FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 66]


6 Zusammenfassung und Ausblick

Lebenslanges oder lebensbegleitendes Lernen ist zu einem Schlagwort für die berufliche Weiterbildung geworden. Innerhalb weniger Jahre verändern sich die Anforderungen an die Beschäftigten in immer kürzeren Abständen. Bereits Anfang der 90er Jahre besagten Studien, dass 2005 rund 80 % der Arbeitnehmer Ausbildungen haben werden, die älter als zehn Jahre sind, aber gleichzeitig 80 % der Technologien jünger als zehn Jahre sein werden. Jobrotation ist eine Methode, die an diesem Qualifizierungsbedarf ansetzt: Beschäftigte werden für Weiterbildung freigestellt und können sich während ihrer Arbeitszeit qualifizieren. Arbeitslose vertreten sie und können durch Lernen am Arbeitsplatz neue Kenntnisse erwerben. Dabei sind mit der tatsächlichen Umsetzung meist Rotationsketten verknüpft. Das heißt, die weiterzubildenden Beschäftigten werden häufig durch interne Beschäftigte (mit oft geringerer Qualifikation) vertreten und diese erst durch Arbeitslose; die arbeitslosen Stellvertreter wiederum werden häufig für die Vertretung auf mehreren Arbeitsplätzen eingesetzt, so dass sich auf diesem Wege längere befristete Beschäftigungszeiten ergeben können.

In den skandinavischen Ländern wird Jobrotation seit Ende der 80er Jahre erfolgreich eingesetzt und hat zumindest in Dänemark auch wesentlich dazu beigetragen, die Beschäftigungskrise zu lösen. Dagegen wurde Jobrotation in fast allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit 1996 überwiegend im Rahmen der europäischen Gemeinschaftsinitiative ADAPT erprobt und weiterentwickelt. Eine Befragung im Herbst 1999 bei den Netzwerkpartnern des EU-weiten Vereins "EU Jobrotation" ergab, dass bis Ende 1999 in den EU-Ländern 3.125 Betriebe, 88.839 Beschäftige und 19.882 Arbeitslose an Jobrotationsprojekten beteiligt waren. Diese insgesamt noch geringen Zahlen deuten darauf hin, dass die Umsetzungsbedingungen dieses Instruments sehr voraussetzungsvoll sind.

In Deutschland wird seit 1996 mit Jobrotation experimentiert, bisher allerdings auch hier mit wesentlicher Unterstützung von ADAPT. Erst in neuerer Zeit hat das Instrument durch das Bündnis für Arbeit, Wettbewerbsfähigkeit und Ausbildung einen Status erhalten, der eine breitere Anwendung im Rahmen einer bundesweiten gesetzlichen Regelung und Implementation verspricht. Einige Bundesländer, insbesondere Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind in jüngster Zeit mit eigenen Programmen vorgeprescht.

Welche Empfehlungen lassen sich aus den bisherigen deutschen wie internationalen Erfahrungen ableiten, um diesen Initiativen einen nachhaltigen Impuls zu geben? Erstes wesentliches Kriterium für die erfolgreiche Umsetzung von Jobrotationsprojekten ist ein gutes Projektmanagement. Dieses sollte folgende Bausteine umfassen:

  • Öffentlichkeitsarbeit,

  • Beratung und Erhebung des Qualifizierungsbedarfes,

  • Erstellung eines Jobrotationskonzeptes mit Finanzierungs- und Weiterbildungsplan,

[Seite der Druckausg.: 67]

  • Auswahl und Vorbereitung geeigneter Stellvertreter in enger Kooperation mit der Arbeitsverwaltung und den beteiligten Unternehmen,

  • Betreuung während der Freistellung und Stellvertretung,

  • Auswertung und Weiterentwicklung (z. B. Aufbau von Stellvertretungspools),

  • Mitarbeit in regionalen/nationalen Netzwerken, eventuell auch in transnationalen Projekten.

Wichtig ist, dass die Träger der Projektmanagementstellen in regionale Netzwerke zur Beschäftigungs- und Strukturpolitik eingebunden sind, um eine breite Akzeptanz für die Jobrotationsprojekte und einen schnellen sowie unkomplizierten Zugang zu Kammern, Betrieben, Verwaltungen, Beratungsgesellschaften, Weiterbildungs- und Beschäftigungsträgern herzustellen. Abzuraten ist davon, die Koordination ausschließlich bei der Bundesanstalt für Arbeit anzusiedeln, da vielfältige Kontakte mit regionalen Akteuren und ein flexibles Finanz- und Projektmanagement erforderlich sind. Zu empfehlen ist jedoch, auch in den Kundenteams der Arbeitsverwaltung feste Ansprechpartner für das Management von Jobrotation einzurichten.

