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TEILDOKUMENT:



Dietrich Hoss
Die französische Beschäftigungs- und Sozialpolitik.
Impulse für Deutschland?


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Soziopolitische Hintergründe

Eine Evaluierung der französischen Beschäftigungs- und Sozialpolitik, die sich im Rahmen dieses Beitrages nur auf einige elementare, besonders prägnante Strukturmerkmale beziehen kann, muss ausgehen von den soziopolitischen Kontextbedingungen dieses Landes, die sich in hohem Maße von der bundesrepublikanischen Situation unterscheiden.

Vor allem folgende Faktoren bestimmen die Konzeption und die Dynamik der verschiedenen sozial- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen:

  • Ein starker Staat
    Trotz der in den letzten Jahrzehnten vollzogenen Dezentralisierung bleibt Frankreich ein Land, welches sowohl in seinen Verwaltungsstrukturen wie in der Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik stark „jakobinisch„ - zentralstaatlich geprägt ist. Zwar kam es unter Mitterand zu einer relativen Liberalisierung des „Sozial-Colbertismus„ gaullistischer Prägung - z.B. wurde die staatliche Zustimmungspflicht bei Entlassungen in Privatbetrieben abgeschafft - gleichwohl wird auch heute noch gerade auf wirtschaftlichem und sozialpolitischem Gebiet von einem sozialstaatsorientierten „realistischen Voluntarismus„ der Regierung Jospin gesprochen.

  • Schwache Sozialpartner
    Demgegenüber sind die Organisationen der Sozialpartner eher schwach. Der durchschnittliche gewerkschaftliche Organisationsgrad ist seit den siebziger Jahren kontinuierlich auf gegenwärtig unter 10% gesunken. Die Unternehmerseite hat Mühe, ein modernes dialogfähiges Image zu entwickeln. Erst kürzlich hat der erwürdige „Patronatsverband„ (CNPF) sich den neuen werbewirksameren Namen „Unternehmerbewegung„(MEDEF) gegeben. Diese scheinbare Äußerlichkeit ist für die Identitätssuche des Unternehmerlagers kennzeichnend. Nationale und regionale Branchentarifverträge haben eine relativ geringe

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    Bedeutung. Das Mindesteinkommen (SMIC) ist branchenübergreifend gesetzlich festgelegt.

  • Ein starker „3. Sektor„
    Gleichzeitig hat jedoch die sich auch in Frankreich öffnende Schere von Massenarbeitslosigkeit, „neuer Armut„ und vielfältigen sozialen Problemen auf der einen und den Restriktionen der staatlichen Sozialbudgets auf der anderen Seite zu einer besonders starken Entwicklung des „non-profit„-Sektors geführt. Im Licht der Öffentlichkeit stehen besonders landesweit arbeitende Organisationen, auf französisch „Assoziationen„, wie die von Abbé Pierre gegründete Vereinigung „Emmaus„ für Obdachlose und die „restos du cœur„ (Restaurants des Herzens), die in den Wintermonaten Mahlzeiten ausgeben. Doch dies sind nur die bekanntesten Einrichtungen. In Stadtvierteln der Großstädte wie in kleineren Orten auf dem Lande gibt es die verschiedenartigsten Aktivitäten, Selbsthilfegruppen, Tauschringe etc. Zwischen 1970 und 1998 ist die Zahl der Vereine insgesamt von 200.000 auf 800.000 gestiegen. Sie haben neben ihrer sozialen und humanitären Bedeutung auch ein beachtliches beschäftigungspolitisches Gewicht: 1,8 Millionen Erwerbstätige, 7,5 % der Gesamtbeschäftigten sind in Frankreich bei Vereinen und Stiftungen der sozialen und Solidarökonomie angestellt.

