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TEILDOKUMENT:


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Harry H. Kalinowsky
Antisemitismus und Strafrecht




1. Einleitung

Antisemitismus ist in unserer Gesellschaft so geächtet wie lebendig. Es würde mir nicht schwerfallen mit der Schilderung von Ereignissen der letzten Jahren bei meinen Zuhörern ein Gefühl des Entsetzens und der moralischen Empörung über aktuelle deutsche antisemitische Untaten hervorzurufen. Ich brauche Sie wohl kaum an den infamen Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge zu erinnern, einen der letzten der vielen Tabubrüche aus dem rechtsextremen Spektrum der vergangenen Jahre.

Was ist das für eine Gesellschaft, in der, wie in Wuppertal am 13. November 1992 geschehen, zwei Skinheads einen 53jährigen Mann, den sie (vermutlich irrigerweise) für einen Juden halten, zusammenschlagen, ihn mit Alkohol übergießen und anzünden, begleitet von den Anfeuerungen des Gastwirtes mit den Worten: "Der Jude soll brennen!" "Auschwitz soll wieder geöffnet werden!"? [Verfassungsschutzbericht 1989/1990/1991/1992/1993, jeweils herausgegeben vom Bundesministerium des Inneren, Bonn, siehe: VerfSchB 1992, S. 73.]

Solche und andere Vorfälle haben den Ruf nach der Strafjustiz lauter werden lassen. Mit Argusaugen verfolgt die Öffentlichkeit die Rolle der Justiz bei der Bewältigung der rechtsextremen Herausforderung. Fehltritte der Justiz, wie das Urteil des LG Mannheims, führen zu harscher Kritik in der Öffentlichkeit und verführen Politiker zu Angriffen auf die richterliche Unabhängigkeit, ganz gleich welcher parteipolitischen Couleur.

Deutschland erlebt seit der Vereinigung eine Welle rechtsextremer, antisemitischer und ausländerfeindlicher Ausschreitungen, die das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schwer beschädigen und den inneren Frieden bedrohen und in dieser Massivität bislang unbe-

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kannt waren. Innen- und außenpolitisch ist ein Handlungsdruck entstanden, dem die Politik durch Sonderprogramme und neue Gesetze beizukommen versucht. Und sie kann sich dabei weitestgehend der Zustimmung der Öffentlichkeit sicher sein. Wie wohl sonst vergleichbar nur mit der Hochphase der RAF nutzt wieder eine Regierung die Herausforderung durch den Extremismus zu vielfältigen Änderungen im materiellen Strafrecht, im Strafverfahrensrecht und bei der Bestimmung der Befugnisse für Geheimdienste.

Im Zentrum der Politik gegen Rechtsextremismus steht das Handlungsfeld politische Justiz. Ich möchte in meinem Beitrag die Aktivitäten von Politik und Justiz in diesem Handlungsfeld problematisieren und hinsichtlich der spezifischen Bedeutung des Antisemitismus beleuchten.

Lassen Sie mich dabei anmerken, daß ich in Anlehnung an Otto Kirchheimer den Begriff "Politische Justiz" als analytischen Begriff verwende, der den Bereich der Justiz umfaßt, in dem der Bezug auf den politischen Raum durch Normen selbst hergestellt wird oder wo das Verhalten der Justiz als Abweichung von der geforderten Autonomie vom Politischen erfolgreich thematisiert wird.

Es ist hier nicht der Ort, um historisch und systematisch umfassend die Entwicklung der politischen Justiz im Hinblick auf den Rechtsextremismus darzustellen. Deshalb will ich mich im folgenden skizzenhaft auf die den Antisemitismus betreffenden Aspekte und historischen Entwicklungen beschränken.

Wir werden dabei auf die Bedeutung der politischen Kultur ebenso stoßen wie auf die Frage nach den besonderen antisemitischen Tatbildern, den antisemitischen Straftätern und den einschlägigen strafrechtlichen Bedingungen. Um nun nicht eine etatistische, dem staatlichen Handeln allein folgende Betrachtung vorzunehmen, gilt es auch der Frage nachzugehen, ob und wie der Rechtsextremismus bzw. Antisemitismus die Politische Justiz für sich zu instrumentalisieren sucht.

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2. Antisemitische Handlungen

"Juda verrecke! Auschwitz muß wieder geöffnet werden! Ich Esel glaube immer noch, daß Juden vergast wurden! Verbrecherstaat Israel! Kauft nicht bei Juden!" Diese und unzählige andere Parolen und Thesen offenkundig antisemitischen Inhalts [H. Joachim Schwagerl: Rechtsextremes Denken, Merkmale und Methoden, Frankfurt/M. 1993, S. 138ff.] prägen seit jeher die antisemitische Propaganda von Rechtsextremen.

