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2. Zukunftsperspektiven der beruflichen Weiterbildung

Bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben kommt der beruflichen Weiterbildung zunehmend eine wichtige Bedeutung zu. Ihr Stellenwert wird angesichts der vielfältigen Veränderungsprozesse - technologischer Wandel und Informatisierung der Arbeit, Zunahme personenbezogener und unternehmensnaher Dienstleistungen, Spezialisierung im Zuge der internationalen Arbeitsteilung und demographische Entwicklung – weiter wachsen. Welche Folgen dieser Prozesse sind im Hinblick auf Arbeitskräfte- und Weiterbildungsbedarf zu erwarten?

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2.1 Arbeitskräftemangel und Weiterbildungsbedarf

Trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland - das gesamtwirtschaftliche Arbeitplatzdefizit belief sich im Herbst 1999 auf fast sechs Millionen (Magvas & Spitznagel 2000: 3) - wächst der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Das gleichzeitige Auftreten eines Arbeitskräftemangels wird mit dem Mismatch-Konzept erklärt. Infolge geringer beruflicher und regionaler Mobilität der Arbeitskräfte entsteht Mismatch-Arbeitslosigkeit, d. h. Arbeitskräftenachfrage und -angebot im Hinblick auf Qualifikation und/oder regionale Verteilung stimmen nicht (mehr) überein. Mismatch-Arbeitslosigkeit kann demnach als Zeichen für eine sinkende Flexibilität des Arbeitsmarktes, aber auch eines beschleunigten Strukturwandel verstanden werden (Bender, Haas & Klose 1999: 4). [In der Literatur gibt es widersprüchliche Auffassungen über Höhe, Entwicklung und Ursachen der Mismatch-Arbeitslosigkeit. Je nach Forschungsansatz wird der Mismatch-Anteil an der Arbeitslosigkeit Anfang/Mitte der 90er Jahre auf 20% bis 50% geschätzt (vgl. Bender, Haas & Klose 1999: 4).] Insbesondere der qualifikatorische Mismatch scheint zunehmend an Bedeutung zu gewinnen. So wird in Repräsentativerhebungen das Fehlen geeigneter Fachkräfte vor allem von Betrieben im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen, (gesondert) im Bereich der Datenverarbeitung und im Baugewerbe als Produktionshemmnis angeführt. [Nach einer Repräsentativbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mit dem ifo-Institut für Wirtschaftsforschung im Herbst 1999 wurde von rd. 10% der westdeutschen und 4% der ostdeutschen Betriebe das Fehlen von geeigneten Arbeitskräften als Produktionshemmnis angeführt. Eine Differenzierung nach Wirtschaftszweigen zeigt jedoch, dass insbesondere in den wirtschaftsnahen Dienstleistungen und im Baugewerbe die Anteile der Betriebe, die über fehlende Arbeitskräfte klagten, in West- wie in Ostdeutschland deutlich höher waren (je 18% im Westen bzw. je 6% im Osten). Auch der ifo-Konjunkturtest verdeutlicht die branchenbezogen unterschiedliche Betroffenheit vom Arbeitskräftemangel: Während im Frühjahr 2000 ein Arbeitskräftemangel als Grund für Behinderungen der Produktionstätigkeiten im Verarbeitenden Gewerbe von nur 4% der befragten Unternehmen sowohl in West- als auch in Ostdeutschland angeführt wurde, klagten die Hälfte der westdeutschen und gut ein Drittel der ostdeutschen Datenverarbeitsunternehmen über ein Fachkräftemangel (Magvas & Spitznagel 2000: 6ff.).] Aber nicht nur in einigen Hochqualifikationsbereichen wie Ingenieurs- und Informatikberufen lassen sich Anhaltpunkte für einen sehr engen, fast schon geräumten Arbeitsmarkt finden. Es gibt auch Indizien für eine lebhafte Nachfrage der Unternehmen nach einfachen Qualifikationen (vgl. Klös 2001: 33ff.). Zwar scheint der Fachkräftemangel gesamtwirtschaftlich bisher noch keine große Rolle zu spielen (Magvas & Spitznagel 2000: 4.), mittel- und langfristig dürfte er jedoch angesichts der demographischen Entwicklung an Bedeutung gewinnen.

