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TEILDOKUMENT:
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Will man sich ein Urteil über die kanadische Einwanderungspolitik erlauben, so kommt das der Frage gleich, ob das Glas halb voll oder halb leer ist.[1] D.h. es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, die Einwanderungspolitik des Landes zu bewerten bzw. zu interpretieren: Vor dem Hintergrund der Einwanderungsdiskussion in der Bundesrepublik heute ist man beeindruckt von der Routine und Professionalität mit der in der kanadischen politischen Öffentlichkeit immer wieder die Konturen der Einwanderungspolitik ausgehandelt werden. Vor dem Hintergrund eben gerade dieser Tradition kommen vor allem kanadische Kritiker nicht umhin, die Einwanderungspolitik ihres Landes in der Vergangenheit als rassistisch und in der Gegenwart als nicht liberal und weitreichend genug zu empfinden. Das kanadische Einwanderungsrecht, quasi als kodierte Einwanderungspolitik, war (und ist) innenpolitisch immer an ökonomische und demographische Entwicklungen geknüpft und sollte außenpolitisch in das Dreiecksverhältnis: US-amerikanischer Nachbar, britisches Mutterland und internationale Beziehungen eingebunden werden. Im folgenden soll nun zunächst die historische Entwicklung der Einwanderungsgesetzgebung aufgezeigt werden. Anhand einiger Beispiele kann deutlich gemacht werden, wie sich innenpolitische Anforderungen und die Steuerung des Einwanderungsprozesses einander bedingten. In einem zweiten Teil wird dieses Wechselverhältnis auf die gegenwärtige Einwanderungssituation bezogen. Die Entwicklung nahm ihren Anfang mit den sogenannten "United Empire Loyalists". Sie gehören wohl zu den privilegiertesten politischen [Seite der Druckausg.: 60] Flüchtlingen in der kanadischen Geschichte. Diesen königstreuen Siedlern aus den 13 Kolonien kam sowohl bei der angestrebten Anglifizierung der Provinz Quebec als auch bei der politischen Absicherung der Südgrenze eine Schlüsselfunktion zu. Ihnen wurde Land, Kleidung, Lebensmittel und sonstige Eingliederungshilfen zur Verfügung gestellt. Um die Entwicklung jedoch nicht aus der Hand geraten zu lassen, erließ das Parlament von Lower Canada 1794 den "Act Respecting Aliens". Hierin wurde bestimmt, daß Beamte die politische, soziale und ökonomische Eignung der Siedlerfamilien aus den USA zu überprüfen hätten.[2] Hinter dieser Gesetzgebung verbarg sich bereits die Angst davor, daß die Einwanderinnen trotz aller Unterstützung zu einem "public Charge" werden könnten. Daß diese Angst nicht ganz unbegründet war, wurde in den Jahren 1847 bis 1851 deutlich, als die "Hunger-Iren" begannen, nach Kanada einzuwandern. Die Kosten für die direkten medizinischen und sozialen Hilfsmaßnahmen, die notwendig wurden, um den durch Hunger und Krankheit geschwächten irischen Einwanderinnen wieder auf die Beine zu helfen, waren beträchtlich. Die Fragen, wer für die Kosten aufzukommen hatte und wie eine Wiederholung des Desasters zu verhindern sei, sollten grundlegend gelöst werden. Von nun an würden Kanadier die Einwanderung in ihr Land regulieren und kontrollieren und auch für die Folgekosten aufkommen.[3] Die Angst, daß Einwanderung zur Belastung der öffentlichen Kassen führen würde, war damit auf Dauer verankert. Gegen Endes des 19. Jahrhunderts war immer deutlicher geworden, daß Einwanderung und ökonomische Entwicklung eng miteinander verknüpft waren. Daraus ergaben sich für die Einwanderungspolitik zwei Maßgaben: Die Industrie brauchte freie Hand, um besonders günstige Arbeitskräfte zu bekommen und für die Landwirtschaft mußten Siedler [Seite der Druckausg.: 61] geworben werden.[4] Während man aber für die Industrie eine gewisse laissez faire-Politik walten ließ, wurde ab 1896, unter der Verantwortung von Clifford Sifton, aktive Einwanderungspolitik zum Zwecke der Besiedlung betrieben.[5] Siftons Politik war durch eine Reihe grundlegender Maßnahmen gekennzeichnet: Man konzentrierte sich ausschließlich auf Siedler für die Landwirtschaft, dabei wurden Familien bevorzugt; es wurde eine nationale/ ethnische Hierarchie festgelegt, vor allem wollte man britische und US-amerikanische Siedler anwerben. Als diese jedoch nicht in dem gewünschten Maße zur Verfügung standen, griff man auf mittel- und osteuropäische Siedler zurück (Ukrainer/ Galizier). Afro-Amerikaner, Einwanderer aus Asien und Italien waren explizit unerwünscht. Darüber hinaus wurde das Einwanderungsland Kanada mit Hilfe von Werbebroschüren und einem Agentensystem in Europa vermarktet.