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[Seite der Druckausg.: 95]


Matthias Knuth
Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik. Wege zu Innovation, Wachstum und Beschäftigung


  1. Die „Verzahnung„ von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik geriet nach der Deutschen Einigung vorübergehend ins Zentrum der arbeitsmarktpolitischen Diskussion. Zum massenhaften Einsatz arbeitsmarktpolitisch geförderter Beschäftigung als Puffer für zusammenbrechende industrielle Strukturen in den Neuen Bundesländern gab es keine Alternative, und angesichts industrieller Altlasten und maroder Infrastrukturen war öffentlich geförderte Ersatzbeschäftigung allemal sinnvoller als endlose Qualifizierungsketten für Arbeitsplätze, die nicht in Sicht waren. Man suchte Betätigungsfelder für sog. „Mega-ABM„, und der Bedarf im Bereich von Umwelt und Infrastruktur war offensichtlich und schien fast unbegrenzt.
    Ein weiterer Faktor war, dass die Arbeitsämter rascher handlungsfähig waren als Landesregierungen und Kommunen. Das historische Erbe von ABM, der in ihrer Konstruktion bis heute fortlebende Charakter als öffentliche Notstandsarbeiten trat wieder in den Vordergrund – zuletzt beim Oder-Hochwasser 1997/98. Dadurch kam es zu einer eigenartigen Verkehrung der Politikfelder: Die ABS-Gesellschaften als typische Träger dieser Politik hatten den ausdrücklichen Auftrag, geförderte Beschäftigung als Strukturförderung zu organisieren. Dabei gab es jedoch kein Konzept (und es gibt, soweit ich sehe, nach wie vor keines), wie man tragfähige wirtschaftliche Strukturen in einer unter Anpassungs- und Anschlussschock stehenden ehemaligen Zentralverwaltungswirtschaft schafft. Im Ergebnis muss man feststellen, dass die sogenannte „investive Arbeitsmarktpolitik„ eine nur für eine kurze Übergangszeit zu rechtfertigende Notlösung ohne nachhaltige Wirksamkeit war. Beitragsmittel der Bundesanstalt wurden für den „Aufbau Ost„ umgewidmet, und gleichzeitig wurde der Personalabbau der Treuhand-Unternehmen flankiert. Eine Strategie der zielgenauen Infrastruktur-Investitionen konnte das nicht sein.

    [Seite der Druckausg.: 96]

  2. Das konzeptionelle Vakuum hinsichtlich der Strukturpolitik besteht wohl nicht nur bezüglich der Transformationsökonomien, oder anders gesagt: Es besteht für alle Transformationsökonomien einschließlich der Transformation des Kapitalismus, die wir gegenwärtig erleben. Definitionsversuche der Strukturpolitik handeln entweder von öffentlich bereitgestellter Infrastruktur, oder sie kommen sofort auf diejenigen staatlichen Förderprogramme zu sprechen, die gemeinhin zur Strukturpolitik gerechnet werden. Während wir gegenwärtig damit beschäftigt sind, von unseren Nachbarn zu lernen, was Arbeitsmarktpolitik ist, kennen wir bei der Strukturpolitik nur die Wünsche und Ziele – Innovation, Wachstum und Beschäftigung – wissen wenig über die Wege dorthin, und kennen erst recht kaum überzeugende Beispiele dafür, wie der Staat diese Wege bauen oder ebnen könnte.

  3. Also halten wir uns in der Praxis eben doch an „Datenautobahnen„, Landebahnen und Radwege als die staatlicherseits zu schaffenden „Wege zu Innovation, Wachstum und Beschäftigung„. Die Frage nach dem Verhältnis von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik reduziert sich dann auf das Problem, wie Teilnehmer und Träger von arbeitsmarktpolitisch geförderten Beschäftigungsmaßnahmen bei der Umsetzung öffentlicher oder öffentlich geförderter Investitionsvorhaben beteiligt werden können. Angesichts der Tatsache, dass Arbeitsförderungsrecht, öffentliches Vergabe- und Haushaltsrecht und Steuerrecht auf die Probleme von ein paar hundert Beschäftigungsträgern, die solche Projekte durchführen, keine Rücksicht nehmen, und angesichts der zeitlichen Inkongruenz von Infrastrukturplanung und Arbeitsförderung ist dieses Problem alles andere als trivial. Es ist vielmehr so komplex, dass man über der Menge zu überwindender Schwierigkeiten die Frage vergessen könnte, warum man sich überhaupt dieser Anstrengung unterziehen soll.

  4. Die pragmatische Antwort der einschlägig tätigen Träger lautet: Für gering qualifizierte Zielgruppen brauchen wir niedrigschwellige Tätigkeitsfelder, die aufgrund der gesetzlichen Vorschriften für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im öffentlichen Interesse sein oder in den Katalog der förderungsfähigen Tätigkeitsfelder von Strukturanpassungsmaßnahmen passen müssen. Und da sind wir dann ganz automatisch bei öffentlichen Bauvorhaben und damit bei gewerblichen Tätigkeiten

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    im Garten- und Landschaftsbau und Baugewerbe, weil die „Verbesserung des Angebots bei den sozialen Diensten und in der Jugendhilfe„ sowie die „Erhöhung des Angebots im Breitensport und in der freien Kulturarbeit„ (die nichtgewerblichen Tätigkeitsfelder der Strukturanpassungsmaßnahmen) höhere Qualifikationen voraussetzen als diejenigen, die wir bei den arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen zumindest in Westdeutschland voraussetzen können. Und da diese öffentlichen Bauvorhaben nun wiederum als Strukturpolitik gelten bzw. aus strukturpolitischen Programmen finanziert werden, führen wir Diskussionen über das Verhältnis von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik. Dabei dürfte es den Jugendlichen, die am Bau des Radwegenetzes im nördlichen Ruhrgebiet beteiligt sind, zu recht herzlich egal sein, ob wir ein solches Radwegenetz als Bestandteil der Strukturpolitik ansehen oder nicht.

