politischen Konfliktlösungen, relativer wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Kohäsion vorzustoßen, würde auch die Zahl der Zufluchtsuchenden bzw. der hier Verbleibenden erheblich abnehmen.

  • Das von Teilen der Massenmedien und einem Teil der politischen Akteure wider besseres Wissen entworfene Katastrophenszenario, wonach weite Bevölkerungsteile Afrikas, Lateinamerikas und Asiens, die von Elend und Unterdrückung zugleich betroffen sind, auf dem Sprung stünden, in die Bundesrepublik Deutschland zu „strömen„, um hier ihr Individualgrundrecht auf politisches Asyl in Anspruch zu nehmen, ist falsch. Die große Mehrheit der mehr als 20 Millionen Flüchtlinge weltweit, die UNHCR z.B. für Anfang 1995 registrierte, verbleibt entweder im jeweiligen Herkunftsland oder wird in den unmittelbar angrenzenden Staaten aufgenommen. [Vgl. Nuscheler, F. 1995; Opitz, P. J. 1997; Hutter, F.-J. u.a., Hg. 1999.]

  • Fluchtmigrantinnen und -migranten, die das Territorium der Bundesrepublik Deutschland erreichen, können in ihrer großen Mehrheit somit nicht als „Wirtschafts-„ oder noch schlimmer: „Schein„-Asylanten diffamiert und des „Asylmissbrauchs„ bezichtigt werden. Entscheidendes Fluchtmotiv dieser Menschen ist die Gefährdung von Leib und Leben und die Außerkraftsetzung grundlegender Menschenrechte. Dies trifft auch auf zahlreiche Roma-Flüchtlinge zu, die statistisch unter ihrer jeweiligen Staatsangehörigkeit als z.B. Rumänen, Bulgaren oder Jugoslawen geführt und in ihren jeweiligen Herkunftsgesellschaften massiv bedroht werden.

  • Die im EU-Maßstab exponierte geographische Lage der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Ost- und Südosteuropa erklärt ein Übriges.

  • Hinzukommt, dass die Bundesrepublik Deutschland bereits seit langem eine große sowohl jugoslawische wie auch türkisch-kurdische community beherbergt: Das ehemalige Jugoslawien wie auch die Türkei waren Hauptanwerbeländer in den 60er und 70er-Jahren. Die communities der Arbeitsmigranten sind heute Orientierungspunkte für Fluchtmigranten. Die von ihnen geleistete Aufnahmebereitschaft und Hilfe ist für viele Flüchtlinge überlebensnotwendig. Von daher ist es verständlich, dass z.B. kurdische Flüchtlinge nicht in ihren etwaigen Transitländern Ungarn, Tschechien oder Polen Asyl suchen, sondern in die Bundesrepublik Deutschland kommen möchten, was ihnen nun, unter dem Vorwand, sie hätten bereits ein sicheres Drittland erreicht, in der Regel verweigert wird.

Auch wenn publizistisch aufgebauschte Katastrophen-Szenarios sich längst als falsch erwiesen haben, wonach die Armen der Welt, koste es was es wolle, Zugang zu den reichen Staaten des Westens suchten und hier nichts anderes bewirkten als den „Zerfall der sozialen Ordnung„ [So z.B. Afheldt, H. 1993 und 1995. Vgl. auch die Spiegel-Titel (Nr. 15) v. 6.4.1992: "Asyl. Die Politiker versagen" oder (Nr. 37) v. 9.9.1991: "Flüchtlinge – Aussiedler – Asylanten. Ansturm der Armen."]: Die Herausforderung von Gesellschaft und Politik der Bundesrepublik durch verstärkte Zuwanderung kann nicht geleugnet werden. Dies galt verstärkt, als die konjunkturell günstigen Voraussetzungen, die zu Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre noch gegeben waren, entfielen, und auch der spezifisch deutsche „Vereinigungsboom„ sein Ende fand. Spätestens seit 1993 war klar, dass weitere Arbeitsimmigration – nunmehr vorrangig in Ost-West-Richtung – zwar durchaus erwünscht sein kann, aber einer gesetzlichen bzw. zwischenstaatlich vereinbarten Steuerung bedarf. [Vgl. z.B. Barabas, G. u.a. 1992; Gieseck, A. u.a. 1993; Hof, B. 1993; MAGS 1996; von Loeffelholz, D. und Köpp, G. 1998; Goldschmidt A.M.F. u.a. 1997; Deutscher Bundestag 1998.]

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Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland

Eine ganz andere Frage war diejenige, wie Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik sich zum Tatbestand zunehmender Fluchtmigration verhielten. Hier ging es zwar auch um Fragen des Arbeitsmarktes, insofern Fluchtmigranten Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe und die Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben zu eröffnen sind. Zunächst aber handelte es sich um eine rein humanitäre Angelegenheit.

Würde die Bundesrepublik Deutschland bereit sein, zufluchtsuchende Menschen – in generöser Auslegung der eigenen Verfassung bzw. der von ihr ratifizierten internationalen Übereinkommen – aufzunehmen und würden die politisch Verantwortlichen, sofern sich Widerstände zeigen, alles in ihren Möglichkeiten stehende tun, das Einverständnis eines Großteils, vielleicht sogar einer Mehrheit bundesrepublikanischer Inländerinnen und Inländer zu gewinnen?