Folgende soziostrukturellen Problemzonen sind für die französische Beschäftigungs- und Sozialpolitik von besonderer Bedeutung: eine hohe Jugendarbeitslosigkeit (ca. 20 % in den letzten Jahren), die sich vor allem aus einer mangelnden Kohärenz von Ausbildungs- und Beschäftigungssystem ergibt (Unterentwicklung der beruflichen Ausbildung im Verhältnis zur höheren Schul- und Universitätsbildung), Ghettoisierung von Immigranten- und Randbevölkerungsgruppen in Vorstädten mit z.T. verwahrlostem Wohnungsbestand sowie ein hoher Anteil von Langzeitarbeitslosen (ca. 40 %) an der Gesamtarbeitslosenzahl.

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Parameter der Beschäftigungs- und Sozialpolitik

In den achtziger und neunziger Jahren hatte sich die Beschäftigungs- und Sozialpolitik vor allem auf zwei Maßnahmen konzentriert: eine weitgehende Vorruhestandsregelung zur sozialen Abfederung von Restrukturierungs-

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und Modernisierungsprozessen sowie eine radikale Senkung der Sozialabgaben für untere Lohngruppen zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen (ca. 5 Millionen Beschäftigte von rund 25 Millionen Erwerbstätigen sind von der Sozialabgabenpflicht gänzlich befreit). Daneben wurde Ende der achtziger Jahre der „RMI„ (revenu minimum d’insertion) (= Minimaleinkommen zur Wiedereingliederung) eingeführt, der sich als eine Art Zwischenform von Sozial- und Arbeitslosenhilfe charakterisieren lässt.

Im Folgenden soll vor allem auf die beschäftigungs- und sozialpolitischen Initiativen der Regierung Jospin eingegangen werden, da diese sich im Unterschied zu den genannten Maßnahmen stark von hiesigen Ansätzen unterscheiden. Wenn sich auch ihre Ausrichtung und ihr relativer Erfolg wesentlich durch die skizzierten Rahmenbedingungen in Frankreich erklären, könnten sie gleichwohl auch Innovationen hier anregen.

Dies gilt weniger für das zunächst zu schildernde beschäftigungspolitische „Paradestück„ der Regierung Jospin, die gesetzliche Einführung der 35-Stunden-Woche, die zwar auch erheblich zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit beigetragen haben soll, jedoch in ihrer gesamten Anlage besonders stark an die dortigen zentralstaatlichen Strukturen gebunden ist. Eher könnten sich die weiteren aufgeführten Maßnahmen, wie das staatliche Jugendbeschäftigungsprogramm, das Gesetz gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung und die Förderung der Solidarwirtschaft, als Impulse zu einem Überdenken hiesiger Vorgehensweisen anbieten. Bei diesen letzteren Maßnahmen handelt es sich jeweils um den interessanten Versuch, den Einsatz staatlicher Mittel und Strukturen mit lokalen Initiativen, non-profit Organisationen und ehrenamtlichem Engagement zu verknüpfen, um sowohl eine größtmögliche beschäftigungspolitische Effizienz zu erzielen, als auch neue bzw. bisher unzureichend wahrgenommene gesellschaftliche Bedarfe zu befriedigen.

  • Die gesetzliche Einführung der 35-Stunden Woche
    Schon die Vorgängerin der Regierung Jospin hatte 1996 eine gesetzliche Grundlage (das „Robien-Gesetz„) zur Verkürzung der Arbeitszeit - allerdings auf freiwilliger Basis - geschaffen. Danach erhielten Betriebe, die die Arbeitszeit um mindestens 10% verkürzten und entweder Neueinstellungen vornahmen oder zumindest Entlassungen vermieden, eine staatliche Unterstützung in Form einer Reduzierung der Sozialabgaben.

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    wurde durch die Regierung Jospin dieses Gesetz modifiziert und in abgestufter Form bis 2002 die Einführung der 35-Stunden-Woche für alle Betriebe verpflichtend gemacht (für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten ab 1.1.2000, für alle anderen ab 1.1.2002). Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten, die vor dem 1.1.2000 - bzw. Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten, die vor dem 1.1.2002 - die 35-Stunden- Woche einführ(t)en, erhalten nach diesem Gesetz auch weiterhin je nach Umfang der Reduzierung bzw. der Neueinstellungen und Arbeitsplatzerhaltung gestaffelte Hilfen in Form einer Reduzierung der Sozialabgaben.

