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[Seite der Druckausg.: 7] 1. Einleitung In Deutschland herrscht ein Paradox: Die Betriebe rufen immer lauter nach qualifizierten Fachkräften, während die Arbeitslosigkeit auf den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre noch kaum reagiert hat. In dieser Situation richten sich die Hoffnungen zunehmend auf Jobrotation als ein neues Instrument, das beide Probleme gleichzeitig lösen könnte: den Mangel an qualifizierten Fachkräften beheben und für die Arbeitslosen schneller einen Job finden. Diese Hoffnung beruht auf einer Übertragung einer in der Personalwirtschaft bekannten Form der betrieblichen Weiterbildung und Flexibilisierung: Wenn Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze tauschen, können sie auf diese Weise ihre beruflichen Fähigkeiten ausbauen und sich wechselseitig ersetzen oder helfen. Herrschen nun aber gleichzeitig Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit, was liegt dann näher, dieses Konzept um eine Stufe zu erweitern und die Arbeitslosen in das Wechselspiel der Arbeitsplätze mit einzubeziehen? Also gleichzeitig Weiterbilden und Einstellen? Eigentlich eine einleuchtende Idee: Die festen Mitarbeiter erhalten die Möglichkeit der externen Weiterbildung. Für die Betriebe entsteht jedoch kein Arbeitsausfall, da eine arbeitslose Ersatzkraft nachrückt. Diese wiederum erhält die Möglichkeit, sich im Job zu bewähren und vielleicht sogar übernommen zu werden; ist der Klebeeffekt zu gering, dann werden die gemachten Erfahrungen und das betriebliche Netzwerk zumindest die Chancen bei der weiteren Arbeitsplatzsuche verbessern. Eine Idee zudem, die in Skandinavien, insbesondere in Dänemark, nachweislich erfolgreich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beigetragen hat, auch wenn im einzelnen Kritik oder Einschränkungen an diesem Erfolg angebracht sind. Auch das Bündnis für Arbeit hat sich mit der sechsten gemeinsamen Erklärung der Steuerungsgruppe (10. Juli 2000) zu diesem Konzept bekannt und beschlossen, es auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Erweist sich diese Idee nach einer sorgfältigen Prüfung als ein realistisches und nachhaltiges, also sich selbsttragendes Konzept? In anderen Worten: Kann dieses Konzept die (berufliche) Weiterbildung sowohl für die Wirtschaft beschäftigungswirksam als auch für die Arbeitslosen integrationswirksam gestalten? Diese Frage soll im Folgenden durch eine Analyse der Jobrotationspraxis in fünf Ländern beantwortet werden. Zunächst wird die Problemstellung von Qualifikation und Beschäftigung, vor allem das eingangs angedeutete Paradox beleuchtet. Ist das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ("mismatch") ein wirkliches oder nur ein vorgestelltes? Was sind die Gründe dafür? Welche Herausforderungen stellen sich für die Arbeitsmarktpolitik? Die Auswahl der skandinavischen Länder Dänemark, Norwegen und Schweden erfolgte unter dem Gesichtspunkt, dass dort mit Jobrotation nicht nur die meisten Erfahrungen gesammelt wurden, sondern auch verhältnismäßig gute wissenschaftliche Untersuchungen zur Sekundärauswertung vorhanden sind. Österreich verspricht auf Grund seines mit Deutschland vergleichbaren beruflichen Bildungssystems und wegen seiner innovativen Jobrotationsprojekte zusätzliche Erkenntnisse. Die bisherigen deutschen Erfahrungen, insbesondere die von ADAPT geförderten Pilotprojekte sowie einige derzeitige Länderprogramme sind schließlich Ausgangspunkt dafür, die gesammelten internationalen Erfahrungen auf ihre Übertragbarkeit zu überprüfen und weitergehende Empfehlungen auszusprechen. [Seite der Druckausg.: 8] Die Länderfallstudien konzentrieren sich dabei auf drei Strukturprobleme von Jobrotation, die mittlerweile bekannt sind und der raschen Adaption und Ausbreitung dieses Instruments entgegengestanden haben: Erstens: Welche rechtlichen Ansprüche soll den Beschäftigten und Arbeitslosen im Rahmen des Konzepts des lebenslangen Lernens gegeben werden? Es stellt sich, in anderen Worten, die Frage nach den derzeitigen rechtlichen Ansprüchen, ob sie in der Zukunft ausreichend oder beispielsweise im Sinne eines Bürgerrechts auf lebenslanges Lernens zu erweitern sind. Zweitens: Wie werden die vielfältigen Koordinationsprobleme zwischen Betrieben und Arbeitsverwaltung, Weiterbildungsträgern und Betrieben, den für Weiterbildung freigestellten Beschäftigen und den stellvertretenden Arbeitslosen, der Arbeitsverwaltung und den sonst beteiligten Akteuren bewältigt? Drittens: Welche Finanzierungsmodalitäten sind geeignet, die Verteilung von Nutzen und Kosten von Weiterbildung durch Jobrotation in einer Weise vorzunehmen, dass sie von allen Beteiligten als fair empfunden werden und tatsächlich auch zu solchen Zukunftsinvestitionen anreizen? Da die Kosten unmittelbar anstehen, die Nutzen wie bei jeder Investition jedoch ungewiss sind und erst später (oft viel später) zufließen, erfordert Jobrotation ein intelligentes intertemporales Risikomanagement. Die Länderfallstudien werden danach noch einmal unter diesen Gesichtspunkten systematisch ausgewertet und diskutiert, um abschließend zu Empfehlungen für die deutsche Weiterbildungspolitik zu gelangen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2001 |