Hierzu hätte es breiter, die politischen Lager übergreifender, von den Wertkonservativen bis zu den Linken reichender Absprachen bedurft. Anerkannte „öffentliche Personen„, Intellektuelle, Künstler und Medien-Stars, Repräsentanten von Kirchen und Verbänden u. a., hätten als Moderatoren und Akteure gewonnen werden können. Sodann hätte es einer Informationskampagne bedurft, die den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik die Hintergründe des Fluchtgeschehens erläutert und die Motive der Fliehenden nahe gebracht hätte.

Aus heutiger Sicht kann nur festgestellt werden, dass Derartiges niemals versucht wurde. Im Gegenteil: Der Gestus der Abwehr bestimmte von Anfang an das Regierungshandeln, das so schon bald in eine beträchtliche Schieflage geriet.

Argumente „pro Asyl„, vorgetragen von UNHCR, Pro Asyl und Menschenrechtsorganisationen, Kirchen, Sozialverbänden, Gewerkschaften und Parteien, aufgegriffen und verstärkt von politischen Intellektuellen [Vgl. z.B. Grass, G. 1997.] sowie dem Zentralrat der Juden in Deutschland [Vgl. z.B. die zahlreichen Aufrufe und Stellungnahmen von Ignatz Bubis in der damaligen Pressebericht erstattung.], parlamentarisch repräsentiert von einer zunächst noch beträchtlichen interfraktionellen Minderheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, fanden nicht das Gehör, das ihnen zugestanden hätte. Bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge wurde eher „übersehen„, Formen zivilen Ungehorsams, wie z.B. die Gewährung von Kirchenasyl, als „Rechtsbruch„ diffamiert. Selbst „Lichterketten„ gegen Gewalt und Ausländerhass, die aus der Mitte breit gefächerter urbaner Milieus organisiert und in einigen bundesrepublikanischen Metropolen, zum Beispiel München, als eindrucksvolle Großdemonstrationen realisiert werden konnten, blieben ohne asylpolitische Konsequenz.

Deutliches Gehör fanden dagegen Äußerungen der Fremdenfeindlichkeit und des organisierten Rechtsextremismus. Die Abwehr des Rechtsextremismus wurde schließlich zur zentralen Legitimationsbasis für die Abwehr von Fluchtmigranten. [Söllner, A. 1993; Söllner-Desaga, A. 1996; Jäger, J. u. Wichert, F. 1993; Link, J. 1993; Jäger, M. u. Jäger, S. 1999 und Ganter, S. 1998.]
Die CSU propagierte in diesem Zusammenhang den Slogan „Rechts von uns kein Raum„. Den Rechtsradikalen in Bayern sei nicht durch Parolen, sondern durch „robustes Handeln„ beizukommen. „Robustes Handeln„ aber bedeute: „Es wird seitens der Staatsregierung mehr Konsequenz im Vollzug von Abschiebungen und bei der Überprüfung von Sozialschmarotzern geben.„ [Süddeutsche Zeitung, 28.04.1998; Vgl. auch den Kommentar von Heribert Prantl, ebd.: "Härte gegen Rechts – und wie sie aussieht".]

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Die konservativ-liberale Bundesregierung folgte – mit noch größerer Entschiedenheit als ihre sozialliberale Vorgängerin – der Leitlinie einer „Begrenzung„ weiterer Zuwanderung (vgl. Kanther, M. 1997). [Vgl. auch Santel, B. 1995; Santel, B. u. Weber, A. 2000.]

Diese Leitlinie wurde erstmals 1990 in der „Flüchtlingskonzeption„ einer interministeriellen Arbeitsgruppe festgelegt und dann, 1993, in den „Aufzeichnungen des Bundesinnenministers zur Ausländerpolitik und zum Ausländerrecht„ noch einmal bekräftigt (vgl. Der Bundesminister des Innern 1991 und 1993). Eine Politik der „Begrenzung„ weiterer Zuwanderung richtete sich zum einen gegen potentielle Arbeitsmigranten aus so genannten Drittländern, die auf Dauer eine Arbeits- und Lebensperspektive in der Bundesrepublik suchen. Hier verweigerte die Bundesregierung jegliches gesetzliche Einwanderungsregulativ, – selbst dann, wenn es, wie im Gesetzentwurf des Koalitionspartners F.D.P von 1997, als „Einwanderungskontrollgesetz„ deklariert war. [Vgl. FdK (Freie demokratische Korrespondenz), Sonderausgabe 10.04.1997.] Sie richtete sich vor allem aber gegen Fluchtmigranten, als – unter den aktuellen Bedingungen der 90er Jahre – relativ größte Gruppe potentieller Zuwanderer.

Als gewichtigster und folgenreichster Akt der Zuwanderungsbegrenzung erlangte ein „Asylkompromiss„ zwischen Bundesregierung und SPD-Opposition am 01.07.1993 dauerhafte Rechtskraft: die weitgehende Aushebelung des in der Verfassung festgelegten Grundrechts auf Asyl. [Vgl. Prantl, H. 1993 samt Dokumentation; Schelter, K., Hg. 1996: 109ff.; Münch, U. 1993.] An die Stelle des alten Artikels 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes trat der neue Artikel 16 a.

