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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 39] Gerd Andres
Herausforderungen an die aktive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland Aktive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland hat eine weltweit einzigartige Herausforderung zu bewältigen. Sie wird seit Beginn der 90er Jahre auf hohem Niveau eingesetzt, um den Prozess der Deutschen Einheit sozial zu flankieren. Arbeitsmarktpolitik übernimmt damit eine gesellschaftliche Aufgabe, die weit über die gesetzlichen Zielsetzungen des Arbeitsförderungsrechts hinausreicht, und das zum größten Teil aus beitragsfinanzierten Ressourcen. Es wäre schon deshalb nicht angemessen, aktive Arbeitsmarktpolitik - insbesondere in den neuen Ländern - nahezu ausschließlich nach dem Kriterium der Eingliederung von geförderten Arbeitnehmern in reguläre Beschäftigung zu beurteilen. Aktive Arbeitsmarktpolitik hat in den nächsten Jahren vier große Herausforderungen zu bewältigen:
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Angesichts des derzeit noch bestehenden globalen Defizits von 6 Millionen Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem regulären Arbeitsmarkt wäre die Arbeitsmarktpolitik schlicht überfordert, wenn von ihr die alleinige Lösung unseres Beschäftigungsproblems erwartet würde. Hier sind Arbeitgeber und Gewerkschaften, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik mindestens ebenso gefordert. Deshalb ist der Weg der Bundesregierung richtig - und wird längerfristig auch zum Erfolg führen -, mit dem Bündnis für Arbeit die für die Schaffung von mehr Beschäftigung und den Abbau der Arbeitslosigkeit verantwortlichen Kräfte in unserer Gesellschaft zu gemeinsamem Handeln zu mobilisieren. Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau Zur Bewältigung dieser Herausforderungen muss aktive Arbeitsmarktpolitik planbar und verlässlich sein. Die Bundesregierung hat sofort nach ihrem Amtsantritt mit der Verstetigung der Finanzausstattung der aktiven Arbeitsmarktpolitik begonnen. Im Jahr 1999 wurden mit 45,3 Mrd. DM 6,3 Mrd. DM mehr bereitgestellt, als 1998 ausgegeben wurden. Wir halten Kurs. Trotz der großen Anstrengungen, den Bundeshaushalt weiter zu konsolidieren, stehen in diesem Jahr (2000) für aktive Arbeitsmarktpolitik rd. 46 Mrd. DM zur Verfügung. Auch im Jahr 2001 kann die aktive Arbeitsmarktpolitik - vor allem in den neuen Ländern - auf dem erreichten hohen Niveau fortgeführt werden. Dazu wird aller Voraussicht nach aufgrund der kräftigen konjunkturellen Entwicklung und der damit verbundenen Zunahme der Zahl der Beschäftigten - also bei steigenden Beitragseinnahmen und zurückgehender Arbeits- [Seite der Druckausg.: 41] losigkeit - erstmals seit 1987 kein Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu den Einnahmen der Bundesanstalt für Arbeit erforderlich sein. Dabei ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung von Einmalzahlungen beim Arbeitslosengeld bereits berücksichtigt. Die spürbare Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Aufstellung des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit ist auch ein Erfolg des wirtschaftspolitischen Gesamtkonzepts der Bundesregierung. Ich denke, wir sind auf einem guten und auch mittelfristig erfolgreichen Weg. Trotz allem ist es aber wichtig, dass der Haushaltsentwurf 2001 der Bundesregierung sicherstellt, dass die Bundesanstalt für Arbeit auch die bisherigen Arbeitsmarktprogramme des Bundes fortsetzen kann. Dies gilt für die Programme zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit, der Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser und der Förderung von Strukturanpassungsmaßnahmen, letzteres insbesondere in den neuen Ländern. Diese ursprünglich befristeten Maßnahmen werden verlängert und von der Bundesanstalt für Arbeit weitergeführt. Modernisierung der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik Ohne Zweifel brauchen wir dringend eine Modernisierung der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Nach dem geltenden Arbeitsförderungsrecht, das von der vorherigen Bundesregierung weitgehend reaktiv ausgestaltet worden ist, soll durch die Arbeitsförderung der Ausgleich am Arbeitsmarkt unterstützt werden. Das ist zu wenig, um die Herausforderungen der absehbaren Zukunft zu bewältigen! Es wird Zeit, neue Akzente zu setzen. Das wollen wir tun!
