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TEILDOKUMENT:


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Klaus J. Bade
Ausländer- und Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland:
Grundprobleme und Entwicklungslinien


Die 'Ausländerpolitik' in der Bundesrepublik war lange gekennzeichnet durch politische Nichtakzeptanz von gesellschaftlichen Realitäten, durch parteiübergreifende defensive Erkenntnisverweigerung und allgemeine Konzeptionslosigkeit bei mangelnder Einsicht in die Ressortfähigkeit der Problem- und Gestaltungsbereiche von Migration, Integration und Minderheiten. Eine durch konzeptionelle Abstinenz in Einwanderungsfragen gekennzeichnete Ausländerpolitik und eine durch die Angst der Parteien vor dem Bürger als Wähler bestimmte Asylpolitik haben beigetragen zur Emotionalisierung der öffentlichen Diskussion, zu Protesthaltungen, Politikverdrossenheit und Antiparteienaffekten. Im Wechsel von politischen Ersatzhandlungen, populistischen Stellvertreterkriegen, Bedrohungsvisionen ('neue Völkerwanderungen') und Denunziationen der Opfer als Täter ('Wirtschaftsflüchtlinge') wuchsen Abwehrmentalitäten und diffuse Fremdenfeindlichkeit.

Im Bereich der Ausländerpolitik fand die defensive Erkenntnisverweigerung Ausdruck in dem parteiübergreifenden Dementi 'Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland'. Es umschrieb und verstärkte zugleich die in den 1980er Jahren anhaltende politische Konzeptionslosigkeit in den Problembereichen von Migration, Integration und Minderheiten, für deren Gestaltung die ereignisreichen 1980er Jahre als verlorenes Jahrzehnt in die Geschichte eingehen. Im Bereich der Asylpolitik gab es lange nur das Tauziehen um Artikel 16, Absatz 2, Satz 2 Grundgesetz ('Politisch Verfolgte genießen Asylrecht'), um den Begriff des Politischen im Asylrecht, um 'Mißbrauch des Asylrechts', restriktive Verfahrenspraxis und Beschleunigung der Verfahren bei wechselseitiger Schuldzuweisung im Blick auf durch dieses Tauziehen verursachte Handlungslähmungen. Was in beiden Bereichen nach wie vor fehlt, sind umfassende Konzeptionen zu den Problemfeldern Migration, Integration und Minderheiten für Deutschland

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als Einwanderungsland. Dieser historische Überblick kann auf gedrängtem Raum nur einige Entwicklungslinien und Aspekte grob strukturieren. [Fn_1: Das Folgende nach: K. l. Bade, Einheimische Ausländer: 'Gastarbeiter' - Dauergäste - Einwanderer, in: ders. (Hg.), Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland: Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992, S. 393-401; ders., "Politisch Verfolgte genießen ...": Asyl bei den Deutschen - Idee und Wirklichkeit, ebenda, S. 411-423; ders., Politik in der Einwanderungssituation: Migration - Integration - Minderheiten, ebenda, S. 442^455; ders., Ausländer - Aussiedler - Asyl (Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, Reihe: aktuell/kontrovers), 2. Aufl., Hannover 1992.]

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1. Ausländerpolitik

Die Geschichte der Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1955 war gekennzeichnet durch den schrittweisen Wandel von der 'Gastarbeiterfrage' zu einem echten Einwanderungsproblem. [Fn_2: Allgemein hierzu: F. Heckmann, Die Bundesrepublik: Ein Einwanderungsland? Zur Soziologie der Gastarbeiterbevölkerung als Einwandererminorität, Stuttgart 1981; vgl. K. I. Bade, Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland? Deutschland 1880-1980, Berlin 1983; ders. (Hg.), Auswanderer - Wanderarbeiter - Gastarbeiter: Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, 2 Bde., Ostfildern 1984 (2. Aufl. 1986).]
Dieser Wandel wurde von Wissenschaftlern und Praktikern der Ausländerarbeit schon in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren klar nachgewiesen und verbunden mit dem Appell, den neuen Problemen mit neuen rechtlichen und politischen Konzeptionen Rechnung zu tragen. Die Politik aber hat sich der Einsicht in den Wandel vom Arbeitsmarktproblem zum Einwanderungsproblem lange verschlossen - in einem Land, das seit 1987 jährlich mehr Zuwanderer aufnimmt als die beiden klassischen Einwanderungsländer Kanada und Australien zusammen.