Der Verfassungsrang, der diesem Akt staatlicher Ausgrenzung zuerkannt wurde, unterstrich die ihm zugeschriebene staatspolitische Bedeutung. Er sollte zugleich die faktische Unumstößlichkeit nunmehr geltender Regelungen garantieren. Dies gilt insbesondere für die Festlegung eines Cordons sogenannter sicherer Drittstaaten, von denen die Bundesrepublik Deutschland lückenlos umgeben sei und für die Definition sogenannter sicherer Herkunfts- oder Transitstaaten. [Zur Enttäuschung vieler entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am 14. Mai 1996, dass das neue Asylrecht noch als verfassungskonform zu betrachten sei (vgl. Schelter, K., Hg. 1996).]

Auf einfachgesetzlichem Wege wurde das Asylverfahren weiter gestrafft und u. a. ein „exterritoriales„ Flughafen-Sonderverfahren eingeführt. [Vgl. Deutscher Bundestag 2000.] Abschiebungen werden durch Einführung einer Abschiebungshaft vorbereitet bzw. gesichert. In immer neuen bilateralen Abkommen wird die „Rückübernahme„ von Flüchtlingen seitens der Herkunftsstaaten vereinbart. [So mit Polen (1991), Rumänien (1992), der Schweiz (1993), Kroatien (1994), Bulgarien (1994 u. 1996), Tschechien (1994), Vietnam (1995), der Bundesrepublik Jugoslawien (1996), Bosnien-Herzegowina (1996), Algerien (1997), Ungarn (1997), Österreich (1997) und Marokko (1998). Das Rückübernahmeabkommen mit Algerien ermöglicht "aus Gründen der Sicherheit" auch die Beteiligung "spezialisierten Sicherheits perso nals" beider Vertragsparteien (vgl. Lehnguth, G. u.a. 1998). Die Innenminister der Bundesrepublik Deutsch land und der Türkei trafen in einem Briefwechsel vom 10.05.1995 Absprachen zum "Verfahren bei der Ab schiebung von türkischen Staatsangehörigen, die sich an Straftaten in Zusammenhang mit der PKK und anderen Terrororganisationen in der Bundesrepublik beteiligt haben" (vgl. ebd.).]

Zwar rühmen sich Bundes- und Landesregierungen, ca. 350.000 Bosnien- und ca. 200.000 Kosovo-Flüchtlinge aufgenommen zu haben und damit im europäischen Kontext die Hauptlast aus dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien getragen zu haben. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings: Noch die faktische Aufnahme dieser Menschen war durchsetzt von Gesten politischer und administrativer Abwehr. Nur ein Bruchteil wurde im Rahmen humani-

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tärer Sonderkontingente aufgenommen. Ein das Asylrecht entlastender, eigens für Bürgerkriegsflüchtlinge geschaffener § 32a AuslG blieb zunächst – im Falle der Bosnier – ungenutzt, weil Bund und Länder sich auf eine Umverteilung der Kosten nicht einigen konnten. Der größere Teil der Kosovo-Flüchtlinge konnte nur deshalb hier bleiben, weil die Bundesrepublik Jugoslawien ihre Rückübernahme verweigerte. Der Aufenthaltsstatus der Mehrheit dieser Flüchtlinge beschränkte sich somit auf einen Zustand faktischer Nichtabschiebung mit gravierenden Auswirkungen auf z.B. Familienzusammenführung und Ausbildungschancen für Kinder und Jugendliche. Noch die Rückführung der Jugoslawien-Flüchtlinge ist von Unzuträglichkeiten und unzumutbaren Härten (z.B. gegenüber Muslimen aus der Republik Srpska, Traumatisierten, Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren sowie gegenüber den Minderheiten der Roma und Aschkali) gekennzeichnet. [Vgl. z.B. Deutscher Bundestag 2000.]

Dem innerstaatlichen Asylkompromiss vorausgegangen waren intensive zwischenstaatliche Konsultationen und Vereinbarungen auf europäischer Ebene mit dem Ziel, nationalstaatliche und EG-weite Abschottung miteinander zu verzahnen. Erzielt wurden z.B. die Dubliner Konvention von 1990 und das sog. Schengener Zusatzabkommen (Schengen II), ebenfalls von 1990, das inzwischen, mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999, Gemeinschaftsrecht der EU ist. [Vgl. amnesty international 1999 und Grenz, W. 1999.]

Zentral am Schengen-Vertragswerk ist die Einführung des Visa-Zwangs für die wichtigsten Herkunftsländer außereuropäischer Flüchtlinge. Beförderungsunternehmen sind bei Androhung von Sanktionen gehalten, nur noch solche Reisende zu transportieren, die über gültige Papiere verfügen. Festgeschrieben wird das Prinzip „One chance only„. Demnach sollen Asylsuchende nur in einem einzigen Unterzeichnerstaat einen Antrag auf Asyl stellen dürfen. Wird ihr Asylantrag abgelehnt, haben sie ihre Chance auf Asyl im gesamten Gebiet der Schengen-Staaten verwirkt. Durch Einrichtung eines Informationssystems sollen die Kontrolle der Einreisenden und die Identifizierung bereits abgelehnter Asylbewerber/innen ermöglicht werden.