    Tatsächlich waren im März 2000 schon 3 Millionen Arbeitnehmer, d.h. 38 % aller Arbeitnehmer in Betrieben mit über 20 Beschäftigten, von der Einführung der 35-Stunden-Woche erfasst. Durch 26.000 diesbezügliche Vereinbarungen wurden 175.000 Arbeitsplätze geschaffen bzw. erhalten.

    Allerdings verliefen (und verlaufen) die Verhandlungen über die Arbeitszeitverkürzung nicht immer reibungslos, sondern führen teilweise zu harten Arbeitskämpfen, da sie sich in der Regel mit einer Reihe von Veränderungen der Arbeitsorganisation und der Entlohnungsbedingungen verbindet.

    Die wichtigste Veränderung der Arbeitsorganisation ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die dadurch begünstigt wird, dass sich die Arbeitszeitverkürzung nicht auf die Wochenarbeitszeit beziehen muss, sondern sich auch auf die Monats- oder Jahresarbeitszeit beziehen kann. Im Übrigen ist zwar durch das Gesetz festgelegt, dass die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu erfolgen hat, jedoch versuchen viele Unternehmen die Einführung der 35-Stunden-Woche gleichwohl für sie kostenneutral zu gestalten, indem sie gleichzeitig übertarifliche Einkommensbestandteile - Prämien, Zusatzurlaub etc. - kürzen.

  • Das Jugendbeschäftigungsprogramm
    Das Programm „Neue Dienstleistungen-Jugendarbeitsplätze„ wurde per Gesetz im Oktober 1997 verabschiedet. Es hat zur Aufgabe, „die Schaffung dauerhafter Aktivitäten im öffentlichen und ‚assoziativen’

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    Sektor, die eine Antwort auf neue bzw. nicht befriedigte lokale Bedarfe darstellen„, auf Gebieten wie dem Erziehungswesen, der öffentlichen Sicherheit, der Umwelt/Nachbarschaft, der sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie des Sports oder des Tourismus. Das Programm soll eine Professionalisierung von Jugendlichen in diesen Berufen ermöglichen.

    Der Staat gewährt dem Arbeitgeber für derartige Anstellungen von Jugendlichen zwischen 18 und 26 Jahren, in bestimmten Fällen auch bis 30 Jahren, eine Hilfe von 95.004 FF (ca. 31.000 DM) jährlich für einen Zeitraum von 5 Jahren. Bis Ende 2000 sollten auf diese Weise 350.000 Arbeitsplätze geschaffen werden mit dem Ziel, diese nach der 5-Jahresperiode in eine Selbstfinanzierung zu überführen.

    Zur systematischen flächendeckenden Einrichtung derartiger Arbeitsplätze wurden zunächst durch die Präfekten der Departements in Abstimmung mit den lokalen Behörden „geographische Zonen„ definiert, die sich als ein natürlicher Rahmen für lokale Aktivitäten anboten: „Beschäftigungs- und Lebensräume„, d.h. Stadtgebiete, Verbünde von Kommunen oder Landschaftsgebiete.

    Für jede dieser Zonen wurde ein „Pilot„ bestimmt (Bürgermeister, Unterpräfekt etc.), der über das Programm informieren, Bedarfe identifizieren und potentielle Arbeitgeber beraten soll. Für die Abwicklung des Programms sind die Arbeitsämter, „Lokalen Missionen„ und „Anlaufstellen zur Information und Orientierung (PAIO)„ verantwortlich. Letztere Einrichtungen wurden in den achtziger Jahren geschaffen.

    Von besonderer Bedeutung sind die „Lokalen Missionen„ zur beruflichen und sozialen Eingliederung (Weiterbildung, Wohnungssuche etc.) für Jugendarbeitslose. In Frankreich gibt es 300 derartige Missionen. Sie sind halböffentlich, als Vereine konstituiert und werden aus staatlichen, kommunalen und EU-Mitteln finanziert. Die Kommunen haben in ihnen einen dominanten Einfluss. In der Regel hat ein Bürgermeister die Federführung.