In der amtlichen Information des Bundesinnenministeriums über den Stand von Ausländerrecht und Ausländerpolitik vom Januar 1991 wurde die Fortschreibung der seit rund einem Jahrzehnt gültigen 'Grundsätze der Ausländerpolitik' mit ihrem Defensiv-Dreieck von Integration, Zuzugsbegrenzung (aus Nicht-EG-Staaten) und Rückkehrförderung u.a. aufs neue mit den Beschlüssen der Bundesregierung vom November 1981 und Februar 1982 bekräftigt: "Es besteht Einigkeit, daß die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland ist und auch nicht werden soll." [Fn_3: BMI (Hg.), Aufzeichnung zur Ausländerpolitik und zum Ausländerrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Stand: Januar 1991, Bonn 1991, S. 3f.]
Erst auf dem Dresdener Parteitag der CDU im De-

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zember 1991 wurde, nach harten Auseinandersetzungen im Vorfeld, dies mehr als ein Jahrzehnt lang - auch von anderen Parteien - wiederholte Beschwörungsformel und mit ihr die folgenschwere Tabuisierung des Bereichs 'Einwanderung' für aktive politische Gestaltung aufgehoben. [Fn_4: Der im Entwurf des 'Dresdner Manifests' der CDU vorgesehene Satz 'Deutschland ist kein Einwanderungsland' wurde ersetzt durch einen ganzen Abschnitt: "Deutschland ist ein weltoffenes Land. Wir wissen, daß in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Ausländer nach Deutschland kommen und mehr Deutsche ins Ausland gehen. Vor allem in einem wirtschaftlich "nd politisch zusammenwachsenden Europa, aber auch angesichts einer internationalen Verflechtung werden die Menschen mobiler werden. Diese Entwicklung muß so gestaltet werden, daß sie den Interessen und Bedürfnissen unseres Landes entspricht." (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 6.12.1991, S. 2).]
Insgesamt kann man die Geschichte der Ausländerpolitik in der Bundesrepublik von 1955 bis zur Gegenwart in vier Phasen gliedern:

In der ersten Phase der Ausländerpolitik, die man die 'Anwerbephase' oder 'Gastarbeiterperiode' nennen könnte, wurden Millionen ausländische Arbeitskräfte von den Kommissionen der Bundesanstalt für Arbeit im Ausland angeworben: Sie begann 1955 mit der ersten deutsch-italienischen Vereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung von ausländischen Arbeitskräften. Es folgten weitere 'Anwerbevereinbarungen' mit Spanien und Griechenland (1960), mit der Türkei (1961), Portugal (1964), Tunesien, Marokko (1965) und Jugoslawien (1968), von denen nur diejenigen mit Tunesien und Marokko im Ergebnis vergleichsweise unbedeutend blieben. Die Ausländerbeschäftigung wurde, als vermeintlich kurz- bis mittelfristige Übergangserscheinung, ausschließlich unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtpunkten betrachtet. An längeren Arbeitsaufenthalten aber hatten nicht nur ausländische Arbeitnehmer, sondern auch deutsche Arbeitgeber Interesse, weil ein häufiger Wechsel von ausländischen Arbeitskräften mit immer wieder neuen Einarbeitungszeiten verbunden war.

Anfang der 1970er Jahre gab es in der breiter werdenden Diskussion um das Für und Wider der Ausländerbeschäftigung und um das Problemfeld 'Gastarbeiterfrage' schon deutlichere Hinweise auf soziale Folgeprobleme. Trotz insgesamt noch starker Fluktuation verlagerten viele 'Gastarbeiter' ihren Lebensmittelpunkt in die Bundesrepublik und zogen ihre Familien nach. Die 'Anwerbephase' der Ausländerpolitik endete im Zeichen von 'Ölschock' und Wirtschaftsrezession mit dem 'Anwerbestopp' vom 23.11.1973. Rund 14 Mil-

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lionen Ausländer waren 1955-1973 ins Bundesgebiet gekommen, rund 11 Mio. (ca. 80 %) davon wieder zurückgekehrt. Annähernd der Abfolge der Anwerbeverträge entsprechend hatten sich bis dahin auch die Nationalitätenanteile in der Gastarbeiterbevölkerung verschoben: Der zunächst dominierende Anteil der Italiener war auf 10 % gesunken, derjenige der Türken auf ca. 30 % gestiegen. [Fn_5: J. Gerster, Illusion oder realistisches Ziel? Ausländerintegration als wichtige Zukunftsaufgabe, in: Die Neue Ordnung, 42. 1988, H. 4, S. 269-280, hier S. 272; zur Phasengliederung und zum Folgenden insgesamt: K.-H. Meier-Braun, Integration oder Rückkehr? Zur Ausländerpolitik des Bundes und der Länder, insbesondere Baden-Württembergs, Mainz 1988, S. 10-74.]

