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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:49]


Ulrike Hellert
Wege moderner Arbeitszeitgestaltung-
eine Arbeitszeitberaterin berichtet


Als Projektleiterin der Beratungsstelle Flexible Arbeitszeiten in der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) freue ich mich, Ihnen aus unserer Beratungstätigkeit berichten zu können.

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1. Das Projekt Arbeitszeitberatung

  • In der SIHK zu Hagen bieten wir seit Oktober 1994 umfassende Beratung zur flexiblen Arbeitszeit an und begleiten Klein- und Mittelbetriebe bei der Entwicklung und der Gestaltung von Arbeitszeitmodellen. Finanziell wird das Beratungsangebot durch das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium im Rahmen der Landesinitiative „Moderne Arbeitszeiten" unterstützt.

  • Moderne Arbeitszeitgestaltung soll verstärkt auch in kleinen und mittleren Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit stärken, Arbeitsplätze sichern und neue schaffen sowie die Lebensqualität der Beschäftigten fördern.

  • Am 1. Oktober 2000 startet das dritte und umfangreichste Projekt, nämlich die „Institutionalisierung der Arbeitszeitberatung NRW". Wir werden in der SIHK zu Hagen zukünftig allen IHK-Betrieben in NRW mit Rat und Tat in Sachen Arbeits- und Betriebszeitgestaltung zur Seite stehen.

[Seite der Druckausg.:50]

Abbildung 1: Beratungsangebote der SIHK zu Hagen

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Beratungsangebot der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) zu wettbewerbs- und mitarbeiterorientierter Arbeitszeitgestaltung für Klein- und Mittelbetriebe im Rahmen „Modelle vorbeugender Struktur- und Beschäftigungspolitik", gefördert durch MASQT in NRW.

Unter Beteiligung der Mitarbeiter entwickeln wir in Arbeitsgruppen, basierend auf den gesetzlichen und tariflichen Rahmenbedingungen, gemeinsam mit Geschäftsführung und Betriebsrat maßgeschneiderte Lösungen. Und diese Lösungen sehen in jedem Unternehmen anders aus, denn sie werden immer neu erarbeitet.

[Seite der Druckausg.:51]

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2. Der Weg zu moderner Arbeitszeit

Der Weg zu moderner Arbeitszeitgestaltung ist inzwischen ein vielbegangener, aber nicht immer ganz einfacher. Es treffen schließlich sehr unterschiedliche Interessen aufeinander:

Den Unternehmen bläst der Globalisierungs-Wind ins Gesicht, sie müssen je nach Marktanforderung ihre Betriebszeiten ausdehnen, Kundenwünsche einhalten, Liefertermine sicherstellen und beste Qualität produzieren. Dies hat zur Folge, dass die Arbeitszeiten flexibler werden. Lage und Verteilung der täglichen Arbeitszeit richten sich nach der Auftragssituation, und die ist in fast allen Unternehmen schwankend.

Auch die unterschiedlichen Interessen der Beschäftigten müssen, will man ein erfolgreiches Arbeitszeitsystem haben, mit einfließen. So wünschen sich Mitarbeiter mehr Zeitspielräume, um private Interessen mit beruflichen in Einklang zu bringen. Sie möchten keine finanziellen Einbußen, sichere Arbeitsplätze und planbare Arbeitszeiten.

Eine Möglichkeit, die notwendigen Spielräume sowohl für den Betrieb als auch für die Beschäftigten sicherzustellen, bieten Funktionszeiten. Funktionszeiten sind nämlich ergebnisorientiert und können durch die Mitarbeiter eigenverantwortlich unter Berücksichtigung der betrieblichen Notwendigkeiten selbst gesteuert werden. Je nach Bereich und Auftragssituation erledigen die Mitarbeiter die anstehenden Arbeiten nach Absprache untereinander oder mit dem Vorgesetzten. Es ergeben sich hierbei Handlungsspielräume für den Beschäftigten und den Betrieb. Es lassen sich z. B. teure Leerzeiten und Überstundenzuschläge verhindern. Die jeweiligen Spielregeln werden in der Arbeitsgruppe festgelegt.

[Seite der Druckausg.:52]

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3. Entwicklung in der Arbeitsgruppe

Abbildung 2: Flexible Arbeitszeiten Metallwarenbetrieb Iserlohn

Arbeitszeiten:

  • Funktionszeiten Versand:


6:00 bis 17:00 Uhr Montag-Freitag

  • Aufträge termingerecht erledigen

  • mindestens 4 Mitarbeiter erforderlich

Spielregeln:

  • Ampelkonto mit 50 Plus- und Minusstunden

  • Festgehalt

  • Gruppeninterne Absprachen

  • Flankierende Maßnahmen
    Kinderbetreuung

Beratungsstelle der SIHK zu Hagen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung. Gefördert durch das MASQT in NRW.

