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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 101]



Irina Bohn/Franz Hamburger/Kerstin Rock
Die Berichterstattung über Roma und Sinti in der Lokalpresse.
Ein Beispiel für den neo-rassistischen Diskurs

[Die Autoren, die leider an der Konferenz nicht teilnehmen konnten, haben uns dankenswerterweise diesen Beitrag zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.]

1. Problemzusammenhang

Roma und Sinti werden seit Jahrhunderten ausgegrenzt, verfolgt, diskriminiert oder bestenfalls romantisiert. Erst nach einer Phase der von den Selbstorganisationen initiierten Bürgerrechtsbewegung eröffneten sich in den 80er Jahren Möglichkeiten zu einer verstärkten politischen und sozialen Partizipation. Neuerdings ist im Rahmen der Asylrechtsdiskussion ein Rückschritt in eine gesellschaftliche Haltung der haßerfüllten und kategorischen Ablehnung zu verzeichnen. Seit Mitte des Jahres 1990 wird in Tageszeitungen und Nachrichten-Magazinen von zu erwartenden "Zigeunertrecks" aus Osteuropa und der massiven und z.T. organisierten Ablehnung der deutschen Bevölkerung gegen Roma berichtet. [Vgl. o.V.: Einwanderungsland Deutschland, Stern, Nr. 38, 13.9.1990, S. 38-48; o.V.: Die Zigeuner-Hysterie von Lebach und der Exodus der Roma, Frankfurter Rundschau, Nr. 179,4.8.1990.] Spätestens ab September 1990 wird das Thema Asylrecht und der Ruf nach einer Verschärfung zielgerichtet im Hinblick auf die Roma in den Medien behandelt. [Vgl. o.V.: Asyl in Deutschland? Die Zigeuner, Der SPIEGEL, Nr. 36, 3.9.1990, S. 34-57.]

Die bundesdeutsche Presse spielt über die Selektion der artikulierten Meinungen und die mediale Aufbereitung der Informationen eine zentrale Rolle bei der Definition des 'sozialen Problems Roma' und der Legitimierung einer repressiven Flüchtlingspolitik. Die von der Presse aufgegriffenen Argumente der gegen den Aufenthalt von Roma protestierenden Menschen stellen jedoch nichts anderes als die Operationalisierung und Konkretisierung alter stereotyper Vorstellungen dar. Die

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Stigmen, mit denen Roma und Sinti in der deutschen Gesellschaft belegt sind, erweisen sich als extrem konsonant, dauerhaft und mobilisierbar. An deren Aufrechterhaltung in der öffentlichen Meinung sind die Printmedien in beträchtlichem Maße beteiligt.

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2. Ergebnisse einer Presseanalyse

Im folgenden werden die Themen und Inhalte der alltäglichen Lokalpresseberichterstattung über Roma und Sinti dargelegt. Die Ergebnisse stammen aus einer Untersuchung über das Bild von Roma und Sinti in der Lokalpresse, die mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt wurde. Es wurden insgesamt 12 Tageszeitungen mit einem Gesamtumfang von 34 Jahrgängen analysiert. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von 1979 bis 1991 und umfaßt die Berichterstattung der Lokalzeitungen aus Dortmund, Köln, Darmstadt und Mainz/Wiesbaden. Die Grundgesamtheit der untersuchten Meldungen über Roma und Sinti beträgt 944 Artikel.

Roma und Sinti werden in der Lokalpresse fast ausschließlich im Zusammenhang mit Kriminalität (60%) und Konflikten (37%) thematisiert. Die Presseberichterstattung ist vor allem in lokalen Kommunikationsräumen ohne spezifische soziale oder politische Auseinandersetzungen eine reine Kriminalitätsberichterstattung. Vor dem Hintergrund kommunaler Konflikte erweitert sich die thematische Struktur der Berichterstattung um zwei Themenkomplexe: Konflikte zwischen Roma/Sinti und der übrigen Bevölkerung sowie deren Wohnsituation und aufenthaltsrechtliche Probleme. Der Kriminalitätsdarstellung kommt gerade in diesem Kontext eine strategische Funktion zu. Mit dem Aufkommen von öffentlichen Diskussionen, z.B. über eine Ansiedlung von Roma, ist häufig auch ein Ansteigen der Kriminalitätsberichterstattung zu verzeichnen.

Die thematische Schwerpunktsetzung spiegelt sich in der Akteursstruktur wider. Roma und Sinti werden hauptsächlich in Verbindung mit Akteuren der sozialen Kontrolle (Polizei 51%, Justiz 23%) genannt. Wie vollständig die Instanzen der sozialen Kontrolle die Berichterstattung über Roma und Sinti dominieren, zeigt sich auch daran, daß polizeiliche

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Angaben noch vor der eigenen Recherche als häufigste Informationsquelle angegeben sind. Die spezifische Akteurs- und Themenstruktur läßt einen wesentlichen Mechanismus der Ausgrenzung erkennen. Roma und Sinti erscheinen in erster Linie als Problem der öffentlichen Ordnung; Aspekte des sozialen und alltäglichen Lebens, vor allem solche, die Partizipation signalisieren, werden ausgeklammert.