Bestimmend für die zweite Phase der Ausländerpolitik von 1973 bis 1979 wurde die Formel 'Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung', zu der es politische Entwürfe schon vor dem 'Anwerbestopp' gab. Im Mittelpunkt standen drei Grundgedanken: Zuwanderungsbegrenzung, Rückkehrförderung und Überlegungen zur sozialen Integration der in der Bundesrepublik lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien. Familiennachzug und natürlicher Bevölkerungszuwachs ließen die Ausländerbevölkerung langfristig auch ohne Zuwanderung neuer Arbeitskräfte weiter wachsen, während der gerade seit dem Anwerbestopp zunehmende Daueraufenthalt zu einer fortschreitenden rechtlichen Verfestigung im aufenthaltsrechtlichen Status führen konnte: nach 5 Jahren zur unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und, seltener, nach 8 Jahren zur Aufenthaltsberechtigung - soweit die anderen Voraussetzungen dazu (wie z.B. ausreichender Wohnraum) erfüllt waren.

In der dritten Phase 1979/80 standen in der Diskussion um das magische Dreieck von 'Anwerbestopp', Rückkehrförderung und sozialer Integration konkurrierende Integrationsentwürfe im Vordergrund. Deshalb könnte in der Tat von einer "Phase der Integrationskonzepte" gesprochen werden, obgleich Integrationsförderung als solche schon Teil des in der zweiten Phase entwickelten Gesamtkonzepts der "Konsolidierung" war. In den weiteren Kontext dieser Integrationsdiskussion gehörte Ende 1978 die Berufung des ersten 'Beauftragten der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen', dessen kleines Amt dem Bundesarbeitsministerium zugeordnet wurde.

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Der erste 'Ausländerbeauftragte', der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn (SPD), legte im September 1979 eine Denkschrift über 'Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland' vor. Das 'Kühn-Memorandum' ging davon aus, daß "eine nicht mehr umkehrbare Entwicklung eingetreten ist, und die Mehrzahl der Betroffenen nicht mehr einfach 'Gastarbeiter' sondern 'Einwanderer' sind, für die eine Rückkehr in ihre Herkunftsländer aus den verschiedensten Gründen nicht wieder in Betracht kommt". Das gelte besonders für die in der Bundesrepublik geborene und aufgewachsene bzw. im Kindesalter eingereiste Zweite Generation. "Die unvermeidliche Anerkennung der faktischen Einwanderungssituation macht eine Abkehr von den Konzepten der Integration 'auf Zeit' erforderlich. An ihre Stelle muß ein Maßnahmenbündel treten, das den Bleibewilligen die Chance zu einer vorbehaltlosen und dauerhaften Eingliederung eröffnet." [Fn_6: H. Kühn, Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländische« Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland. Memorandum des Beauftragten der Bundesregierung, Bonn (Sept.) 1979.]

Das Memorandum enthielt zahlreiche Integrationsvorschläge - bis hin zum Optionsrecht auf Einbürgerung für in der Bundesrepublik geborene und aufgewachsene Jugendliche und zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer, das nach langer publizistischer und politischer Diskussion in den 1980er Jahren schließlich Ende 1990 vom Bundesverfassungsgericht für grundgesetzwidrig erklärt wurde. [Fn_7: F.A. Fromme, Was ist das Volk? in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 8.6.1990; y Schueler, Alle Macht dem (deutschen) Volk, in: Die Zeit, 9.11.1990; Urteilsauszug in: Frankfurter Rundschau (FR), 13.11.1990.]
In seinen Vorschlägen zur 'Integration der Zweiten Allsländergeneration' weit hinter dem 'Kühn-Memorandum' zurück und herkömmlichen arbeits-marktpolitischen Vorstellungen verhaftet blieb ein konkurrierendes Konzept des 'Koordinierungskreises ausländische Arbeitnehmer' beim Bundesarbeitsrniniste-rium. Mit ihren Beschlüssen zur Ausländerpolitik vom März 1980 verharrte die SPD/FDP-Bundesregierung im Grunde bei einer durch Integrationskonzepte ergänzten Arbeitsmarktpolitik. Im Januar 1981 trat die frühere Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Liselotte Funcke (FDP), die Nachfolge von Heinz Kühn an. Das Jahr 1981 bildete auch eine neue Zäsur und leitete die bis heute nachwirkende "Wende in der Ausländerpolitik" ein, die K.-H. Meier-

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Braun als Wechsel vom "Wettlauf um Integrationskonzepte" zum "Wettlauf um eine Begrenzungspolitik" charakterisiert hat. [Fn_8: K.-H. Meier-Braun, Integration oder Rückkehr? S. 18ff.]