In einer kruden Mixtur werden Juden als Ursache allen Übels angesehen, denen letztlich die Menschenwürde und das Recht auf Leben abgesprochen wird. Alles Schlechte wird mit Juden in Verbindung gebracht. Aber auch die toten Juden sind vor dem Antisemitismus nicht sicher. Grabschändungen und Synagogenschmierereien begleiten die Geschichte der Nachkriegsrepublik ebenso wie Schändungen von Gedenkstätten. Beschimpfungen und Beleidigungen einzelner, zumeist herausgehobener Juden wie Galinski oder und sein Nachfolger Ignatz Bubis, sind gleichfalls bezeichnend für das antisemitische Tatbild. Republikanerchef Schönhuber ist in dieser Form mehr als einmal ausfällig geworden.

Das Spektrum der Taten reicht von der antisemitischen Äußerung über antisemitisch geprägte Sach- und Körperverletzung bis hin zum Mord. Wer von Ihnen erinnert sich eigentlich noch an den Mord an Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin 1980 in Frankfurt?

Wie unser Eingangsbeispiel zeigt, haben antisemitische Handlungen mitunter auch etwas Unspezifisches. Es trifft nicht immer jüdische Einrichtungen und Personen. Das Merkmal Jude/jüdisch scheint im haßgeprägten Antisemitismus zum Merkmal des Bösen, des Unwerten schlechthin zu werden, das alles Fremd- und Andersartige damit belegbar macht. Nur auf diesem Hintergrund läßt sich die Ausführung zu antisemitischen Straftaten im letzten Verfassungsschutzbericht verstehen: "In zehn Fällen richtete sich die Tat gegen Personen,

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wobei die Täter oft Passanten oder andere offenbar zufällig ausgewählte Opfer mit antisemitischen Parolen angriffen." [Siehe: VerfSchB 1993, S. 87.]

Es ist offensichtlich, daß das Ausmaß antisemitischer Handlungen wenig bis gar nichts mit dem real erfahrbaren Judentum in der Bundesrepublik zu tun haben kann. Und doch ist der Antisemitismus von Bedeutung im rechtsextremen Handlungsspektrum.

Der schon gerade zitierte Verfassungsschutzbericht berichtet für das Jahr 1993 in einem gesonderten Abschnitt von 72 (1992: 65) Gewalttaten mit antisemitischer Zielrichtung. Dies ist nur ein geringer Anteil an den 1.609 Gewalttaten mit fremdenfeindlicher Motivation insgesamt. Und in Bezug auf die 2.232 Gewalttaten insgesamt ist der gewaltförmige Antisemitismus mit einem Anteil von 3,1% zwar der Erwähnung wert, aber nicht die Hauptrichtung des gewaltförmigen Rechtsextremismus.

Während, bei leichter Zunahme der antisemitischen Taten, die Gewalttaten insgesamt zurückgegangen sind, ist bei den sonstigen Gesetzesverletzungen und gerade bei den fremdenfeindlichen sonstigen Gesetzesverletzungen wie z.B. Volksverhetzung, Beleidigungen und Verunglimpfungen ein eklatanter Anstieg von 329 erfaßten Gesetzesverletzungen des Jahres 1992 auf 2.261 im Jahre 1993 zu verzeichnen (ein Anstieg um das Siebenfache!). An den Gesetzesverletzungen insgesamt macht der Bericht aber nur 6,3% der Verstöße mit antisemitischer Zielrichtung aus (656 gg. 625 1992).

Blickt man in den Bericht von 1991, fällt auf, daß sich in diesem Bericht kein gesondertes Kapitel für antisemitische Straftaten findet. Immerhin kann dem Bericht entnommen werden, daß von den 2.598 fremdenfeindlichen Gesetzesverletzungen 367, also 14,1% einen antisemitischen Charakter gehabt haben sollen.

Nimmt man aus den einzelnen Berichten die jeweils zuletzt gültige Angabe, läßt sich festhalten, daß der Anteil antisemitischer Gesetzesverstöße seit 1989 von 14,4 auf 11% im Jahre 1990, auf 9,5% im Jahr

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1991, auf 8,1% im Jahr 1992 und schließlich, aber wohl noch nicht abschließend ermittelt, auf 6,2% im Jahr 1993 fällt.

Mit dem immer wieder festzustellenden Wechsel an Darstellungsformen und Wiedergabekategorien in den Verfassungsschutzberichten müssen die Rechtsextremismusforscher leben, seit es diesen Verfassungsschutzbericht gibt. Insoweit sprechen die Berichte aber auch eine Sprache der politischen Relevanz. Ab 1992 nahm man die antisemitischen Gewalttaten auf der politischen Bühne besonders wichtig.

Als Ergebnis bleibt, daß der Antisemitismus zahlenmäßig bei den Gesetzesverstößen seit 1990 zwar anwächst, der prozentuale Anteil an den Straftaten insgesamt aber fallend ist und daß bei den sonstigen Gesetzesverletzungen der Anteil der Taten mit antisemitischer Zielsetzung in der Regel höher ist als bei den Gewalttaten.

