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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 27]
Ich will mein Referat in drei Teile gliedern. Im ersten Teil werde ich die Ergebnisse der demoskopischen Untersuchungen, die unter der polnischen Bevölkerung zu den Themen "Wiedervereinigung Deutschlands", "Bundesrepublik Deutschland", "Die Deutschen" usw. durchgeführt wurden, wiedergeben. Im zweiten Teil werde ich Ihnen meine Überlegungen zu neueren Untersuchungen darlegen, welche die Klischees über die Deutschen thematisieren. Im dritten Teil will ich dann die Ergebnisse meiner eigenen Untersuchungen erläutern, die sich auf die Situation in grenznahen Regionen beziehen.
1. Ergebnisse demoskopischer Untersuchungen
Die Beziehungen der Polen zur BRD, früher auch zur DDR, die verschiedenen Aspekte der polnisch-deutschen Beziehungen und die Einstellungen gegenüber den Deutschen als Nation waren in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand von Umfragen des Zentrums zur Untersuchung der öffentlichen Meinung (CBOS) und des Zentrums für die Untersuchung der öffentlichen Meinung des polnischen Rundfunks und des polnischen Fernsehens (OBOP). Ich werde hier nicht darauf eingehen, wie die Ergebnisse in bezug auf die BRD und die DDR vor der Wiedervereinigung aussahen. Ich werde aber an Untersuchungen erinnern, die Meinungen und Einstellungen gegenüber der Wiedervereinigung und gegenüber dem deutschen Volk betreffen. Die Ergebnisse der Umfragen von CBOS, die das Ereignis der Wiedervereinigung betrafen, zeigen, daß im Jahre 1989 eine starke Pola- [Seite der Druckausg.: 28] risierung in der polnischen Öffentlichkeit stattgefunden hat. Gleich groß waren die Gruppen, die das Recht der Deutschen auf Vereinigung anerkannten (41%) und die dieses Recht infrage stellten (41%). In der Gruppe derjenigen, die die Vereinigung Deutschlands akzeptierten, gab es zwei Optionen: eine mehrheitliche, die sich dafür aussprach, die Wiedervereinigung in zeitlicher Ferne durchzuführen (84%) und eine Minderheit, die eine sofortige Vereinigung bejahte (16%). Vergleichen wir die Ergebnisse der Untersuchungen vom Februar 1990 mit denen vom Oktober 1988, stellt man fest, daß die Zahl derjenigen, die das Recht auf Vereinigung infrage stellten, stabil blieb. Bedeutende Veränderungen gab es in den übrigen Gruppen. Um 10% stieg die Zahl derjenigen, die das Recht der Deutschen auf Vereinigung bejahten, zugleich fiel der Anteil derjenigen, die einer sofortigen Fusion zustimmten um die Hälfte (von 13 auf 7%). Um fast das Zweifache gestiegen (von 18 auf 32%) ist hingegen die Gruppe derjenigen, die sich für eine Vereinigungen in ferner Zukunft aussprachen. In der Umfrage vom Februar 1990 äußerte die Mehrzahl der Polen Befürchtungen in bezug auf die Entwicklung nach der Vereinigung der deutschen Staaten. Vielleicht ist dies deshalb so kommentierte man in einem Bericht über diese Untersuchungen weil wir mehr Angst vor den Deutschen haben (70%) als vor den Russen (10%). Die Aufregung über die Vereinigung der deutschen Staaten führte dazu, daß die Sympathien der Polen für die Deutschen deutlich abgekühlt sind. Die "mittlere Temperatur der Gefühle" gegenüber der BRD, von den Befragten auf einer Skala von minus 50 bis plus 50 Grad angegeben, fiel