FES | ||||||||||||||
|
|
TEILDOKUMENT:
These 7: Kostensenkung durch strukturierte und qualitätsgesicherte Programme (Disease Management-Programme) Der Aufbau einer gezielten und systematischen Prävention gelingt am ehesten im Rahmen strukturierter Programme, wie z.B. sog. Disease Management Programmen. Disease Management wurde in den USA zur Qualitätssicherung und Kostenstabilisierung entwickelt, als sich herauskristallisierte, dass sich durch unkoordinierte Einzelmaßnahmen (Ressourcen- oder Komponentenmanagement) keine weiteren Kosteneinsparungen realisieren ließen. Die Prämisse des Disease Managements ist entsprechend, dass eine systematische, sekorenübergreifende, evidenzbasierte und langfristige Versorgung einer Patientengruppe qualitativ hochwertiger und kosteneffektiver ist, als die unkoordinierte Versorgung von Krankheitsepisoden einzelner Individuen. Für qualitätsgesicherte Disease Management-Programme liegt Evidenz internationaler Studien vor, dass der Prozentsatz chronisch Kranker, die evidenzbasiert therapiert werden, bei gleichzeitiger Kostensenkung deutlich ansteigt (Abbildung 21). Abbildung 21: Medizinische und Ökonomische Outcomes von Disease Management Programmen
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Disease Management and Health Outcomes 2000 [Disease Management and Health Outcomes 2000.]. Einsparungen im stationären Sektor werden durch eine Verkürzung der Krankenhausaufenthaltsdauer, vermiedenen Einweisungen in Notfallambulanzen und eine Senkung der Komplikationsraten mit nachfolgender stationären Behandlung erreicht. Einsparungen im ambulanten Bereich können sich durch eine Optimierung der medikamentösen Therapie mit der Verdrängung nicht-wirksamer Medikamente durch evidenzbasierte Medikamente ergeben, sowie durch eine Reduktion der erbrachten Leistungen (Arztbesuche, Doppel- und Mehrfachuntersuchungen). Entsprechende Einsparungen sind nur möglich, wenn die Disease Management Programme auf der Grundlage der evidenzbasierten Medizin und bei strenger Qualitätskontrolle durchgeführt werden. Außerdem ergeben sich mögliche Einsparungen nicht kurzfristig, es sei denn, die Disease Management Programme werden auch zum Abbau bestehender Über- oder Fehlversorgung bei chronisch Kranken eingesetzt, was unbedingt zu empfehlen wäre. Industrieabhängige Projekte, Verzicht auf die Konzentration auf das Wesentliche, Ausklammerung des Abbaus von Über- und Fehlversorgung und die Einschreibung nicht geeigneter Patienten sind Gefahren, denen am besten durch eine frühe Klärung der geeigneten Erkrankungen und eine krankheitsspezifische Definition der Anforderungen an die Programme begegnet werden kann.
These 8: Gezielte Prävention kann die Krankheitslast in der Bevölkerung senken
Das zentrale Anliegen der Gesundheitspolitik zur Stabilisierung der Kosten muss es sein, den durchschnittlichen Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern. Wie bereits dargelegt, ist der entscheidende Faktor für die gesamten Kosten für Gesundheit die Zahl der chronisch Kranken in der Bevölkerung insgesamt und deren durchschnittlicher Gesundheitszustand. Als zentrales Instrument zur mittelfristigen Sicherung der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems ist daher eine effektive, systematische und gezielte Prävention zu fordern. Durch gezielte Präventionsprogramme können beispielsweise Risikofaktoren beeinflusst werden, die gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten mehrerer chronischer Erkrankungen beeinflussen. So ergaben große epidemiologische Studien mit Beta-Blockern und Diuretika über 5 Jahre bei Patienten mit Bluthochdruck, dass eine Senkung des diastolischen Blutdrucks um 5 bis 6 mmHg bei geeigneten Patienten das Risiko einen Schlaganfall zu erleiden um 38% und das Risiko ein kardiovaskuläres Ereignis zu entwickeln um 16% senkt
[Collins R, Peto R, MacMahon s, Herbert P, fiebach NH, Ererieein KA, Godwin J, Qizibash N, Taylor JO, Hennekens CH. Blood pressure, stroke, and coronary heart disease. Part 2, short-term reductions in blood pressure: overview of randomised drug trials in their epidemiological context. Lancet 1990;335:827-839. Collins R, MacMahon s. Blood pressure, antihypertensive drug treatment and the risks of stroke and of coronary heart disease. Br med bull 1994;50:272-298. Mac Mahon S, Rodgers A. the effects of antihypertensive treatment on vascular disease: reappraisal of the evidence in 1994. Journal of Vascular Medicine and biology 1993;4:265-271. Messerli FH, Grossman E, Goldbourt U. Are beta-blockers efficacious as first-line theapy for hypertension in the elderly? A systematic review. JAMA 1998;279:1903-1907.].
