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[Seite der Druckausg.: 111]



Erwin Leiser
Der Geiger in der Wüste.
- Gedanken zu den Möglichkeiten der Massenmedien im Kampf gegen Antisemitismus und Fremdenhaß


Zuerst möchte ich einige Angaben zu meiner Person machen: Ich bin im Gegensatz zu Kennedy wirklich Berliner, habe aber diese Stadt als 15jähriger nach dem November- Pogrom 1938 verlassen und kam nach Schweden. Dort habe ich den Krieg überlebt und allmählich begonnen, auf schwedisch zu publizieren; ich war dann Kulturredakteur der sozialdemokratischen Zeitung "Morgon-Tidningen", die damals Regierungsorgan war, und machte 1960 meinen ersten Film: "Mein Kampf. Ich möchte darauf hinweisen, daß der Film nicht den Titel trug: "Hitler: Mein Kampf, obgleich diese Verwechslung, die bewußt von einem völkischen Verleiher gemacht wurde, dazu führte, daß viele Neonazis diesen Film sehen wollten, weil sie glaubten, es sei eine Verfilmung des Buches. Sie waren sicher sehr enttäuscht, als sie aus dem Film herausgingen. Dieser Film wurde in Schweden gemacht unter dem Eindruck dessen, was in Köln 1959 geschah. Die Fassung, die in Deutschland gezeigt wird, ist eine von der freiwilligen Selbstkontrolle - ein herrliches Wort - der Filmwirtschaft verstümmelte Fassung. Die richtige Fassung beginnt mit dem Bild einer beschmierten Mauer und dem Text: "1959 kam das Hakenkreuz wieder über Europa."

Ich habe dann viele Filme gemacht und bin immer wieder zum Thema NS-Staat zurückgekehrt. Seit 1962 wohne ich in der Schweiz, weil ich für die politische Tätigkeit, die ich als Filmregisseur und Autor immer noch betreibe, die deutsche Sprache brauche, aber mich nicht in Deutschland selbst betätigen möchte, denn ich bin nicht der Ansicht, daß meine Kinder in deutsche Schulen gehen sollen. Außerdem möchte ich Deutschland aus einer gewissen Distanz beurteilen.

Ich beginne mit zwei Anekdoten, die zum Thema überleiten sollen:

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Zu dem Maler Max Liebermann kam 1933 ein Nazi und sagte: "Herr Professor, wenn alle Juden so wären wie Sie..." Da unterbrach ihn Liebermann und sagte: "Nein, wenn alle Nicht-Juden so wären wie ich!"

Die zweite Geschichte ist ein Witz, den mir der Architekt Daniel Libeskind vor kurzem erzählte: Ein Musiker verlief sich in der Wüste. Plötzlich stand er einem Löwen gegenüber und bekam es mit der Angst zu tun. Er holte seinen Geigenkasten hervor und begann zu spielen, der Löwe setzte sich auf seine Hinterbeine, legte den Kopf so nach rechts und war glücklich. Dann kamen mehr Löwen und hörten dem Musiker zu. Allmählich war er von sehr vielen Löwen umgeben. Da kam plötzlich ein riesiger Löwe von hinten und fraß den Musiker auf. Die anderen Löwen fragten: "Warum hast Du das getan? Er spielte doch so schön!" Er antwortete: "Ha?" Er war nämlich taub!

Warum erzähle ich diese Geschichte? Ich könnte mir vorstellen, daß der Musiker die Demokratie verkörpert, deren Parolen immer so schön tönen, und daß die Löwen die Zuhörer des Vertreters der Demokratie sind, die von dem, was er spielt, was er verkündet, begeistert sind, bis dann einer kommt, der unbelehrbar und taub für die Verkündungen der Demokratie ist und den Repräsentanten der Demokratie beseitigt.