von plus 6 (im Oktober 1988) auf minus 3 (im Februar 1990). Im Juli 1989 sagten 49,9% der Befragten direkt, sie mögen die Deutschen nicht. Im Februar 1990 war diese Zahl auf 56,4% gestiegen. Es gab also eine Verzögerung im Prozeß des Abbaus der vorgegebenen Muster über die Deutschen. Ein Beweis dafür ist auch, daß 70% die Redewendung "So lange die Welt besteht, wird der Deutsche niemals Bruder des Polen sein" akzeptierten. Untersuchungen aus dem Jahr 1988 betreffen generelle Meinungen und Einstellungen zum deutschen Volk. In einer wurde z.B. die Frage gestellt, was an den Deutschen gefällt und was nicht. Folgende positive Charakterzüge wurden genannt: [Seite der Druckausg.: 29]
Der Katalog der negativen Charakterzüge ist ebenso umfangreich, doch waren die Prozentwerte um die Hälfte niedriger. Am häufigsten erwähnte man:
Keine einheitliche Meinung gab es hinsichtlich der Unterschiede zwischen den Bewohnern der BRD und der DDR. Zwar bejahte eine Mehrheit von 64,1% die Frage, ob es solche Unterschiede gäbe, aber auf die folgende Frage, ob sie groß seien, antworteten nur 14,3% bejahend, 21,6% meinten, sie wären bedeutend, als gering wurden sie von 16,2% eingeschätzt, und 20,5% hatten keine Meinung. Nach der Vereinigung (im Februar 1991) ergaben die Untersuchungen von CBOS, daß die Befürchtungen hinsichtlich der Wiedervereinigung abnahmen, als klar wurde, nach welchen Regeln diese stattfand und als man offiziell die Unantastbarkeit der Westgrenze Polens bestätigte. Man muß aber auch beachten, daß 40% der Befragten der Meinung waren, [Seite der Druckausg.: 30] daß im Augenblick der Vereinigung der deutschen Staaten die Bedrohung Polens gewachsen sei und nur 8% glaubten, sie sei geringer geworden. Aber auch hier hat man bedeutende Veränderungen der Einstellungen zu verzeichnen. Ein Jahr vorher sprachen zweimal so viele der Befragten davon, daß die Bedrohung gewachsen sei (85%). Im Oktober 1990, gleich nach der Vereinigung, waren es 55% der Befragten, also 15% mehr als zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Die Untersuchungen aus dem Jahre 1991 haben jedoch ergeben, daß Deutschland zu der Gruppe der Staaten gehört, denen gegenüber die öffentliche Meinung in Polen anscheinend immer freundlicher wird. Dies zeigt z.B. der "Gefühlswert", der wiederum von den Befragten auf einer Skala zwischen plus 50 und minus 50 festgelegt wird. Zur Zeit beträgt er plus 9,5, während er ein Jahr früher im Minusbereich lag (für die BRD minus 6, für die DDR minus 11). Freundliche Gefühle gegenüber den Deutschen geben 62% an, gleichgültig sind 18%, und kühle Beziehungen zu Deutschland hegen 19% der Befragten. Fast die Hälfte (49%) antwortet zugleich, daß sie ein positives Verhältnis zur gegenwärtigen deutschen Politik hat. Vor einem Jahr waren es nur 24%. Bei diesen Ergebnissen handelt sich um eine repräsentative Befragung der erwachsenen Bevölkerung des Landes. 