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Die in den vergangenen Jahren nicht selten angewandte betriebliche Praxis, den Qualifikationsbedarf durch die Einstellung junger, gut ausgebildeter Fachkräfte abzudecken, wird zukünftig schwieriger zu realisieren sein, denn das Potenzial an jungen Fachkräften wird in den kommenden Jahren immer kleiner werden. Bis zum Jahr 2030 ist mit einem Absinken jugendlicher Bevölkerungspotenziale auf ein Niveau weit unter die Tiefststände der 90er Jahre zu rechnen (Reinberg & Hummel 2001: 2ff.). Auch die Möglichkeit, die hohen demographisch bedingten Ausfälle an Fachkräften in der Bundesrepublik durch eine gesteuerte Zuwanderungspolitik für qualifizierte Arbeitskräfte zu decken, scheint unsicher. Denn auch andere Nationen stehen vor ähnlichen Problemen, und die internationale Konkurrenz um Spezialisten wird sich in Zukunft eher noch verschärfen (Reinberg & Hummel 2001: 6).

Um der Mismatch-Problematik zu begegnen, kommt zum einen der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung eine große Bedeutung zu. Zwar belegen Modellrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass auch eine Ausweitung der Erwerbsbeteiligung den Alterungsprozess des Erwerbspersonenpotenzials lediglich abmildern, nicht jedoch aufhalten kann. Zudem ist die Erwerbsbeteiligung der besser Qualifizierten deutlich höher als die der geringer Qualifizierten, die Spielräume zur Ausweitung der Erwerbsbeteiligung bei den qualifizierten Bevölkerungsanteilen scheinen hier also begrenzt zu sein (Reinberg & Hummel 2001: 6). Allerdings ist das weibliche Erwerbspotential längst noch nicht ausgeschöpft. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist zwar in den vergangenen Jahren gestiegen, liegt jedoch immer noch weit unter der der Männer. [Nach den Ergebnissen des Mikrozensus waren 1999 fast 64% der Frauen erwerbstätig oder erwerbslos gegenüber 62% im Jahr 1991. Bei den Männern lag der Anteil bei rd. 80% im Jahr 1999 und bei 83% in 1991. Abweichend von der Definition der Bundesanstalt für Arbeit gelten nach dem Mikrozensus Personen ohne Arbeitsverhältnis, die sich um eine Arbeitsstelle bemühen, als Erwerbslose, unabhängig davon, ob sie als Arbeitslose registriert sind (Statistisches Bundesamt 2000: 16f.).] Zudem wurde der Zuwachs an weiblicher Beschäftigung vor allem in Form von Teilzeitbeschäftigung realisiert (vgl. Oschmiansky & Schmid 2000: 22). Um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen und ihnen die Möglichkeit für eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu erleichtern, sind mehr und bessere Kinderbetreuungseinrichtungen eine wesentliche Vorbedingung.

Zum anderen sind die beruflichen Weiterbildungsanstrengungen generell zu verstärken. Darauf weisen zunächst internationale Vergleiche. So errechnete die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Gesamtindex der Weiterbildungsteilnahme. Danach liegt Deutschland unter den 15 EU-Ländern auf Platz 10 (Heidemann 2001a: 3). Das Weiterbildungsdefizit gilt mittlerweile für Frauen wie für Männer, denn die Frauen haben nach neueren Untersuchungen die Männer zumindest in der betrieblichen Weiterbildung sogar überholt, insbesondere in Ostdeutschland (Heidemann 2001a: 12). Partiell, und das gilt vor allem qualitativ, gibt es jedoch sicherlich noch Nachholbedarf für Frauen, vor allem wenn sie von einer längeren Familienpause zurückkehren. Bisher lag der Anteil der Frauen an beruflicher Weiterbildung in den alten Bundesländern deutlich unter dem der Männer. [In den alten Bundesländern liegt die Teilnahmequote an beruflicher Weiterbildung um elf Prozentpunkte höher als die der Frauen; in den neuen Bundesländern weisen dagegen Frauen und Männer in etwa die gleiche Teilnehmerquote auf (Kuwan, Gnahs & Seidel 2000: 141f.).] Der Nachholbedarf gilt jedoch vor