Die erzielten Vertragswerke wurden ergänzt durch „Beschlüsse„ bzw. „Schlussfolgerungen„ der Konferenzen der europäischen Einwanderungsminister, die noch weiter reichende Schwerpunkte einer zu harmonisierenden Asylpraxis fixierten. So waren sie es, die bereits 1992 jene Rechtsfiguren des „sicheren Herkunftsstaates„ bzw. „Erstaufnahmelandes„ kreierten, die dann in den neuen Verfassungsartikel 16a eingingen.

Die Einwanderungsminister verständigten sich des Weiteren auf die technische wie personelle Aufrüstung der EU-Außengrenzen (Einsatz von Nachtsichtgeräten, Hubschraubern, Schnellbooten, Hundestaffeln), ein Prozess, in den inzwischen auch die EU-Beitrittskandidaten Ost-Mitteleuropas voll einbezogen sind.

Gleichzeitig wurden längst stillgelegte nationale Grenzen in Form „verdachtsunabhängiger Schleierfahndungen„ in Grenznähe neu belebt. [Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft 1997.]

Die Praxis der Asylgewährung zeigt des Weiteren, dass nicht nur der Grundrechtsschutz, sondern auch die Schutzbestimmungen des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 samt Zusatzprotokoll von 1967 (Genfer Flüchtlingskonvention, GFK) in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr uneingeschränkt gelten. Das für diese Konvention (Art. 33) grundlegende Prinzip des Refoulement-Verbots wird durch das Konzept sog. sicherer Drittstaaten, die sich ihrerseits von sicheren Drittstaaten umgeben sehen, tendenziell ausgehebelt (Gefahr der Kettenabschiebung). Sodann: Im Unterschied zur großen Mehrheit

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der Unterzeichnerstaaten der GFK wird als asylrelevant nur diejenige Verfolgung bewertet, die von Staaten oder einer staatsähnlichen Ordnungsmacht ausgeht – so die grundlegenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 1997. [UNHCR hat stets die Auffassung vertreten, dass die Konvention für alle Personen mit begründeter Furcht vor Verfolgung gilt, unabhängig vom Urheber der Verfolgung. Die restringierte Minderheitenposition bei der Auslegung der GFK wird außer von Deutschland noch von Frankreich, Italien und der Schweiz ein ge nommen (vgl. UNHCR 2000: 185).]
Flüchtlingen, die aus Kriegs- und Krisengebieten zerfallender Staaten fliehen, wie z.B. aus Bosnien-Herzegowina, Somalia, Angola, Afghanistan, Sri Lanka oder Algerien wurde damit die asylrechtliche Legitimation abgesprochen. Eben dies gilt auch für Frauen, denen in ihren Herkunftsgesellschaften harte und unmenschliche Behandlung droht, weil sie geltende soziale Normen überschritten haben und für Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung.

Zur Praxis der Behörden

Abgesehen von derart restriktiver Auslegung des Asylrechts wurden immer wieder begründete Zweifel an der Qualität der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) durchgeführten Asylverfahren laut. [Vgl. z.B. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1994 und 1995; Deutscher Caritas-Verband 1994; Deutsche Bischofskonferenz 1998.] Hierzu gehört, dass der Bundesbeauftragte für Asylfragen – bis vor Kurzem jedenfalls – keine Gelegentlich ausließ, gegen Entscheidungen zugunsten Asylsuchender Rechtsmittel einzulegen. Kritik richtete sich immer wieder auch auf die – zum Teil unter Mitwirkung des Bundesamtes verfassten – Lageberichte des Auswärtigen Amtes, die den Entscheidungen des Bundesamtes und der Gerichte zugrunde gelegt werden.

Die Deutsche Bischofskonferenz spricht resümierend von „Fehlleistungen der Verwaltungen und Gerichte„ sowie von „Mängeln bei der Durchführung des Asylverfahrens mit z. T. fatalen Folgen für die Betroffenen.„ Vor diesem Hintergrund ergebe sich eine Beistandspflicht der Kirche, das Flüchtlingen versagte Recht vom Staat einzufordern (1998: 3).

Mit einer Quote von 3,0 % erreichte die Anerkennung Asylsuchender gem. GG in den Jahren 1999 und 2000 ihren vorläufigen Tiefpunkt. Von der Möglichkeit „kleines Asyl„ gem. § 51,1 AuslG oder andere Formen des Abschiebungsschutzes zu gewähren und damit den Schutzbestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zu entsprechen, wurde 1999 in 4,5 % und 2000 in 7,9 % der Fälle Gebrauch gemacht.

Zwar darf angenommen werden, dass sich diese Prozentsätze durch Anrufung der Verwaltungsgerichte nicht unbeträchtlich erhöhen, auch darf unterstellt werden, dass die tatsächliche Schutzquote erheblich höher ausfällt als die veröffentlichte Anerkennungsquote, weil lokale Ausländerbehörden auch rechtskräftig abgelehnten Asylbewerbern aus humanitären und anderen Gründen kurz bemessene Duldungen (Kettenduldungen) erteilen. Dennoch muss von einer enormen Dunkelziffer solcher behördlichen wie gerichtlichen Entscheidungen ausgegangen werden, bei denen berechtigten Schutzbedürfnissen Asylsuchender nicht stattgegeben wurde. [Die Bundesausländerbeauftragte errechnete, dass von 1995-99 48,8% aller Asylsuchenden zumindest vorübergehenden Abschiebungsschutz erhielten. Vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländer fragen 2000. Sodann: Marieluise Beck 2000: 12.]
Vorläufige Endstation abgelehnter Asylbewerber ist häufig genug die Abschiebungshaft. Gleichzeitig mehren sich die dokumentierten Fälle derjenigen, die nach ihrer Rückkehr

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inhaftiert, misshandelt und der Folter unterworfen wurden oder schließlich als unauffindbar „verschwanden„. [Vgl. z.B. Dietert-Scheuer, A. Januar 1999; Förderverein des Niedersächsischen Flüchtlingsrats Februar 1999; Pro Asyl 1999; Antirassistische Initiative Berlin Januar 2000.]