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Der größte Erfolg in der Arbeitsmarktpolitik wird dann erzielt, wenn die arbeitsmarktpolitischen Instrumente möglichst zielgenau und flexibel eingesetzt werden. Zielgenau heißt, Arbeitsmarktpolitik zu denen zu bringen, die auf ihre Unterstützung in besonderem Maße angewiesen sind. Das sind
Bei der Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wird folgendes zu prüfen sein:
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Lassen Sie mich kurz zu der Frage Stellung nehmen: Was können wir von unseren Nachbarn lernen? Zwei Beispiele will ich herausgreifen. [Seite der Druckausg.: 44] Erstes Beispiel Dänemark: Job-Rotation Das Instrument der Job-Rotation ist mittlerweile über die Grenzen Dänemarks hinaus bekannt geworden und hat zählbare Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Weiterbildung der Beschäftigten aufzuweisen. Auch in der Bundesrepublik werden seit einigen Jahren Job-Rotation-Projekte modellhaft durchgeführt. Was beinhaltet nun eigentlich Job-Rotation? Kern des Instrumentes ist die Möglichkeit für Beschäftigte, in Absprache mit dem Arbeitgeber für einen gewissen Zeitraum - bis zu 52 Wochen - an Maßnahmen der Weiterbildung teilzunehmen und für diese Zeit durch einen zuvor arbeitslosen Stellvertreter ersetzt zu werden. Der in Weiterbildung befindliche Beschäftigte erhält für die Zeit der Weiterbildung Arbeitslosengeld in Höhe von 90% seines Lohnes, höchstens jedoch 2630 Kronen pro Woche. Der Stellvertreter im Betrieb erhält in der Regel ebenfalls Arbeitslosengeld, unter bestimmten Umständen zahlt ihm der Arbeitgeber jedoch einen Lohn, der von der Arbeitsverwaltung bezuschusst wird. Die Vorteile des Instruments Job-Rotation liegen auf der Hand: Einerseits wird einem Beschäftigten die Möglichkeit geboten, seine Kenntnisse und Fertigkeiten steigenden Anforderungen anzupassen, auf der anderen Seite hat ein Arbeitsloser die Chance, sich praxisnah in eine Tätigkeit einzuarbeiten, seine Kenntnisse zu erweitern und damit seine Vermittlungsfähigkeit zu steigern. Der Betrieb kann durch die Stellvertretung die Abwesenheitszeit seines Beschäftigten überbrücken und den Ausfall einer Arbeitskraft zumindest teilweise kompensieren. Es geht bei Job-Rotation also nicht nur um die reine Wiedereingliederung von Arbeitslosen in das Beschäftigungssystem. Diese Beschreibung würde zu kurz greifen. Es geht auch darum, den Beschäftigten im Kontext lebenslangen Lernens die Möglichkeit zu einer stetigen Anpassung des Wissens und der Fähigkeiten zu eröffnen. Für eine Novellierung unseres Arbeitsförderungsrechts werden wir mit großer Sorgfalt prüfen, ob bzw. wie wir unsere Ansätze zu Job-Rotation ausbauen können. [Seite der Druckausg.: 45] Zweites Beispiel Niederlande: Profiling Profiling ist weniger ein Instrument, eher eine Methode, Leistungsprofile von Arbeitslosen - ihre Stärken und Schwächen - zu ermitteln. Damit wird es ermöglicht, vergleichsweise systematisch deren jeweils individuelle Chancen für eine Eingliederung in reguläre Beschäftigung zu beurteilen. Gleichzeitig kann der arbeitsmarktpolitische Handlungsbedarf personenbezogen ermittelt werden. Mit Hilfe dieses Verfahrens, dessen Ergebnisse in regelmäßigen Abständen zu überprüfen sind, werden die Arbeitssuchenden jeweils einer Phase von 1 bis 4 zugeordnet. Phase 1: unmittelbare Vermittlungsfähigkeit - es sind nur Basisdienstleistungen wie Information, Beratung, Vermittlung erforderlich. Phase 