Des weiteren empfiehlt sich eine regelmäßige (etwa im dreijährigen Rhythmus) öffentliche Ausschreibung des Projektmanagements, um das sich dann erfahrene Träger bewerben können, die einen guten Zugang zu Betrieben, Verwaltungen und (anderen) Weiterbildungsträgern haben. Mit dem Projektmanagement, d. h. der regionalen Koordinierung von Jobrotationsprojekten, können Kammern, Weiterbildungs- oder Beschäftigungsträger, Verbände oder auch Beratungsunternehmen beauftragt werden. Sowohl zur Auswahl als auch zur laufenden Kontrolle des Projektmanagements ist ein Regelwerk zu entwickeln, das Qualitätsstandards, Finanzierungskonditionen (z. B. auch erfolgsorientierte Bestandteile) und Leistungsziele festlegt. Dabei ist darauf zu achten, dass die Bewerber selbst über eigenes Qualitätsmanagement in der Personalentwicklung (inklusive Frauenförderpläne) verfügen.

Notwendig ist auch die Schulung von Personal der Arbeitsverwaltungen und Trägern in Planung, Umsetzungs- und Finanzierungsmöglichkeiten von Jobrotationsprojekten. Im Regelwerk ist festzulegen, dass die Stellvertretung mindestens vier Wochen beträgt und alle Freigestellten (wo sinnvoll, auch die Stellvertreter) ein aussagekräftiges Zertifikat des Bildungsträgers erhalten. [Zu diesen Aspekten plant der Arbeitskreis 8 der NU ADAPT und des JobRotation Vereins gemeinsam mit der Universität Bremen eine Schriftenreihe zu erstellen und zu veröffentlichen.] Wichtig ist, die beschäftigungspolitischen Aspekte von Jobrotation sichtbar zu machen: Jobrotation ist in erster Linie nicht eine (Wieder-) Eingliederungsmaßnahme für Arbeitslose, sondern im wesentlichen eine Qualifizierungsmöglichkeit für Beschäftigte und ein Instrument für Betriebe, sich durch systematische Personalentwicklung dem strukturellen Wandel erfolgreich anzupassen. Die enge Kooperation zwischen Projektmanagement und Betrieben beugt zudem einem möglichen Missbrauch der finanziellen Mittel für die Stellvertreter vor.

[Seite der Druckausg.: 68]

Zweitens ist, ausgehend von den nationalen und internationalen Erfahrungen, in jedem Falle eine Finanzierung der Jobrotation aus unterschiedlichen Quellen angemessen. Für das Projektmanagement können in Deutschland zur Zeit ESF Mittel oder Mittel der Bundesanstalt für Arbeit (§10) genutzt werden. Diese Wahlmöglichkeit sollte bestehen bleiben, da sich zeigt, dass bei einer Begrenzung auf die Finanzierung des Projektmanagements durch die Bundesanstalt für Arbeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass Jobrotationsprojekte überall möglich sind, selbst wenn sie von vielen Beteiligten gewollt werden. Die Finanzierung durch die Arbeitsämter ist und bleibt eine Kann-Leistung, die im Ermessen der zuständigen Verwaltung liegt. [In einer Bundesratsinitiative aus Schleswig-Holstein wurde vorgeschlagen, dass die Arbeitsämter mindestens fünf Prozent – nach derzeitigem Stand rund 1,7 Milliarden DM – ihres Eingliederungshaushaltes für Maßnahmen der Jobrotation verwenden. Eine solche Sollvorschrift sei erforderlich, um ein einheitliches Angebot an Unternehmen und Beschäftigte umzusetzen und nicht in das Belieben von Selbstverwaltung oder Verwaltung zu stellen (Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein, Investitionen in die Köpfe – Kabinett beschließt Gesetzesantrag zur Einführung von Jobrotation, 27. März 2001). Dieser Vorschlag sieht dabei nicht nur die Finanzierung von Projektmanagementaufgaben durch die Arbeitsverwaltung vor, sondern auch einen Lohnkostenzuschuss für den Stellvertreter (90%) und eine Beteiligung der Arbeitsverwaltung an den Kosten für die Weiterbildung des freigestellten Beschäftigten (70%). Im Vorschlag aus Schleswig-Holstein ist also vorgesehen, dass die Betriebe sich mit 20% an den Weiterbildungskosten beteiligen, der freigestellte Beschäftigte soll 10% der Kosten seiner Weiterbildung übernehmen. ] Eine Information und "Gewinnung" des zuständigen Verwaltungsausschusses ist ohnehin in jedem Fall angeraten. Insbesondere für KMU, weiterbildungsferne Branchen und Zielgruppen ist mittelfristig eine Fördermöglichkeit durch ESF Mittel als Anstoßfinanzierung sinnvoll. Langfristig sollte diese Förderung jedoch durch die Einrichtung von Weiterbildungsfonds bzw. individuelle Weiterbildungskonten abgelöst werden. Denkbar wäre die Aufnahme von Finanzierungsmöglichkeiten für Jobrotation in branchenspezifischen Tarifverträgen oder die Einrichtung von individuellen Lernzeitkonten. [Vgl. hierzu u. a. Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen Berlin 2001; Heidemann 2001a und b; Benchmarking Gruppe 2001a.]