Roma und Sinti werden in den Pressemeldungen primär als Straftäter dargestellt. Nur in 18% aller Zeitungsberichte wird kein Bezug zu 'kriminellem Verhalten' hergestellt. Weiterhin treten Roma und Sinti ausschließlich als Kollektiv (97%) auf. Die jeweiligen kollektiven Akteure werden in 77% der Meldungen durch ethnische und in 44% durch familiäre Beziehungen charakterisiert. Roma und Sinti werden demnach als ein kriminelles Kollektiv auf der Grundlage kulturell und biologisch fundierter Zusammengehörigkeit dargestellt.

Bereits diese Charakteristika zeichnen den Alltagsjournalismus über Roma und Sinti als Negativberichterstattung aus. Verstärkt wird die Tendenz durch die Bewertungen, die in den Meldungen enthalten sind. In jedem zweiten Zeitungsartikel wird der Kontakt zwischen Roma/Sinti und der übrigen Bevölkerung negativ beurteilt. Dagegen lassen nur 10% der Meldungen eine positive Einschätzung der Interaktionen zu. Die Zuschreibung spezifischer abwertender Eigenschaften unterstützt die negative Bewertung.

Neben dem Befund der Kriminalisierung von Roma und Sinti ist ein weiteres zentrales Ergebnis der Untersuchung, daß der mediale Diskurs neo-rassistische Strukturen aufweist. Bereits die Tatsache, daß die Einheit von Roma und Sinti primär über familiäre und verwandtschaftliche Strukturen definiert wird, verweist auf die grundlegende Bedeutung der familialen Kategorie. Welcher zentrale Stellenwert der familialen und kulturellen Prägung aber zugemessen wird, zeigt sich daran, daß Verhaltensweisen und soziale Merkmale von Roma und Sinti primär als Bestandteile ihrer Kultur und ihres familialen Kontextes dargestellt werden. Dies läßt sich exemplarisch an der Thematisierung ihrer sozialen Ausgrenzung nachvollziehen. Obwohl die Diskurse der Presse soziale Benachteilungen behandeln, werden diese weniger als Ergebnis wechselseitiger Prozesse mit der Bevölkerung beschrieben, als vielmehr ihrem "Wesen", ihrer "Tradition" entspringend dargestellt.

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Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn behauptet wird, eine Eingliederung von Sinti in die Arbeitswelt sei "schwierig", weil sie doch von Generation zu Generation dem "Traum vom Umherziehen und Handeln" weitergäben, oder wenn angenommen wird, daß sowohl Sprachschwierigkeiten als auch die "Mentalität" von Roma-Kindern den Schulbesuch erschwerten. ["Viele von ihnen leben von der Sozialhilfe, längst hat sich der Handel bei den meisten auf ein Minimum reduziert, wird nur bei Gelegenheit aufgenommen. (...) Eigentlich sind die Mainzer Sinti seßhaft. Aber ihr Traum vom selbständigen Umherziehen und Handel treiben, so wie früher, der ist noch da, wird weitergegeben an jüngere Generationen. Kein Wunder, daß viele einem abhängigen Lohnverhältnis kritisch gegenüberstehen, Schwierigkeiten mit geregelten Arbeitszeiten haben." (Rhein-Zeitung/Mainz vom 21.3.1991). "Kopfzerbrechen bereitet dem Arbeitskreis zur Zeit die Frage, wie die sieben schulpflichtigen Kinder der Sippe unterrichtet werden könnten. Abgesehen von den Sprachschwierigkeiten wären sie von Mentalität und Temperament her kaum in der Lage, sich längere Zeit in einer normalen Grundschule auf den Unterrichtsstoff zu konzentrieren". (Darmstädter Tagblatt vom 26.9.1991).] Auch Kriminalität wird sowohl als Bestandteil der Kultur von Roma und Sinti als auch als Merkmal ihres familialen Zusammenhangs dargestellt. ["Es sei offensichtlich Roma-Sitte, Kinder zu Diebestouren abzurichten und sie zur Ausführung der Straftaten nach auswärts zu bringen". (Darmstädter Tagblatt vom 19.4.1984).] Die Pressediskurse weisen demnach – unabhängig von den thematisierten Inhalten – eine einheitliche Struktur auf und sind so beliebig einsetzbar. Da die als "Wesensmerkmale" Roma und Sinti zugeschriebenen Verhaltensweisen und Eigenschaften entweder von vorneherein negative Implikationen enthalten oder in den Pressemeldungen eine negative Bewertung erfahren und Ab- bzw. Ausgrenzungsprozesse legitimieren, haben die Diskurse der Lokalpresse neorassistischen Charakter.