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    Daneben sind weitere gesellschaftliche Akteure in den Leitungsgremien vertreten. Es gibt 5 „Kollegien„: lokale Abgeordnete, die Sozialpartner, Vereine und Ausbildungsträger, staatliche Verwaltungseinrichtungen und die „Nutzer„. Als Hauptamtliche arbeiten in diesen Einrichtungen neben Sekretariats- und Verwaltungsangestellten vor allem Sozialarbeiter, Berufspädagogen u.ä.

    Tatsächlich wurden im Rahmen dieses Programms bis Februar 2000 236.000 Arbeitsplätze geschaffen, davon 139.000 bei Vereinen und lokalen Behörden, 75.000 im Erziehungswesen, 20.000 bei der Polizei und 1.200 im Justizwesen.

    Die Arbeitsplätze im Erziehungswesen beziehen sich auf Aufgaben der Aufsicht, Hausaufgabenhilfe, Computernutzung und - im Universitätsbereich - Aufgaben der Information und Orientierung sowie kulturelle Aktivitäten. Bei der Polizei und im Justizwesen handelt es sich um Assistenztätigkeiten, die insbesondere, was die Unterstützung der Polizei in sozialen Brennpunkten betrifft, erhebliche gesellschaftliche Bedeutung haben können.

    Die Arbeitsplätze bei lokalen Behörden und Vereinen sind vielfältiger Art. In der Regel werden sie unter Einbeziehung der Nutzer eingerichtet. Im Bildungs- und Erziehungsbereich kann es um die (Wieder-)Belebung von Regionalsprachen und die Kunsterziehung gehen, im Tourismusbereich um die Einrichtung von Ferienzentren und Reiterhöfen, im Umweltbereich um eine Informationskampagne für Bauern oder die Schaffung eines botanischen Gartens, im Sozialwesen um die Einrichtung eines Dienstes „Essen auf Rädern„.

    150 derartiger Initiativen wurden von Jugendlichen selbst entwickelt. An einzelnen Orten sind im Rahmen des Programms Ideenwerkstätten und „Inkubationszentren„ zur Entwicklung von Projekten entstanden.

    Beachtliche Anstrengungen werden von den Projekten zudem in Richtung einer Überführung dieser Aktivitäten in Dauerarbeitsplätze nach Ablauf der Förderung entwickelt, z.B. durch Partnerschaften mit Unternehmen und Behörden, Einnahmen durch finanzielle Beteiligung der

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    Nutzer, Rücklagenbildung und Vorbereitung von Unternehmensgründungen.

  • Das Gesetz gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung
    Das „Gesetz betreffend Maßnahmen zur Verhinderung der gesellschaftlichen Ausgrenzung„ vom Juli 1998 sieht neben verschiedenen Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnungssituation, der Gesundheitsversorgung und des Zugangs zu Bildung und Kultur vor allem erhebliche Anstrengungen zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen (insbesondere auch junger Langzeitarbeitsloser und Sozialhilfeempfänger) in ein festes Beschäftigungsverhältnis vor. Bis zum Jahr 2000 wurden für diese Aufgaben 5 Mrd. FF (15 Mrd. DM) zur Verfügung gestellt.

