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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 3]


Vorbemerkung

In der Öffentlichkeit wird selten berichtet, wie die konkreten Lebensbedingungen von Flüchtlingen in unserer Gesellschaft aussehen. Auch welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor Verfolgung zu finden und als Flüchtling anerkannt zu werden, ist vielen nicht bekannt. Sehr schnell wird die Forderung erhoben, nicht anerkannte Flüchtlinge abzuschieben, ohne die vielfältigen Hindernisse zu bedenken, die dem entgegenstehen.

Die hier vorgelegte Expertise gibt deshalb einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Bundesrepublik Deutschland zur Aufnahme und Zurückweisung von Fluchtmigranten. Sie schildert, wie die Unterbringung von Flüchtlingen geregelt ist und welche unterstützenden Hilfemaßnahmen von sozialen und staatlichen Akteuren es gibt. Besonders bemerkenswert ist, dass sie auch die Beurteilung der Lebenssituation und der weiteren Perspektiven durch Flüchtlinge selbst thematisiert. Der Autor der Studie plädiert für eine Öffnung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes für länger in Deutschland lebende Flüchtlinge. Dies führt zum einen zur Entlastung unserer sozialen Sicherungssysteme und bietet zum anderen den Fluchtmigranten eine sinnvolle Lebensperspektive. Es muss natürlich sorgfältig abgewogen werden, in welchen Regionen und Arbeitsfeldern es Beschäftigungsmöglichkeiten für diese Personengruppe gibt, ohne dass Verdrängungsmechanismen auf dem Arbeitsmarkt einsetzen und soziale Standards ausgehöhlt werden.

Wir wünschen uns, dass diese Expertise in der gegenwärtigen Diskussion um die Modernisierung unserer Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zu einer Versachlichung der Diskussion beiträgt. Sie gibt Ansatzpunkte für die Gestaltung einer Flüchtlingspolitik, die unserer humanitären Verpflichtung zur Aufnahme und zum Schutz von Flüchtlingen entspricht.

Dr. Ursula Mehrländer
Leiterin des Gesprächskreises
Migration und Integration

Günther Schultze
Referent für Migrationspolitik

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[Seite der Druckausg.: 5-6 = Inhaltsverz.]

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Zusammenfassung

Eine „neue Einwanderung„ kennzeichnet die 90er-Jahre: Neben die Arbeitsmigranten aus EU- oder Drittstaaten sowie deren nachwandernde Familienangehörige und neben die Spätaussiedler aus Ländern Osteuropas, treten als dritte Großgruppe Fluchtmigranten, die in der Bundesrepublik Asyl oder wenigstens subsidiären Schutz suchen oder nach Maßgabe des Kontingentflüchtlingsgesetzes (HumHAG [Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge.]) Aufnahme fanden. Diese neue Einwanderung verdankt sich – entgegen verbreiteten Vorurteilen – nicht in erster Linie wirtschaftlichen Motiven, gehören doch zahlreiche Fliehende den wohlhabenden, gebildeten Mittelschichten ihrer Herkunftsländer an, wo sie in den urbanen Zentren und als qualifiziert Ausgebildete vergleichsweise gut existieren konnten und in ihrer Lebensplanung ganz auf ihr Herkunftsland ausgerichtet waren. Die Verhältnisse dort ließen ihnen keine andere Wahl als diejenige der Flucht über die Grenzen. Afghanistan, Algerien, Irak, Iran, Ruanda, Sri Lanka, Sudan, Togo, Türkei, Zaire/Kongo und Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, aber auch der Sowjetunion – um nur einige der Hauptherkunftsländer zu nennen: Politische Verfolgung und/oder Bürgerkriege, Menschenrechtsverletzungen sowie Gräuel aller Art kennzeichnen die dortige Situation. Als Flüchtlinge aus lebensbedrohlichen Situationen setzen sie Vertrauen in den menschenrechtlichen Gehalt westlicher Demokratien und in die Tragfähigkeit internationaler Konventionen zum Schutz auch derjenigen, denen in ihren Herkunftsländern die Grundrechte versagt bleiben.

Nur knapp die Hälfte derjenigen, die sich am 31.12.2000 noch in der Bundesrepublik aufhielten, erlangte ein Bleiberecht nach Maßgabe des Grundgesetzes (Art. 16 bzw. 16a GG), des Ausländergesetzes (§ 51,1 AuslG) oder des Kontingentflüchtlingsgesetzes und steht unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. [Es handelt sich um insgesamt 493.000 Personen. Vgl. eine Aufstellung des Bundesinnenministeriums vom 8.1.2001.]
Die weitaus größere Hälfte steht noch im Verfahren oder erhielt als Bürgerkriegs- und De-facto-Flüchtlinge [Hier handelt es sich um ca. 600.000 Personen, vgl. ebd.] bloß subsidiären Schutz [Vgl. §§ 53-56 AuslG. Diese Menschen gelten als grundsätzlich ausreisepflichtig. Ihre Abschiebung wird lediglich kurzfristig, in Form von Duldungen oder "Kettenduldungen", ausgesetzt.].

Die Tatsache, dass eine Mehrheit dieser nur vorübergehend und nachrangig Geschützten sich inzwischen über Jahre in der Bundesrepublik aufhält, ihre Anwesenheit somit längst voll legalisiert und von Integrationsangeboten begleitet sein müsste, wird aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Diese Menschen leben zwar auf dem Territorium der Bundesrepublik, doch wird ihnen das Transitorische, Uneigentliche, Unerwünschte ihres Aufenthalts stets vor Augen geführt. In Massenunterkünften zusammengedrängt und oft sozialräumlich isoliert, wird den meisten von ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung gem. AuslG dauerhaft verweigert. Eine sog. Residenzpflicht bindet sie an ihre (kreisfreie) Stadt, ihren Landkreis oder Regierungsbezirk. Staatliche Unterhaltsleistungen, häufig in bargeldlosen Formen übermittelt, sind weit unter das Niveau geltender Sozialhilfestandards gedrückt. Legale Erwerbsarbeit muss ihnen als ferner „Traum„ erscheinen: Das geltende Arbeitsgenehmigungsrecht bietet die jederzeitige Handhabe, (noch) nicht „anerkannte„ Fluchtmigranten von Erwerbsarbeit fernzuhalten. Gleichzeitig stehen sie unter der ständigen Drohung einer – auch zwangsweisen – „Rückführung„ ins Herkunftsland.

Die folgenden Ausführungen behandeln schwerpunktmäßig die rechtliche und soziale Situation dieser Großgruppe von Flüchtlingen, aber auch Prozesse (heimlicher) sozialer Integration.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2002

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