Auch im Vergleich zu den Werten aus den siebziger oder achtziger Jahren ist insgesamt ein Rückgang der Bedeutung antisemitischer Taten festzustellen. Die Hauptursache für diese Entwicklung liegt im Bedeutungsanstieg fremdenfeindlich motivierter Gesetzesverstöße. Eine Entwicklung, die Anfang der achtziger Jahre begann und ihren Höhepunkt wohl jetzt erreicht haben dürfte. So lag bei Propagandadelikten in den Jahren 1977 bis 1987 der Anteil ausländerfeindlicher Aussagen lediglich bei 9,9%, der antisemitischer Aussagen aber noch bei 28%. [Harry H. Kalinowsky: Kampfplatz Justiz, Politische Justiz und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990, Pfaffenweiler 1993, S. 391.]

Statistisch gesehen verlieren also die antisemitischen Handlungen an Bedeutung, politisch gesehen werden sie jedoch stärker wahrgenommen als noch vor wenigen Jahren. Offenbar wohnt antisemitischen Straftaten eine besondere Provokationsqualität inne (s. den Anschlag auf die Lübecker Synagoge), die bekanntlich auch in der antisemitischen Schmierwelle des Jahreswechsels 1959/60 ihre Spuren in der Geschichte der politischen Justiz hinterlassen hatte.

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3. Antisemitische Täter

Durch Film und Buch "Wahrheit macht frei!" bzw. "Heute gehört uns die Straße", von Michael Schmidt [Michael Schmidt: "Heute gehört uns die Straße". Der Insider-Report aus der Neonazi-Szene, Düsseldorf/Wien 1994.] dürfte inzwischen jeder interessierte Bürger wissen, daß es eine internationale Szene rechtsextremistischer sog. Revisionisten gibt, die die Vergasung der Juden und andere Verbrechen der Nazis leugnen.

Namen wie Otto-Ernst Remer, Thies Christophersen, Fred Leuchter, Gary Lauck, David Irving, Ernst Zündel oder Günter Deckert brauchen hier kaum noch genannt zu werden. [Till Bastian: Auschwitz und die "Auschwitz-Lüge". Massenmord und Geschichtsfälschung, München 1994.]
Und doch lohnt sich der Blick auf diese Personen, lassen sie doch erkennen, daß sie dem spezifischen Typus des Agitationstäters entsprechen. In der Regel sind sie bürgerlich situiert, vielfach noch durch eigenes Erleben mit dem Nationalsozialismus verbunden (ausgenommen die ausländischen Vertreter) und oft seit Jahrzehnten behaftet mit dem einen Thema ("one-issue"-Agitatoren), mit dem sie immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Es sind Überzeugungstäter, die die Verfolgung zumindest in Kauf nehmen, wenn sie sich auch im Einzelfall durch Ausreise oder Flucht einer Verurteilung bzw. Haft zu entziehen suchen (Remer, Christophersen, Leuchter) und sie unterscheiden sich in dieser Grundhaltung von Vertretern des wissenschaftlichen Revisionismus, für die etwa Ernst Nolte typisch ist.

Wenn ich von Überzeugungstätern spreche, heißt dies nicht notwendig, daß sie selbst von dem, was sie vertreten, nämlich die Leugnung der Judenvernichtung durch Gaskammern, überzeugt seien. Der besagte Thies Christophersen hat dank Michael Schmidt vor laufender Kamera die politische Absicht der Leugnung, nämlich den Nationalsozialismus vom Makel der Judenvernichtung zu befreien, preisgegeben. Solange die Judenvernichtung mit dem Nationalsozialismus in der öffentlichen Meinung verknüpft wird, solange, und das wissen

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diese Leugner, wird der Nationalsozialismus keine Chance auf Massenzulauf haben. Auf diesem Hintergrund erklärt sich die "friedliche Koexistenz" von Parolen a la "Auschwitz muß wieder geöffnet werden" und "Ich Esel glaube immer noch, daß in Auschwitz Juden vergast wurden" unter den Rechtsextremisten.

Um die sog. Revisionisten scharen sich führende Neonazis wie Christian Worch, der jetzt verhaftete Schönborn, Gottfried Küssel u.a. Sie sind aber in der Regel nicht diejenigen, die Brandflaschen werfend durch die Gegend ziehen, was aber im Einzelfall auch nicht auszuschließen ist. Schmieraktionen werden nicht notwendig nur von organisierten Neonazis unternommen. Skinheads auf Sauftour, Affekttäter und provokative Nachahmungstäter oder auch Mitläufer sind in diesem Bereich voneinander zu unterscheiden. Gerade das Beispiel der Wuppertaler Skinheads zeigt, daß unverarbeitete Haßgefühle sich in antisemitischen Ausfällen artikulieren und in spontanen Gewalttaten münden können. Der Hinweis auf Alkoholmißbrauch soll hierbei diesen Personenkreis nicht entlasten, sondern charakterisieren.

Insoweit läßt sich ein dumpf-brutaler Antisemitismus von einem pseudo-wissenschaftlichen, nationalsozialistisch-apologetischen und einem Biedermann-Antisemitismus Schönhuberscher Prägung unterscheiden. Letzterer legt sein Gewicht auf die perfide Doppelstrategie auf der einen Seite angeblich nichts gegen Juden zu haben, auf der anderen Seite sie stellvertretend über die Repräsentanten des Judentums oder den Staat Israel zu diffamieren.

