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TEILDOKUMENT:
Beschäftigungsfähigkeit eine neue Zieldimension für die Integration Jugendlicher ins Erwerbsleben? [Seite der Druckausg.: 85] Karen Schober
1. Das Konzept Beschäftigungsfähigkeit im Rahmen der EU-Leitlinien Ich beschäftige mich in meinem Beitrag mit der Bedeutung, den Auswirkungen und der möglichen Übertragbarkeit des Politikansatzes Beschäftigungsfähigkeit für das deutsche Berufsbildungssystem, die Berufsbildungspolitik und die stabile Integration Jugendlicher in das Beschäftigungssystem. Unter diesem eingeschränkten Blickwinkel halte ich folgende Aspekte oder Dimensionen von Beschäftigungsfähigkeit für bedeutsam:
Unter den Besonderheiten des deutschen Berufsbildungssystems, nämlich des im Kern immer noch dualen Systems der Berufsausbildung in Betrieb und Berufsschule und der einzelbetrieblichen Entscheidungsmacht über den Zugang zu einem Ausbildungsverhältnis, wäre zu diskutieren, ob der Begriff Beschäftigungsfähigkeit hier nicht gedanklich ergänzt werden müsste um den der Ausbildungsfähigkeit. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit im weitesten Sinne in Deutschland ist ja zu einem erheblichen Teil ein Problem unzureichender Ausbildungsfähigkeit und -bereitschaft von Betrieben auf der einen Seite und unzureichender individueller Ausbildungsfähigkeit und -bereitschaft bestimmter Teile der Jugendlichen auf der anderen Seite (viele behaupten eines stark wachsenden Anteils der heutigen Schulabgänger). Mir erscheint diese Ergänzung deshalb notwendig, weil - anders als in den übrigen EU-Staaten - der Zugang zum Arbeitsmarkt für Jugendliche und damit der Erwerb von Beschäftigungsfähigkeit in Deutschland bereits durch den Zugang zur Ausbildung im dualen System eingeschränkt ist. Andererseits weiß ich natürlich um die emotions- und ideologiebehaftete Debatte zum Thema Ausbildungsfähigkeit und deren politische Implikationen. In diesem Zusammenhang liegt mir bei der Anwendung des Konzepts von Beschäftigungsfähigkeit auf den Personenkreis Jugendlicher noch eine andere Erweiterung am Herzen: Zentrale Aspekte der Beschäftigungs- und Ausbildungsfähigkeit, soweit sie Jugendliche betreffen, werden im schulischen Bildungssystem, in der Pflichtschule bzw. den weiterführenden Schulen erworben oder eben nicht erworben und können in späteren Lebens- und Bildungsphasen nur schwer nachgeholt werden. Wir wissen dies sehr gut aus der Debatte um Selektionseffekte in der Weiterbildungsbeteiligung: Wer das Lernen gelernt hat, bildet sich auch später weiter, ist flexibel, anpassungsfähig, innovativ und nutzt spätere Lernchancen und steigert so seine individuelle Beschäftigungsfähigkeit. Insofern sind in der politischen Diskussion um Maßnahmen zur Erhöhung der Beschäftigungs- bzw. Ausbildungsfähigkeit auf der Seite des Individuums die vorgelagerten Sozialisations- und Bildungsprozesse einzubeziehen. [Seite der Druckausg.: 87] 2. Ziele beruflicher Bildung berufspädagogische
Beschäftigungsfähigkeit als Leitlinie und Ziel beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischer Strategien bedeutet in Bezug auf die Integration Jugendlicher ins Erwerbsleben eine Umsetzung dieser Anforderungen in Ziele und Maßnahmen allgemeiner und beruflicher Bildung, denn diese sind die vorgesehenen Institutionen und Prozesse, in denen Beschäftigungsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit des Individuums, sich auf der fachlichen und der Verhaltensebene auf die Anforderungen des Beschäftigungssystems und des Arbeitsmarktes einzustellen, erzeugt wird. Beginnen wir mit dem allgemeinbildenden Schulwesen. Die Ziele allgemeiner schulischer Bildung reichen selbstverständlich weit über das Ziel der Beschäftigungsfähigkeit hinaus in Richtung Persönlichkeitsbildung, politische Bildung, emanzipatorische Bildung, Lebenstüchtigkeit, kulturelle und musische Bildung etc. Schule muss sich jedoch mehr als bisher mit den Anforderungen des Beschäftigungssystems gerade auf den