Damit begann die bis heute andauernde vierte Phase der Ausländerpolitik. Das Eröffnungszenario dazu boten die Entdeckung der Einwanderungssituation bei wachsendem Unbehagen an der Konzeptionslosigkeit in der Ausländerpolitik, anhaltende Wirtschaftkrise, hohe und steigende Arbeitslosigkeit, ein starker Anstieg der Zahl von asylsuchenden Flüchtlingen und eine zu Horrorvisionen verzerrte Asyldiskussion 1980/81. Mangelnde Transparenz und Irritation, soziale Angst und Empörung über den Mangel an Perspektiven in der Ausländerpolitik steigerten noch die Abwehrhaltungen in der Öffentlichkeit, die die Parteien wiederum in ihr Interessenkalkül einzubeziehen suchten. Ergebnis war eine ausgesprochene Frustations-Agressions-Spirale zwischen Parteien und Wählern zu Lasten der ausländischen Betroffenen.

Die 'Wende in der Ausländerpolitik' begann noch unter der SPD/FDP-Bundesregierung: Auch, aber nicht etwa nur unter dem wachsenden Druck der CDU/CSU-Opposition und der unionsregierten Bundesländer entwickelte die sozial-liberale Koalition im Dezember 1981 Empfehlungen an die Bundesländer für eine Begrenzungspolitik. Es ging vor allem um die Verringerung des Familiennachzugs, konkret um Beschränkung des Ehegattennachzugs und Senkung des Nachzugsalters. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien SPD und FDP, die die Koalition auf diesem Gebiet schließlich von innen lahmten. Von außen geriet sie immer mehr unter den Druck der CDU/CSU-Opposition, deren öffentliche Kritik sich besonders auf den Nachweis ausländerpolitischer Handlungsunfähigkeit konzentrierte.

Im Juli 1982 noch beschloß das sozial-liberale Kabinett Maßnahmen zur Rückkehrförderung. Sie wurden dann erst nach dem Regierungswechsel umgesetzt durch das CDU/CSU-FDP-Kabinett und waren wenig wirkungsvoll, zum Teil sogar ausgesprochen kontraproduktiv im Blick auf die schon vordem (insbesondere am französischen Beispiel) erkannten 'Mitnahmeeffekte'. Im Mittelpunkt standen Rückkehrhilfen ('Rückkehrprämie') und die vorzeitige Erstattung von Arbeitnehmerbeiträgen aus der Rentenversicherung ohne Wartezeit sowie Beratungsangebote für rückkehrwillige Arbeitnehmer. Diese nur für ein

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halbes Jahr gültigen Maßnahmen, bei denen überdies die angekündigte Beratung bis zum Schluß fast ganz ausblieb, wurden als großer Erfolg in der Rückkehrförderung vorgestellt, bewirkten konkret aber wohl kaum mehr als Mitnahmeeffekte. In der politischen Werbung weniger betont wurden der von den zurückkehrenden ausländischen Arbeitnehmern auf diese Weise erbrachte, auf 3-4 Milliarden DM veranschlagte Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung (der Arbeitgeberanteil wurde nicht ausgezahlt) und die nicht minder großen Einsparungen an Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld durch den Export der Arbeitslosigkeit.

Es ging vornehmlich um die Beruhigung einer durch Konzeptions- und Perspektivlosigkeit in der Ausländerpolitik irritierten und - gegen die ausländischen Betroffenen - aufgebrachten Öffentlichkeit durch eine jener politischen Ersatzhandlungen. Hierher gehört im Ergebnis auch die aufsehenerregende Aufnahme der Ausländerpolitik, gleichberechtigt neben Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik, in das nur vier Punkte umfassende Dringlichkeitsprogramm der Bundesregierung vom Oktober 1982. Von Ausländerpolitik indes war dann schon bald immer weniger bzw. nur noch in mehr oder minder folgenlosen Ankündigungen die Rede, besonders im Blick auf das dringendste Gebot, die Novellierung des Ausländerrechts.