Träger des dumpf-brutalen, sich in Gewaltaktionen niederschlagenden Antisemitismus sind nicht notwendig Randexistenzen. Durch den Untersuchungsbericht der Sonderkommission Rechtsextremismus des Landeskriminalamtes Sachsen über rechtsextremistische Gewalttäter - und die antisemitisch Ausgerichteten können wohl als eine repräsentative Teilmenge angesehen werden -, wird festgestellt, daß die

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überwiegend jugendlichen und fast ausschließlich männlichen Straftäter "aus der Mitte der Gesellschaft" kommen. [Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.7.1993.]

Diese Einschätzung zeigt an, daß der Täterkreis nicht eindimensional über die Verelendungstheorie (schlechte sozialökonomische Lage bzw. Perspektive) erklärt werden kann. Allerdings weist die Täteranalyse meiner eigenen Untersuchung auf eine Dominanz beruflich oder gesellschaftlich abstiegsbedrohter oder aufstiegsgehemmter bzw. integrationsgefährdeter Jugendlicher hin.

In der Verlaufsperspektive der letzten knapp 45 Jahre ergibt sich, daß der Typus des antisemitischen Revisionisten zwar schon seit langem auf der politischen Bühne steht, er aber gerade in den letzten Jahren im Zuge auch des Historikerstreits an Gewicht zugenommen hat. Bedingt durch neuere pseudowissenschaftliche Gutachten haben die Herren Remer, Christophersen, Deckert, Frey oder Irving neuen Auftrieb für ihre antisemitische Agitation erhalten.

In diesem Zusammenhang kann daran erinnert werden, daß auch für die Vertreter des Rechtsextremismus im ersten Deutschen Bundestag antisemitische Agitation kennzeichnend war und im Gefolge des Verbots der Sozialistischen Reichspartei (SRP) im Jahr 1952 ein Rückzug in Kultur- und Traditionsvereine und in vorparlamentarische Zonen stattfand, die zur Brutstätte des jetzt wieder aufgelebten antisemitischen Revisionismus wurden.

Die Schmierwelle von Weihnachten 1959 brachte mit letztlich annähernd 1.000 Tätern Affekttäter, Mitläufer, Nachahmer und Provokationstäter in den Vordergrund. Der agitatorische Antisemitismus wurde dann wieder im Zusammenhang der NPD-Blüte Ende der sechziger Jahre und im Kontext des aufkommenden militanten Neonazismus und Rechtsterrorismus Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre sichtbar.

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Antisemitismus gehört fundamental zum kriminellen Rechtsextremismus. Daran ändert auch der Bedeutungszuwachs der Fremdenfeindlichkeit nichts.

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4. Strafrecht

Aus den geschilderten Tatbildern und Tatverläufen wird deutlich, daß die Palette der möglicherweise durch antisemitische Handlungen betroffenen Strafbestimmungen sehr breit ist, dennoch lassen sich im materiellen Strafrecht bestimmte Vorschriften identifizieren, die in einem besonderen oder sogar ausdrücklichen Kontext mit dem Antisemitismus stehen und durch ihre Entstehungs- oder Novellierungsgeschichte selbst Ausdruck des besonderen Beziehungsverhältnisses von politischer Justiz und Antisemitismus sind.

Für eine grobe Einteilung der strafrechtlich relevanten Bestimmungen lassen sich drei Bereiche identifizieren:

  1. Kommunikationsdelikte (z.B. Beleidigung, Verleumdung, Propaganda, u.a.),

  2. Gewaltdelikte (Sachbeschädigung und Körperverletzung, Mord),

  3. Organisationsdelikte (Fortführung einer verbotenen Organisation, kriminelle, terroristische Vereinigung).

Das politische Strafrecht im engeren Sinne richtet sich auf Kommunikations- und Organisationsdelikte.

In der Verlaufsgeschichte des sog. Staatsschutzrechts wird erkennbar, daß sich dieses immer wieder an aktuell wahrgenommenen politischen Bedrohungslagen ausrichtet und insoweit Züge eines "ad-hoc-Strafrechts" aufweist. Deutlich wird aber auch, daß gerade für die Sicherung der politischen Mehrheitskultur die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rechtsextremismus über Strafrecht und Justiz von besonderer Bedeutung gewesen ist.

Dies galt schon für die Etablierung des politisch-gesellschaftlichen Konsenses zur Bewertung des Widerstands vom 20. Juli in der Früh-

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phase der Republik über Prozesse gegen den Abgeordneten der Deutschen Partei Hedler und den SRP-Landesvorsitzenden Otto-Ernst Remer. Beide wurden schließlich wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt. [Wolfgang Kalinowsky, a.a.O., S. 138ff.] Die Affären und Prozesse um Hedler und Remer trugen nicht nur dazu bei, das positive Ansehen des Widerstandes vom 20. Juli im öffentlichen Bewußtsein zu etablieren, sie waren auch Wegbereiter für Strafrechtsinitiativen und das Parteiverbot der Sozialistischen Reichspartei.