[6] Der Anstieg der Einwanderungszahlen sowie die Diversifizierung der Herkunftsländer ist auf seine politische Initiative zurückzuführen. Die Strukturen dieser Politik sollten bis in die 1950er Jahre hinein die kanadische Einwanderungspolitik prägen. Anhand der Gesetzgebung in Bezug auf die Einwanderung von Chinesen nach Kanada ist zum einen die grundsätzlich rassistische Ausrichtung der frühen Einwanderungsbeschränkungen erkennbar, zum anderen wird aber auch deutlich, wie die politisch/ gesetzgeberischen Reaktionen eingebunden waren (und sind) in die ökonomischen Bedürfnisse des Landes, in die internationalen Beziehungen sowie im Verhältnis stehen zu den politischen Artikulationsmöglichkeiten der Einwanderer "communities". Und drittens wird erkennbar, in welchem Maße die Interessen einer einzelnen Provinz, in diesem Falle British Columbia, die Gesetzgebung der Bundesregierung beeinflussen konnte. Mit der Drohung, die Konföderation gegebenenfalls zu verlassen, hatte British Columbia die Regierung in Ottawa immer wieder unter Druck setzen können, um eine anti-chinesische Gesetzgebung auf nationaler Ebene zu erreichen. Ähn- [Seite der Druckausg.: 62] lich konnte Quebec in den später 1930er und frühen 1940er Jahren taktieren, um eine Aufnahme jüdischer Flüchtlinge zu verhindern. Aus Platzgründen kann darauf nicht weiter eingegangen werden. Es sei auf den Beitrag von Dirk Hoerder und auf die Übersicht im Anhang verwiesen. Das Ende des zweiten Weltkrieges stellte Kanada in Bezug auf die Einwanderungspolitik vor neue Situationen. Innenpolitisch ließ die wirtschaftliche Entwicklung einen verstärkten Arbeitskräftebedarf entstehen, und außenpolitisch war man mehr und mehr in internationale Zusammenhänge eingebunden. Das führte zu einer erneuten Aufnahme der Debatte über die Zielvorgaben der Einwanderungspolitik und 1947 trat der liberale Premierminister Mackenzie King mit einem Statement an die Öffentlichkeit. Darin wurden sechs Essentials benannt:
Die Essentials lassen erkennen, daß sich an der Stoßrichtung der Einwanderungspolitik noch nichts geändert hatte: Einwanderung war weiterhin an den ökonomischen und demographischen Bedürfnissen orientiert und es wurden explizit Einwanderinnen aus Westeuropa bevorzugt. Und obwohl das Problem der "Displaced Persons" dazu hätte veranlassen können, fehlte noch jegliche Einbindung in den internationalen Kontext. Die Umsetzung dieser Politik, wie sie dann in dem Gesetz von 1952 festgeschrieben wurde, blieb jedoch halbherzig und schwerfällig. Zwar [Seite der Druckausg.: 63] wurde ein "Department for Citizienship and Immigration" eingerichtet, doch blieb die finanzielle und personelle Ausstattung der Einwanderungsbehörde völlig unzureichend. Vor allem aber bekam der zuständige Minister uneingeschränkte Machtbefugnis, über die ökonomische, soziale und kulturelle Eignung eines Einwanderers bzw. einer Einwanderin zu befinden. Er hatte das Recht, bestimmten ethnischen Gruppen oder spezielle Berufsgruppen, Menschen mit "eigenartigen" kulturellen Gewohnheiten, d.h. Menschen, die erkennen ließen, daß sie sich nicht leicht assimilieren würden, die Einwanderung zu verweigern. Der Minister war die alleinige und endgültige Instanz. Das Gesetz und die damit verbundene Politik erwies sich als äußerst unpraktikabel. Die jeweiligen Minister beklagten die Tatsachen, daß sie 90 % ihrer Zeit mit der Bearbeitung von Einzelfällen verbrachten. Auch beschränkte man sich darauf, lediglich Einwanderungsanträge aus Europa zu bearbeiten und Konflikte mit dem Arbeitsministerium, das sich eine noch stärkere Orientierung an den ökonomischen Bedürfnissen wünschte, traten beständig auf. Die Kritik an dem Gesetz von 1952 fällt eindeutig aus: "... the Immigration Act of 1952 proved a great handicap to effective immigration management. It was a poor and illiberal piece of legislation which was difficult to administer."[8] Ende der 1950er Jahre waren die Unzulänglichkeiten des Gesetzes deutlich zu Tage getreten. In den europäischen Büros stapelten sich die unbearbeiteten Anträge, der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften wurde nicht befriedigt, Kritik an den offen diskriminierenden und rassistischen Regelungen wurde immer lauter und es wurde ein langfristiges zukunftsweisendes Einwanderungsprogramm gefordert. In die Regierungszeit der Progressive Conservative Party unter Diefenbaker von 1959 bis 1963 fallen dann auch die geringsten Einwanderungszahlen; 1961 war mit ca. 70.000 Einwanderinnen der absolute Tiefpunkt erreicht. Gleichzeitig aber verwiesen die Überseebüros in Rom, Athen und Lissabon auf Wartelisten, deren Bearbeitung Jahre dauern würde. [Seite der Druckausg.: 64] Ebenfalls in dieser Zeit, fast unbemerkt vom Parlament, vom Kabinett und von der späteren Forschung, wurden 1962 Ausführungsbestimmungen herausgegeben, die die grundsätzlich diskriminierenden Aspekte des kanadischen Einwanderungsgesetzes weitgehend aufhoben. Eine Differenzierung wurde jedoch beibehalten. Anders als die in Kanada lebenden Menschen aus Asien und Afrika konnten kanadische Europäerinnen auch für entferntere Verwandten die Bürgschaft überneh-men.[9] Infolge dieser Neuregelung wurden in den Jahren 1963 bis 1968 Einwanderungsbüros in Ägypten, im Libanon, den Philippinen, den Westindischen Inseln und in Pakistan eröffnet.[10] Anfang der 1960er Jahre begann sich die Wirtschaft, nach einer kurzen Rezession, wieder zu erholen, die Konservativen wurden durch die Liberalen abgelöst, die Einwanderungszahlen stiegen an, doch die Situation in der Einwanderungsbehörde blieb unbefriedigend, vor allem auf Grund administrativer Mängel. 