    Der Schlüssel zu einer beruflichen Eingliederung für die Betroffenen wird in einer individualisierten Hilfestellung bei der Beschäftigungssuche gesehen. Um diese zu ermöglichen, wurde u.a. das Personal der Arbeitsämter aufgestockt. 3 Monate lang soll dem einzelnen Arbeitslosen eine feste Bezugsperson zur Verfügung stehen, die mindestens 2 Gespräche pro Monat mit ihm führt und ein persönliches Projekt (Weiterbildungsmaßnahmen, Recherchen etc.) entwickelt. Für die jungen Arbeitslosen dienen wiederum die „Lokalen Missionen„ und „PAIO„ als Anlaufstellen, deren Struktur ebenfalls ausgebaut wurde. Zur stärkeren Einbeziehung der Unternehmen zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen wurde eine „Qualitätscharta„ entwickelt, auf deren Grundlage Unternehmen sich verpflichten, besonders intensiv mit Arbeitsämtern zusammenzuarbeiten und die in das Unternehmen eingegliederten ehemaligen Arbeitslosen individuell weiterzubilden und zu betreuen. Der Zuschuss zu staatlich geförderten Vertragsverhältnissen, „CES = contrat de solidarité-emploi„ und „CEC = contrat emploi consolidé„ , die in etwa hiesigen ABM entsprechen, kann von der Unterzeichnung einer derartigen „Qualitätscharta„ abhängig gemacht werden. Ein Grossteil derartiger Anstellungsverhältnisse (35-50%) wurde in nichtstaatlichen Vereinigungen geschaffen.

    Des weiteren spielen in diesem Programm sogenannte „Eingliederungsunternehmen„ eine besondere Rolle. Sie stellen z.Z. landesweit 50.000 Arbeitsplätze bereit. Hierbei handelt es sich um Unternehmen,

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    die von der Pflicht zur Zahlung von Sozialabgaben befreit sind, weil sie vorrangig Langzeitarbeitslose beschäftigen. Man zählt 800 derartige Unternehmen mit Vollzeitarbeitsplätzen, 160 Unternehmen mit Teilzeitarbeitsplätzen, 1.100 Vereinigungen mit einem Zwischenstatus, 15.000 Eingliederungsprojekte (die am ehesten den hiesigen Beschäftigungsgesellschaften entsprechen) und 130 „Stadtteilagenturen„ („régies de quartiers„), die sich zum Ziel gesetzt haben, insbesondere in Problemstadtteilen Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen dadurch eine Arbeitsmöglichkeit zu geben, dass sie sie mit Aufgaben der Instandsetzung und Verschönerung des Wohngebietes beschäftigen (im Sinne hiesiger „Gemeinarbeit„). Auch diese „Stadtteilagenturen„ entwickeln sich zu einem festen Element des 3. Sektors.

    Anfang 2000 waren über 1 Million Personen in Maßnahmen des Programms gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung einbezogen. 55% von ihnen hatten eine Beschäftigung von mindestens 78 Stunden im Monat gefunden, ein Grossteil allerdings in - lohnsubventionierten - nichtprivatwirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen. Zu diesem Erfolg des Programms hat beigetragen, dass das Gesetz gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung die Möglichkeit geschaffen hat, den RMI mit dem Entgelt für eine zeitweise bzw. endgültige Wiedereingliederung in ein Beschäftigungsverhältnis zu kombinieren.

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Bilanz und Reformperspektiven

Tatsächlich sind in den letzten Jahren - seit 1997 mit einer Beschleunigung seit 1998 - die Arbeitslosenzahlen erheblich gesunken: von 3,1 Millionen (9/1997) auf 2,2 Millionen (9/2000). Selbstverständlich ist diese Verringerung der Zahl der Arbeitslosen in erster Linie wie auch in anderen europäischen Ländern dem in diesen Jahren gestiegenen wirtschaftlichen Wachstum zu verdanken. Gleichwohl haben aber auch die geschilderten sozial- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Entwicklung. Schätzungen besagen, dass die Höhe der Wachstumsrate, ab der Arbeitsplätze geschaffen werden, in Frankreich bei 1 - 1,5 % liegt, während sie in Deutschland 2% betragen muss. Der Beitrag einzelner Faktoren zum Beschäftigungswachstum im privatwirtschaftlichen

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Sektor wird für die Entwicklung zwischen 1997 und 1999 wie folgt bestimmt:

Von 560.000 geschaffenen neuen Arbeitsplätzen sind zuzuschreiben:

  • dem wirtschaftlichen Wachstum 420.000,

  • der Reduzierung der Sozialabgaben 80.000,

  • der Reduzierung der Arbeitszeit 40.000,

  • weiteren staatlichen Maßnahmen 20.000.