Der Fall Hedler bewog die SPD zu einer Gesetzesinitiative gegen die Feinde der Demokratie. Sie eröffnete damit den Einstieg in ein weitestgehend bis dato noch nicht vorhandenes Staatsschutzrecht.

Für unser Thema wären bei der Analyse der Entwicklung des politischen Strafrechts die Bestimmungen von besonderem Interesse, die die Propaganda und die Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen (die heutigen §§ 86, 86a StGB) pönalisieren, die Ehrenschutzbestimmung sowie die sog. Pietätsdelikte bzw. der postmortale Persönlichkeitsschutz [Jürgen Baumann: Anmerkung. Zur Strafbarkeit des Leugnens der systematischen Tötung von Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, BGH-Urteil vom 15.3.1994, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht, 14. Jg., H. 8, S. 392f .] (§§ 186ff. StGB) und die einschlägigen Bestimmungen zum Schutz des öffentlichen Friedens, die sich auf die kriminelle und terroristische Vereinigung, die Volksverhetzung und, bis vor kurzem, auf die Aufstachelung zum Rassenhaß beziehen (die §§ 129,129 a, 130, und 131 StGB). Auch all die Änderungen und Gestaltungen, die das Strafprozeßrecht betreffen und mitunter in einem sehr engen Zusammenhang mit dem politischen Strafrecht stehen (Instanzenweg, Verteidigerrechte etc.) oder die Bestimmungen, die dem Religionsschutz dienen (§§ 166-168 StGB), verdienten eine intensivere Betrachtung.

Ich beschränke mich aus Platzgründen aber auf die Bestimmungen zur Pönalisierung der Kennzeichenverwendung, die Beleidungstatbestände und die Volksverhetzung.

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Außerhalb der durch die Siegermächte vorgegebenen Bestimmungen zum Verbot des Nationalsozialismus und dem Art. 143 GG wurden erst durch das Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 Staatsschutzbestimmungen ins Strafgesetzbuch eingeführt.

Wie schon erwähnt, ergriff zunächst die SPD die Initiative zum Staatsschutzrecht. Allerdings, und das verdient bei dieser Tagung festgehalten zu werden, war die SPD zu Beginn der Ausgestaltung des politischen Strafrechts, im Gegensatz zum Entwurf der Regierungsparteien, kein Anhänger der Pönalisierung der Kennzeichenverwendung. Der SPD-Abgeordnete Jacobi sprach sich für einen positiven Verfassungsschutz aus, mit dem die Symbole der Bundesrepublik gestärkt werden sollten, dies erscheine der SPD "jedenfalls fruchtbarer als ein Katalog von Verbotsbestimmungen." [Bundestags-Protokoll, 83. Sitzung, 12. September 1950, S. 3126.]

Durchgesetzt hat sich diese Haltung bekanntermaßen nicht. Die Fassung des Versammlungsgesetzes von 1953 sah schließlich für das Tragen von Uniformen und die Kennzeichenverwendung Gefängnisstrafe bis zwei Jahre vor.

Ebenfalls nicht durchsetzen konnte sich zunächst der Vorschlag der SPD zu einer Änderung des bestehenden § 130 StGB, der in seiner damaligen Fassung noch als Tatbestand der Klassenverhetzung und -aufreizung gefaßt war. Regierung und Opposition wollten den § 130 in einer Weise umformulieren, die den Grundsatz der Gleichheit in der Verschiedenheit der Menschen ebenso aufnahm wie die Kennzeichnung der Tat als Angriff auf die Menschenwürde. Wegen der Beschränkung auf die für unentbehrlich gehaltenen Staatsschutzbestimmungen fand die Neufassung allerdings im 1. StRÄndG (Strafrechtsänderungsgesetz) keine Berücksichtigung und wurde auch aus Zeitnot nicht im 3. StRÄndG von 1953 aufgenommen, obwohl der Druck auf eine Neufassung durch eine Skandalrede des SRP-Abgeordneten Rößler im Bundestag erhöht worden war, immerhin förderte sie das Verbotsverfahren gegen die SRP. Diese Rede wird von

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dem Historiker Hans-Peter Schwarz übrigens als "die bisher erste und einzige antiisraelische Rede im Deutschen Bundestag" bezeichnet. [Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949-1957. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Stuttgart/Wiesbaden 1981, S. 132.]

Mit dem 3. StRÄndG wurde aber interessanterweise in § 168 StGB die Grabschändung mit Verlust der Ehrenrechte verknüpft, ein Tatbestand, der auch für die Abwehr möglicher antisemitischer Friedhofsschänder für bedeutsam gehalten wurde.

In der Diskussion um die Einführung des § 130 StGB findet sich übrigens durch den damaligen Justizminister Dehler eine Argumentationsweise, die in dieser Art auch Strafrechtsänderungen bezüglich des Antisemitismus in den achtziger Jahren prägen sollte.