1966 wurden darum die Ministerien umstrukturiert. Aus dem Ministerium für "Citizenship and Immigration" (inkl. Indian Affairs) wurde das "Department on Manpower and Immigration". Damit konnte zwar der lange Konflikt zwischen dem Arbeitsministerium und der Einwanderungsbehörde gelöst werden, doch wurde nun die ausschließliche Orientierung an den Interessen der Wirtschaft kritisiert. Es war nun amtlich, daß die Einwanderinnen allein als Arbeitskräfte wahrgenommen wurden, die Notwendigkeit einer sozialen Betreuung für eine Übergangszeit wurde weitgehend geleugnet. Die Debatte um diese Entscheidung machten auch die veränderten Anforderungen der Wirtschaft hin zu mehr Professionalisierung und Spezialisierung deutlich. Man hatte weiterhin einen großen Bedarf an - nun hochqualifizierten - Arbeitskräften und konkurrierte dabei mit anderen Einwanderungsländern.[11] Im Oktober 1966 wurde von der Einwanderungsbehörde das "White Paper on Canadian Immigration Policy" vorgelegt. Dieses Diskussionspapier sollte eine Neufassung des Einwanderungsgesetzes vorbereiten. [Seite der Druckausg.: 65] Leider überzeugte diese Vorlage niemanden, denn sie enthielt nur wenige konkrete Informationen und Vorschläge. Das Hauptproblem, nämlich wie das Sponsorensystem unter Kontrolle gebracht werden konnte, sodaß mehr qualifizierte Arbeitskräfte nach Kanada kamen, wurde nicht angesprochen. Ein erneuter Vorschlag wurde einige Monate später vorgelegt und überzeugte. Hier wurden zunächst drei prinzipielle Zulassungsgruppen festgelegt:
Das ganze sollte über ein Punktesystem geregelt werden, welches die Kriterien für die "Brauchbarkeit" eines Bewerbers bzw. einer Bewerberin festlegte. Die Kriterien für eine unabhängige Bewerberin beinhalten z.B. Ausbildung, persönliche Veranlagung/ Bewertung (personal assessment), berufliche Fähigkeiten, beruflicher Bedarf und Alter. Wurde eine Bewerberin von einer kanadischen Staatsbürgerin gesponsert, erfuhr er/ sie eine gewisse Präferenz. Die Kriterien sind bis heute weitgehend gleich geblieben. (Vgl. dazu die Liste im Anhang.) Dieses Punktesystem, - nur eine Regelung, nicht ein neues Gesetz - stellte einen grundlegenden Einschnitt in der kanadischen Einwanderungsgesetzgebung dar. Sie trat im April 1967 in Kraft. 1976, nach Vorlage weiterer Diskussionspapiere, die unter dem Namen "Green Papers" bekannt geworden sind, kam es dann zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes, das die Regelungen von 1967 festschrieb. Zunächst wurde im Absatz 3 des Gesetzes die Aufgabenstellung des Einwanderungsprogramms benannt. Im einzelnen hieß das wieder:
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Des weiteren wurde festgelegt, daß es bei der Überprüfung der Bewerberinnen keinerlei Diskriminierung auf Grund von "Rasse", ethnischer Gruppe, Hautfarbe, Religion oder Geschlecht geben soll. Das Gesetz sieht keine Festlegung von Einwanderungsquoten vor. Vielmehr werden diese nach Konsultation mit Wirtschaftsexperten, Demographen und gesellschaftlichen Gruppen jedes Jahr neu ausgehandelt. Die Klassifizierung der Bewerberinnen wurde beibehalten, die Klassen unterliegen einer Prioritätenliste. Oberste Priorität haben die "family class" und die Flüchtlinge. (Auf diese Gruppe wird später noch eingegangen). D.h. alle Staatsbürgerinnen bzw. alle Bewohnerinnen mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung, die bereits mehr als drei Jahre im Land leben, haben das Recht für ihre Familienangehörigen zu bürgen.[13] Neben diesen direkten Verwandten gibt es noch die "assisted relatives" bzw. die "nominated class". Diese Kategorie beinhaltet die entfernteren Verwandten, deren Einwanderung dje Bürgen finanziell unterstützen wollen. Diese Bewerberinnen müssen sich auch den Bewertungskriterien [Seite der Druckausg.: 67] des Punktsystem unterziehen. Alle Anträge müssen zuerst von außerhalb des Landes gestellt werden. Das 1978 verabschiedete Gesetz sieht auch noch die Kategorie der "Business Immigration" vor. Diese Kategorie teilt sich noch einmal auf in die Unternehmer, die Investoren und die Selbständigen (entrepreneur, investor, self-employed). Der Unternehmer hat seine unternehmerischen und wirtschaftliche Fähigkeiten bereits unter Beweis gestellt und will nun in Kanada ein Unternehmen aufbauen, aufkaufen oder in ein Unternehmen investieren. Ziel ist hier die Schaffung von Arbeitsplätzen.[14] Er muß sein Unternehmen auch selbst leiten. Der Investor hingegen braucht nicht selbst zu arbeiten, es reicht wenn sein Kapital von mindestens $500.000 arbeitet.[15] Der Selbständige muß lediglich sich selbst beschäftigen und dabei Kanada ökonomisch, kulturell und künstlerisch bereichern. Auch er/ sie muß sich dem Punktesystem unterziehen, erhält aber 30 Bonuspunkte wenn er/sie den Einwanderungsbeamten von dem potentiellen Erfolg des Geschäftes überzeugen kann. Um dem ganz speziellen Arbeitskräftebedarf des Landes Rechnung tragen zu können, besteht noch die Möglichkeit, mit einem Arbeitsplatz in der Tasche einzuwandern (arranged employment). Allerdings muß hier der Arbeitgeber vorher nachgewiesen haben, daß es keine gleichermaßen qualifizierte Kanadierin für die zu besetzende Stelle gibt. Bei aller Liberalisierung der Einwanderungsgesetzgebung gibt es jedoch weiterhin die Möglichkeit, die Einwanderung zu verweigern, z.B. im Falle von geistiger und körperlicher Behinderung, wenn davon auszugehen ist, daß diese Krankheit für die Volksgesundheit eine Gefahr darstellt (AIDS !?!?) bzw. wenn der oder die Kranke eine zu große Belastung für das öffentliche/ staatliche Gesundheitssystem werden könnte. Zweitens können Menschen ausgeschlossen werden, die erkennen lassen, daß sie nicht gewillt sind, für sich selbst zu sorgen bzw. schwere [Seite der Druckausg.: 68] Vorstrafen haben. Und drittens sind subversive Aktivitäten bzw. Gewaltakte gegen die Demokratie ein Ausschlußgrund.