Ebenen der Verhaltensziele und der sog. Schlüsselqualifikationen auseinandersetzen und diese zum Gegenstand schulischer Bildungs- und Erziehungsprozesse machen. Insofern gilt es, bereits in der Schule in den Fächerkanon der Arbeitslehre und verwandter Fächer ein grundlegendes Verständnis für die Funktionsweise und Anforderungen globalisierter Wirtschafts- und Arbeitsmarktprozesse zu vermitteln, das für die Jugendlichen auch handlungsleitend in ihren Berufswahlprozessen wird. Berufswahlvorbereitung und Berufsorientierung darf sich nicht in Betriebspraktika und berufskundlichem Unterricht erschöpfen, sondern hier bedarf es neuer Unterrichts- und Orientierungskonzepte, die gemeinsam mit der Wirtschaft und der Berufsberatung zu entwickeln sind und die im Fächerkanon ein höheres Gewicht erhalten müssen. Für die berufliche Bildung sind sowohl im Berufsbildungsgesetz als auch in den Ausbildungsordnungen des dualen Systems, und hier insbesondere in den neuen und neugeordneten Berufsbildern, Ziele verankert, die dem Ziel der Beschäftigungsfähigkeit sehr nahe kommen:
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ziele, politische Teilhabe und Gestaltungskompetenzen für die eigene Berufsarbeit und Arbeitsumgebung. Jenseits der ideologischen Grabenkämpfe, die um die Frage der Differenzierung, Individualisierung und Modularisierung der beruflichen Erstausbildung geführt werden, kann man sich m.E. auf die ja bereits entwickelten Konzepte im Bündnis für Arbeit, in dem vom BiBB und vom DIHT entwickelten Satellitenkonzept darauf verständigen, dass veränderte Arbeits- und Ausbildungsmärkte auf der einen, veränderte Kunden des Berufsbildungssystems auf der anderen Seite eine Lockerung starrerer inhaltlicher und organisatorischer und auch didaktisch-methodischer Regelungen in der Berufsbildung erfordern. Ein Festhalten am Berufskonzept als didaktisches Prinzip steht einer Differenzierung und Modularisierung beruflicher Bildungsprozesse nicht entgegen. Dem Ziel verbesserter Beschäftigungsfähig- [Seite der Druckausg.: 89] keit und übrigens auch verbesserter Ausbildungsfähigkeit können solche Flexibilisierungskonzepte nur nützlich sein. Die berufspädagogische Diskussion muss sich künftig theoretisch und empirisch mit dem Konzept von Beschäftigungsfähigkeit auseinandersetzen und prüfen, welche Elemente bereits in Theorie und Praxis der Berufsbildung abgedeckt sind und welche pädagogisch verantwortungsvoll noch umgesetzt werden müssen letzteres insbesondere im Hinblick auf ganz bestimmte Zielgruppen unter den Jugendlichen. Die Umsetzungskonzepte in der beruflichen und allgemeinen Bildung müssen kompatibel und ggfs. miteinander verzahnt werden. 3. Beschäftigungsfähigkeit Minimalziel oder Globalziel in der Berufsausbildung Jugendlicher? Beschäftigungsfähigkeit in der so diskutierten Bedeutung scheint somit ein übergreifendes und sehr anspruchsvolles Ziel beruflicher Bildung zu sein, das eine Vielzahl von anspruchsvollen Kompetenzen beinhaltet, wie sie beispielsweise in den neuen Ausbildungsordnungen verankert sind. Diskutiert wird Beschäftigungsfähigkeit als Leitlinie beschäftigungspolitischer Ziele in Deutschland und in der EU jedoch vorrangig in Bezug auf Langzeitarbeitslose und andere benachteiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt, u.a. Jugendliche ohne Ausbildung und Arbeit. Und die entwickelten Konzepte und Maßnahmen richten sich in erster Linie auf diese Personenkreise. Damit stellt sich die Frage, ob sich hinter dem Ziel der Vermittlung von Beschäftigungsfähigkeit nicht das verbirgt, was wir auch in früheren Maßnahmestrategien in der Bundesrepublik bereits hatten: die Vermittlung von Minimalqualifikationen und Kompetenzen, um überhaupt in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden. Die früheren berufsvorbereitenden Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit für noch nicht berufsreife bzw. nicht vermittlungsfähige Jugendliche unterschieden zwischen unterschiedlichen Lehrgangstypen.