Dehler führte aus, daß mit der Neufassung des § 130 StGB bestraft werden solle:

"... insbesondere die Hetze gegen Bevölkerungsgruppen, die durch Abstammung, Herkunft, Religion oder Weltanschauung bestimmt sind, z.B. Hetze gegen eine Konfession, gegen Juden, gegen die Vertriebenen. ... Die Vorschrift des § 130 schützt auch die Vertriebenen." [Hervorhebung im Original, Bundestags-Protokoll, 83. Sitzung, 12. September 1950,8.3107.]

Der Schutz der Juden schien also nur begründbar bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Interessen der Vertriebenen.

Die Neuregelung blieb aber auch 1957 stecken, da der Entwurf eines 5. StRÄndG nicht mehr rechtzeitig abschließend beraten wurde.

Einen neuen Anstoß bekam die Entwicklung durch den Fall Nieland. Nieland hatte mit Briefen an Parlamentarier, in denen er einen wirren Antisemitismus ausbreitete, eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Der Fall Nieland war der letzte Anstoß für die Bundesregierung dem Bundesrat einen Entwurf eines Gesetzes gegen Volksverhetzung zuzuleiten.

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Aber auch dieser Entwurf konnte zunächst nicht verabschiedet werden, da sich in der 3. Lesung erneut Bedenken ergaben, die dazu führten, daß die Schlußabstimmung überraschend vertagt wurde.

Es war schließlich die Weihnachten 1959 losbrechende antisemitische Schmierwelle, die dem Gesetzesvorhaben zum Durchbruch verhalf. Das 6. Strafrechtsänderungsgesetz brachte aber nicht nur die lang angestrebte Neufassung des § 130 StGB, sondern auch die Neufassung des Verbots der Kennzeichenverwendung über den § 96 a. Der Strafrahmen wurde hierbei auf bis zu drei Jahren Gefängnis erhöht und war zudem bei staatsgefährdender Absicht mit einem Mindeststrafrahmen von drei Monaten versehen worden. Mit diesem Gesetz wurde auch eine verbesserte Pönalisierung der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, ein seit dem Fall Hedler immer wieder aufgebrachtes Anliegen, insoweit erreicht, als das Antragserfordernis bei Verstorbenen ohne Hinterbliebene entfiel,

"..., wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer einer Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt." [§ 189 Abs. 3 der damals geltenden Fassung.]

Die Verabschiedung dieses Gesetzes wurde durch die symbolisch-expressive Geste der Einstimmigkeit zusätzlich aufgewertet. Der Druck aus dem Ausland war für dieses Gesetz auch dadurch gestiegen, daß ähnliche Initiativen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus in England, Belgien und Schweden auf den Weg gebracht worden waren. Insoweit stellen wir für 1960 eine Internationalisierung der Thematik ähnlich wie für die achtziger Jahre fest.

Eine grundlegende Reform des Strafrechts und damit auch des politischen Strafrechts kam 1968 zustande. Gerade bei den Organisationsdelikten wurde eine eindeutige Anbindung an die Verbotsfeststellung vorgenommen und auch der § 189 wurde wieder zu einem reinen Antragsdelikt zurückentwickelt. Im Gefolge der Reform kam es übrigens auch zu einer Amnestie für Rechtsextremisten.

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In Erinnerung dürfte geblieben sein, daß dann ab 1976 die Anti-Terrorismus-Gesetzgebung im Bereich des politischen Strafrechts weitreichende Sondergesetze und Ad-hoc-Gesetze produzierte, die selbstverständlich auch den politischen Extremismus von rechts trafen, wie an den Bestimmungen zum Waffengesetz oder auch zur terroristischen Vereinigung leicht nachzuvollziehen ist.

In diesen ganzen Wirren der Gesetzgebung konnte sich der § 130 StGB gut behaupten. Mit dem Aufkommen des militanten Neonazismus, vornehmlich unter Führung von Michael Kühnen, geriet aber der Schutz vor antisemitischen Ausfällen und der nationalsozialistischen Propaganda erneut auf die Agenda der Gesetzgebung. Besonders Gary Lauck und seiner NSDAP-AO gelang es, eine Unmenge neonazistischer Propaganda zu verbreiten. Das Bombenattentat auf dem Münchner Oktoberfest 1980 tat sein übriges, um auch gegenüber dem Rechtsextremismus einen politischen Handlungsdruck zu erzeugen.

Die sozialliberale Koalition legte deshalb, auf Initiative von Justizminister Hans-Jochen Vogel - der übrigens auch der "Vater" der von mir im Bundesministerium der Justiz durchgeführten Untersuchung ist -, 1982 den Entwurf zum späteren 21. Strafrechtsänderungsgesetz vor. Hans-Jochen Vogel hatte die Idee eines Gesetzes gegen die "Auschwitz-Lüge", außerdem sollten erkennbar gewordene Tatbestands-Lücken des § 86 a ausgebessert werden.

Die bis zur Reform bestehende Rechtslage zur Bekämpfung der "Auschwitz-Lüge" war dadurch gekennzeichnet, daß das schlichte Leugnen der Vergasung nicht für eine Verurteilung nach § 130 StGB ausreichte und als Beleidigungsdelikt nur verfolgbar war, wenn hierzu von Juden ein Strafantrag gestellt worden war.