Die Zahl derjenigen Flüchtlinge, die das Territorium der Bundesrepublik Deutschland noch erreichen und einen Asylantrag stellen können, ging inzwischen stark zurück: von 438.191 (1993) auf 95.113 (1999) und 78.564 (2000). Das Gleiche gilt für diejenigen Flüchtlinge, die sich (noch) in der Bundesrepublik aufhalten. Sie verminderte sich von 1.925.500 (1993) auf ca. 1,1 Mio. (1999) und ca. 1,0 Mio. (2000). [Quelle: BMI, Mitteilung vom 8.1.2001.]

In Relation zur bereits ansässigen Bevölkerung nimmt die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 den zwölften Platz unter den europäischen Staaten ein. Auch die Anerkennungsquoten des BAFl liegen – im europäischen Vergleich – weit hinter denjenigen vergleichbarer Nachbarstaaten, wie z.B. Belgien (24,8 %), Dänemark (72,4 %), Frankreich (20 %), Großbritannien (34,9 %), Niederlande (27,3 %), Norwegen (41,4 %), Schweden (46,4 %), Schweiz (39,7 %). [Quelle: UNHCR 2001: 357 ff.] Tausende riefen die Petitionsausschüsse der Landtage an, in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Berlin auch die dort eingerichteten Härtefallkommissionen. [Härtefallkommissionen, an denen neben zuständigen Landesministerien auch Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsräte beteiligt sind, können zwar selbst keine Abschiebungen aussetzen oder verhindern, aber Empfeh lungen an die Ausländerbehörden geben, wenn nach ihrer Erkenntnis in der bevorstehenden Ausweisung ein Härtefall zu sehen ist. Die Ausländerbehörden respektieren ihrerseits den Wunsch z.B. der Landesregierung von NRW, niemanden abzuschieben, dessen Fall noch von der Härtefallkommission behandelt wird. Auch scheinen sie die dann zu treffenden Entscheidungen an den Empfehlungen der Härtefallkommission zu orientieren. In einer Bilanz des Landesinnenministeriums NRW für die Jahre 1996-2000 wird mitgeteilt, dass in 16,5% der insgesamt 1.980 behandelten Fälle die Kommission empfohlen habe, dem Anliegen der Antragsteller voll zu entsprechen. Weitere 24,4% der Anträge seien zumindest teilweise erfolgreich gewesen (vgl. Innen ministerium des Landes NRW: Merkblatt für die Anrufung der Härtefallkommission (HFK) beim Innen ministerium des Landes Nordrhein-Westfalen; Hügel, V. M. 1997 u. 1999; Statistik der HFK-Geschäftsstelle, Stand 31.12.2000).]
Hunderte suchten und suchen in Kirchen und Klöstern Schutz (Kirchenasyl), um einen Aufschub und die erneute Prüfung ihres Asylantrages zu erwirken. [Vgl. Just, W.-D. 1993 und 1999; Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche o.J. und 2001; Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW e.V. 1998; Uihlein, H. 1997; Wieschhoff, R. 1998; Evangelische Akademie Mülheim a. d. Ruhr 1992 ff.; zur rechtlichen Würdigung vgl. Rothkegel, R. 1997 und Hirsch, B. 1998.]

Kirchenasyl als bürgerschaftliches Engagement

Ca. zweihundert evangelische und katholische Kirchengemeinden sowie Ordensgemeinschaften und Klöster sind bundesweit bereit, in diesem Sinne „Asyl„ zu geben und wurden hierzu von den Kirchenleitungen ausdrücklich legitimiert. [Vgl. Kirchenamt 1997: 98ff. Zur Bewertung der Erklärung vgl. auch Prantl, H. 1997 und Evangelische Akademie Mühlheim a.d. Ruhr 1998.]
Sie schlossen sich inzwischen zu ökumenischen Netzwerken auf Bundes- und Bundesländer-Ebene zusammen. Vorläufige Bilanz der Jahre 1996-2000: 909 Menschen wurde Schutz vor drohender Abschiebung gewährt, Fälle von nicht öffentlich gemachter „stiller„ Asylgewährung nicht eingerechnet. Zwei Drittel dieser Menschen stammen aus der Türkei und waren kurdischer Volkszugehörigkeit. In 73,62 % der Fälle fanden die Aufgenommenen dauerhaften oder zumindest vorläufigen Schutz. 12 Kirchenasyle endeten mit einer Abschiebung der Flüchtlinge, in 5 Fällen kam es zu einer gewaltsamen Räumung des Kirchenasyls. In 21 Fällen

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entzogen sich die Flüchtlinge durch „Untertauchen„ der Abschiebung (vgl. Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft 2001).