Zwar finden sich in den Zeitungsartikeln auch eindeutig rassistische Argumentationsmuster, doch erscheint es hier zutreffender, von 'Neo-Rassismus' zu sprechen, denn die Kategorie der 'Kultur' funktioniert in den Pressediskursen überwiegend als Ersatz für den Begriff der Rasse. Das negativ bewertete Verhalten von Roma und Sinti wird vorrangig nicht 'aus dem Blut', sondern aus ihrer Zugehörigkeit zu einer Kultur erklärt. Ebenso wie mit der Verankerung von Merkmalen in der biologischen oder genetischen Natur des Menschen ist damit aber die Vor-

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Stellung von unbedingten, 'höheren' Verhaltenszwängen bzw. von dem unveränderlichen und unverrückbaren Bestimmt-Sein durch 'den Ursprung' verbunden. Die antiziganistischen Diskurse der Lokalpresse stehen demnach in der Tradition des Antisemitismus, für den der pseudobiologische Rassebegriff ohnehin kein wesentliches Argument war und der ein 'kulturalistischer Rassismus' par excellence ist. [Vgl. Balibar, E.: Gibt es einen "neuen Rassismus"?, Das Argument 175(1989), S. 375ff.] Daß dem Antiziganismus derselbe Mechanismus wie dem Antisemitismus zugrundeliegt und er insbesondere gegenwärtig dessen gesellschaftliche und individualpsychologische Funktion übernimmt, zeigt die aktuelle öffentliche Diskussion über 'Zigeuner', vor allem aber die pogromartigen Übergriffe auf asylsuchende Roma in Deutschland.

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3. Interpretation

Ein wesentliches Element für das Zustandekommen des in der Lokalpresse erzeugten öffentlichen Bildes von Roma und Sinti liegt in den Produktionsbedingungen der Zeitungsmeldungen bzw. in deren informativem Input. Die lokale Berichterstattung über Roma und Sinti beruht zu einem erheblichen Teil auf Presseerklärungen der Polizei. Von den 462 Presseberichten, die Polizeimitteilungen gegenübergestellt wurden, können 155 auf schriftliche Informationen der Strafverfolgungsbehörde zurückgeführt werden. Gegenüber diesen Polizeimitteilungen, die Roma und Sinti zu 'professionellen Kriminellen' stigmatisieren und als potentielle 'Tätergruppen' kennzeichnen, verhalten sich alle untersuchten Zeitungen nicht nur passiv vermittelnd. Die Intentionen der Strafverfolgungsbehörde hinsichtlich der Identifizierung von Roma und Sinti als Tätergruppen werden darüber hinaus zielgerichtet weiterverfolgt. Dies zeigt sich vor allem daran, daß eine ethnische Reidentifizierung tatverdächtigter Personen in Zeitungsberichten vorgenommen wird.

Die Polizeimitteilungen, die entsprechend dem Fahndungsbedarf der Strafverfolgungsbehörde und deren Erfordernissen nach positiver Selbstdarstellung verfaßt wurden, stellen nicht nur einen wesentlichen Input, sondern auch einen zentralen Stimulus für die Berichterstattung

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über Roma und Sinti dar. Die Informationstätigkeit der Polizei konnte häufig als Impuls für eine Thematisierung von Roma und Sinti identifiziert werden. Als informationsproduzierende Akteure sind demnach faktisch nur die Polizei und die Presse von Bedeutung. Insbesondere in lokalen Kommunikationsräumen, in denen auf Roma und Sinti bezogene Inhalte nicht Thema öffentlicher Diskussion sind, kann die Polizei die Berichterstattung ganz nach ihren Fahndungsinteressen 'steuern' und inhaltlich festlegen. Die Presse hat zunächst nur die Möglichkeit, zwischen Berichterstattung und Nicht-Berichterstattung zu wählen. Dabei verhindert das durch mechanistische, strukturelle und finanzielle Zwänge bedingte passive Kommunikationsverhalten der in den Medien handelnden Personen eine kritische Aufbereitung des polizeilichen Inputs.

Entgegengesetzte Informationen können nur dann in die öffentliche Thematisierung von Roma und Sinti einfließen, wenn die Presse sich als gesellschaftspolitischer Akteur versteht und in die Gestaltung der öffentlichen Meinung aktiv verändernd eingreift. Darüber hinaus ist von der Presse generell zu erwarten, daß sie sich an die selbstgewählten Maßstäbe hält und auf eine ethnische Identifizierung von Tatverdächtigen, in direkter oder verschlüsselter Form, gänzlich verzichtet. Schließlich muß sich die Presse fragen lassen, ob sie durch die spezifische Art ihrer Berichterstattung nicht den Haß der Bevölkerung auf Minderheiten aufstachelt bzw. fundiert und inwieweit dies mit einem demokratischen Selbstverständnis der Presse vereinbar ist. In dieser Hinsicht steht eine kritische Auseinandersetzung mit den Medien an, die sich allerdings nicht an vordergründigen politischen Kalkülen als vielmehr an den Vorgaben der Menschenrechte zu orientieren hätte.

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Literatur

Balibar, E.: Gibt es einen "neuen Rassismus?", in: Das Argument, 175(1989), S. 371ff.


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