Die Ausländerpolitik der neuen Bundesregierung blieb dabei eingespannt zwischen drei Zielpositionen: Ankündigung von vermehrten Integrationsangeboten für die anwesende Ausländerbevölkerung, Aufrechterhaltung des 'Anwerbestopps' und Förderung der Rückkehrbereitschaft. Hinzu trat, in gefährlicher Gemengelage mit anderen Bereichen der 'Ausländerdiskussion', der sog. Kampf gegen den 'Mißbrauch des Asylrechts', der angesichts der Konzeptionslosigkeit in der Ausländerpolitik Züge eines Stellvertreterkrieges annahm. Schon Ende 1982 begann auch in der neuen Bundesregierung der Streit um die Ausländerpolitik, vor allem zwischen CSU und FDP. Einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen besonders um die Begrenzung des Familiennachzugs bildete

1983 der Konflikt um die Senkung des Nachzugsalters für ausländische Kinder zwischen dem unnachgiebig restriktiven Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) und der Ausländerbeauftragten Liselotte Funcke (FDP).

Insgesamt ließ die Ausländerpolitik seit der 'ausländerpolitischen Wende' und besonders seit dem Regierungswechsel zur CDU/CSU-FDP-Koalition mehrere

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Entwicklungstendenzen erkennen:
1. eine mit dem Wandel von vorwiegend arbeitsmarktpolitischen zu im weitesten Sinne innen- bzw. ordnungspolitischen Maßnahmen einhergehende "Kompetenzverlagerung in der Ausländerpolitik vom Bundesarbeits- zum Bundesinnenministerium" [Fn_9: Ebenda, S. 68.];
2. eine Tendenz zur Einbeziehung und Instrumentalisierung der ganz anders gelagerten Asylthematik bei wachsender Abwehrhaltung gegenüber dem Zuwanderungsdruck und Ausbleiben der seit langem angekündigten Verbesserung der Integrationsangebote durch eine Reform des Ausländerrechts; 3. die schon im Vorfeld des Regierungswechsels betriebene allgemeine Politisierung der Ausländerthematik. Es ging dabei nicht nur um das Problem sachfremder, aber 'öffentlichkeitswirksamer', z.B. wahltaktischer Instrumentalisierung und die damit verbundenen Gefahren. Es gab auch ein wachsendes öffentliches Interesse an diesem stark politisierten Thema, das einer anhaltenden Vertagung rechtspolitscher Gestaltungsaufgaben Grenzen setzen mußte, wenn die Arena der Ausländerpolitik nicht noch mehr zum Tummelplatz rechtsradikaler Demagogie werden sollte.

Hierher gehörte vor allem das lange Ausbleiben des immer wieder folgenlos angekündigten Gesetzentwurfs zur Novellierung des Ausländerrechts. Einen Höhepunkt bildete die peinliche Affäre um den im Frühjahr 1988 aus dem Bundesinnenministerium an die Öffentlichkeit gelangten Gesetzentwurf, der zunächst als solcher bestritten, dann in seiner Bedeutung heruntergespielt und nach schärfsten Protesten in der Öffentlichkeit schließlich ganz zurückgezogen wurde. Das hochpolitisierte Thema der Ausländerpolitik spielte dann eine unübersehbare Rolle beim Wechsel an der Spitze des Bundesinnenministeriums von Friedrich Zimmermann (CSU) zu Wolfgang Schäuble (CDU), der vordem Chef des Bundeskanzleramtes war.

Bundesweit wie ein Schock wirkten die zwar schon in einer längeren Trendlinie stehenden, aber in ihren Größenordnungen doch überraschenden Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien in Berlin (29.1.1989) und bei den Kommunalwahlen in Hessen (12.3.1989). Vor dem Hintergrund wachsender Abwehrhaltungen hatten sie ihre Wahlkämpfe in den Monaten um die Jahreswende 1988/89 wesentlich mit ausländer- bzw. fremdenfeindlichen Parolen geführt. Die Wahlergebnisse bestätigten nur die lange überhörten Warnungen vor den Folgen einer Vertagung oder Verdrängung der in diesem gesellschaftspolitischen Feld anstehenden

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Aufgaben. Für die Neugestaltung rechtspolitischer Handlungsspielräume durch die Novellierung des Ausländerrechts gründeten sich Hoffnungen auf den neuen Bundesinnenminister. Der von ihm geradezu rasant vorbereitete, mehrfach überarbeitete Gesetzentwurf galt auch deshalb als besonders eilbedürftig, weil man das 'Ausländerthema' im Wettlauf gegen die Zeit "aus den bevorstehenden Wahlkämpfen heraushalten" wollte - deren Ergebnisse überdies die absolute Mehrheit der Union im Bundesrat in Frage stellen konnten (was dann mit der Niedersachsenwahl am 13.5.1990 auch geschah). [Fn_10: Im Blickpunkt: Schäubles Ausländergesetz, in: FR, 10.11.1989; vgl. L. Funcke, in: FR, 18.9.1989.]