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allem für ungelernte Arbeiter und einfache Angestellte, die deutlich geringere Teilnahmequoten aufweisen als Beamte und leitende Angestellte, welche die höchsten Teilnahmequoten aufweisen (62% bzw. 56%). Aber auch bei den formal Hochqualifizierten ist festzustellen, dass mehr als ein Drittel sich nicht regelmäßig weiterbildet. Auch ältere Beschäftigte haben bisher nur in geringem Maße an beruflicher Weiterbildung teilgenommen. [Nach den Erhebungen des Berichtssystems Weiterbildung VII betrug der Anteil der 50- bis 64jährigen rd. 20% im Jahr 1997. Nach dem Mikrozensus waren sogar nur acht Prozent der Teilnehmer an beruflicher Weiterbildung 50 Jahre und älter (Kuwan, Gnahs & Seidel 2000: 106).] Angesichts der Alterung der Bevölkerung wird die Erhaltung und Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenz älterer Mitarbeiter daher stärker in den Vordergrund rücken müssen (vgl. Reinberg & Hummel 2001: 6).

Nicht nur im Hinblick auf den Fachkräftebedarf der Unternehmen, sondern auch für die Erwerbspersonen gewinnt der Stellenwert der beruflichen Weiterbildung zur Sicherung der eigenen Erwerbschancen angesichts des Strukturwandels an Bedeutung. Zum einen ist hier der intrasektorale Wandel zugunsten wissensbasierter Berufe und Tätigkeiten anzuführen. Dieser "wissensintensive" Strukturwandel findet zum einen im produzierenden Sektor statt, insbesondere bei der Einführung neuer Herstellungsverfahren oder bei der Entwicklung neuer Produkte. Zum anderen entfaltet er sich mit dem Einsatz von IuK-Technologien vor allem bei unternehmensnahen Dienstleistungen (Düll & Bellmann 1999: 70; Dathe & Schmid 2001). Damit einher gehend steigen die Qualifikationsanforderungen im Beschäftigungssystem an. Diese Entwicklung ist nicht neu, hat sich allerdings seit Beginn der 90er Jahre noch beschleunigt (Dostal 2000: 3).

Zudem vollzieht sich seit den 80er Jahren in der Bundesrepublik ein Wandel der Erwerbsformen. Das sogenannte Normalarbeitsverhältnis ist zwar nach wie vor die dominierende Erwerbsform, hat jedoch gegenüber anderen Formen, wie Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung oder Leiharbeit, relativ an Bedeutung verloren. Auch die Bedeutung diskontinuierlicher Erwerbsverläufe nimmt zu (Oschmiansky & Schmid 2000). Der Übergang zwischen verschiedenen Erwerbsformen kann für die Individuen mit Risiken – bis hin zu sozialer Ausschließung - verbunden sein und einen Verlust an fachlichem oder berufsspezifischem Wissen nach sich ziehen. Weiterbildung stellt hier eine Möglichkeit dar, die berufliche Qualifikation im Übergangsprozess aufrecht zu erhalten bzw. anzupassen, den Übergang zu erleichtern und das Risiko des Arbeitsmarktausschlusses zu minimieren (Schmid 1994, 1999). Daher dient berufliche Weiterbildung nicht nur dem beruflichen Aufstieg. Um überhaupt angesichts der beschriebenen Entwicklungen "mithalten" zu können, sind zunehmend kontinuierliches Lernen, Weiterbilden oder gar Umschulung für alle Beschäftigten erforderlich.

Allerdings sind Weiterbildungsaktivitäten in den Betrieben nach wie vor noch keine Selbstverständlichkeit. Wie im Folgenden kurz skizziert, ist der Anteil der Betriebe, die keine Weiterbildungen durchführen, nicht zu vernachlässigen. Viele Beschäftigte haben daher keine Teilhabechance auf institutionalisierte Weiterbildungsformen (Düll 2000: 143). Wenn jedoch in der wissenschaftlichen wie öffentlichen Debatte immer mehr Teilhabegerechtigkeit neben (oder gar anstelle von) Verteilungsgerechtigkeit gefordert wird, dann ist der Zugang zur Weiterbildung ein zentraler Schlüssel für die demokratisch legitimierte Zivil- und Erwerbsgesellschaft der Zukunft.