[16] Mit der Vorlage des "Green Paper" und der Verabschiedung des Einwanderungsgesetzes von 1978 war jedoch die Diskussion über Einwanderungsfragen nicht vom Tisch. Die prinzipielle Frage, Auswanderung ja oder nein, wird dabei nur von einigen wenigen Außenseitern gestellt. Kaum jemand stellt heute die grundlegende Bedeutung der Einwanderung für Kanadas Gesellschaft in Frage. Dennoch werden einzelne Aspekte heiß diskutiert. Da steht an erster Stelle die Frage nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Einwanderung. In der wissenschaftlichen und politischen Öffentlichkeit wird darüber gestritten, ob und in welchem Maße die Einwanderinnen einen notwendigen Arbeitskräftebedarf decken, ob sie ihre Arbeitsplätze quasi selbst schaffen, entweder weil sie selbständig in Nischen der kanadischen Wirtschaft arbeiten oder durch Erhöhung der Nachfrage die Produktion anregen, oder ob sie in Zeiten der schwersten wirtschaftlichen Rezession seit den 1930er Jahren den kanadischen Werktätigen die Arbeitsplätze wegnehmen. Die wissenschaftliche Öffentlichkeit der Ökonomen befürwortet Einwanderung im allgemeinen.[17] Der zweite Themenkomplex beschäftigt sich mit den demographischen Aspekten von Einwanderung. Dabei wird von der Tatsache ausgegangen, daß sich die kanadische Bevölkerung nicht ausreichend selbst reproduziert, daß Anfang des 3. Jahrtausends zu viele ältere Bürger und Bürgerinnen von den erwerbstätigen Menschen mitversorgt werden müssen. Diese Diskussion ist uns aus der Bundesrepublik vertraut. Soll die Bevölkerung auf dem gegenwärtigen Stand von 25 bis 26 Millionen erhalten werden, so braucht man - bei gleichbleibender Geburtenrate [Seite der Druckausg.: 69] eine Nettoeinwanderung von 125.000 pro Jahr.[18] Die wissenschaftliche Öffentlichkeit der Demographen kann nun darüber diskutieren, wie viele Menschen das Land braucht bzw. wie groß die optimale Wachstumsrate wäre, berücksichtigte man die Fragen nach der ökologischen Verträglichkeit und Lebensqualität. Bislang weiß man nur, daß die Zahl noch lange nicht erreicht ist, die konkrete Größe scheint nicht vorhersagbar zu sein.[19] "Nationale character", "visible minorities", "changing origin of immigrants" sind Schlüsselworte, die den dritten Themenkomplex in der Einwanderungsdiskussion kennzeichnen. Mit der Proklamation der multikulturellen Gesellschaft im Jahre 1971 verabschiedete sich Kanada vom englisch dominierten, große französische Enklaven zulassenden, nationalen Charakter, den es über ein Jahrhundert lang zu hüten verstanden hatte. Indem man alle Einwanderungsbeschränkungen aufhob, die sich auf kulturelle, ethnische und religiöse Eigenheiten bezogen, wurde gleichzeitig der "nationale Character" zur Disposition bestellt. Heute beobachtet man die sich verändernden Herkunftsgebiete - 1984 kamen ca. 50 % der Einwanderinnen aus dem asiatischen Raum, vor allem aus Vietnam und Hongkong - mit zurückhaltender Skepsis, empfindet die vielen verschiedenen Kulturen, die die Einwanderinnen mitbringen, jedoch auch als Bereicherung. Das Problem des alltäglichen Rassismus wird in der Diskussion nicht unbedingt ausgespart, aber auch nicht immer offensiv angesprochen.[20] Dieses Thema bekommt auch auf Grund der urbanen Konzentration der neuen Einwanderinnen eine besondere Bedeutung. Machen die sogenannten "visible minorities" auch nur 6,3 % der Gesamtbevölkerung aus, so liegt ihr Anteil in Städten wie Toronto und Vancouver bei 17 %.[21] [Seite der Druckausg.: 70] Ein Aspekt, der weitaus seltener öffentliche Beachtung findet, ist die Administration des Einwanderungsprozesses. Hier klaffen weiterhin Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Ende der 1980er Jahre fehlte es dem Amt an ausreichendem und qualifiziertem Personal, adäquater finanzieller und technischer Ausstattung, an klaren, verständlichen und eindeutigen Direktiven sowie an Kooperation mit anderen Behörden. Der Bericht einer unabhängigen Untersuchungsgruppe schlug 1986 dringende Verbesserungen vor. Seit 1988, vor allem seit der Einrichtung des "Immigration and Refugee Board" im Januar 1989 scheint sich die Arbeit etwas verbessert zu haben, eine von außen kommende Beurteilung steht jedoch noch aus. Ein Grund für die schwierige Situation der Einwanderungsbehörde auf der einen Seite und der anhaltenden Diskussion über Einwanderung auf der anderen Seite liegt in der - auch für Kanada - monumentalen Aufgabe, das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen. Darauf soll nun zum Abschluß eingegangen werden. In der kanadischen Einwanderungsgeschichte wurde zwischen Flüchtlingen und Einwanderern nicht unterschieden. Mußten Menschen ihr Heimatland aus politischen Gründen verlassen, konnten sie, wie z.B. die amerikanischen Loyalisten, als Einwanderer in Kanada Schutz finden. Auch die Situation nach dem zweiten Weltkrieg änderte nichts daran. Zwar erklärte man sich bereit, "Displaced Persons" aus den Lagern in Deutschland aufzunehmen, doch suchte man sie weitgehend nach den gleichen Kriterien aus wie Einwanderinnen. Im besten Fall waren die DP's kräftig und gesund, verfügten möglichst noch über Kenntnisse, für die ein Bedarf bestand und hatten Verwandte in Kanada.