  5. Solange aktive Arbeitsförderung dem Paradigma massenhafter Ersatzbeschäftigung für fehlende Arbeitsplätze folgte, war die Rechtfertigung der organisatorischen Anstrengungen und finanziellen Aufwendungen für kombinierte Arbeits- und Strukturförderung einfach: Die Teilnehmer sind erst einmal beschäftigt, und außerdem wird für die Allgemeinheit etwas Nützliches geschaffen. Mit der Einführung des SGB III, unter dem Einfluss der Leitlinien der Europäischen Beschäftigungspolitik und nicht zuletzt wegen der Belebung der Nachfrage nach Arbeitskräften setzt sich jedoch ein anderes Paradigma durch. Zumindest in Westdeutschland geht es in den nächsten Jahren nicht mehr um einen Ersatzarbeitsmarkt, sondern um die Förderung nachhaltiger Beschäftigungsfähigkeit für den Übergang in einen wieder aufnahmefähigeren regulären Arbeitsmarkt.

  6. Damit sind an Projekte der kombinierten Arbeits- und Strukturförderung Fragen wie die folgenden zu stellen:

    • Orientiert man mit der Konzentration auf die Bereiche Garten- und Landschaftsbau und Baunebengewerbe die Teilnehmer womöglich in Sackgassen, die keine Beschäftigungsperspektiven im regulären Arbeitsmarkt bieten? Sind Fluktuation und damit der Arbeitskräfte-Ersatzbedarf in diesen ja insgesamt nicht wachsenden Branchen groß genug, um die Teilnehmer zumindest auf mittlere Sicht aufzunehmen? Oder muss man sagen: Die Schwelle ist zwar niedrig, aber dahinter befindet sich keine Tür?

      [Seite der Druckausg.: 98]

    • Inwieweit hängt das auch damit zusammen, dass arbeitsmarktpolitisch geförderte Beschäftigung die ungeförderte in bestimmten Tätigkeitsbereichen verdrängt, so dass schon deshalb der Übergang in letztere nicht gelingen kann? Diese Frage stellt sich vor allem im GaLa-Bereich.

    • Wie kann man das enge Tätigkeitsspektrum der Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen erweitern in expandierende Tätigkeitsfelder? Welche niedrigschwelligen Angebote sind geeignet, Übergänge in die wachsenden Dienstleistungsbereiche zu schaffen?

  7. Die letzte Frage wird heute unter neoliberalen Voraussetzungen im Kontext von Niedrig- und Kombilohnstrategien diskutiert, weil die traditionelle aktive Arbeitsförderung sie nicht bearbeitet hat. Und sie konnte sie nicht bearbeiten, weil die klassischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit ihrer Herkunft von öffentlichen Notstandsarbeiten, ihrer Beschränkung auf Arbeiten im öffentlichen Interesse und umgesetzt nach Zuwendungs- und Zuweisungsrecht staatsfixiert sind. In einer Zeit, in der die staatlichen Arbeitgeber Personal abbauen und das Volumen öffentlicher Bauaufträge mit Sicherheit nicht wachsen wird, kann ein solches Instrument die Erwartung, Übergänge in reguläre Beschäftigung zu ermöglichen, immer weniger erfüllen.

  8. Die Innovation der Arbeitsmarktpolitik ist dringend notwendig. Diese Notwendigkeit betrifft die Instrumente, Steuerungsmechanismen, Methoden und Kooperationsformen der aktivierenden Arbeitsförderung. Aber die Arbeitsmarktpolitik ist nicht verantwortlich für Innovation und Wachstum der Wirtschaft. Sie kann nur dazu beitragen, dass diese Innovation nicht an Grenzen der Verfügbarkeit von Arbeitskräften stößt. Insofern enthält das Thema eine Engführung, an der ich mich ebenso wie andere Autoren in der ersten Hälfte der neunziger Jahre abgemüht habe, ohne dass das zu überzeugenden Lösungen geführt hat.

  9. Die anderen Politikfelder könnten eine Menge zur Verbesserung der Handlungsbedingungen der Arbeitsmarktpolitik beitragen. Dieses Synergiepotenzial beschränkt sich nicht auf die Strukturpolitik. Jegliche öffentliche Auftragsvergabe – gerade auch von Dienstleistungen – sollte unter die Anforderung gestellt werden, Integrationsmöglichkeiten für

    [Seite der Druckausg.: 99]

    arbeitsmarktpolitische Zielgruppen zu eröffnen. Statt hoher Kopfzahlen ist hierbei die feine Dosierung erforderlich. Dadurch wird verhindert, dass die Zielgruppen unter sich bleiben.

[Seite der Druckausg.: 100 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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