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2.2 Trends in der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung

Nach den Erhebungen des IAB-Betriebspanels haben im ersten Halbjahr 1999 rd. 38% in Westdeutschland und rund 42% in Ostdeutschland der befragten Betriebe Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt oder waren an deren Finanzierung beteiligt. Damit hat sich der Anteil der weiterbildungsaktiven Betriebe in den vergangenen zwei Jahren leicht erhöht, im Vergleich zu den Ergebnissen des IAB-Betriebspanel 1997 um 0,7 Prozent in Westdeutschland und um drei Prozent in Ostdeutschland (Heidemann 2001a: 20). Dennoch heißt dies, dass rund drei von fünf Betrieben keine Weiterbildungen durchführten, was eine nicht zu vernachlässigende Größe darstellt. Entsprechend nahmen 1999 im ersten Halbjahr nur ein knappes Fünftel (Westdeutschland) bzw. ein gutes Fünftel (Ostdeutschland) der Beschäftigten an betrieblicher Weiterbildung teil (Heidemann 2001a: 10). Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass das IAB-Betriebspanel nach Weiterbildung im jeweils vergangenen Jahr fragt. Betriebe, die nur sporadisch Weiterbildung anbieten, werden somit untererfaßt. Auf einen längeren Zeitpunkt bezogen scheint daher die Mehrheit der Betriebe (nicht näher angegebene) Weiterbildungsaktivitäten durchzuführen. Nach der Untersuchung der Universität Duisburg /WSI in der Hans-Böckler-Stiftung (Betriebsbefragung Westdeutschland) sind das fast drei Viertel der Betriebe innerhalb von drei Jahren (Heidemann 2001a: 23).

Es zeigt sich, dass die Weiterbildungsaktivitäten mit steigender Betriebsgröße zunehmen. Nach der Erhebung des IAB-Betriebspanels 1997 ist die Größenabhängigkeit besonders bei internen Weiterbildungsmaßnahmen ausgeprägt. Aber auch bei externen Lehrveranstaltungen wird deutlich, dass sich erst mittlere und größere Betriebe stärker engagieren (Düll & Bellmann 1998: 212f.). [Von den Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten führten nur rd. 23% bzw. 22% (West bzw. Ost) externe Veranstaltungen durch, bei den Betrieben mit zehn bis 49 Beschäftigten waren es jeweils rd. 45%, und in der Betriebsgrößenordnung 50 bis 499 Beschäftigte wurden von rd. 70% der Betriebe externe Qualifizierungsmaßnahmen angeboten (Düll & Bellmann 1998: 212f.).] Werden die Teilnehmerzahlen an beruflicher Weiterbildung auf die Mitarbeiterzahlen bezogen, zeigt sich ein etwas anderes Bild: Nach der Weiterbildungserhebung der deutschen Wirtschaft wurden demnach in Kleinbetrieben, die Weiterbildung betreiben, relativ mehr Mitarbeiter als in Großbetrieben einbezogen: Die Weiterbildungsquote der Kleinstbetriebe (mit weniger als 20 Mitarbeitern) liegt mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Betriebe. [Die Ergebnisse der unterschiedlichen Befragungen sind allerdings nur mit Einschränkung vergleichbar. Im Gegensatz zu den meisten anderen Erhebungen bezieht die Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft ausdrücklich auch die Entwicklung des "Lernens in der Arbeit" mit ein; der Rücklauf der alle drei Jahre stattfindenden schriftlichen Befragung liegt nur bei 17,9%; es liegt nahe, dass vor allem weiterbildungsaktive Betriebe antworten.] Generell sind die Weiterbildungsaktivitäten kleinerer Betriebe - mangels eigener Ressourcen und eines kontinuierlichen Bedarfs – jedoch eher sporadisch. Wenn sie Weiterbildung betreiben, dann eher in Form der Entsendung von Mitarbeitern zu Seminaren externer Veranstaltungen. Demgegenüber zeichnen sich Großbetriebe durch ein breites Spektrum praktizierter Weiterbildungsformen aus (Weiß 2000: 28f.). Entsprechend findet eine systematische Weiterbildungsplanung in kleinen und mittelständischen Unternehmen kaum statt. Eine 1998 erschienen Untersuchung des RKW [Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e.V.] hat ergeben, dass nur eine

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Minderheit (14%) von ihnen eine solche durchführt. In den meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen wird erst dann an Qualifizierung gedacht, wenn entsprechende Mängel direkte und gravierende wirtschaftliche Wirkungen zeigen. Ferner hat die Untersuchung gezeigt, dass in kleinen und mittleren Unternehmen Weiterbildung kaum in Zusammenhang mit Innovations- und/oder Organisationsentwicklungsprozessen durchgeführt wird. Nur 20% der befragten Führungskräfte führten solche Prozesse als Weiterbildungsmotiv an. Weiterbildung scheint daher noch weitgehend eine persönliche Angelegenheit der Führungskräfte zu sein (Hoffmann 1999: 9).