2: Vermittlungserwartung innerhalb der nächsten 12 Monate, die durch spezifische Maßnahmen, wie z.B. Weiterbildung/Umschulung, unterstützt wird. Phase 3: Es ist ein Vermittlungs-Zusatzprogramm erforderlich, das mindestens ein Jahr, höchstens zwei Jahre dauert. Phase 4: Hier werden nur sehr langfristige Vermittlungschancen gesehen; es sind eine soziale Aktivierung und/oder psychologische Hilfsprogramme erforderlich. Ob dieser sicherlich interessante Ansatz für eine Übernahme in das deutsche Arbeitsförderungsrecht geeignet ist, bedarf einer intensiven Prüfung. Jedenfalls scheint es mir erforderlich, auch in Deutschland zu geeigneten Verfahren zur frühzeitigen Feststellung drohender Arbeitslosigkeit zu kommen. Schlussbemerkungen Aktive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland ist viel besser als manche Urteile, die über sie gefällt werden. Sie hat im Jahresdurchschnitt 1999 erheblich zur Verringerung der Zahl der Arbeitslosen um 180.000 und zur Zunahme der Beschäftigung von 107.000 Personen beigetragen. Ich habe skizziert, [Seite der Druckausg.: 46] welche Entwicklungslinien eine Novellierung des Arbeitsförderungsrechts verfolgen sollte. Wir sind offen für Verbesserungsvorschläge und bereit, von ausländischen Erfahrungen zu lernen. Der kräftige Wirtschaftsaufschwung in Deutschland führt zu mehr Beschäftigung und zur Verringerung der Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen ist im Mai 2000 um 198.000 auf 3,788 Mio. Personen gesunken. Das sind 210.000 weniger als im Vorjahr und 409.000 weniger als im April 1998. Ich bin sicher, dass die Zahlen für Juni 2000 diesen Trend bestätigen. Gleichzeitig sind 567.000 offene Stellen bei den Arbeitsämtern gemeldet. Das ist der höchste Wert seit der Wiedervereinigung und ein Plus von 17,7 % gegenüber dem Vorjahr. Die sich weiter verbessernde Situation auf dem Arbeitsmarkt darf noch nicht Anlass sein, jetzt den Umfang der aktiven Arbeitsmarktpolitik zurückzunehmen. Eine stärkere Ausrichtung auf Qualifikation und Weiterbildung soll dazu beitragen, den wirtschaftlichen Aufschwung für mehr Beschäftigung und die Integration von Arbeitslosen in das Beschäftigungssystem zu nutzen. Mismatch am Arbeitsmarkt - wie die jetzt bekannt gewordene IT-Fachkräftelücke - muss zukünftig vermieden werden. Dazu ist es vor allem erforderlich, dass die Betriebe frühzeitig ihren Personalbedarf ermitteln und den entsprechenden Qualifizierungsbedarf den Arbeitsämtern vor Ort deutlich machen. Auf allen Ebenen der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit kommt den Vertretern der Arbeitgeberverbände dabei eine besonders wichtige und initiative Rolle zu. Sie sollten sich stärker als bisher als Mittler zwischen betrieblichen Bedürfnissen und aktiver Arbeitsmarktpolitik begreifen. Schritt für Schritt werden wir die Arbeitsmarktpolitik präventiver ausgestalten. Ein nachhaltiger Beschäftigungsaufwuchs wird hoffentlich dazu führen, dass auch wir in Deutschland mittelfristig die aktive Arbeitsmarktpolitik schrittweise zurücknehmen. Aktive Arbeitsmarktpolitik hat in ihrer konkreten Ausgestaltung sehr unterschiedliche Zielsetzungen oder Aufgaben. Die wichtigste lautet: arbeitslosen Menschen wieder eine Perspektive in unserer Arbeitsgesellschaft zu eröffnen und sie mit dem Schicksal der Arbeitslosigkeit nicht allein zu lassen. Diese Politik werden wir in den nächsten Jahren energisch weiterverfolgen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001 |