Vogels Idee bestand nun darin, das schlichte Leugnen dadurch besser zu pönalisieren, daß das Antragserfordernis nach § 194 für diesen Fall entfallen sollte, also in ein Offizialsdelikt umgewandelt werden sollte.

An diesem Punkt entzündete sich bekanntlich der Streit um die geplante Verabschiedung dieses Gesetzes. Es war Franz Josef Strauß und seiner CSU vorbehalten, mit einer Argumentationsweise, die wir

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schon von Justizminister Dehler kennen, die geplante Regelung nicht in dieser spezifischen Thematik zur Geltung kommen zu lassen, da durch die Wende von 1982 kein Weg an ihnen vorbeiführte. Die CSU kritisierte, daß der Gesetzentwurf zu einseitig sei, ein rein politisches Gesetz darstelle und die Unterstützung der CSU nur finden könne, wenn die Leugnung des Völkermordes ganz allgemein strafbar werde, also auch zum Beispiel die Leugnung der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. [Vgl. Frankfurter Rundschau vom 28.2.1984.]

Wir sehen, wenn etwas zum Schutz der Juden unternommen wurde, durfte das Schicksal der Vertriebenen nicht außen vor bleiben. Strauß sorgte dafür, daß 1985 eine erweiterte Fassung Gesetzeskraft erhielt, nach der eine Tat nach § 185 in Verbindung mit § 194 nicht des Antrags bedarf,

"..., wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder eine anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt. Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht."

Blickt man nun auf die gesetzliche Entwicklung, die mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 4. November 1994 ihren Abschluß gefunden hat, so fällt hinsichtlich unseres Themas auf, daß in erstaunlich kurzer Zeit gesetzlich ein plötzlich neu gesehener Mangel behoben wurde, nämlich eine nicht mehr als ausreichend empfundene Pönalisierung der "Auschwitz-Lüge".

Als Beleidigungsdelikt, das den Individualschutz betrifft, konnte es für die schlichte "Auschwitz-Lüge" bis dato lediglich Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe geben. Sollte eine Bestrafung als Volksverhetzung erfolgen, mußte zudem ein "Angriff auf die Menschenwürde" nachgewiesen werden, den die Rechtsprechung bei einem schlichten Leugnen jedoch noch nicht gegeben sah. Mitunter kam es jedoch auch zu Verurteilungen nach § 189 StGB, Verun-

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glimpfung des Andenkens Verstorbener, wo der Strafrahmen bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe umfaßt.

Diese Problematik geriet der Öffentlichkeit durch zwei Gerichtsentscheidungen ins Bewußtsein, die in der ersten Jahreshälfte vom Bundesgerichtshof (BGH) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) getroffen wurden. Zum einen ging es um die Verurteilung von Günter Deckert wegen Volksverhetzung. Hier mahnte der BGH am 15.3.1994 an, daß für eine Verurteilung nach § 130 StGB die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift nicht ausreichend dargelegt worden seien. Die Zurückverweisung an das Landgericht Mannheim führte dann zwar zu einer Verurteilung auch nach § 130 StGB, jedoch machte das Urteil aufgrund der fatal an das Arco-Urteil von 1920 (Verständnis der Richter für den Mörder des bayerischen Ministerpräsidenten Eisner) erinnernde Begründung auf seine eigene Art Furore und dürfte insoweit auch keinen Bestand haben.

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 1994, mit dem es eine Verfassungsbeschwerde der NPD gegen die erteilten Auflagen einer Irving-Veranstaltung als "offensichtlich unbegründet" zurückwies, hob dagegen darauf ab, gerade bei der "Auschwitz-Lüge" das Persönlichkeitsrecht vor das Recht auf Meinungsfreiheit zu stellen.

Letztlich wurde der Öffentlichkeit nur deutlich gemacht, was das Resultat der Rechtslage (seit 1985) war, daß nämlich das schlichte Leugnen strafbar ist, aber nicht für eine Verurteilung nach § 130 StGB ausreicht. Hierzu schrieb der Spiegel: [Spiegel-Dokument "Auschwitz-Lüge", Wahrheit und Fälschung vor Gericht, Mai 1994, S. 10.]

"Diese Feststellung begünstigt die Rechtsextremisten. Sie haben ihrem Publikum das Schlagwort 'Auschwitz-Lüge' lange genug eingehämmert und können nun darauf vertrauen, daß sich bei ihren Zuhörern die verleumderischen Gedankenverbindungen von selbst einstellen."

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Leider liegen mir keine Zahlen vor, die Aufschluß geben würden über die Verurteilungsquote nach den § 185 i.V. mit § 194 betreffend die "Auschwitz-Lüge" oder vergleichbarer Delikte. Im Rahmen meiner Untersuchungen, die noch die Jahre bis 1987 einschlössen, trat jedenfalls nur ein Fall auf. Vielleicht hat es schlicht an Verurteilungen gemangelt, um dieses für die öffentliche Diskussion bezeichnende Spiegel-Zitat überhaupt erst möglich zu machen.