Von den Betrieben, die nach dem IAB-Betriebspanel 1997 keine Weiterbildungen anbieten, sah rund ein Zehntel der befragten Arbeitgeber durchaus einen Weiterbildungsbedarf, setzte diesen aber aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund der Freistellungsproblematik nicht um. Vor allem bei den kleinen und mittelständischen Betrieben sind Hemmnisse aufgrund der beiden Aspekte zu berücksichtigen (Düll 1999: 143ff.). Auch nach der Weiterbildungserhebung der deutschen Wirtschaft stellt die Freistellungsproblematik angesichts des Personalabbaus und/oder der Arbeitszeitverkürzung eine besondere Schwierigkeit dar: Gut jeder zweite 1998 befragte Betrieb bestätigt, dass die Freistellung von Mitarbeitern zu einem Problem geworden ist. Verglichen mit vorangegangenen Erhebungen hat dieser Teil zugenommen (Weiß 2000: 20f.).

Nach den Erhebungen der deutschen Wirtschaft haben die befragten Unternehmen vor allem Kurzfristmaßnahmen durchgeführt: Bei externen Seminaren und Lehrgängen überwiegen deutlich die Ein- oder Mehr-Tages-Seminare. Gut vier Fünftel der befragten Unternehmen führten solche Veranstaltungen 1998 durch. Aber auch die Vollzeitlehrgänge ab sechs Tagen wurden immer noch von fast einem Drittel der befragten Unternehmen realisiert. Zudem scheint sich in der betrieblichen Weiterbildung ein Wandel zugunsten firmeninterner Lehrveranstaltungen zu vollziehen: Seit 1992 hat diese Lehrform kontinuierlich zugenommen. 1998 haben nach der Erhebung der deutschen Wirtschaft 76 % der Mitarbeitern an internen Lehrveranstaltungen teilgenommen. Dagegen zeigen sich bei den externen Lehrveranstaltungen keine nennenswerten Änderungen, hier lag der Anteil bei zehn Prozent (Weiß 2000: 12ff.). [Knapp 14% entfallen 1998 nach dieser Erhebung auf Informationsveranstaltungen, und der Anteil von Umschulungmaßnahmen liegt unter einem Prozent (Weiß 2000: 18).] In der Erhebung im Rahmen des Berichtssystems Weiterbildung VII wird stärker nach der Art der Veranstaltung differenziert: Danach entfällt mehr als ein Drittel der Teilnehmerfälle auf die Anpassungsfortbildung. An zweiter Stelle folgen die sonstigen Lehrgänge/Kurse mit 28%. Die Anteile der Einarbeitungs- und Aufstiegskurse (17 % bzw. zehn Prozent) und der Umschulungskurse (sechs Prozent) liegen deutlich niedriger. Insgesamt scheint die Bedeutung der Aufstiegsfortbildung weiter zu sinken, während die Anteile der Anpassungsweiterbildung zunehmen (Kuwan, Gnahs & Seidel 2000: 256ff.).

Schließlich ist die Zeit- und Kostenbeteiligung an Weiterbildungsaktivitäten von Interesse. Die privaten Aufwendungen für die berufliche Weiterbildung sind keineswegs gering: Ohne Lohnausfallkosten belaufen sich die privaten Ausgaben der Weiterbildungsteilnehmer auf schätzungsweise 12 – 14 Mrd. DM. Die Ausgaben der Unternehmen werden nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Wirtschaft ohne Lohnfortzahlung auf 18,1 Mrd. geschätzt. Bei den privaten Kosten dürfte es sich in ei-

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nem nicht bekannten Ausmaß auch um Kosten für betrieblich nützliche, veranlasste oder sogar notwendige Weiterbildung handeln, an denen sich die Individuen beteiligen (Heidemann 2001a: 31f.). In den Betrieben selbst werden, wie in anderen europäischen Ländern auch, die Zeit- und Geldkosten der betrieblichen Weiterbildung von den Arbeitgebern und Beschäftigten oft gemeinsam getragen. So gibt es in mehr als der Hälfte der westdeutschen und in mehr als drei Fünfteln der ostdeutschen Betriebe Formen der Zeit- und Kostenbeteiligung der Beschäftigten. Eine klare Trennung zwischen betrieblich nötiger, vom Arbeitgeber finanzierter Weiterbildung, einer von den Beschäftigten bezahlten Weiterbildung für persönlich berufliche Zwecke und einer vom Staat finanzierten Weiterbildung für Arbeitslose scheint immer weniger möglich (Heidemann 2001a: 5, 34).

