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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:71]


Christine Rademacher
Arbeitszeitkonten in Klein- und Mittelbetrieben des Handwerks in Nordrhein-Westfalen


Das Projekt

Der Westdeutsche Handwerkskammertag ist der Dachverband der 7 Handwerkskammern in Nordrhein-Westfalen. In dieser Funktion ist er Projektträger des Projektes „Einrichtung von Beratungsstellen für Arbeitszeitmodelle im Handwerk in Nordrhein-Westfalen". Das Projekt wird gefördert vom Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen.

Der Westdeutsche Handwerkskammertag ist somit beauftragt, an jeder Handwerkskammer eine Beratungsstelle für flexible Arbeitszeitgestaltung einzurichten und diese Beratungsstellen zu koordinieren. Er übernimmt die Qualifizierung der Arbeitszeitberater/innen, fördert den Erfahrungsaustausch und ist zudem verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit.

Aufgabe der Arbeitszeitberater/innen ist es, vom ersten Informationsgespräch über die Erstellung eines maßgeschneiderten Arbeitszeitmodells auch den Einführungsprozess in das Handwerksunternehmen zu begleiten.

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Arbeitszeitkonten im Handwerk

Die Ergebnisse der bisherigen Arbeitszeitberatung ergaben, dass bei 86% der Beratungsgespräche Arbeitszeitkonten als mögliches Instrument zur Arbeitszeitflexibilisierung thematisiert wurden. Davon führten tatsächlich 85% der beratenen Handwerksbetriebe ein solches Konto ein bzw. optimierten ihr bisheriges.

Vor allem in Betrieben mit stark saisonal geprägtem Arbeitsanfall wird die Jahresarbeitszeit in Verbindung mit einem Arbeitszeitkonto als möglicher Flexibilisierungsansatz erkannt. Hierzu zählen insbesondere das Elektro- und Metallgewerbe sowie das Bau- und Ausbaugewerbe.

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Ein anderer im Handwerk vorhandener Flexibilisierungsansatz ist in dem Modell der Wahlarbeitszeit zu sehen. Gewerke, die an Ladenöffnungszeiten gebunden sind (z.B. Bäckereien, Fleischereien, Friseure etc.), verwenden dies. Bei der Wahlarbeitszeit wird ein Einsatzplan erstellt, in den sich die Mitarbeiter/innen eintragen können bzw. eingetragen werden. Der Plan ist so angelegt, dass zu Stoßzeiten des Tages mehr Angestellte anwesend sind, während bei Flauten weniger Angestellte nötig sind. Dieses Modell kann an ein Arbeitszeitkonto auf Jahres-, Monats- oder Wochenbasis gekoppelt sein.

Ähnlich ist es mit Bereichsfunktionszeiten im Servicebereich anderer Gewerbe (z.B. Kfz). Hier muss gewährleistet sein, dass zu vorgegebenen Zeiten ein kompetenter Ansprechpartner vorhanden ist. Auch dieses Modell kann mit einem Arbeitszeitkonto verknüpft sein.

Die Einführung eines Arbeitszeitkontos erfordert vom Arbeitgeber einen Vertrauensvorschuss in seine Mitarbeiter und räumt den Arbeitnehmern ein gewisses Maß an Eigenverantwortlichkeit ein. Daher funktioniert der Einführungsprozess nicht immer reibungslos. Bei Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern muss ein Umdenken einsetzen. In einem Handwerksbetrieb ist es daher ein bedeutender Vorteil, wenn ein kooperatives Betriebsklima herrscht, in dem die Kommunikationsstruktur zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmerschaft funktioniert. Wenn dies nicht der Fall ist und der/die Arbeitszeitberater/in auch nicht als Vermittler agieren kann, wird das neue Arbeitszeitkonto auf Dauer nicht funktionieren, da sich alle Beteiligten Nischen suchen, um aus dem Modell auszubrechen bzw. es überzustrapazieren. Natürlich hat die Geschäftsführung von Rechts wegen, da es in den wenigsten Handwerksbetrieben einen Betriebsrat gibt, ein Weisungsrecht und kann ein neues Arbeitszeitmodell ohne Rücksprachen mit den Mitarbeitern anordnen. Nach unseren Erfahrungen funktioniert dies allerdings nur selten.

Hin und wieder wurde auch die Erfahrung gemacht, dass aufgrund des operativen Tagesgeschäftes die Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells hinten angestellt wurde und dadurch „im Sande verlief".

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Ein Praxisbeispiel

Das folgende Praxisbeispiel einer Tischlerei GmbH in Gladbeck veranschaulicht durch seine Betriebsvereinbarungen die Implementierung eines Arbeitszeitkontos in einem Handwerksbetrieb im Ausbaugewerbe.

Die einzelnen Paragraphen können bei jeder Betriebsvereinbarung zur Einführung eines Arbeitszeitmodells als exemplarisch verstanden und übernommen werden.