Ich bin nicht der Ansicht, daß man die Neo-Nazis oder die alten Nazis im Film oder Fernsehen zeigen soll. Der Neo-Naziführer Michael Kühnen gab seinen Leuten die Anweisung: "Erst müssen wir bekannt werden, dann müssen wir beliebt werden". Jeder Film und jede Sendung, an der ein Extremist teilnimmt, gibt ihm oder ihr ein Forum, und ich sehe nicht ein, warum man das tun soll. Er oder sie erreicht dadurch ein Publikum, das sie sonst nicht hätten.

Goebbels, der Propagandaminister Adolf Hitlers, war sich über zwei Dinge im klaren.

Er sagte, als die Nazis eine große Reichstagsfraktion gebildet hatten: "Diese Demokraten sind schön dumm. Die geben uns den Zugang zu

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allen ihren Medien und sollten doch wissen, was wir damit machen. Vor allem, wenn wir einmal an die Macht kommen."

Und Goebbels wußte außerdem und handelte danach: einer Lüge wird immer geglaubt, wenn sie so gewaltig ist, daß sich kein braver Zuhörer vorstellen kann, das, was da gesagt wird, würde nicht stimmen. Diese Erkenntnisse haben sich auch die rechtsextremistischen Propagandisten von heute zueigen gemacht.

Ich erwähne drei Filme in diesem Zusammenhang, um aus ihnen gewisse praktische Folgerungen für unsere Arbeit zu ziehen. Der erste heißt "Beruf Neo-Nazi" und hat einen unverdienten Ruhm bekommen, weil zunächst einmal von jüdischer Seite verlangt wurde, daß man ihn verbieten solle. Ich war nie dieser Ansicht, weil ein Verbot, besonders auf Wunsch einer jüdischen Gemeinschaft, nur die Propaganda von rechts mit einem neuen Argument versieht, nämlich: Seht ihr, die Juden bestimmen, was in Deutschlands Medien passiert.

Wenn man bedenkt, daß wir keine Zensur wollen, und daß die Verbote sehr oft und gerade in dem Fall "Beruf Neo-Nazi" kontraproduktiv wirken, so ist damit auch schon gesagt, daß dem Gesetzgeber Grenzen gesetzt sind. Ich wohne in der Schweiz, und am 25. September 1994 war da eine Abstimmung über etwas, das man das "Antirassismusgesetz" nannte. Dieses Gesetz wurde mit einer beschämend kleinen Mehrheit angenommen. Sie war so klein, weil die Nein-Sager in ihre Gegenpropaganda alles packten, was man sich nur an reaktionären, von Fremdenhaß geprägten Argumenten denken kann. Nun ist das Gesetz in Kraft, und die Neo-Nazis, die ja auch in der Schweiz eine kleine, aber sehr aktive Gruppe sind, haben sich schon ganz klar für folgende Taktik entschlossen: Sie wollen, und das steht uns jetzt in den nächsten Monaten bevor, die Behörden provozieren, um zu sehen, wie und wann dieses Gesetz angewendet wird. Dann werden wir wissen, ob das Gesetz, das meiner Meinung nach richtig ist, seinen Zweck erfüllt oder nicht.

Ich brauche nicht viel über den Film "Beruf Neo-Nazi" zu sagen. Er ist ein Kultfilm geworden. Der Film ist gefährlich, weil in ihm die Auschwitz-Leugnung wiederholt, aber nicht widerlegt wird. Der

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Filmemacher war der Ansicht, das sei nicht nötig. Aber leider ist es nötig. Außerdem porträtiert der Film einen Neo-Nazi, der vielen als sehr attraktiv erscheinen muß. Er ist wortgewandt; er ist blond; er ist gut gekleidet. Sicherlich möchten viele deutsche Mütter so einen Mann wie den Nazi Althans zum Schwiegersohn haben, wenn nicht sogar zum Sohn. Es ist interessant, daß in der Diskussion über den Film in "Spiegel TV" nur der Psychologe Horst Eberhard Richter darauf hinwies, daß diese Person verführerisch wirken könnte; und in einer der wichtigsten Szenen des Films, die keiner derer, die über den Film geredet oder geschrieben haben, kommentiert hat, hält dieser junge Mann eine Rede an Jugendliche in Cottbus in derselben Weise, in der Hitler in den dreißiger Jahren die Hitlerjugend ansprach, und er wirkt dort wie ein Rattenfänger, der diese Kinder wirklich in seinen Bann zieht. Bisher ist die einzige positive Folge des Films "Beruf Neo-Nazi", daß es endlich ein Justizverfahren gegen diesen Althans gibt und die Justiz begriffen hat, daß man vielleicht einem Althans das Handwerk legen sollte.