[22] Das "Displaced Persons"-Programm verdient es, differenzierter betrachtet zu werden. Dieses muß jedoch an anderer Stelle vorgenommen werden. Auch die Flüchtlinge aus Ungarn, der Tschechoslowakei und Uganda (Asiaten) wurden letztendlich einem vereinfachten und beschleunigten [Seite der Druckausg.: 71] Einwanderungsverfahren unterzogen.[23] Gegenwärtig fallen Flüchtlinge unter die Regelungen des Einwanderungsgesetzes von 1976/78. Es gibt vier verschiedene Möglichkeiten, als Flüchtling nach Kanada einzuwandern (sic!).[24] Die erste Möglichkeit besteht darin, bei einer kanadischen Botschaft oder einem Konsulat außerhalb des Landes als sogenannter "Convention Refugee", d.h. als Flüchtling entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention, oder als Angehöriger der "designated class" einen Antrag auf "resettlement" zu stellen.[25] 1988 gab es z.B. die folgenden drei Gruppen: "Self-exiled Persons Designated Class";
Die Gruppen können den veränderten weltpolitischen Bedingungen angepaßt werden. Menschen, die in diesen beiden Kategorien die Einwanderung beantragen, unterliegen jedoch ähnlichen Kriterien wie die regulären Einwanderinnen. Sie müssen unter Beweis stellen, daß ihre Ansiedlung in Kanada aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird. Diese erste Form bildet den Kern der kanadischen Flüchtlingspolitik. Über die Hälfte aller Flüchtlinge werden durch diese Tür hinein gelassen. Nach Beratung mit dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlingsfragen, mit den Provinzen und mit Vertretern des privaten Sektors legt die Regierung jährlich Flüchtlingskontingente fest. Obwohl nach Maßgabe der Regierung dieses System optimale Flexibilität gewährleistet, geben natürlich die Höhe der Zahlen und die Regionen oft Anlaß für Kritik.[26] [Seite der Druckausg.: 72] Die zweite Form ermöglicht es Gruppen von Privatpersonen oder Organisationen (z.B. Kirchengruppen, ethnische Gruppen oder Menschenrechtsorganisationen) Bürgschaften für "Convention Refugees" oder "designated class" Flüchtlinge zu übernehmen. D.h. diese Gruppen gehen mit der Regierung eine vertragliche Beziehung ein und sichern den Flüchtlingsfamilien, für die sie gebürgt haben, finanzielle und sonstige Unterstützung im Eingliederungsprozeß zu. Die Hilfe muß mindestens für ein Jahr gewährleistet werden, bzw. so lange andauern, bis die Flüchtlinge auf eigenen Beinen stehen können. Die Regierung bezieht diese privaten Sponsorenprogramme in die Berechnung der Kontingente mit ein und informiert die Außenstellen entsprechend. Diese privaten Programme haben sich, bezogen auf den Etablierungsprozeß, als besonders erfolgreich erwiesen, obwohl die auf diese Art gesponserten Flüchtlinge ihre potentiell erfolgreiche Eingliederung vor der Anerkennung des Flüchtlingsstatus nicht erst unter Beweis stellen müssen. Drittens gibt es das "Special Measures Landing Program". Dieses Programm richtet sich an die Flüchtlinge, die sich bereits im Lande etabliert haben und nicht bereit sind, in das Heimatland zurückzukehren. Mit diesem Programm sollte vor allem das Problem der illegal im Land lebenden Menschen gelöst werden, und es ermöglichen, den Antragsbearbeitungsrückstau schneller abzuarbeiten. Den betroffenen Personen wurde eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis gegeben, und sie unterlagen bei Erlangen des "Landed Immigrant-Status vereinfachten Bedingungen. Sie konnten dann auch ihre Familienmitglieder nachholen.[27] Auch die vierte Möglichkeit, das "Inland Refugee Determination System" richtet sich an die bereits im Lande lebenden Flüchtlinge. Dabei handelt es sich wohl um die problematischste Kategorie und um eine Form, die der deutschen Situation ähnlich ist. Die Regierung ist hier besonders beunruhigt, weil die vertrauten Kontroll- und Selektionsmechanismen nicht greifen.[28] Der bereits im Lande lebende Flüchtling muß [Seite der Druckausg.: 73] also dem Einwanderungsbeamten beweisen, daß er im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention politisch verfolgt ist. Gelingt ihm das, so wird ihm uneingeschränktes politisches Asyl mit permanentem Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnis gewährt. Nur, zum einen ist die Anerkennungsquote in dieser Kategorie gering und zum anderen hat das Visum hier Selektionsfunktion. Dennoch werden seit Mitte der 1980er Jahren mehr und mehr Anträge in dieser Kategorie gestellt, die weitaus meisten werden jedoch als unbegründet zurückgewiesen. Vor allem Portugiesen, Brasilianer und Türken wurden hier als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft. Gerichtsentscheidungen der vergangenen Jahre lassen erkennen, daß hier immer restriktiver vorgegangen wird.