76% der Befragten spricht sich zugleich dafür aus, unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland enger zu gestalten. Für eine Einschränkung dieser Beziehung plädieren 10%, und fast 7% sind bereit, dem westlichen Nachbarn das Prädikat eines wahren Verbündeten Polens zu verleihen. Trotz der positiven Einstellung gegenüber dem deutschen Staat sind es nur wenige Polen (12%), die die Deutschen mögen. Es überwiegt das Gefühl der Gleichgültigkeit (50%) und ein Drittel (37%) gibt zu, daß es die Deutschen nicht mag. Die Voreingenommenheiten gegenüber den Deutschen werden jedoch immer schwächer, denn noch ein Jahr früher gaben 56% der Befragten an, die Deutschen nicht zu mögen. Der Unwille gegenüber den Deutschen hat sicherlich auch mit der Überzeugung zu tun, daß die Deutschen uns ebenso nicht so recht mögen. Man ist häufiger der Meinung, daß sie den Polen gegenüber Abneigung (27%) oder gar Feindschaft (11%) empfinden als Freundschaft (3%) und Wohlwollen (16%). Das wesentlichste Element, das die Ansichten zu diesem Thema prägt, ist zweifellos [Seite der Druckausg.: 31] die Erinnerung an die Erfahrungen des Krieges. Die Hälfte der Befragten gab nämlich zu, daß ihr Urteil über die Deutschen und ihre Beziehungen zu den Deutschen weitgehend unter dem Eindruck des Überfalls vom September 1939 und der Zeit der Okkupation entstanden ist. Ein zweites, wesentliches Element ist die Tatsache, daß viele Jahre hindurch die Westgrenze Polens von der Bundesrepublik nicht anerkannt wurde (31%). In die Untersuchungen von CBOS von 1991 hat man eine Frage über die deutsche Minderheit in Polen und die Möglichkeit der Versöhnung eingebracht. Aus den Antworten wurde deutlich, daß die öffentliche Meinung in Polen sich nur schwer damit abfindet, daß es eine deutsche Minderheit gibt. Nur ungern ist man bereit, ihr die Möglichkeiten der Pflege deutscher Kultur einschließlich deutscher Schulen, deutscher Vereinigungen sowie Zeitschriften und Zeitungen in deutscher Sprache zuzugestehen. Es überwiegt die Meinung, daß man die Aktivitäten der Deutschen einschränken (17%) und die Deutschen ermuntern solle, sich in ihrem Lande anzusiedeln (29%). Trotz eines ziemlich starken Unwillens wächst aber die Toleranz. Vor einem Jahr sprachen sich 29% der Befragten dafür aus, für die Minderheit Bedingungen zu schaffen, die es ihr möglich macht, die deutsche Kultur zu pflegen, heute sind es 36%. Entschieden ist die Haltung gegenüber dem Anspruch, Gebiete, die vor 1939 zu Deutschland gehörten, zurückzugewinnen. 81% der Befragten stellen eindeutig fest, daß die Deutschen kein Recht haben, solche Forderungen zu stellen und daß, obwohl 46% der Polen zugleich für sich in Anspruch nehmen, die Rückgabe der östlichen Gebiete zu fordern, die vor 1939 zu Polen gehörten. Hinsichtlich der Chancen einer wahren Versöhnung mit den Deutschen wurden zwei Fragen gestellt, nämlich die Frage nach der Einstellung zu der Redewendung "So lange die Welt besteht, wird der Deutsche niemals Bruder der Polen sein", und eine direkte Meinungsfrage zur Aussöhnung von Polen und Deutschen. Die Ergebnisse brachten aber keine Klärung: Die Mehrheit der Befragten stimmt nämlich mit der Redewendung überein (59%), ist aber zugleich der Meinung, daß eine Versöhnung zwischen Polen und Deutschen durchaus möglich ist (63%). Jeder dritte Befragte teilt die Meinung der Redewendung nicht und hält eine Versöhnung für möglich. Am Rande will ich daran erinnern, daß [Seite der Druckausg.: 32] die Meinungen über die Möglichkeit einer Versöhnung großen Schwankungen unterworfen sind, je nach der Entwicklung der internationalen Lage und dem Stand der polnisch-deutschen