Allerdings bleibt auch festzuhalten: „Die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden reagieren auf die Kirchenasylpraxis mit immer größerer Härte. Kirchenasyl – als vorübergehende Schutzgewährung gedacht – wird in vielen Fällen zum zermürbenden Dauerzustand. So dauern die aktuellen Kirchenasyle durchschnittlich bereits ein Jahr. Immer mehr Kirchenasyle werden abgebrochen, sei es mit Polizeigewalt oder weil die Flüchtlinge wegen der Aussichtslosigkeit des Kirchenasyls abtauchen. Ermittlungsverfahren gegen Pfarrerinnen und Pfarrer und Haftbefehle gegen Flüchtlinge im Kirchenasyl gehören zum Alltag der Gemeinden„ (Wieschoff, R., 1998: 6).

Asylpolitische Optionen der rot-grünen Bundesregierung

Mit der Bundestagswahl vom 27. September 1998 wurde die seit 16 Jahren regierende konservativ-liberale Koalition abgewählt. Rot-grün trat an die Stelle von schwarz-gelb. Dieses Wahlergebnis lässt sich gewiss nicht so deuten, dass eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler den radikalen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik eingefordert habe. Mit noch größerer Gewissheit aber auch nicht so, dass Ausgrenzung und Integrationsverweigerung gegenüber Fluchtmigranten umstandslos fortzusetzen seien. Als zutreffender erscheint eine Deutung, der zufolge Spielräume eröffnet wurden: Die Mehrheit scheint bereit, solche Korrekturen mitzutragen, die die zahlreichen, als unmenschlich wahrgenommenen Härten bisheriger Asylpraxis nach Möglichkeit ausschließen.

Für die Politik schien so eine Atempause gewonnen und damit die Chance, Reformoptionen auch im Bereich der Asylpolitik einzuleiten. [Vgl. auch Barwig, K. u.a., Hg. 1999.] Pro Asyl hatte dazu – in Abstimmung mit Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Menschenrechtsorganisationen und DGB – eine ebenso sorgfältig erarbeitete wie inhaltlich maßvolle Vorlage erarbeitet (1998 b). [Auch Pro Asyl (1998) ging davon aus, dass eine verfassungsändernde Mehrheit zur Wiederherstellung des Artikels 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht in Sicht ist. Es müssten deshalb die verbliebenen Möglichkeiten genutzt werden, um Flüchtlinge zu schützen. Hierzu entwickelte Pro Asyl einen Acht-Punkte-Katalog samt Vorschlägen zu dessen Umsetzung.]
Nahezu gleichlautende Vorstellungen waren seit langem den Partei- und Wahlprogrammen des Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen zu entnehmen. [Vgl. Bündnis 90/Die Grünen 1992, 1996, 1998 u. 1999.]

Würde die schnell ausgehandelte Koalitionsvereinbarung (Kapitel „Integration„) der neuen Regierungsmehrheit derart vorgezeichnete Spielräume und Anstöße tatsächlich nutzen? Hier stellte sich bald Ernüchterung ein: Fragen der Asylpolitik wird im Gesamtkontext der Ausländerpolitik allenfalls marginale Bedeutung zubemessen (vgl. SPD und Bündnis 90 /Die Grünen 1998: 37/38). So fällt zunächst auf, dass auch nur Begriffe wie „Asyl„ und „Asylpolitik„ in der Koalitionsvereinbarung vermieden werden. Der GFK und der EMRK als den völkerrechtlich vereinbarten Instrumenten einer Schutzgewährung für Flüchtlinge wird zwar Reverenz erwiesen: Sie sollen (erneut) Beachtung finden. Diese – zunächst im nationalstaatlichen Rahmen und hier vorbildhaft zu realisierende – Option wird dann allerdings von Fortschritten einer EU-weiten Flüchtlingspolitik abhängig gemacht.

Angesprochen, allerdings nicht weiter präzisiert werden des Weiteren folgende Punkte:

  • eine Altfallregelung, die mit den Bundesländern zu erreichen sei,

  • eine (so nicht genannte) Härtefallregelung, die von vornherein auf einen extrem kleinen Personenkreis eingegrenzt sein soll,

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  • die Überprüfung der Dauer von Abschiebungshaft und Flughafenverfahren,

  • die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Verfolgungsgründe.

Die stark reduzierte Alimentierung von Fluchtmigranten (gem. Asylbewerberleistungsgesetz) einerseits, der weithin untersagte Zugang zu Erwerbsarbeit (Arbeitserlaubnisrecht) andererseits, beides in der Zuständigkeit des Bundesarbeitsministers, wurden in der Koalitionsvereinbarung gar nicht erst thematisiert. Somit durfte (und darf) mit erheblicher Spannung darauf gewartet werden, ob und wenn ja welche asylpolitischen Optionen in der 14. Wahlperiode tatsächlich umgesetzt werden (können).