Welche Schlüsse sich aus diesen skizzierten Trends in der beruflichen Weiterbildung für die Umsetzung von Jobrotation ziehen lassen, soll im folgenden Abschnitt erörtert werden.

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2.3 Jobrotation als ein Baustein der beruflichen Weiterbildung

Das Prinzip von Jobrotation ist denkbar einfach: Zur Deckung des betriebsspezifischen Qualifikationsbedarfes möchte ein Unternehmen einen Mitarbeiter für eine Weiterbildung (während der Arbeitszeit) freistellen. An seiner Stelle kommt zeitlich befristet eine zuvor arbeitslose Person in das Unternehmen und übernimmt die Tätigkeiten des freigestellten Beschäftigten. Häufig nimmt die Stellvertretungskraft vor ihrem Einsatz an einer passgenauen Qualifizierungsmaßnahme teil.

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Abbildung 1: Jobrotation – das Grundmodell

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In der Praxis wird in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in den anderen, weiter unten dargestellten Ländern eine Vielzahl von Varianten angewandt. So können ein oder mehrere Beschäftigte, gleichzeitig oder nacheinander, an der Weiterbildung teilnehmen. Sie können von einem Stellvertreter parallel oder in Folge vertreten werden. Selbstverständlich können auch mehrere Stellvertreter, gleichzeitig oder nacheinander die Beschäftigten vertreten. Zudem muss der Stellvertreter auch nicht die Arbeit des zur Weiterbildung Freigestellten übernehmen, sondern kann auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden. Die Arbeit des Freigestellten wird dann von einem anderen Beschäftigten übernommen. Solche Rotationsketten haben den Vorteil, dass über die sich in Weiterbildung befindlichen Beschäftigten hinaus auch andere Beschäftigte des Unternehmens ihre betrieblichen/beruflichen Kompetenzen erweitern können. Infolge der beschriebenen Varianten muss die Stellvertretungsphase natürlich auch zeitlich nicht mit der Weiterbildungsphase übereinstimmen. Die Weiterbildung kann zudem im Wechsel mit betrieblicher Arbeit organisiert werden; d. h. zum Beispiel, dass der Beschäftigte an drei Tagen in der Woche an der Qualifizierung teilnimmt und zwei Tage im Betrieb regulär tätig ist. Schließlich kann ein Jobrotationsprojekt auf einen Betrieb ausgerichtet sein, oder mehrere Betriebe mit einem vergleichbaren Weiterbildungsbedarf nehmen gemeinsam an einem Jobrotationsprojekt teil. Nicht alle hier beschriebenen Varianten werden in allen in der Studie diskutierten Ländern gleichermaßen praktiziert. Festzuhalten bleibt jedoch, dass Jobrotation ein sehr flexibles Instrument darstellt, das jeweils an den betrieblichen Bedarf angepasst werden kann.

Für alle direkt Beteiligten bietet Jobrotation einen Vorteil. Wie angeführt, gibt es eine Vielzahl von Betrieben, die einen Weiterbildungsbedarf haben, diesen aber aufgrund der Freistellungsproblematik und/oder des finanziellen Aufwandes nicht umsetzen können. Vor allem kleine und mittelständischen Unternehmen können aufgrund ihrer dünnen Personaldecke kaum längere Zeit auf ihre Mitarbeiter verzichten, da deren Abwesenheit betriebsintern nur schwer aufgefangen werden und zu einem Produktionsausfall führen kann. Zudem setzen sie ihren Qualifikationsbedarf eher sporadisch um. Eine mittelfristig vorausschauende Planung der Weiterbildung und Personalentwicklungsplanung ist eher die Ausnahme. Für solche Betriebe bietet Jobrotation durch die Bereitstellung von Stellvertretern und die Teilfinanzierung der Weiterbildungskosten eine interessante Lösung. Darüber hinaus haben die Unternehmen auch die Gelegenheit, mit den Stellvertretern potentielle Mitarbeiter kennen zu lernen. Möglicherweise können sie die Stellvertreter gleich nach dem Ende des Projektes oder aber zu einem späteren Zeitpunkt engagieren. Insofern kann Jobrotation auch als Personalrekrutierungsinstrument genutzt werden.