[29] Seit 1978 wurde das Einwanderungsgesetz weiter ergänzt und verändert. Aufgrund der 1988 beschlossenen Ergänzungen nahm das "Immigration and Refugee Board" (IRB) am 1. Januar 1989 seine Arbeit auf. Diese Behörde ist (war) im Rahmen des "Ministry of Employment and Immigration" für die Umsetzung der Flüchtlingspolitik zuständig.[30] Die Fragen, wer legitimerweise den (scheinbar privilegierten) Status eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erlangen kann, wie der Anerkennungsprozeß effektiviert, wie ein Mißbrauch verhindert werden kann und wie die sehr enge Definition sinnvoll entsprechend der veränderten weltpolitischen Situation ergänzt werden sollte, beschäftigen das IRB in vornehmlicher Weise. Auch das Thema der geschlechtsspezifischen Fluchtursachen, d.h. solche die vor allem Frauen veranlassen, zu fliehen, wird hier erörtert und das Personal für diese Problem sensibel gemacht und geschult.[31] Zur Zeit besteht das Anerkennungsverfahren als "Convention Refugee" vor allem aus einer Anhörung vor einem aus zwei Personen bestehenden Ausschuß (panel). Es gilt die Regel, daß sich für eine Ablehnung beide Personen einig sein müssen, daß für eine Anerkennung hingegen die [Seite der Druckausg.: 74] Zustimmung einer Person reicht. Hier wurde das Mitte der 1980er Jahre formulierte Prinzip, daß in Zweifelsfällen zu Gunsten des Antragstellers bzw. der Antragstellerin zu entscheiden sei (benefit of the doubt) in eine Rechtsform gebracht.[32] Gegen Entscheidungen in diesem Verfahren kann vor der "Immigration Appeal Division" Widerspruch eingelegt werden. Knapp 38.000 Menschen stellten 1992 eine Antrag auf Asyl, sie kamen vor allem aus Sri Lanka, aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion, aus Somalia, Israel und Pakistan. Die Anerkennungsrate lag bei ca. 57 % und fiel damit deutlich niedriger aus als in den Vorjahren.[33] Ohne hier auf die sogenannten Quellenländern (Source Countries) näher einzugehen, gilt es im Auge zu behalten, daß diese selten "beliebig" sind, d.h. es besteht ein, über die konkrete politische Situation hinausgehendes, Verhältnis zwischen Quellen- und Aufnahmeland. Dieses Verhältnis ist in der Regel durch eine Reihe von Faktoren gekennzeichnet. Howard Alderman, der Leiter des "Centre for Refugee Studies" an der York University in Toronto weist in diesem Zusammenhang darauf hin, "...that inflow into Canada - setting aside any distortions caused by Canadian policy - may be a reflection of the economic wealth of the country producing the refugees, the number being produced, the distance of the countries from Canada, the established traffic patterns to Canada from those countries , and the critical mass of ethnic cohorts already in Canada."[34] Die hohe Zahl von Flüchtlingen aus Sri Lanka und der ehemaligen Sowjetunion (z.B. Ukraine) verweisen auf das Verhältnis zwischen bereist im Lande etablierten ethnischen Gruppen und den Flüchtlingen. Die vorläufig letzte Änderung des Einwanderungsgesetztes wurde 1992 vorgenommen. In der Öffentlichkeit ist sie unter dem Titel "Bill C-86" [Seite der Druckausg.: 75] bekannt geworden. Anlaß für diese Gesetzesänderung war das Gefühl oder die Erkenntnis, - ähnlich wie in den frühen 1960er Jahren - die Kontrolle über das Volumen und die Zusammensetzung der Einwanderung verloren zu haben. Man konstatierte wieder eine wachsende Zahl von (Familien)einwanderlnnen mit geringerer schulischer Bildung und beruflicher Qualifikation und man beklagte, daß 1991 nur 11 % über das Punkteauswahlsystem eingewandert waren. Mit "Bill C-86" wollte man die Kontrolle über das Einwanderungsprogramm wiedererlangen und den Aufnahmeprozeß zügiger gestalten.[35] Dieses Ziel schien in der Öffentlichkeit auf Verständnis zu stoßen. Ein Umfrageexperte faßt die öffentliche Meinung zusammen: "They (the government) hit a resonant chord by saying they would keep the traditions of compassion and tolerance, but pay more attention to the notion that there is a lack of control."[36] In Antizipation der kommenden Wahlen gab die konservative Regierung Anfang August 1993 noch einmal weitreichende Veränderungen, diesmal in der Organisation des Einwanderungsministeriums, bekannt. Die Aufgaben des bisherigen "Ministry of Employment and Immigration" wurden aufgeteilt. Das "Ministry of Human Resources" ist nun zuständig für die Einwanderungspolitik, d.h. für die Festlegung der jährlichen Einwanderungszahlen bzw. der Auswahlkriterien. Ihm steht ein Budget von $ 270 Mio. für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung. Das "Ministry of Public Security" ist dann für alles weitere zuständig, d.h. für die Implementierung der Einwanderungspolitik und die alltägliche Verwaltung. Es verwundert kaum, daß diese Entscheidung auf Kritik stößt, werden doch nun die Einwanderinnen von der gleichen Behörde verwaltet, die auch die Polizei, den Geheimdienst und weite Teile des Strafvollzuges unter sich hat. "But to lump genuine refugees in with criminals and spies, as if they automatically present a threat to Canadian security, is false and mis- [Seite der Druckausg.: 76] leading. It encourages Stereotyping and may contribute to racist behavior."