Bis zuletzt umstrittene Problembereiche waren insbesondere Familiennachzug und Aufenthaltsverfestigung, Ausweisung und Rückkehrrecht, Einbürgerungserleichterungen und doppelte Staatsangehörigkeit, Verfahrensregelungen, zu große Ermessensspielräume und zu geringe Transparenz. Schließlich ging es um die Berücksichtigung vergleichbarer europäischer und internationaler Bestrebungen und endlich um eine grundsätzliche Frage: Konnten Ausländerrecht und Ausländerpolitik als solche überhaupt noch geeignete Gestaltungsmittel sein gegenüber einer stabilen Minderheit von 'ausländischen Inländern' in Deutschland und gegenüber dem Wanderungsgeschehen innerhalb des europäischen Binnenmarktes sowie gegenüber dem Süd-Nord- und Ost-West-Zuwanderungsdruck an seinen Grenzen? Hinzu kamen insbesondere von der Ausländerbeauftragten der DDR-Regierung, Almuth Berger, vorgetragene Warnungen, am Vorabend der deutschen Vereinigung in der 'alten' Bundesrepublik noch ein Gesetz von erheblicher Tragweite auch für die späteren 'neuen' Bundesländer -in denen z.B. bei der letzten Kommunalwahl am 6. Mai 1990 auch die Ausländer wählen durften - ohne deren Mitgestaltung zu verabschieden.

Am Ende des langen Kampfes um die Rechtsreform stand das am 26. April 1990 vom Bundestag beschlossene (Bundesrat: 11.5.1990) neue Ausländergesetz, das am 1. Januar 1991 in Kraft trat. Es blieb umstritten - bis hin zu der im November 1990 von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgetragenen, auf ein Gutachten des früheren Berliner OVG-Richters Dr. Fritz Franz gestützten Einschätzung, das neue Ausländerrecht verstoße gegen Grund-

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gesetz (Vertrauensschutz, Verhältnismäßigkeit, Rechtsweggarantie) und Völkerrecht. [Fn_11: Die Grünen/Bündnis 90, Pressemitteilung Nr. 888/90 (8.11.1990); F. Franz, Ausländerrecht auf Kollisionskurs mit der Verfassung. Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des AusIG'90, Nov. 1990.]

Gerade in seinen die Einwanderungssituation betreffenden Bestimmungen sei es durchaus "besser als sein Ruf, urteilte dagegen der hannoversche Rechtswissenschaftler Helmut Rittstieg: "Seine Vorschriften über die Aufenthaltsverfestigung, den Familiennachzug, die Rechtsansprüche der jungen Generation und die Einbürgerung verschaffen den ehemaligen Gastarbeitern, ihren Ehegatten und Kindern und sonstigen Inländern fremder Staatsangehörigkeit erstmals auf der gesetzlichen Ebene den Einwandererstatus." Aber: "Das neue Ausländergesetz behandelt Inländer fremder Staatsangehörigkeit freilich nach wie vor als potentielle Gefahr für die Gesellschaft. Es unterstellt sie in §§ 75, 76 behördlichen Mitteilungs- und Überwachungsvorschriften, die von einem totalitären Überwachungswahn getragen sind." Hinzu kommen Verschlechterungen für Ausländer: von der Verschärfung der nach wie vor relativ unbestimmten Ausweisungsbefugnisse über die Abhängigkeit der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und der Aufenthaltsberechtigung vom Nachweis ausreichenden Wohnraums gerade in Zeiten extremer Wohnungsnot bis hin zu den weiten Ermessensspielräumen bei der Verlängerung befristeter Aufenthaltserlaubnisse. Für ausländische Jugendliche ist es im Grunde leichter geworden, sich einbürgern zu lassen als unter Beibehaltung einer anderen Staatsangehörigkeit eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen. So betrachtet, stellt das Gesetz im Grunde mehr auf Assimilierung als auf Integration ab. Hinzu kommt, daß es, als "typisches Juristengesetz" (H. Rittstieg), für den Laien wenig transparent und für die Betroffenen am schwersten verständlich ist. Deshalb, so das Resümee von K.-H. Meier-Braun, sei die an sich begrüßenswerte Rechtsreform in mancher Hinsicht schon wieder "dringend reformbedürftig". [Fn_12: H. Rittstieg, Das neue Ausländergesetz: Verbesserungen und neue Probleme, in: K. Barwig u.a. (Hg.), Das neue Ausländerrecht, Baden-Baden 1991, S. 23-32, hier S. 25f.; K.-H. Meier-Braun, Auf dem Weg zur multikulturellen Gesellschaft?, S. 21; Kommentar: H. H. Heldmann, Ausländergesetz 1991, Frankfurt a.M. 1991; vgl. K. Sieveking, Ausländerrecht und Ausländerpolitik 1990 (Zentrum für Europäische Rechtspolitik an der Universität Bremen), Bremen 1991.]