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Frage kamen, und hatten als Ziel die Eingliederung in eine (ungelernte) Arbeitnehmertätigkeit. Diese strikte Trennung in ausbildungsfähige und nicht ausbildungsfähige Jugendliche und deren Zuweisung in unterschiedliche Lehrgangstypen wurde im Rahmen der Weiterentwicklung der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen und unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die mit den beachtlichen Erfolgen der sozialpädagogisch orientierten Berufsausbildung (Benachteiligtenprogramm des BMBW/Förderung der Berufsausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen [BüE] und ausbildungsbegleitende Hilfen [abH] durch die BA) in den 80er und 90er Jahren erzielt wurden, aufgegeben zugunsten eines integrativen Förder- und Differenzierungsansatzes mit dem Ziel Ausbildung für Alle. Bei dieser Neuorientierung der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen und der Benachteiligtenförderung der BA stand natürlich auch die allgemeine Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung Pate, die durch steigende Qualifikationsanforderungen und einen dramatischen Rückgang an Arbeitsplätzen für An- und Ungelernte gekennzeichnet war und immer noch ist. In dieser Situation reichte es nicht mehr, für einen bestimmten Teil der Klientel lediglich eine minimale Beschäftigungsfähigkeit zu erreichen, sondern das Ziel musste die Ausbildungsfähigkeit für möglichst alle Jugendlichen, auch für sozial und bildungsmäßig Benachteiligte, sein. Mittlerweile ist die Erkenntnis gewachsen, dass dieses Ziel nicht für alle auf dem gleichen, einheitlich vorgegebenen Weg zu erreichen ist, weshalb in der aktuellen Diskussion Ansätze wie Modularisierung und Vermittlung von Teilqualifikationen keine Tabu-Themen mehr sind, sondern rational diskutiert werden können. Dennoch gilt, wenn ich die aktuellen Diskussionen recht verstehe, die Beschäftigungsfähigkeit als das Minimalziel von Maßnahmen zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit (etwa im JUMP-Programm der Bundesregierung) und die Hinführung zur Ausbildungsfähigkeit als das anspruchsvollere und nur für einen Teil der Zielgruppe erreichbare Ziel. 4. Maßnahmen zur Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit für benachteiligte Jugendliche:
Wenn man davon ausgeht, dass für diejenigen, die eine Berufsausbildung im dualen System oder eine andere Berufsausbildung durchlaufen, das Ziel der individuellen Beschäftigungsfähigkeit grundsätzlich durch den Abschluss dieser Ausbildung gegeben ist (wobei es natürlich gravierende Unterschiede nach Ausbildungsberufen gibt), bleibt die Frage, wie das Ziel der individuellen Beschäftigungsfähigkeit bzw. zunächst der Ausbildungsfähigkeit bei benachteiligten und vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht aufgenommenen Jugendlichen zu erreichen ist und zwar möglichst nachhaltig zu erreichen ist. Zunächst zur quantitativen Dimension: Der Anteil der Jugendlichen, der dauerhaft ohne abgeschlossene Berufsausbildung bleibt, stagniert seit langem bei rd. 10 % eines Altersjahrgangs (BMBF, Emnid-Studie 1999). Die Ursachen hierfür liegen nur z.T. im unzureichenden quantitativen Ausbildungsangebot; immer stärker schieben sich strukturelle Diskrepanzen und grundlegende Strukturprobleme der dualen Berufsausbildung