[37] Eine Kriminalisierung des Einwanderungs"problems" scheint durch diese Regelung kaum zu vermeiden. Es ist kaum möglich, die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik abschließend zu bewerten oder auch nur darzustellen, da sich die internationalen Bedingungen in den vergangenen drei Jahren permanent und rapide veränderten und noch verändern werden. Die kanadische Regierung hat demzufolge auch für 1993 weitere Änderungen des gegenwärtigen Einwanderungsgesetzes angekündigt, die sich mit dem Anspruch auf Flüchtlingsstatus beschäftigen. Die Einspruchsmöglichkeiten sollen reduziert werden und die Einwanderungsbeamten haben weitreichende Befugnisse bei der Ablehnung erhalten. Auch wurden die Arbeitsmöglichkeiten für die sich im Verfahren befindlichen Asylbewerber einge-schränkt.[38] In einem Arbeitspapier vom Januar 1993 werden Gesetzesergänzungen aufgezeigt, die sich auf den Mißbrauch des Asylverfahrens beziehen.[39] Eine genauere Analyse der Änderungen muß jedoch späteren Arbeiten vorbehalten bleiben. So viel ist jedoch deutlich zu erkennen: Auch Kanada reagiert auf die gegenwärtige Flüchtlingskrise eher mit Abschottung. Nur liegt hier ein anderer Ausgangspunkt vor. Zum einen gibt es ein etabliertes Einwanderungssystem, das - bei allen Einschränkungen - auch funktioniert. Zweitens haben gesellschaftliche, humanitäre Gruppen die Möglichkeit, im Rahmen des "Privat Sponsorship"-Programms an der Regierung vorbeizuarbeiten. Drittens gibt es einen gesellschaftlichen Konsens über die humanitäre Verantwortung des Landes. Wie weit dieser Konsens wirklich in der Bevölkerung verankert ist, ist eine andere Frage. Der letzte Punkt ist in seinen beiden Aspekten durchaus mit der deutschen Situation vergleichbar. Ein Unterschied ergibt sich jedoch aus der Tat- [Seite der Druckausg.: 77] sache, und das ist der vierte Punkt, das dieser Konsens auch anti-rassistisch ist und anti-diskriminierend sein möchte. Meiner Meinung nach ist die bundesrepublikanische Gesellschaft noch weit davon entfernt, über ihren alltäglichen Rassismus öffentlich nachzudenken. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Einwanderungspolitik und das Einwanderungsrecht für Kanada immer auch gesellschaftliches Gestaltungsinstrument war und heute noch ist. Dabei gilt das Primat der Innenpolitik; wirtschaftliche und damit verbundene demographische Interessen stehen im Vordergrund, politische Überlegungen spielen nur in zweiter Linie eine Rolle, nehmen jedoch im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdiskussion an Bedeutung zu. Neben der über mehr als ein Jahrhundert konstant gebliebenen wirtschaftlichen und demographischen Zielsetzung, gewann in den 1950er und 1960er Jahren das Konzept der Familienzusammenführung an Bedeutung, während die Angst vor dem "public Charge" nicht so sehr zurück gegangen ist, sondern mit dem Punktesystem und dem Primat des beruflichen Bedarfs kanalisiert worden ist. An einem entscheidenden Punkt aber hat die Einwanderungspolitik eine neue Richtung eingeschlagen. Den "nationale Charakter", den es im Gesetz von 1952 noch zu erhalten galt, und der durch die Einwanderung unberührt bleiben sollte, hat man heute zur Disposition gestellt. Die Einwanderung wird als kulturelle Bereicherung empfunden und man beobachtet mehr oder weniger gespannt zurückhaltend, welche kanadische Identität sich letztendlich herauskristallisieren wird. Mit dem Konzept der multikulturellen Gesellschaft wurde ein Angebot gemacht, das die meisten Kanadier wohl akzeptieren, es aber noch nicht so recht mit Inhalt füllen können. Erstaunlich ist jedoch, - und das sei als abschließende Bemerkung und Kritik gedacht -, die in der Vergangenheit völlig und in der Gegenwart weitgehend fehlende internationale Einbindung der Einwanderungspolitik. Zwar mußte man sich immer schon mit dem mächtigen südlichen Nachbarn auseinandersetzen und gegenüber dem British Empire bzw. dem Commonwealth hatte und hat man auch Verpflichtungen, denen man wenn nötig auch nachkommt; auch werden immer wieder die hu- [Seite der Druckausg.: 78] manitären Verpflichtungen betont und empfindet man gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention eine gewisse Verantwortung, doch tauchen diese internationalen Zusammenhänge bei der Diskussion um die Einwanderungspolitik konzeptionell nicht auf. Das so ausschließlich wirkende Primat der innenpolitischen Interessen läßt den Gedanken an "die eine Welt" nicht aufkommen und es werden die sozioökonomischen Bedürfnisse nicht in den Kontext globaler Entwicklungen gestellt. Das gilt sowohl für die Politik, - der wäre jedoch noch zu verzeihen, daß sie ausschließlich den Blick auf kanadische Interessen richtet -, das gilt aber auch für den wissenschaftlichen Diskurs und hier ist die Engstirnigkeit zu kritisieren. [Seite der Druckausg.: 79]
Übersicht über die Einwanderungsgesetzgebung
[Seite der Druckausg.: 80]
[Seite der Druckausg.: 81]
[Seite der Druckausg.: 82]
[Hinweis: Die Fußnoten stehen in der Druck-Ausg.