In zwei großen Bereichen der Diskussion um die politische Teilhabe der ausländischen 'Mitbürger' als Bürger in der Republik gab es keinerlei Fortschritte:

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Einerseits wurde das kommunale Wahlrecht für Ausländer mit langem Inlandsaufenthalt Ende 1990 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Andererseits wurde die insbesondere von der früheren Ausländerbeauftragten geforderte Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft nicht eröffnet, was für 'einbürgerungswillige' ausländische Inländer dann von großem Nachteil ist, wenn die Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit - wie z.B. im Falle der Türkei und Jugoslawiens - mit schwerwiegenden Nachteilen (z.B. im Erbrecht) verbunden ist.

Nicht zu vergessen ist aber auch, daß - trotz mancher Einbürgerungserleichterungen durch die Rechtsreform - die Entscheidung zur Einbürgerung vielen ausländischen Inländern heute gerade deswegen schwerer fällt, weil ihnen zu lange unmißverständlich deutlich gemacht worden ist, daß sie zwar als 'Gastarbeiter' willkommen, aber als Einwanderer unerwünscht seien. Die daraus resultierenden kollektiven mentalen Verletzungen sind tief und nicht im Handumdrehen durch rechtstechnische Teilreparaturen zu heilen. Ergebnis ist bei vielen ausländischen 'Mitbürgern' der Zweiten Generation, die sich vom Herkunftsland der Eltern nicht mehr angezogen und von Deutschland nicht angenommen fühlen, oft die defensive Rückbesinnung auf eigene Kulturtraditionen - oder aber die Flucht nach vom: negativ in die ideelle Staatenlosigkeit eines diffusen Kosmopolitismus, positiv in die als multikulturell und supranational verstandene Identität von selbstbewußten EG-Bürgern - immer vorausgesetzt, daß das Herkunftsland ein solches Selbstverständnis als EG-Bürger überhaupt zuläßt.

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2. Asylpolitik

Artikel 16, Absatz 2, Satz 2 des Grundgesetzes war die historische Antwort des Parlamentarischen Rates im Winter 1948/49 auf die Rettung vieler im nationalsozialistischen Deutschland Verfolgter durch Aufnahme im Ausland. Die Botschaft von Art. 16 GG wurde in den 1980er Jahren Anlaß zum Streit um den Begriff des Politischen, um den Widerspruch zwischen Asylrecht und Asylpraxis, d.h. zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, und schließlich um die Änderung des Grundgesetzartikels selbst. Hintergrund waren und sind die Dimensionen des Weltflüchtlingsproblems am Ende des 20. Jahrhunderts. Zur Angst vor einer Elendsflut aus dem Süden traten Ende der 1980er Jahre Hor-

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rorszenarien über drohende kontinentale 'Völkerwanderungen' aus dem Osten Europas, bedingt durch politische Umwälzungen und wirtschaftliche Misere, ethnische Spannungen und Nationalitätenkonflikt. Mitbestimmend war dabei auch die Tatsache, daß die Grenzen der 'Festung Europa' und besonders diejenigen des vereinten Deutschland nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs auf dem Landwege vom Osten Europas her wesentlich leichter zu erreichen waren als auf den zunehmend durch restriktive Visabestimmungen verstellten interkontinentalen Luftwegen aus der Dritten Welt: Auf Kosten des seit Ende der 1970er Jahre bei weitem dominierenden Anteils der Asylbewerber aus Ländern der Dritten Welt stieg der Anteil der Europäer an den Asylsuchenden bis 1988 auf insgesamt 69,3 %, um dann langsam über 60,4 % im Jahr 1989 auf 52,6 % im Jahr 1990 zu sinken, bis der Bürgerkrieg in Jugoslawien die Zahlen wieder in die Höhe trieb." [Fn_13: Vgl. z.B. Zusammenbruch in der Sowjetunion: Massenflucht in den Westen?, in: Der Spiegel, 10.12.1990, S. 158-168; Wer alles aus Europa einwandern will: Millionen sitzen auf gepackten Koffern, in: Impulse, Jan. 1991, S. 10-15; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin, 24.1.1991, S. 42f; Kuno Kruse, Birgit Schwarz, Neue Freiheit, neue Grenzen: Völkerwanderung aus dem Osten, in: Die ZEIT, 8.-15.2.1991, S. 13-15.]