Zu überprüfen ist, ob der Betrieb in allen Fällen das Gehalt der Freigestellten zu 100 % weiter zahlen sollte. In der Regel fließen den Beteiligten langfristig erhebliche Beträge in Form höherer Einkommen zurück, die eine Eigenbeteiligung rechtfertigen. Die temporale Inkongruenz von Kosten und Nutzen setzt jedoch ein intelligentes Risikomanagement voraus, für das im Laufe der Zeit geeignete institutionelle Arrangements entwickeln werden müssen. Dazu bieten sich verschiedene Lösungen an wie individuelle Lernkonten, langfristige Arbeitszeitkonten, Zeitkredite, tarifliche Weiterbildungsfonds, Transformation von Arbeitslosengeldansprüchen in Bildungsgutscheine zur Mitfinanzierung in Weiterbildungsinvestitionen u.a. Stärker ausgebaut werden sollten Teilzeitfreistellungen aber auch langfristige Freistellungsmöglichkeiten, um z. B. Berufsabschlüsse nachzuholen. Hierzu gilt es, darauf bezogene Finanzierungskonzepte und transparente Modulstrukturen zu entwickeln.

Drittens ist die Motivation zur Weiterbildung über Jobrotation durch (zum Teil neue) Verhandlungsrechte, Rechtssicherheit und Anerkennung zu erhöhen. Beschäftigte müssen das Verhandlungsrecht zur Freistellung außerbetrieblicher Bildung erhalten und auf entsprechende Gelegenheitsstrukturen verlässlich rechnen können. Betriebsräte könnten

[Seite der Druckausg.: 69]

im Zuge der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes das Recht erhalten, eine Feststellung des Qualifikationsbedarfs zu verlangen (Heidemann 2001a). Die Erfahrungen sprechen dafür, den Stellvertretern im Stellvertretungsbetrieb den Status von (befristeten) sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zu geben. Die Bundesanstalt für Arbeit könnte hierfür den Arbeitgebern einen Lohnkostenzuschuss gewährleisten, der über das sonst zu zahlende Arbeitslosengeld hinausgeht. Dieser wäre im SGB III auch als solcher gesetzlich zu kennzeichnen, um eine Rechts- und möglichst weitgehende Planungssicherheit herzustellen. [In diese Richtung gehen zur Zeit auch die Aktivitäten der koalitionsinternen Arbeitsgruppe zur Verankerung von Jobrotation im Arbeitsförderungsrecht. Am 31.05.2001 wurde der Öffentlichkeit eine Eckpunktepapier zur Reform der Arbeitsförderung vorgestellt, das folgenden Vorschlag enthält: "Jobrotation wird als Regelinstrument der Arbeitsförderung eingeführt. Die betriebliche Freistellung einer Arbeitnehmerin/eines Arbeitnehmers zum Zwecke der Weiterbildung wird unterstützt, indem Arbeitgeber für die befristete sozialversicherungspflichtige Einstellung einer Stellvertreterin/eines Stellvertreters einen Lohnkostenzuschuss erhalten, wenn dieser Stellvertreter zuvor arbeitslos war. Der Lohnkostenzuschuss beträgt mindestens 50 Prozent und höchstens 100 Prozent der Lohnkosten. Bei der Festsetzung seiner Höhe berücksichtigen die Arbeitsämter unter anderem die Aufwendungen, die der Arbeitgeber für die Weiterbildung seiner Stammarbeitnehmerin/seines Stammarbeitnehmers einsetzt. Um das neue Instrument gängig zu machen und die Arbeitsämter zu entlasten, werden ergänzend Dritte, die den Unternehmen "passende" Stellvertreterinnen und Stellvertreter vermitteln, gefördert." (Eckpunkte für ein JOB – AQTIV – GESETZ, S. 7f.) ] Da auch die Arbeitslosen längerfristig von rückfließenden Erträgen profitieren, ist auch ihnen eine (wenigstens geringe) Eigenbeteiligung zuzumuten. Durch finanzielle Eigenbeteiligung steigt auch das Interesse an der Qualität von Maßnahmen und ihrer Kontrolle. Die Stellvertreter sollten unter Nutzung von Weiterbildungsmöglichkeiten – finanziert durch die Bundesanstalt für Arbeit – auf die Stellvertretung entsprechend vorbereitet werden und bei Bedarf auch die Möglichkeit erhalten, einen qualifizierten Abschluss zu erwerben. Da ein Großteil der mit Jobrotation verbundenen Qualifizierungen nicht in formalisierbaren (und entsprechend in Zertifikaten feststellbaren) Lernergebnissen endet, sind Anerkennungsprozeduren für die in nichtformaler Bildung erworbenen Qualifikationen zu entwickeln (Heidemann 2001a). Schließlich müssen sich Qualifizierungsanstrengungen auch in der Lohnbildung und in den Lohnstrukturen widerspiegeln, da individuelle Nutzenkalküle auch für das Weiterbildungsverhalten mitentscheidende Determinanten sind (Block 2001).