Beziehungen. Im Februar 1990, als man noch nicht wußte, wie die weitere Entwicklung der ehemaligen DDR verlaufen wird, waren nur 47% der Befragten der Meinung, daß es die Möglichkeit einer Versöhnung zwischen den Polen und den Deutschen gäbe. Im Mai 1990, nach dem Besuch des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in Polen, stieg dieser Prozentsatz auf 59%, um sogleich nach der Vereinigung der deutschen Staaten wieder auf 45% zu sinken. Das gegenwärtige Ergebnis (63%) ist das bisher höchste. Es läßt hoffen, denn zugleich sinkt gleichmäßig die Zahl derjenigen, die überzeugt sind, daß "der Deutsche niemals Bruder des Polen sein wird". Die Zahl derjenigen, die mit dieser Redewendung nicht übereinstimmen, ist in den letzten Monaten um 12% auf 33% gestiegen. Die neuesten Untersuchungen von 1992 zeigen, daß im Vergleich zum Februar 1991 die Sympathien der Polen für die Mehrzahl der berücksichtigten Länder geringer geworden sind. Weiterhin beurteilen aber die Befragten die entwickelten Länder des Westens am positivsten. Eine Ausnahme bilden die Deutschen, für die die Befragten erheblich weniger Sympathien hegten. Deutschland hat 23 Prozentwerte an Sympathie weniger erhalten als Schweden und 34 weniger als Frankreich und die USA. Die "Durchschnittstemperatur der Gefühlskurve" gegenüber Deutschland beträgt null Grad, gegenüber Frankreich und Schweden plus 23 Grad bzw. plus 19 Grad. Stellen wir die Ergebnisse dieses Jahres denen des Vorjahres gegenüber, so bemerkt man eine deutliche Verringerung der Zahl jener Personen, die positive Gefühle gegenüber Deutschland hegen (es sind weniger als 17%). Und hier gibt es eine interessante Feststellung: Gestützt auf die mittleren Temperaturen der letzten fünf Jahre stellen wir fest, daß die diesjährigen Einschätzungen am ehesten denen von 1988 gleichen, also der Zeit vor dem "runden Tisch". Nach dem Niedergang des kommunistischen Systems in Polen gab es einen deutlichen Anstieg der Sympathie für die Mehrheit der demokratischen Länder der Welt. Gegenwärtig sind die Ergebnisse auf dem Stand der vorigen Periode. [Seite der Druckausg.: 33] Interessant sind auch die Vorstellungen der Polen, wie die Bewohner anderer Länder zu Polen eingestellt sind. Die Polen sind der Meinung, daß die wärmsten Gefühle unserem Land gegenüber Franzosen, Amerikaner, Italiener und Ungarn hegen. Zwischen 66 und 75% der Befragten meinen, daß die Bewohner dieser Länder Sympathien für Polen empfänden. Am wenigsten freundlich gegenüber unserem Lande sind nach Meinung der Befragten die Ukrainer, die Deutschen, die Litauer, die Russen und die Israelis eingestellt. Die "mittleren Temperaturen" sind hier im Minusbereich zu finden. Die Befragten haben also das Gefühl, daß uns gegenüber unsere nächsten Nachbarn am wenigsten positiv eingestellt sind. Eine Ausnahme bilden hier die Israelis, die zwar in einer großen Entfernung von Polen leben, aber ein großer Teil von ihnen aus unserem Lande stammt. Bereits ein oberflächlicher Vergleich der Sympathien für bestimmte Länder mit den Vorstellungen von den Einstellungen dieser Länder zu Polen läßt die Feststellung zu, daß die Ergebnisse parallel verlaufen. Mit anderen Worten: Wenn wir jemanden mögen, nehmen wir an, daß er uns ebenfalls Sympathien entgegenbringt.