Auf Grund dieser Erfolge der geschilderten Maßnahmen will die Regierung ihr Programm fortsetzen. Ein zentrales Ziel ist es, die im Rahmen des Jugendbeschäftigungsprogramms zunächst auf 5 Jahre befristeten Arbeitsverhältnisse in unbefristete Stellen umzuwandeln. Vor allem sollen dabei die Strukturen der Sozialen und Solidarwirtschaft ausgebaut und genutzt werden. Zwischen Oktober 1999 und dem Frühjahr des Jahres 2000 wurden in 20 Regionen Veranstaltungen organisiert, in deren Rahmen 4.000 Verantwortliche aus Vereinen, Kooperativen, Eingliederungsunternehmen etc. mit Vertretern staatlicher und lokaler Behörden darüber debattierten, „wie ihr Handeln, das Wirtschaft und Solidarität zusammenführt, besser aufgegriffen werden kann„(Pressekommuniqué des Arbeitsministeriums vom 2.6.2000). Im Frühjahr dieses Jahres wurde innerhalb des Arbeitsministeriums ein „Staatssekretariat für Soziale und Solidarwirtschaft„ geschaffen, das im Juni eine nationale Konferenz zur Bilanzierung der Ergebnisse dieser Regionalveranstaltungen organisiert hat.

Vor allem diese Anstrengungen, auf lokaler Ebene freie und ehrenamtliche Initiativen mit den Bemühungen staatlicher Behörden zusammenzuführen, um die Arbeitslosigkeit - insbesondere bei Jugendlichen und in Problemregionen - zu reduzieren und neue bzw. vernachlässigte gesellschaftliche Bedarfe zu befriedigen, scheint mir wert, stärker als bisher zur Kenntnis genommen zu werden.

Selbstverständlich haben die hier geschilderten Maßnahmen auch in Frankreich noch keineswegs zu einer Beseitigung sozialer Polarisierung und zu einem neuen gesellschaftlichen Konsens geführt. Dies wird besonders deutlich in den wiederholten spektakulären Aktionen von Arbeitslosen, die eine Erhöhung staatlicher Unterstützungszahlungen fordern. Eine Verschärfung

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dieser Auseinandersetzungen deutet sich bezüglich der Reform der gesetzlichen Arbeitslosenunterstützung an. Während Regierung, Arbeitgeberverband und die Gewerkschaft CFDT eine Neuordnung anstreben, die einen verstärkten Druck zur Arbeitsaufnahme auch in berufsfremden Tätigkeiten bewirken könnte, lehnen dies die übrigen Gewerkschaften und die Arbeitslosenvereinigungen strikt ab.

Von verschiedenen Sozialwissenschaftlern und außerparlamentarischen politischen Gruppierungen wird denn auch zur Grundlegung eines authentischen „neuen Gesellschaftsvertrages„ eine grundsätzliche Neuordnung des Verhältnisses zwischen Lohnarbeit und nicht entlohnten Aktivitäten für notwendig gehalten. Die auch hierzulande in die Diskussion eingeführte Idee eines arbeitsunabhängigen „Mindesteinkommens„ spielt in diesen Überlegungen eine zentrale Rolle. Ein solches Einkommen, das auf die Lebenszeit berechnet wäre und nicht nur bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, sondern auch in Phasen der Weiterbildung, ehrenamtlichen Tätigkeit und für persönliche Projekte abgerufen werden könnte, würde eine völlig neue Ausgangslage für die Bewältigung der bestehenden Probleme schaffen. Der gesellschaftlichen Diskriminierung und Stigmatisierung, die sich heute noch mit der Arbeitslosigkeit verbindet, würde entgegengewirkt. Die z.T. sich schon entfaltende Dynamik einer Kombination von ehrenamtlichen und entlohnten Tätigkeiten, einer Verzahnung von privatwirtschaftlichem Gewerbe und öffentlich geförderten Projekten zur Verbesserung und Bereicherung der Lebensqualität würde eine neue Grundlage erhalten. Die Realisierungschancen derartiger visionärer Überlegungen sind bisher jedoch auch in Frankreich äußerst gering.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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