Fn.1: Ich danke Dirk Hoerder für die zur Verfügungstellung von aktuellem Material zur Einwanderungspolitik. Fn.2: Ronald D'Costa, "Canadian Immigration Policy: A Chronological Review with Particular Reference to Discrimination", in: 0. P. Dwivedi et al., Hg., Canada 2000: Race Relations and Public Policy (Guelph, 1989), S. 44-52, hier 45. Fn.3: Zur Analyse dieser Ereignisse vgl. G.J. Parr, "The Welcome and the Wake: Attitudes in Canada West Toward the Irish Famine Migration", Ontario History 66 (1974), S. 101-113. Fn.4: Donald Avery, "Dangerous Foreigners': European Immigrant Workers and Labour Radicalism in Canada, 1896-1932 (Toronto: McClelland and Stewart, 1974), Chapt. 1, "Immigrant Workers and the Canadian Economy", S. 16-34. Fn.5: Clifford Sifton war von 1896 bis 1905 Innenminister und zuständig für die Landwirtschafts- und Einwanderungspolitik. Fn.6:Mable Timlin, "Canada's Immigration Policy, 1896-1910", Canadian Journal of Economics and Political Science XXVI(1960), S. 517-532. Fn.7:Vgl. Freda Hawkins, Canada and Immigration. Public Policy and Public Concern, 2nd. edition (Kingston, Montreal: McGill-Queen's University Press, 1988 (1972)), S. 92-93. Fn.8: Hawkins, a.a.O., S. 118. Fn.9:Hawkins, a.a.O., S. 125. Fn.10: Vgl. Harold Troper, "Canada's Immigration policy since 1945", International Journal xlviii (1993), S. 255-281, hier S. 266. Fn.11: Hawkins, a.a.O., S. 158; Tropcr, a.a.O., S. 267. Fn.12:Larry Gold, "Immigration Law and Policy", in: Steven Globerman, Hg., The Immigration Dilemma (Vancouver: The Fraser Institute, 1992), S. 78-98, hier S. 81. Fn.13: Diese gesponserten Personen können wiederum ihre eigenen Familienangehörigen in die Bewerbung einbringen. Fn.14: "The entrepreneur is an individual who has owned, operated or controlled a successful business enterprise and who desires to immigrate to Canada to establish a new business or purchase or make a substantial Investment in an existing Canadian business". Gold, a.a.O., S. 92. Fn.15: Die Höhe der Investitionssumme hängt von der Provinz ab. Fn.16: Mir sind keine Statistiken bekannt, die über die Anzahl dieser Ausschlußfälle informiert. Fn.17: Vgl. Herbert G. Grubel, "The Economic and Social Effects of Immigration" und Julian L. Simon, "The Economic Effects of Immigration: Theory and Evidence", beide Aufsätze in: Globerman, a.a.O., S. 99-146. Fn.18: Es ist davon auszugehen, daß die Nettozuwanderung etwas über 50 Prozent der Gesamtzuwanderung beträgt. Vgl. William L. Marr, "Post-War Canadian Immigration Patterns", in Globerman, a.a.O., S. 17-42. Fn.19: Vgl. Grubel, a.a.O., S. 118. Fn.20: Es mußte auch in Kanada erst zu gewalttätigen Ausschreitungen (in Toronto, 1992) kommen, um die Diskriminierung von farbigen Jugendlichen bei der Stellensuche zu thematisieren. Fn.21: Multiculturalism: What is it really about? Department of Multiculturalism and Citizenship, 1991, S. 33. Fn.22: Die folgenden Ausführungen beziehen sich weitgehend auf James C. Hathaway, "Selective Concern: An Overview of Refugee Law in Canada", McGill Law Journal 33.4 (Sept. 1988), S. 677-715, hier S. 681. Es wird auf das "Sponsored I,abor Movement" und das "Close Relative Scheme" verwiesen. Fn.23: Das betraf 37.000 Ungarn, 11.000 Tschechoslowaken und 7000 ugandische Asiaten. Hier spielten politische (Kalter Krieg) und internationale (Commonwealth) Gründe bei der Abwicklung des Verfahrens eine wichtige Rolle, a.a.O., S. 681. Fn.24: Diese sprachliche Formulierung wurde von Hathaway übernommen. Fn.25: "A Convention refugee seeking resettlement is defined as a Convention refugee who has not become permanently resettled and is unlikely to be voluntarily repatriated or locally resettled'". Hathaway, a.a.O., S. 684. Fn.26: Z.B. wurde lange Zeit über die Bevorzugung von Flüchtlingen aus Osteuropa gegenüber Flüchtlingen aus Lateinamerika gestritten. Fn.27: Von dieser Möglichkeit konnten vor allem Flüchtlinge aus Chile, El Salvador, Guatemala, Iran usw. Gebrauch machen. Hathaway, a.a.O., S. 700. Fn.28: "The combination of admission on the basis of other than immigration-derived criteria, and the absence of limits on the number of Claims that can be recognized has led to significant bureaucratic concern to restrain the potential of the Inland determination System", a.a.O., S. 704 Fn.29: Vgl. Immigration and Refugee Board, Annual Report, for the year ending Dezember 31,1992, S. 23f. Fn.30: Es ist zur Zeit noch unklar, wo diese Behörde nach der im August 1993 beschlossenen Umstrukturierung der Ministerien (s.u.) angesiedelt wird. Fn.31: Immigration and Refugee Board, Annual Report, a.a.O., S. 18ff. Fn.32: Vgl. Howard Adelman, "Canadian Refugee Policy in the Postwar Period: An Analysis", in: ders. Hg., Refugee Policy, Canada and the United States, Toronto: York Lanes Press, 1991, S. 172-223, hier S. 204. Fn.33: 1991 betrug sie 64 Prozent; 1990 70 Prozent. Vgl. Immigration and Refugee Board, Annual Report, S. 20. Fn.34: Adelman, a.a.O., S. 186. Fn.35: Immigration Canada, Immigration Consultations 1993 - the Management of Immigration, Strategie Planing and Research, Immigration Policy Group, January 1993. Fn.36: Frank Graves, Präsident der EKOS Research Association im Toronto Star, 6. August 1993. Fn.37: Erzbischof Michael Peers in Toronto Star, a.a.O. Fn.38: Vgl. Gold, a.a.O., S. 78. Fn.39: Strategie Planning and Legislation Division, "The Immigration Act as Modified by Bill C-86", Working Copy, January 1993, S. 7. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2003 |