Ich will noch zwei andere typische Filme erwähnen, ein negatives und ein positives Beispiel. Negativ sehe ich den Film "Stau - jetzt geht es los" aus der früheren DDR, gedreht in einer Stadt in der nach der sogenannten Wende - ich würde sagen nach der Einverleibung der ostdeutschen Lande, so sehe ich es als Nichtdeutscher, - alles sehr trostlos geworden ist. Die alten Leitbilder sind kompromitiert, so daß es keinen erstaunen kann, wenn in diesem Milieu, in dem die Eltern so hilflos sind, ihre Kinder sehr leicht in die Falle der rechtsextremistischen Verführer gehen. Die wilde Romantik der Skinheads zieht sie in ihren Bann. Das bedeutet Abenteuer in einer Gemeinschaft, und es gibt sogar eine Art Uniform. Der Film ist sehr schlecht aus zwei Gründen: Erstens weil anscheinend der Regisseur große Sympathien für die Skinheads entwickelt hat und ihnen also nichts entgegensetzt, und zweitens, weil er auch nicht imstande ist zu hinterfragen. Auf seine Frage: "Hast Du je mit einem Ausländer gesprochen?" antwortet der Skinhead: "Nö!" Dann fragt er nach: "Warum?" Die Antwort ist: "Frust!" Und mit diesem einsilbigen Wort gibt sich der Interviewer zufrieden.

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Und dann gibt es, und das ist ja keine Ausnahme, ein vernünftiges Mädchen in diesem Film, der von jungen Männern beherrscht wird. Als der Freund, der neben ihr sitzt, vor der Kamera erklärt, man müsse diesem Gewaltstaat, und damit meint er die Bundesrepublik der "Wessis", mit Gewalt entgegentreten, sagt sie, sie möchte lieber eine Welt, in der es Freundschaft und Liebe gibt. Sie gibt also eine sehr vernünftige Widerlegung der Gewaltthese ihres Freundes. Darauf geht der Film aber nicht ein. Das Mädchen wird als etwas blöde und naiv dargestellt.

Das Interessante ist, daß die beiden Filme "Beruf Neo-Nazi" und "Stau - jetzt geht es los" von Leuten gemacht worden sind, die sich als Linke betrachten, die in der DDR eine andere politische Erziehung bekommen haben als ihre Gleichaltrigen im Westen, und daß sie deshalb auch nicht glaubten, es wäre nötig, gewisse für sie selbstverständliche Dinge zu sagen. Die könnte man voraussetzen, meinten sie. Sie haben eben nicht begriffen, daß sie im Westen des vereinten Deutschlands nicht selbstverständlich sind. Ein Mann wie Althans entlarvt sich nicht selbst, so daß es alle begreifen. Man muß ihm Argumente entgegensetzen, und ich war immer der Ansicht in der Diskussion über diesen Film, daß man ihn nicht verbieten solle, sondern das Publikum auf irgendeine Weise dazu zwingen müsse, die Wahrheit z.B. über Auschwitz zu sehen, bevor es den Film sieht. Das ist jetzt auch in ein paar Städten in Deutschland tatsächlich geschehen. Der Film "Beruf Neo-Nazi" hat die volle Länge eines abendfüllenden Films. Vorher sollte man den Film "Nacht und Nebel" von Alain Resnais zeigen, einen guten Film über Auschwitz, der die Wahrheit mit Dokumenten belegt und genau 32 Minuten dauert. Das ist dann ein akzeptables Kinoprogramm, denn wenn man "Nacht und Nebel" zuerst sieht, ist das entwertet, was "Beruf Neo-Nazi" als Botschaft vermitteln will.