2. Neuere Publikationen zum polnisch-deutschen Verhältnis
Zu den neuesten Publikationen zum Verhältnis von Polen und Deutschland zähle ich die Arbeiten von T. Szarota, W. Wrzesinski, A. Kojowski, H. Orlowski und N. Honsza. In den polnischen Untersuchungen über die Klischees zwischen Deutschen und Polen nach dem zweiten Weltkrieg gibt es eine erhebliche Lücke für die Jahre 1950 bis 1980. Wir sind heute nicht in der Lage zu erklären, wie es zum Entstehen aktueller Stereotype gekommen ist, die sich doch sehr von denen der ersten Nachkriegsjahre unterscheiden. Und was besonders interessant erscheint, ist, daß trotz der Versuche, Untersuchungen durchzuführen, in Wirklichkeit der Zustand unseres Wissens sehr viel geringer ist, als es die Vorstellungen der Bewohner der DDR und der BRD sind. Wichtige neue Erkenntnisse liefern Untersuchungen, die wir als "Pilotprojekte" bezeichnen müssen. Sie betreffen die zurückgewonnenen Gebiete (A.d.Ü.: gemeint sind die neuen Westgebiete Polens), insbe- [Seite der Druckausg.: 34] sondere jenes Terrain, das noch von Gruppen der einheimischen Bevölkerung bewohnt wird. Hier sollte man vor allem auf die Pilotstudien der Danziger Soziologen hinweisen, die während der sommerlichen Studentenlager in dem Gebiet der Kaschubei erfolgten sowie auf die Untersuchungen, die die Mitarbeiter des Schlesischen Instituts in Opole (Instytut Slaski), Franciszek Jonderko und Danuta Berlinska sowie Andrzej Sakson aus dem Westinstitut (Instytut Zachodny) in bezug auf Masuren durchgeführt haben oder schließlich auf die Arbeiten einer Gruppe von Ethnographen unter B. Linette. Diese beziehen sich auf den Raum von Großpolen (Wielkopolska). Untersuchungen, die dort durchgeführt wurden, wo es noch eine einheimische Bevölkerung gibt, bezogen Fragen nach der Haltung der jungen Generation gegenüber Deutschland und seinen Angelegenheiten mit ein. Diese Studien bestätigten eine Veränderung der ethnischen Klischees in Polen und der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit der Belebung der Beziehungen zwischen beiden Staaten, woraus sich größere Möglichkeiten ergaben, einander kennenzulernen und existierende Voreingenommenheiten zu beseitigen. Bilder und Stereotypen, wie sie im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden waren, wurden verstärkt durch die Ereignisse und die Folgen des Zweiten Weltkrieges. Es entstanden politische Bedingungen, die vor allem mit der Frage der Grenzen und der Westgebiete Polens in Verbindung standen. Zu den politischen Differenzen kamen ideologische hinzu, die mit der Zugehörigkeit zu zwei unterschiedlichen ideologisch-politischen Systemen verbunden waren. Wird das Auseinanderklaffen von Werten einer anderen Nation auf einem Gebiet erfahren, so führt dies dazu, dieses Auseinandergehen auch in anderen Bereichen zu bemerken, vor allem auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Dies wurde begünstigt durch einen Mangel an Wissen, durch das Verdunkeln von Informationen und durch die Propaganda. Das ungenügende Wissen über die BRD bewirkte das Entstehen von Voreingenommenheiten und Klischees. Dies geschah umso leichter, als es zwei deutsche Staaten gab und man von den besseren und den schlechteren Deutschen sprechen konnte; die besseren, das waren die [Seite der Druckausg.: 35] aus der DDR, die schlechteren die aus der BRD. Dieses Klischee überdauerte bis in die 80er Jahre hinein. Erst zu diesem Zeitpunkt machte sich im Bewußtsein der Polen die Ansicht breit, daß man die Deutschen nicht nach einer Grenzlinie teilen sollte und daß durchaus Deutsche aus der DDR weniger freundlich gegenüber Polen sein können. Die Haltung der Polen gegenüber den Deutschen und Deutschland hängt auch davon ab, wie das bekannte oder angenommene