Viertens ist zur nachhaltigen Implementierung von Jobrotation nicht nur Information und Beratung aller Beteiligten notwendig, sondern auch eine offensive und professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Die langjährigen Erfahrungen mit Jobrotation in Dänemark zeigen, dass immer wieder bei den Unternehmen, Beschäftigten und Arbeitslosen für das Instrument geworben werden muss. Will man Jobrotation bundesweit ausweiten, sind Plakataktionen, Anzeigen und Werbespots im Fernsehen und Kino – ähnlich wie für andere Programme – erforderlich. Es gilt die Akzeptanz für das lebenslange Lernen zu erhöhen, um Jobrotation langfristig umsetzen und weiterentwickeln zu können. Eine Nachhaltigkeit kann nur erreicht und überprüft werden, wenn wesentlich mehr Betriebe und Personen – Beschäftigte als auch Arbeitslose – als bisher an Jobrotation beteiligt werden.

Abschließend ist noch einmal zu betonen, dass die Erwartungen nicht zu hoch geschraubt werden dürfen. Jobrotation ist auf keinen Fall ein Instrument, das die rasche

[Seite der Druckausg.: 70]

Integration einer Vielzahl von Arbeitslosen verspricht. Es ist vielmehr ein Konzept, das zum Kristallisationskern für eine systematische Personalentwicklung von Betrieben werden könnte, die bisher kaum vorausschauende Investitionen in die nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit ihrer Belegschaften betrieben haben. Dabei wird Jobrotation im engeren Sinne (und die damit verbundenen Rotationsketten) immer nur ein Instrument unter anderen sein. "Lebenslanges Lernen" findet in vielfältiger Form statt und zunehmend integriert am Arbeitsplatz (Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Weiterbildungsforschung 2000). Vor allem für formal wenig qualifizierte und für ältere Beschäftigte ist die Schaffung einer lernfreundlichen Arbeitsorganisation Voraussetzung für tatsächliches (und nicht nur für das Reden über) lebenslanges Lernen. Die Annahme ist jedoch plausibel, dass eine lernfreundliche Arbeitsumgebung auch eine günstige Voraussetzung für das Praktizieren von Weiterbildung in Form der Jobrotation ist. Systematische Personalentwicklung in der einen oder anderen Form wird jedenfalls dazu beitragen, zum einen den Zustrom in Arbeitslosigkeit zu dämpfen und zum anderen bessere Zugangschancen für diejenigen zu eröffnen, die – aus welchen Gründen auch immer – arbeitslos geworden sind. Voraussetzung für ein solches Gelingen ist freilich, dass sowohl die Sozialpartner das Thema des "Lebenslangen Lernens" in das Repertoire ihrer Verhandlungen aufnehmen als auch die Arbeitsverwaltung Betriebe und Beschäftigte als mögliche Kunden stärker ins Visier nimmt. Der Gesetzgeber kann dabei als "Dritter im Bunde" durch geeignete rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen entscheidend mithelfen. [Wir verweisen hier noch einmal auf die mutige Bildungsoffensive in Schweden (vgl. 3.4.6), die mit erheblichem öffentlichen Mittelaufwand einer großen Zahl von gering qualifizierten Erwachsenen die Chance gibt, einen (höheren) formalen Bildungsabschluss nachzuholen.]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2001

Previous Page TOC Next Page