Seit dem Frühjahr 2000 zeichnet sich – zunächst in Einwanderungsfragen – Bewegung ab. Denn seit langem vorgetragene Anwerbebegehren der deutschen Wirtschaft, häufig verknüpft mit ökonomischen, technologischen und demografischen Diskursen zur weiteren Zukunft des „Standorts Bundesrepublik Deutschland„, fanden erstmals regierungsamtliches Gehör. Einwanderung erscheint seitdem in neuem Licht, ja als dringend erforderlich. Der Bundeskanzler reagierte im Mai 2000 mit einer sog. Greencard-Initiative zugunsten zunächst der IT-Branche. [Das Nähere hierzu ist in zwei Verordnungen vom 11. bzw. 25. Juli 2000 geregelt (BGBl. I, 1146 und BGBl. I, 1176). Ausländischen Fachkräften der Informations- und Kommunikationstechnologie wird eine Auf ent haltserlaubnis und Arbeitsgenehmigung erteilt, sofern sie über einen entsprechenden Studienabschluss verfügen oder ein Jahresgehalt von mindestens 100.000 DM beziehen oder als Studenten mit einer Aufent haltsgenehmigung in Deutschland ein entsprechendes Studium erfolgreich abgeschlossen haben. Die Zahl der Fachkräfte ist auf 10.000 festgelegt und kann bei Bedarf auf 20.000 erhöht werden. Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung werden für die Dauer der Beschäftigung, längstens für fünf Jahre, erteilt.] Anschließend vollzog er einen politischen Schwenk: Noch in der laufenden Legislaturperiode solle ein umfassendes Regulativ zu Fragen der Einwanderung in Kraft gesetzt werden. Eine vom Bundesinnenminister berufene „überparteiliche Sachverständigenkommission„ unter Vorsitz der CDU-Politikerin Rita Süssmuth wurde im Juli 2000 beauftragt, hierzu Empfehlungen und praktische Lösungsvorschläge zu erarbeiten. [Weitere Mitglieder der Kommission sind Hans-Jochen Vogel (Stellv. Vorsitzender), Cornelia Schmalz-Jacobsen, Jürgen Schmude, Horst Eylmann, Kay Hailbronner, Oberbürgermeister Hans-Joachim Hoffmann, Gerd Landsberg, Hans-Olaf Henkel, Frank Niedhammer, Christoph Kannengießer, Roland Issen, Heinrich Putzhammer, Weihbischof Josef Voß, Bischof Karl-Ludwig Kohlwage, Paul Spiegel, Herbert Schnoor, Roland Schilling, Rainer Münz, Ralf Fücks.]

In diesem Kontext schienen auch diejenigen politisch-gesellschaftlichen Akteure an Boden zu gewinnen, die den humanitären Aspekt von Zuwanderung bzw. Zufluchtnahme in den Vordergrund stellen oder jedenfalls als unabdingbar berücksichtigt sehen wollen.

Hier bedurfte es zunächst eines Signals an die IMK, den Bogen bei der Rückführung noch verbliebener Bosnier sowie der Kosovaren nicht völlig zu überspannen. Dieses Signal verdankt sich einer interfraktionellen Initiative im Deutschen Bundestag, an der nicht zuletzt der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages und dessen Vorsitzende, Claudia Roth, sowie dessen stellvertretender Vorsitzender, Christian Schwarz-Schilling, großen Anteil hatten. [Vgl. auch Schwarz-Schilling, Ch.: März 2001.] Eine breite Mehrheit des Deutschen Bundestages stimmte am 30. Juni 2000 dem Antrag „Humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspolitik beachten„ zu. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass bei traumatisierten und anderen besonders belasteten bzw. gefährdeten Gruppen von Flüchtlingen auf eine Ausreiseaufforderung verzichtet wird und bereits erteilte Ausreiseaufforderungen widerrufen werden. [Die IMK kam nicht umhin, wenigstens teilweise auf die gestellten Forderungen einzugehen. Vgl. Anm. 103.]

Bewegung zeigte sich auch im Zuständigkeitsbereich des Bundesarbeitministers. Der Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge wurde durch eine Rechtsverord-

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nung, gültig ab 15. Dezember 2000, neu reguliert. [Vgl. Erste Verordnung zur Änderung der Arbeitsgenehmigungsverordnung vom 8. Dezember 2000 (BGBl. I, 1684).] Kern der neuen Rechtsverordnung ist die Aufhebung des sog. Blüm- bzw. Clever-Erlasses von 1997. Asylbewerbern und geduldeten Flüchtlingen wird nach 12 Monaten des Aufenthalts hier der (nachrangige) Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet. Die Fortsetzung eines Beschäftigungsverhältnisses bei demselben Arbeitgeber bedarf – jedenfalls nach einjähriger Beschäftigung – keiner nochmaligen Vorrangprüfung. Die bisher geltende Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) wird entsprechend geändert. Auch über eine Neuordnung der Sprachförderung für Zuwanderer wird im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) und anderen Bundesministerien nachgedacht: bisher zersplitterte Zuständigkeiten und Förderkassen sollen zusammengefasst und auf diese Weise Synergieeffekte bewirkt werden. Flüchtlinge, die nach § 51,1 AuslG asylrechtlich anerkannt sind, sollen in die Sprachförderung einbezogen, Asylbewerber und bloß geduldete Flüchtlinge allerdings weiterhin ausgegrenzt bleiben. Entsprechend dem Wunsch der Europäischen Kommission sollen Asylbewerberinnen und -bewerber sowie geduldete Flüchtlinge jedoch ausdrücklich in den Aktionsradius der neuen ESF-Gemeinschaftsinitiative EQUAL einbezogen werden. Entsprechendes gilt hier erst recht für Konventionsflüchtlinge gem. § 51,1 AuslG.