Es ist aber ohne Zweifel so, daß durch die Welle der rechtsextremen Gewalt die demokratische Öffentlichkeit geschockt ist und in einer neuen Qualität sensibel geworden ist für das, was von den Rechtsextremisten kommt.

Eingebettet in diese Ausgestaltung der politischen Kultur unseres Landes konnte die Kohl-Regierung mit weitestgehender Unterstützung die Strafbestimmungen der §§ 86 a und 130 insoweit ändern, daß nun auch die Verwendung von Kennzeichen unter Strafe steht, die den Verbotenen "zum Verwechseln ähnlich sind" und daß mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht ist, " wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220 a Abs. l (Völkermord) bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost".

Es geht also deutlich nur noch um die "Auschwitz-Lüge" bzw. um Verbrechen der Nazis, die Vertriebenen und der Verweis auf Gewalt- und Willkürherrschaft allgemein findet sich hier nicht. Offensichtlich leben wir jetzt in einer politischen Kultur ohne Vertriebene.

Dieser Parforceritt durch das politische Strafrecht hinterläßt bei mir nicht das Gefühl, als Bürger einem Gesetzgeber gegenüber zu stehen, der unabhängig von tagesaktuellen Aufregungen weiß, was er will. Vielmehr wird erkennbar, daß über das Strafrecht symbolische Politik betrieben wird, die eher Ausdruck der jeweils vorherrschenden politischen Moralkommunikation ist als des Bemühens, dem Rechtsextremismus und dem Antisemitismus instrumentell effektiv zu begegnen.

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Aber auch unabhängig von der rechtstatsächlichen Bedeutung möchte ich auf einen Aspekt hinweisen, der in der leider noch viel zu zaghaft geführten Diskussion um unser politisches Strafrecht und den Entfaltungsbedingungen der politischen Justiz, so gut wie gar nicht gesehen wird, nämlich die politische Wirkung dieser Strafrechtsentwicklung auf den Rechtsextremismus selbst.

5. Rechtsextremisten und politisches Strafrecht

Liest man die Darstellung des Entwurfs zum Verbrechensbekämpfungsgesetz in der Deutschen Richterzeitung 5/1994, drängt sich folgender äußerst zwiespältige Eindruck auf:

Der Rechtsextremismus besitzt offenbar eine erhebliche Bedrohungsqualität für unser politisches System. Zur besseren Bekämpfung wird der § 86 a erweitert, die Anwendung des § 130 erleichtert und in Anbetracht der an Umfang und Brutalität zunehmenden Gewalttätigkeiten gegen Menschen (und wer denkt dabei nicht an die Neonazis und Skinheads) sollen die Strafdrohungen bei Körperverletzungsdelikten verschärft werden. "Diese Maßnahmen zielen darauf ab, das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit im Verhältnis zu den Eigentums- und Vermögensdelikten aufzuwerten und mit einem besseren strafrechtlichen Schutz zu versehen." [Deutsche Richterzeitung, H. 5,1994, S. 187.]

Ohne jetzt noch mit den Veränderungen im Strafverfahrensrecht und mit der Einführung eines zentralen Verfahrensregisters weitermachen zu müssen, wird hoffentlich deutlich, was hier die doppelte Botschaft der Gesetzgebung sein könnte:

1. Die Gesellschaft erkennt die Gefahr,

2. Die Rechtsextremisten können sich ernstgenommen fühlen.

Jeder, der sich intensiv mit dem Rechtsextremismus befaßt, weiß, daß diese es gelernt haben, mit und um das Strafrecht herum zu

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agieren. [Mit vielen Beispielen Schmidt 1994, a.a.O., siehe auch Hans-Gerd Jaschke in: Wolfgang Kowalsky, Wolfgang Schroeder (Hrsg.): Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994.]
Und wer regelmäßig die Blätter des Gerhard Frey zur Kenntnis nimmt, wird genügend Beispiele finden, wie um das Verbot der "Auschwitz-Lüge" herum, übel gegen den Staat agitiert wird. Sie werden, wie schon in früheren Zeiten, die Strafrechtspolitik für die Pflege ihres Mythos der Verfolgten und Entrechteten nutzen. Und wenn die Mehrheit der Bevölkerung und die herrschende Politik meint, es sich hinter der Justiz im Umgang mit dem Rechtsextremismus und dem Antisemitismus bequem machen zu können, wird sie sich nicht wundern müssen, wenn schon bald wieder der Ruf nach dem Gesetzgeber und der Justiz ertönt. Eines sollte gerade der Umgang der Rechtsextremen mit der Justiz in Sachen "Auschwitz-Lüge" deutlich gemacht haben: sie fordern die Grenzen heraus.

Und was könnte eigentlich für die Entwicklung des Selbstverständnisses der Rechtsextremen für die Gesellschaft fataler sein, als deren Bewußtsein, den Staat zum Reagieren in Form von Sonder- und Ad-hoc-Gesetzen bringen zu können?

Wir sollten endlich anfangen, besonnen über Gestalt, Form und Funktion des politischen Strafrechts nachzudenken.

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2003

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