Durch den Aufbau wissenschaftlich gesicherter, nationaler Präventionsstrategien für die wichtigsten Volkskrankheiten hat das deutsche Gesundheitssystem die Chance, die Finanzierbarkeit bei gleichzeitiger Wahrung eines qualitativ hohen Versorgungsniveaus langfristig zu sichern. Beispielsweise konnte in Finnland durch strukturierte Präventionsprogramme innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren die Anzahl neu eingetretener Herzinfarkte halbiert werden
[Vartiainen E, Puska P, Jousilahti P, Korhonen HJ, Tuomilehto J, Nissinen A. Twenty-year trends in coronary risk factors in north Karelia an in other areas of finland. Int J Epidemiol 1994;23(3):495-504.].
These 9: Ein Modell der Grund- und Zusatzversicherung trifft nicht das Kernproblem der GKV, sondern fördert die Erbringung von nicht-evidenzbasierten und nicht-kosteneffektiven Verfahren in der medizinischen Versorgung
Als Reformoption zur Sicherung der Finanzierbarkeit in der Gesetzlichen Krankenversicherung wird immer wieder die Eingrenzung des Leistungskatalogs mit einer Aufteilung in Grund- und Zusatzleistungen diskutiert. Über die Zusatzversicherung sollen die nicht solidarisch über die gesetzliche Krankenversicherung zu finanzierenden Leistungen abgedeckt werden. Nach welchen Kriterien soll eine Eingrenzung des Leistungskatalogs jedoch vorgenommen werden? Eine abschließende Definition wirksamer Leistungen ist aufgrund des kontinuierlichen Fortschritts in der Medizin nicht möglich. Medizinische Verfahren veralten täglich und werden durch wirksamere Verfahren verdrängt. Das SGB V definiert daher den Leistungsumfang der auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden kann sinngemäß als dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse entsprechend und unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts" (§ 2 I SGB V) sowie explizit aus- bzw. eingeschlossene Leistungen. Zu beachten sind ferner das Wirtschaftlichkeitsgebot (§12 SGB V) und die medizinische Notwendigkeit. Ausgehend von dieser Prämisse sind für die Bewertung von Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung zwei Fragen entscheidend:
Davon ausgehend lassen sich medizinische Leistungen folgendermaßen klassifizieren:
Es ist davon auszugehen, dass zur Zeit schätzungsweise lediglich die Hälfte aller in Übereinstimmung mit dem Stand des medizinischen Wissens erbrachten Leistungen als evidenzbasiert gelten kann. So ist beispielsweise der Anteil verordneter Arzneimittel, die keine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung besitzen in Deutschland besonders hoch. Eine Gesundheitsversorgung kann jedoch nur dann als qualitativ hochwertig angesehen werden, wenn der Anteil evidenzbasierter Leistungen möglichst hoch und der Anteil nicht wirksamer Leistungen möglichst gering ist. Betrachtet man nun die Frage, welche Leistungen sich für die Grund- und welche für eine Zusatzversorgung eignen, so ergibt sich folgendes Bild:
Eine zusätzliche Einbringung neuer Ressourcen durch die Aufgliederung in Grund- und Wahlleistungen trifft den Kern des Problems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht, da sie an den bestehenden Qualitätsproblemen und der mangelnden Präventionsorientierung nichts ändert. Im Gegenteil sind sogar schädliche Auswirkungen auf die Versorgungsqualität zu erwarten, da die langsam anlaufende Verdrängung nicht-wirksamer Verfahren durch evidenzbasierte Verfahren behindert würde. Selbst die in diesem Bereich bereits erreichten Erfolge würden durch die Einführung einer Zusatzversicherung wieder gefährdet. Präventionsleistungen z.B., insgesamt der Bereich mit der größten Unterversorgung in Deutschland, werden zum Teil als Kandidaten für eine mögliche Zusatzversicherung vorgeschlagen. Das Beispiel zeigt, dass eine Zusatzversicherung kaum auf das Angebot nicht wirksamer Leistungen beschränkt bleiben würde, sondern auch zu ethisch nicht akzeptablen Rationierungen führen und die einkommensabhängigen Unterschiede in der Gesundheitserwartung vergrößern würde. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2001 |