Aber auch als Personalentwicklungsinstrument findet Jobrotation vermehrt Anwendung. Wie oben dargestellt, werden Aufstiegsfortbildungen in der Bundesrepublik zunehmend seltener realisiert. Wenn Beschäftigte einen beruflichen Aufstieg wünschen, sollte im Sinne einer modernen Organisationsstruktur und Personalentwicklung ein Unternehmen dies unterstützen, nicht zuletzt auch angesichts der Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte. Zudem trägt die persönliche berufliche Weiterentwicklung wesentlich zur Motivation der Beschäftigten bei. Mit Jobrotation können solche Aufstiegsprozesse gefördert werden.

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Generell lässt sich festhalten, dass mit der Deckung eines betrieblichen Qualifizierungsengpasses und/oder mit der Qualifikationsanpassung und -erweiterung der Beschäftigten durch Jobrotation Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern und steigern können. Wichtig ist jedoch, dass die Jobrotationsmodelle sich am Unternehmensbedarf orientieren, und dass die Weiterbildungsmaßnahmen für die Beschäftigten passgenau entwickelt werden. Der ersten Phase der Jobrotations-Projekte, der Erhebung des Weiterbildungsbedarfs und der Entwicklung eines Weiterbildungskonzeptes für interessierte Unternehmen, kommt hier eine große Bedeutung zu.

Für die Beschäftigten sind Jobrotationsprojekte besonders vorteilhaft. Sie können sich während der Arbeitszeit weiterbilden und durch den beruflichen/betrieblichen Kompetenzzuwachs ihre Arbeitsplatzsicherheit erhöhen und ihre Karrierechancen verbessern. Auch die Arbeitslosen profitieren in großem Maße von der Stellvertretungsphase im Unternehmen. Durch die marktgängigen Tätigkeiten und den direkten Kontakt zum Arbeitgeber und zu Kollegen erhöhen sie deutlich ihre Arbeitsmarktchancen. Im Rahmen der Stellvertretung können sie ihre Kompetenzen erweitern und unter Beweis stellen. Mit der Einbindung in das betriebliche Netzwerk erhalten sie Informationen – zum Beispiel über zukünftig freiwerdende Stellen – die ihnen sonst wahrscheinlich nicht zugänglich wären. Unter Umständen verbleiben sie nach Beendigung der Stellvertretungsphase im selben Unternehmen.

Langfristig ist der gesamtgesellschaftliche Nutzen von Jobrotation hoch, vorausgesetzt die Balance zwischen "Gewinnern" und Verlierern" ist ausgeglichen und die Weiterbildung ist qualitativ hochwertig und erzeugt einen nachhaltigen Produktivitätseffekt. Jobrotation kann einen Baustein im Konzept des Lebenslangen Lernens darstellen und Beschäftigten (auch denen, die sich bisher kaum beruflich weiterqualifiziert haben bzw. weiterqualifizieren konnten) eine Teilnahmemöglichkeit an Weiterbildungsaktivitäten über den (Erwerbs-) Lebenszyklus hinweg eröffnen. Wird die Dauer der Arbeitslosigkeit der Stellvertreter verkürzt, können die sonst anfallenden Leistungen eingespart werden. Eine geringere Abgabenlast, eine Ausweitung der betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten und eine stärkere Einbeziehung von Beschäftigten und Arbeitslosen in Qualifizierungsanstrengungen führen zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Darüber hinaus stärken Jobrotationsprojekte die Zusammenarbeit verschiedener Akteure auf der regionalen Ebene und ermöglichen eine größere Transparenz über den regionalen Arbeitskräftebedarf und das regionale Arbeitskräfteangebot.

Die positiven Effekte von Jobrotation für die Beteiligten lassen sich, wie dargestellt, zusammenfassen:

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Abbildung 2: Warum Jobrotation?


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2001

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