Mitarbeiterstruktur der Tischlerei GmbH in Gladbeck

Insgesamt beschäftigt der Handwerksbetrieb 14 Mitarbeiter. Unter diesen befinden sich neben den überwiegend gelernten Tischlergesellen ein Auszubildender, ein kaufmännischer Angestellter sowie die beiden Geschäftsführer. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt bei 33 Jahren. Es gibt, wie im Handwerk oft üblich, keinen Betriebsrat.

Betriebsvereinbarung zur Regelung flexibler Arbeitszeiten bei der Tischlerei GmbH in Gladbeck

§ 1 Ziele

Durch die flexible Arbeitszeit soll die tägliche, wöchentliche und monatliche Arbeitszeit in Abhängigkeit von der jeweiligen Auftragslage und innerhalb der nachfolgend genannten Grenzen ohne unmittelbaren Überstundenanfall länger oder kürzer gestaltet werden können. Ziel dieser Maßnahme ist es, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu verbessern und damit die Arbeitsplätze zu sichern.

§ 2 Grundlage

Grundlage für die Vereinbarung über die flexible Arbeitszeit sind die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes vom 6. Juni 1994 und der gültige Manteltarifvertrag für das Holz- und Kunststoffhandwerk vom 11. August 1998. Darüber hinaus ist das Jugendarbeitsschutzgesetz vom 12. April 1976 sowie das Mutterschutzgesetz vom 17. Januar 1997 zu beachten.

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§ 3 Geltungsbereich

Alle technischen Mitarbeiter/innen der Tischlerei GmbH, Gladbeck.

§ 4 Regelarbeitszeiten

Für den technischen Bereich gelten i.d.R. folgende Arbeitszeiten:

Montag - Donnerstag:

7.00-15.30 (incl. 30‘Pause) = 8 Std. Arbeitszeit

Freitag:

7.00-12.15 (incl. 15‘Pause) = 5 Std. Arbeitszeit

==› 37 Stunden Arbeitszeit

Bei Bedarf kann sich das Arbeitsende der jeweiligen Arbeitstage nach Absprache mit der zuständigen Führungskraft innerhalb der nachfolgend genannten Grenzen verlängern oder verkürzen. Der Arbeitsbeginn bleibt möglichst unverändert.

§ 5 Abweichungen und Ausgleich von Mehr- und Minderarbeit

Abweichungen von der o.g. Regelarbeitszeit sind innerhalb eines Zeitrahmens zwischen 32 und 42 Arbeitsstunden/Woche möglich. Dabei ist eine Verlängerung der Arbeitszeit 5 Arbeitstage zuvor anzukündigen.

Die vereinbarte Arbeitszeit von 37 Stunden pro Woche ist durch den Ausgleich von Mehr- und Minderarbeit im Durchschnitt von 12 Monaten zu erreichen. Auf Basis der vereinbarten Wochenarbeitszeit von 37 Stunden und der durchschnittlich in den 12 Monaten zu leistenden monatlichen Arbeitsstunden erhalten die Mitarbeiter/innen ein gleichbleibendes Monatsgehalt.

§ 6 Anlage eines Arbeitszeitkontos

Die Mehr- und Minderarbeit der einzelnen Mitarbeiter/innen wird auf einem Arbeitszeitkonto gebucht, welches ein Arbeitszeitguthaben von 74 Arbeitsstunden und ein Arbeitszeitdefizit von 37 Arbeitsstunden aufweisen darf.

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Das Zeitkonto wird als zweiphasiges „Ampelkonto" geführt, wonach zwischen einer grünen und einer roten Phase unterschieden wird.

Die jeweiligen Grenzen und Bedingungen in den einzelnen Phasen gehen aus der folgenden Darstellung hervor:

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§ 7 Zeiterfassung

Die flexible Arbeitszeit setzt die Erfassung von Arbeitsbeginn und Arbeitsende, die Auswertung sowie Weiterverarbeitung voraus, so dass Mitarbeiter/innen und Führungskräften mindestens einmal monatlich ein Überblick über das Arbeitszeitkonto ermöglicht wird. Die oben genannten 30- bzw. 15-minütigen Pausen werden automatisch von der Anwesenheitszeit abgezogen.

§ 8 Mehrarbeitszuschläge

In dem zwölfmonatigen Ausgleichszeitraum und innerhalb der wöchentlichen Schwankungsbandbreite von 32 bis 42 Stunden fallen keine Mehrarbeitszuschläge an.

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Die ersten beiden darüber hinaus anfallenden Arbeitsstunden/Woche werden mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25%, ab der darüber hinaus anfallenden 3. Mehrstunde/Woche mit einem Zuschlag von 50% belegt. Die Zuschläge werden im Folgemonat ausgezahlt.