Verhältnis der Deutschen zu uns ist. In diesem Zusammenhang kann man erwähnen, daß Untersuchungen zur Haltung der Westdeutschen gegenüber fremden Staaten und Nationen zeigen, daß die Polen in der gesamten Nachkriegszeit negativ eingeschätzt wurden. Zu den negativen Eigenschaften, die man den Polen zuschrieb, gehörten "schmutzig" und "faul", und diese dominierten über positive Eigenschaften wie z.B. "freiheitsliebend". Man sollte noch ein wichtiges Element erwähnen, nämlich die Bedeutung von persönlichen Kontakten, denen die deutsche Seite großes Gewicht im Prozeß der Versöhnung mit Frankreich und Israel beigemessen hat. Wichtig ist auch eine Abhängigkeit der Haltung gegenüber den Deutschen und der BRD von der individuellen Einstellung zur Politik (prüfend, beobachtend, distanziert). Die Mehrzahl der Publikationen, die in letzter Zeit erschienen sind, beschäftigen sich wie bereits erwähnt mit historischen Entwicklungen. In den letzten anderthalb Jahrhunderten dominierten bei der Beurteilung der Deutschen die negativen Charaktereigenschaften über die positiven. W. Wrzesinski schrieb in seiner Untersuchung "Nachbar oder Feind?": "Fast anderthalb Jahrhunderte hindurch, und diese Zeitspanne war Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, fand man in den polnischen Vorstellungen über die Deutschen in den Bildern und Klischees stets die These von den Fehlern und Vorzügen dieser Nation, wobei die Fehler überwogen, verband man die Vorzüge immer mit den Vorstellungen von Zivilisation, Kultur, Organisation des täglichen Lebens, so waren die Negativeigenschaften stets auf die Politik bezogen. Diese Dichotomie, auch wenn sie unterschiedlich stark die beiden entgegengesetzten Pole jeweils einschätzte, fand ihren Ausdruck in verschiedenen Schlußfolgerungen und Theorien, die zwar die jeweils aktuellen politischen Einflüsse Deutschlands als feindlich einstufte, jedoch [Seite der Druckausg.: 36] stets der Erwartung Ausdruck verlieh, daß sich die Haltung der Deutschen ändern würde und die Charaktervorzüge über Fehler und Nachteile siegen und schließlich dominieren würden. Dieser Streit machte sich bemerkbar unter sehr verschiedenen Bedingungen und in sehr unterschiedlichen Zeitabschnitten; seine Vitalität aber kann man auch gegenwärtig noch beobachten." Bei der Durchsicht der Buch"produktion" der letzten Jahre fällt auf, daß Untersuchungen fehlen, die noch andere Bedingungen berücksichtigen würden, zum Beispiel die Rolle von persönlichen Kontakten. In diesem Zusammenhang will ich auf mein Buch über die psychosozialen Aspekte der Touristik aus der BRD nach Polen hinweisen. Ich habe darin viel Raum der Frage gewidmet, wie die persönlichen Kontakte die Einstellung der reisenden Personen beeinflussen und wie sie auf die Haltung der westdeutschen Bevölkerung insgesamt wirken. Gegenwärtig, da hunderttausende Polen nach Deutschland reisen, ist es höchste Zeit, festzustellen, was diese Reisen bewirken werden, wie sich die häufigeren Kontakte auf das Bild der Deutschen auswirken werden.
3. Ergebnisse unserer Untersuchungen in Grenzregionen
Ich komme zu unseren eigenen Untersuchungen. Es handelt sich um Umfragen, die in Slubice und Gubin gleich nach sowie ein Jahr nach der Öffnung der Grenze durchgeführt wurden. Es wurden jeweils 100 Personen befragt (zur Hälfte Schüler, zur anderen Hälfte Mitarbeiter der dortigen Betriebe). Zur Zeit führen wir neue Repräsentativbefragungen in Slubice und Gubin durch. Geplant sind weiterhin Befragungen in Frankfurt/O. und Guben. Unser Partner auf deutscher Seite ist die Initiative "Projekt deutsch-polnische Geschichte". Die Auswertungen in diesen neuen Untersuchungen sind aber noch nicht abgeschlossen, so daß ich hier auf die früheren Ergebnisse zurückgreifen werde. Die Umfragen bezogen sich auf folgende Themen:
In der ersten Umfrage gleich nach der Öffnung der Grenze haben wir unter anderem die Frage gestellt: "Wie beurteilen Sie Ihr Verhältnis zur BRD?". 60% der Befragten beurteilten es als gleichgültig, als warm und positiv sahen es 2%. Einen Hinweis auf die Einstellung zum vereinigten Deutschland kann auch die Antwort auf die Frage geben: "Wenn Sie in einem anderen Lande leben müßten, außerhalb von Polen, welches wäre dann das Land Ihrer Wahl?" An erster Stelle werden hier die USA erwähnt (28%), es folgen Italien (14%), Kanada (6%), die Schweiz (6%). Keiner der Befragten hat die BRD genannt. Dieses Ergebnis unterscheidet sich erheblich von den Ergebnissen der demoskopischen Untersuchungen, in denen auf die so gestellte Frage Deutschland in den Antworten den 3. Platz einnahm. Ähnlich war das Ergebnis bei der Frage: "Mit welchem Land sollte Polen Ihrer Meinung nach die Zusammenarbeit vertiefen?" (Es wurde gebeten, drei der wichtigsten Länder zu nennen.) Am häufigsten wurde die USA genannt (50%), gefolgt von Japan (20%) und der UdSSR (11%). Die BRD nahm Platz 4 ein, in den demoskopischen Untersuchungen aber sprach sich jeder zweite Befragte für die Vertiefung und Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der BRD aus. Hinsichtlich der Vereinigung Deutschlands wurde die Frage gestellt: "Ist die Vereinigung Deutschlands günstig für Polen?". "Entschieden ja" antworteten 4%, "eher ja" 40%, "eher nein" 40%, "ganz bestimmt nein" 4%. (Die sichtbare Polarisierung der Haltungen, die die demoskopischen Untersuchungen bei der Vereinigung Deutschlands konstatierten, hält weiterhin an.) Mehrere Fragen betrafen das polnisch-deutsche Verhältnis. In der ersten Umfrage schätzten es generell als gut 6% der Befragten ein, befriedi- [Seite der Druckausg.: 38] gend war es für 8%, schlecht für 2%, und 50% der Befragten meinten, es sei schwer zu bestimmen. Auf die Frage schließlich, ob die Chancen für gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Polen und der BRD nun größer sind, genau so groß oder geringer als vor der Vereinigung der deutschen Staaten, antworteten 45% der Befragten, sie seien größer, 30%, sie seien unverändert, 8% hielt sie für geringer und 12% hatten dazu keine Meinung. In der gleichen Umfrage gleich nach der Öffnung der Grenze fragte man nach der Beurteilung der Tatsache, daß die Grenzen nun offen seien. Als "natürliche und normale Angelegenheit" schätzte dies die Mehrheit der Befragten ein: 93% waren der Meinung, daß Slubice und Gubin von der Öffnung der Grenze einen Nutzen haben werden. Ein Jahr nach der Öffnung der Grenze stellte man die Frage nach dem Einfluß der offenen Grenzen auf das Leben in folgenden Bereichen: Wirtschaft, Kommunales, Verkehrswesen, Versorgung und allgemeines Stadtbild. Einen positiven Einfluß der geöffneten Grenze auf die Entwicklung dieser Städte im Bereich des Wirtschaftlichen stellten 40% der Schüler fest, aber nur 15% der Berufstätigen. Auf dem Gebiet des Kommunalen waren 20% der Schüler und 1% der Berufstätigen der Meinung, die offene Grenze sei positiv. Auf dem Gebiet des Verkehrs waren es 6% der Schüler und 1% der Berufstätigen, bei der Versorgung 85% der Schüler und 2% der Berufstätigen. Das allgemeine Stadtbild war für 30% der Schüler und 20% der Berufstätigen positiv beeinflußt worden. Außerdem fragte man nach dem Einfluß der offenen Grenze auf das Leben der Bürger von Slubice und Gubin. Die Befragten wurden gebeten zu antworten, ob die Öffnung der Grenze das Leben der Bürger von Slubice im positiven oder im negativen Sinne verändert habe. Hier waren 40% der Schüler und 35% der Berufstätigen der Meinung, daß es eine positive Veränderung gegeben hatte. Als negativ beurteilten die Veränderung 25% der Schüler und 15% der Berufstätigen. 30% der Schüler und 6% der Berufstätigen hatten in dieser Hinsicht keine Meinung. [Seite der Druckausg.: 39] Weiterhin fragten wir, ob die Öffnung der Grenze und der Möglichkeit der Kontaktpflege Einfluß hatten auf:
In der zweiten Umfrage wollten wir auch wissen, wie die Meinung zu der geplanten Wirtschaftskooperation aussieht. Die Antworten fielen wie folgt aus:
Da wir das negative Verhältnis, vor allem der Jugend, zu der Idee der Wirtschaftskooperation in der Grenzregion festgestellt hatten, fragten wir weiter nach den Prioritäten für den Fall, daß es zu gemeinsamen Unternehmungen im Grenzgebiet kommen würde. Folgende Alternativen haben wir zur Wahl gestellt:
Unter anderen Alternativen wurden am häufigsten genannt: Touristik, Hotels, Erholungszentren, Zusammenarbeit der Polizei in den Grenzstädten. [Seite der Druckausg.: 40] Wir fragten auch nach der deutschen Minderheit in Polen. 40% der Befragten meinten, daß "die Existenz einer deutschen Minderheit in Polen für die Polen gefährlich" sei. 36% akzeptierten die These, daß "die deutsche Minderheit in Polen die gleichen Existenzrechte besitzt wie auch andere nationale Minderheiten. 3% bejahten die These, daß "Polen nur für Polen sein sollte". Wir kommen nun zu der Frage, wie das deutsche Volk eingeschätzt wird. In der ersten Umfrage bat man darum, fünf positive und fünf negative Eigenschaften aufzuzählen, die nach Meinung des Befragten für die Deutschen typisch seien. Bei den positiven Eigenschaften betonte man:
Bei der Aufzählung der negativen Eigenschaften sah das Bild wie folgt aus:
Um festzustellen, wie die Befragten sich selbst sehen, sollten sie einige negative und einige positive Charakterzüge der Polen nennen. Als positiv nannte man am häufigsten Gastfreundschaft, Fleiß und Tatkraft, Offenheit. Als negativ werden meistens aufgezählt: nicht wirtschaften können, Faulheit, Trunksucht. Als Ergänzung stellten wir noch die Frage, ob bei den unterschiedlichen Mentalitäten eine Versöhnung zwischen den beiden Völkern möglich sei. 50% meinten, dies wäre schwierig, 20%, sie sei unmöglich und 20%, das sei schwer zu sagen. [Seite der Druckausg.: 41] Beim Abbau der gegenseitigen Voreingenommenheiten und Klischees könnte eine besondere Rolle den gegenseitigen Kontakten zukommen. Diese Meinung scheinen jene Befragten zu bestätigen, die auf die Frage "Wird die Entwicklung der persönlichen Kontakte zwischen Polen und Deutschen eine Verringerung der Voreingenommenheiten bewirken?" zu 30% mit "ja" antworteten. Andere meinten, daß es zur Entwicklung von freundschaftlichen Kontakten kommen würde (35%). 10% hingegen waren der Ansicht, daß persönliche Kontakte die überkommenen Voreingenommenheiten und Klischees bestärken würden. In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Art der Beziehungen zu den Deutschen interessant. 10% der Befragten meinten, es seien zufällige Kontakte, 40% nannten Gelegenheitskontakte (Handelskontakte), 6% hatten persönliche Kontakte mit Deutschen (kollegiale, freundschaftliche, familiäre Bindungen). Für uns überraschend waren die Ergebnisse bei der Frage: "Denken Sie daran, eine Arbeit auf der anderen Seite der Grenze aufzunehmen"? Die Antworten lauteten wie folgt:
Ich meine, daß die Ergebnisse unserer ebenso wie die der allgemeinen demoskopischen Untersuchungen Anregungen für die Diskussion über die gegenseitigen Einschätzungen, Haltungen, Heterostereotypen und Voreingenommenheiten bieten. Dies könnte eine Aufgabe sein für viele Institutionen, die sich mit der politischen Bildung befassen, z.B. für das Deutsch-Polnische Jugendwerk. [Seite der Druckausg.: 42 = Leerseite] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2002 |