Der dritte Film, den ich nenne möchte, ist der Film "Glatzen, Cliquen und ein Club" von Gerlinde Böhm, mit dem Untertitel "Jugendarbeit mit Rechtsradikalen in Ostberlin". Der Film verwickelt die jungen Rechtsradikalen in Gespräche mit Gegenargumenten und zeigt, wie Ruth Klüger, eine Überlebende von Theresienstadt und Auschwitz,

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die das Buch "weiter leben Eine Jugend" geschrieben hat, auf höhnische Fragen wie "Wie war's denn in Auschwitz?" sehr sachlich, sehr ruhig und sehr konkret antwortet. Und dann versucht einer der Jungen sie - wie es so schön auf deutsch heißt - "zur Sau zu machen", und er fragt sie: "Nun sag mal, was für Öfen gab es denn da in Auschwitz?". Nun hat es noch keinen Häftling gegeben, den es interessiert hat, welche Marke der Ofen hat, in dem er verbrannt werden soll. Sie wußte es natürlich nicht und wich der Frage geschickt aus. Das positive Resultat dieser Sendung war: einer von den Jungen in diesem Film sagt danach: "Jetzt bin ich nicht mehr so stur rechts." Das heißt, man soll doch nicht verzagen. Aber es ist eine mühsame und lange Arbeit. Es gibt aber auch einen anderen Jungen, der zu Ruth Klüger sagt: "Also, ich finde, man sollte alle Juden vergasen, die es noch gibt, denn dann müssen wir ihnen nichts mehr bezahlen." Und über diese Worte, die ihr plötzlich entgegengeschleudert wurden, ist sie auch nach Wochen noch nicht hinweggekommen.

Ich glaube, daß man in den Medien nicht direkt gegen Rechte polemisieren soll, ganz einfach deshalb, weil man sie aufwertet, wenn man sie zu Talkshows einlädt, und wenn man die Lügen, die sie verbreiten, so ernst nimmt, daß man ihnen direkt entgegentritt, als ob man z.B. die Existenz von Gaskammern in Auschwitz in Frage stellen könne. Ich glaube, daß die richtige Taktik in der Bekämpfung antisemitischer, fremdenhaßbetonter und rechtsextremistischer Tendenzen die Aufklärung ist. Man muß der Lügenpropaganda von rechts die Wahrheit gegenüberstellen. Falsch ist es, ich wiederhole, Neo-Nazis sich vor der Kamera produzieren zu lassen und ihnen ein Forum anzubieten, das sie nicht verdient haben. Ich glaube, daß positive Aufklärung ohne Polemik die richtige Methode ist und daß in Dokumentationen die Überlebenden der Lager als Zeugen zu Wort kommen müssen. Noch gibt es sie, in zehn Jahren wird es sie nicht mehr geben.

Ich möchte hier schließen und auf den Witz zurückkommen, mit dem ich begann: Die Demokraten in diesem Lande zeigen gegenüber der physischen Gewalt auf der Straße eine erschreckende Hilflosigkeit. Es ist schon einmal in diesem Lande vorgekommen, daß eine aktive,

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kleine, aber zielbewußte und gewalttätige Minorität eine Majorität terrorisieren konnte.

Die Demokratie muß im Kampf gegen die Rechtsextremen ausnützen, daß diese versprengten Gruppen, auch wenn sie sich bereits zusammenschließen, noch keinen von allen anerkannten Führer haben. Noch ist kein neuer Hitler in Sicht, aber vielleicht ist er es in vier Jahren. Die Methoden der heutigen Nazis sind viel raffinierter als die der alten Nazis, genau wie der Stasi viel raffinierter war als die Gestapo, weil er eben moderner war.

Ich bin jedenfalls der Ansicht, daß der Geiger, der uns so schön die Melodie der Demokratie vorspielt, dafür sorgen muß, daß er nicht von einem Löwen aufgefressen wird.

[Seite der Druckausg.: 118 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2003

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