§ 9 Sondereinschränkungen

Die durch Betriebsfeiern, Volksfeste, öffentliche Veranstaltungen oder aus ähnlichem Anlass an Arbeitstagen ausgefallene Arbeitszeit oder Arbeitszeitausfall in Verbindung mit Feiertagen (sog. Brückentagen) wird auf die Werktage von fünf zusammenhängenden, die Ausfalltage einschließenden Wochen verteilt, ohne dass dafür zuschlagspflichtige Mehrarbeit anfällt.

§ 10 Verlängerungszeitraum

Sollte am Ende des 12-monatigen Ausgleichszeitraums weiterhin Plus- bzw. Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto vorhanden sein, so ist ein Ausgleich innerhalb eines Verlängerungszeitraums von 3 Monaten nach Ablauf des Ausgleichszeitraums durch eine entsprechende Mehr- bzw. Minderarbeit herzustellen. Nach Ablauf dieser Frist werden die weiterhin bestehenden Plusstunden mit einem Zuschlag von 27,5% je Arbeitsstunde ausgezahlt. Weiterhin bestehende Minusstunden gehen zu Lasten des Arbeitgebers.

§ 11 Anrechnung von Freizeitausgleich bzw. Urlaubszeiten

Urlaubstage und ganztägiger Freizeitausgleich werden von montags bis donnerstags mit 8 Stunden und freitags mit 5 Stunden angerechnet. Für den ganz- bzw. mehrtägigen Freizeitausgleich ist wie für die Urlaubsplanung ein schriftlicher Antrag auf einem entsprechend vorgefertigten Formular zu stellen. Die tägliche Verkürzung bzw. Verlängerung des Arbeitstages erfolgt nach mündlicher Absprache mit der jeweils zuständigen Führungskraft.

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§ 12 Fehlzeiten

Fehlzeiten werden innerhalb der wöchentlichen Wochenarbeitszeit von 37 Std. und in Abhängigkeit von der oben genannten Regelarbeitszeit von mo-do mit 8 Std. und freitags mit 5 Std. gutgeschrieben.

Es wird zwischen anrechenbarer und nicht anrechenbarer Fehlzeit unterschieden.

Folgende Fälle gelten als anrechenbare Fehlzeiten:

  • akute Erkrankungen;

  • plötzlich notwendiger, unaufschiebbarer Arztbesuch;

  • fach-, amts- und vertrauensärztliche Untersuchungen, bei denen ein Termin außerhalb der „Regelarbeitszeit" nicht zu erreichen ist, wie z.B. Blutuntersuchungen im nüchternen Zustand, Röntgenuntersuchung etc.

Folgende Fälle gelten als nicht anrechenbare Fehlzeiten:

  • verspäteter Dienstbeginn durch Autopanne, Stau, Glatteis etc.;

  • private Erledigungen wie z.B. Finanzamt, TÜV, Stadtverwaltung;

  • Vorladung zu Behörden oder Gerichten als Kläger/in oder Beklagte/r;

  • Arztbesuch ohne dringenden akuten Anlass, Bestrahlungen, Massagen, Zahnbehandlungen.

§ 13 Ausscheiden aus dem Unternehmen

Der Ausgleich für Arbeit unter oder über 37 Stunden je Woche ist bei ausscheidenden Mitarbeiter/innen während der Kündigungsfrist durch vermehrte Arbeitsleistung bzw. durch Freizeitausgleich herbeizuführen. Ist dieses aufgrund der Kurzfristigkeit nicht möglich, so werden evtl. verbleibende Mehrstunden mit dem entsprechenden Entgeltbetrag ausgezahlt. Bei Minderarbeit ist das zuviel gezahlte Entgelt zurückzuerstatten.

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§ 14 Beginn und Ende der Erprobungsphase

Die Testphase für die Erprobung der Flexibilisierungsregeln bezieht sich auf den Ausgleichszeitraum von einem Jahr sowie den dreimonatigen Verlängerungszeitraum. Die Testphase beginnt am 01.09.99 und endet am 31.08. 2000 bzw. bei notwendiger Verlängerung am 30.11.2000.

Ergebnisse nach Testphase

Der Tischlerei ist es durch den Wegfall teurer Überstundenzuschläge und eine entsprechend günstigere Angebotsgestaltung gelungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Die Reaktion der Mitarbeiter war positiv: Sie sahen den Vorteil der Sicherung ihres Arbeitsplatzes bei Auftragstälern und das gleichbleibend konstante Gehalt. Auch die Gestaltung ihrer Freizeit nicht nur nach betrieblichen, sondern auch privaten Erfordernissen wurde gerne in Anspruch genommen. Sicherlich ist dieser Erfolg auch auf ein gutes Betriebsklima zurückzuführen und auf den kooperativen Führungsstil der Geschäftsführer.

Es wurde beschlossen, das Arbeitszeitkonto in das nächste Geschäftsjahr zu übernehmen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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