Signale des Einlenkens in der Asyl-Entscheidungspraxis und einer neuen „Sensibilität„ gegenüber Asylsuchenden waren selbst aus dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) zu vernehmen. Der neue Präsident des BAFl, Albert Schmid, bekennt freimütig, dass die bisherige Entscheidungspraxis des – formal weisungsungebundenen – Bundesamtes „von quantitativen Erwartungen, wie hoch die Anerkennungsquoten ausfallen durften„, bestimmt war. In Zukunft werde das Bundesamt „ernsthafter als bisher prüfen, ob ein Flüchtling politisch verfolgt ist„. Hierzu beitragen werde eine „ausgewogenere„ Informationsbasis für die Entscheiderinnen und Entscheider [Als solche dient u.a. das Informationszentrum Asyl des BAFl. Vgl. Schmid, A. und Gräfin Praschma, U. 2001: 59 ff.] und ein neu berufener Beirat aus Experten, dem auch Vertreter von NGOs [Dieses Forum hat sich am 23. November 2000 in Nürnberg unter dem Vorsitz des Präsidenten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, Prof. Dr. Wittmann, konstituiert. Ihm gehören außer Richtern, Wis senschaftlern, Rechtsanwälten und Verwaltungsbeamten auch Vertreter von UNHCR und amnesty inter national sowie des Deutschen Caritasverbands und des Diakonischen Werks der EKD an. Aufgabe dieses Expertenforums ist es, das Informationszentrum des BAFl beratend zu unterstützen. Durch einen Dialog mit ausgewiesenen Fachleuten soll die Qualität der Entscheidungsgrundlagen des Bundesamts nachhaltig gesichert und die Akzeptanz auch bei externen Nutzern weiter erhöht werden. (Vgl. ZAR 1/2001: 45.] angehören sollen. [Interview, in: Die Tageszeitung, 9.2.2001. Vgl. auch Prantl, H.: 2000.]

Schließlich rügte das Bundesverfassungsgericht mit einem sog. Afghanistan-Urteil von August 2000 die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als „überspannt„, der zufolge Asylanträge von Flüchtlingen aus Afghanistan schon deshalb abzulehnen seien, weil dort, trotz des Regimes der Taliban, von staatsähnlicher Herrschaft nicht die Rede sein könne. [Az 2 BvR 260/98 und 1353/98.] Mit einem weiteren Urteil zur Praxis des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten von Januar 2001 kritisierte das Gericht die bisherige Praxis des Bundesbeauftragten für Asylfragen, Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Bundesamtes nur dann einzulegen, wenn diese Entscheidungen zugunsten von Flüchtlingen, nicht aber zu ihren Ungunsten ausfielen. Dies entspreche nicht dem gesetzlichen Auftrag des Bundesbeauftragten, zur Bundeseinheitlichkeit von Asylentscheidungen beizutragen. [Az 2 BvR 143/98.]

Signale einer vorsichtigen Öffnung ergingen schließlich aus Brüssel.

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Durch den Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten zum 1. Mai 1999) und die dort vereinbarte „Vergemeinschaftung„ der Asylpolitik, ist der Europäische Rat gehalten, innerhalb eines Übergangszeitraums von fünf Jahren Mindestnormen eines alle EU-Mitglieder bindenden Asyl- und Einwanderungsrechts (einstimmig) zu beschließen. Die Europäische Kommission unterbreitet hierzu u. a. Richtlinienvorschläge. [Flüchtlingspolitisch besonders relevant sind hier bisher die Richtlinienvorschläge- betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom Dezember 1999, - für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedsstaaten vom Mai 2000 und - über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft von September 2000.] Als inhaltliche Leitlinie für ein derartiges Asylrecht wurde vom Europäischen Gipfel in Tampere (15./16. Oktober 1999) die „uneingeschränkte und allumfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention„ vorgegeben. Diese Option ist inzwischen Bestandteil auch der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 18).

Der Richtlinienentwurf über Mindestanforderungen an das Verfahren kreist insbesondere um die Möglichkeit, überhaupt Zugang zu einem effektiven Prüfungsverfahren zu finden. In diesem Zusammenhang schlägt er Korrekturen bisheriger Drittstaatsregelungen vor: Asylsuchenden stehe ein Recht auf Anhörung, also ein Verfahrenszugangsrecht, noch an den Grenzen zu. Prüfgegenstand hier sei zum einen, ob es sich bei dem Drittland tatsächlich um einen sicheren Drittstaat handelt und zum anderen, ob dieses Drittland als für den jeweiligen Asylbewerber als sicherer Drittstaat angesehen werden kann. In diesem Zusammenhang fallen z.B. persönliche Bindungen ins Gewicht, z.B. die Anwesenheit von Familienangehörigen oder auch Bindungen, die aus einem früheren Aufenthalt herrühren. Auch müsse der Asylsuchende bereits Gelegenheit gehabt haben, im Drittstaat Schutz zu beantragen. Ein bloßer Transit genügte jedenfalls nicht, um ihn nach dort zurückzuschieben. [Vgl. auch amnesty international u.a. 2001: 1 ff.]


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