Diese Arbeitszeitregelung wurde in Arbeitsgruppen im Unternehmen erarbeitet. Die Mitarbeiter wurden über die betriebliche Situation informiert und über die Möglichkeiten, Arbeitszeiten flexibel zu gestalten. Anschließend wurden die Interessen der Beschäftigten analysiert und zum vorgestellten Arbeitszeitsystem zusammengestellt.

[Seite der Druckausg.:53]

Welche Hindernisse können auftreten, und wie lassen sie sich erfolgreich überwinden? Ich will Ihnen einige Beispiele geben:

Häufig treten die ersten Stolpersteine in der Arbeitsgruppe auf, wenn es um die Organisation auftragsorientierter Arbeitszeit geht. Länger arbeiten, auch mal am Samstag, ist für die wenigsten ein Problem, aber auch mal am Mittwochnachmittag frei nehmen, weil vielleicht das notwendige Material fehlt, hier haben doch erstaunlich viele Mitarbeiter ein Problem. Und ich sage absichtlich Mitarbeiter, denn aus meiner Erfahrung gehen Mitarbeiterinnen sehr gerne auch mal früher nach Hause. Ich weiß auch nicht, woran das liegt???

Mitarbeiter sagen zum Beispiel „Was soll ich mit der Zeit anfangen, wenn die Überstundenzuschläge wegfallen und mir das Geld fehlt."

Ist die Zeit an sich nichts mehr wert? Hat Zeit nur noch einen Nutzen, wenn sie „verkonsumiert" werden kann? Vielleicht steckt auch dahinter, dass es eben nicht schick ist, Zeit zu haben. „Zeit-Haben" ist ohne Zweifel in unserer Gesellschaft negativ besetzt - im Unterschied zum Geld-Haben. Und jeder möchte gerne irgendwie „unersetzbar sein". Es gibt aber auch Beschäftigte, die mir sagten, sie hätten ihr Leben darauf eingestellt, um ¼ vor 4 nach Hause zu gehen. Was sagt man dazu? Hilft es diesem Mitarbeiter, wenn ich ihm sage: „Wissen Sie, in Zukunft werden nicht die Pünktlichen, sondern die Flexiblen das Rennen machen?"

Hilfreicher ist es in solchen Fällen, die Einwände sehr ernst zu nehmen und mit der Gruppe zu diskutieren. In den meisten Situationen findet eine interne Organisation statt. Das heißt, wenn jemand dringende Gründe hat, an bestimmten Tagen rechtzeitig den Betrieb zu verlassen, wird dies von der Gruppe intern zuverlässig organisiert. Und es lässt sich auch manchmal feststellen, dass es ein Gewinn an Lebensqualität sein kann, Zeit bewusst zu haben, nämlich für Familie, Sport, Freunde etc. Auch kann Geld gespart werden durch mehr Zeit. Zum Beispiel, weil bewusster und günstiger eingekauft werden kann.

Es ist viel Überzeugungsarbeit notwendig, um moderne auftragsbezogene flexible Arbeitszeiten umzusetzen. Die ganze Projektarbeit hat aber auch einen sehr positiven Nebeneffekt. Es findet nämlich sehr viel Kommunikation statt. Es werden z.B. auch häufig arbeitsorganisatorische Veränderungen vorgenommen oder die Informationsweitergabe im Betrieb verbessert. So

[Seite der Druckausg.:54]

sind es immer wieder andere flankierende Maßnahmen, die zum erfolgreichen Umgang mit der neuen Arbeits- und Betriebszeit beitragen.

Aus arbeitspsychologischer Sicht ist es nicht nur das Ziel „Arbeitszeitmodell", das sich lohnt, es ist ganz besonders der Weg dorthin. Denn er eröffnet die so wichtige Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, fördert Kommunikation und Handlungsspielraum und damit schließlich Motivation und Zufriedenheit. Diese Bedingungen zählen zu den wichtigsten Ressourcen für menschengerechte Arbeit.

Mit einem Ausflug ins Philosophische möchte ich meinen Bericht abschließen:

Die Frage, was Zeit ist, beschäftigt die Wissenschaft bekanntlich seit frühester Zeit. Der englische Physiker Julian Barbour stellte in diesem Jahr eine neue Theorie über das Wesen der Zeit auf: „Ereignisse sind das Maß für die Zeit und nicht umgekehrt". Und Revers sagte bereits vor einigen Jahren: „Denn es ist nicht die Zeit, die etwas mit dem Menschen macht, sondern der Mensch macht etwas mit der Zeit."

Übertragen auf die moderne Arbeitszeitgestaltung: Mit den ergebnisorientierten Arbeitszeitrahmen wären wir somit auch aus dieser Sicht genau auf dem richtigen Weg!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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