dabei in den Vordergrund, die mit der mangelnden Ausbildungsfähigkeit und -bereitschaft von Betrieben, aber auch mit veränderten sozialen Lagen und Bildungsvoraussetzungen sowie veränderten beruflichen Orientierungen von Jugendlichen und schließlich mit einer deutlichen Veränderung/Entstrukturierung der Übergangsphase von der Schule in den Beruf zu tun haben. Das Problem der Ausbildungslosigkeit ist heutzutage ja vielfach nicht ein Problem, dass Jugendliche keine Berufsausbildung wollen, sondern dass sie entweder in der Berufsausbildung scheitern (Ausbildungsabbruch) oder sich im Dschungel der hinführenden und berufsvorbereitenden Maßnahmen verheddern und schließlich nach einer langen Maßnahmekarriere aufgeben. Ohne auf dieses Ursachenbündel jetzt näher eingehen zu können, bleibt im Ergebnis die Erkenntnis, dass für diesen Anteil von rd. 10 % dauerhaft Angebote zur Integration in Ausbildung und Beschäftigung erforderlich sein werden aber nicht nur für diese, sondern auch weiterhin für jene, die auch heute schon mit entsprechenden Hilfen und Maßnahmen die Aufnahme und den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung schaffen. [Seite der Druckausg.: 92] Neben den Ländern ist die BA der größte Finanzier/Anbieter von Fördermaßnahmen zur Berufsvorbereitung und Berufsausbildung für all jene Jugendlichen, die der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht aufnimmt. Das Angebot reicht von der Förderung berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen (BvB) über ausbildungsbegleitende Hilfen (abH) bis zur Förderung der Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Ausbildung (BaE) und der beruflichen Ersteingliederung Behinderter. Der Förderungsumfang umfasste 1999:
Somit haben 1999 insgesamt rd.
Das Förderungsvolumen an der sog. 1. Schwelle durch BA und Bundesregierung ist also enorm, die Leistungen der Bundesländer noch nicht eingerechnet. Zukünftig gilt es, im Sinne der im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildung verabredeten Maßnahmen, Ausbildungsvorbereitung schulischer und außerschulischer Art besser mit der Berufsausbildung zu verzahnen und die Maßnahmen modular zu konzipieren und so zu gestalten, dass zertifizierbare Teilqualifikationen und anrechenbare Kompetenzen auf die nachfolgende [Seite der Druckausg.: 93] Berufsausbildung erworben werden können. Hier gibt es erste Ansätze und Konzepte, die allerdings noch der breiten Umsetzung bedürfen. Weiterhin gilt es, zur Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit der Maßnahmeteilnehmer, möglichst betriebs- und praxisnahe Maßnahmekonzepte zu entwerfen und bestehende Maßnahmen in diese Richtung weiterzuentwickeln. Die Erfolge des Hamburger QuasModells und des bundesweiten Nachfolgeprogramms AQJ zeigen, dass völlig unabhängig von den tatsächlich in der Maßnahme vermittelten Inhalte und Kompetenzen und der eingesetzten pädagogischen Konzepte allein das Merkmal Betriebsnähe die Beschäftigungsfähigkeit der Jugendlichen für die Betriebe erhöht. Hier verhält es sich ähnlich wie bei den Schülerbetriebspraktika, die durchaus im Widerspruch zu dem ursprünglichen pädagogischen Konzept für immer mehr Jugendliche der entscheidende Weg zu einer Ausbildungsstelle werden. [Seite der Druckausg.: 94 = Leerseite] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001 |