Seit der Errichtung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Jahr 1953 waren die Zahlen der jährlichen Asylgesuche - abgesehen von den Fluchtbewegungen nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 und des 'Prager Frühlings' 1968 - für mehr als zwei Jahrzehnte relativ niedrig geblieben. Ende der 1970er Jahre zogen sie scharf an: von 28.223 Anträgen für 33.136 Personen (1978) über 41.953 Anträge für 51.493 Personen (1979) auf den Höchststand von 92.918 Anträgen für 107.818 Personen (1980). Die Zahlen fielen dann noch einmal steil ab auf den Sockel von 16.335 Anträgen für 19.737 Personen 1983. Seit der Jahrzehntmitte stiegen sie wieder zügig an auf 67.429 Anträge für 99.669 Personen 1986, durchbrachen 1988 erneut die magische Marke von 100.000 Personen (103.076), jagten im Jahr der europäischen Revolutionen 1989 auf die Höhe von 121.318 und stiegen 1990 schließlich um 59,1 % auf den bis dahin höchsten Jahresgipfel von 193.063 asylsuchenden Flüchtlingen, der im Jahre 1991 noch einmal überboten wurde: 1991 kamen 256.112 Asylbewerber in die Bundesrepublik, knapp 33 % mehr als im Vorjahr. [Fn_14: FAZ, 5.1.1991, S. 1f.; 8.8.1991, S. 1f.; 6.1.1992. S. 4; Bulletin, 9.8.1991, S. 689.]

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Die Verzerrung des Asylproblems zum Schreckbild des 'Asylantenproblems' und damit zu einem der brisantesten innenpolitischen Problemfelder hatte nicht nur mit der Veränderung der Größenordnungen zu tun. Daß die Bundesrepublik sogar im Stande ist, in einem einzigen Jahr Hunderttausende von Menschen aufzunehmen, hat, jenseits der Integration von Vertriebenen und Flüchtlingen und der Zuwanderung von 'Gastarbeitern', zuletzt der Aus- und Übersiedlerzustrom Ende der 1980er Jahre gezeigt. Seine Aufnahme wurde indes auch begleitet von einer durch die Bundesregierung geförderten und finanzierten bundesweiten Verständnis- und Sympathiewerbung - innerhalb derer unter dem Motto 'Aussiedler sind keine Ausländer!' nicht selten zugleich vom Kampf gegen 'Asylantenschwemme' und 'Mißbrauch des Asylrechts' die Rede war. Das Nebeneinander von Verständniswerbung für Aus- bzw. Übersiedler und scharfer Abgrenzung gegenüber Asylsuchenden trat auch dort zutage, wo z.B. wirtschaftliche Interessen und Hoffnungen bei Aus- und Übersiedlern - im Sinne des Konzepts der 'Integration durch Arbeit' - als erfreuliche Integrationshilfen bewertet wurden, bei Flüchtlingen aus den Elends- und Todeszonen der Dritten Welt hingegen zur Rede von 'Wirtschaftsasylanten' Anlaß gaben. Das 'Asylantenproblem' als politisches Kampfthema wurde bereichsweise auch bewußt geschaffen durch die Eröffnung einer Art zweiten Front bei der innenpolitischen und wahltaktischen Politisierung der 'Ausländerfrage'. Die Asyldebatte lenkte ab von jahrelanger Stagnation, Konzeptions- und Perspektivlosigkeit in der Ausländerpolitik, von folgenlosen Absichtserklärungen zur Ausländerintegration und der immer wieder vertagten Novellierung des Ausländerrechts.

Im Zeichen der Kampfansage gegen den 'Mißbrauch des Asylrechts' bestimmten defensive Maßnahmen der verschiedensten Art das Bild: Die Asylverfahren wurden bis an die Grenze des verwaltungstechnischen und rechtlichen Handlungsspielraums 'effektiviert', d.h. formalisiert, beschleunigt und verkürzt. Während das überlastete Personal des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge 1988-1990 von 536 auf 1.126 Stellen aufgestockt wurde und die Bearbeitungszeit in den 'beschleunigten Verfahren' (25-30 % aller Verfahren) auf 3 Tage bis 8 Wochen, im übrigen auf 9-10 Monate sank, wurde 1989 über die Anträge von 120.610, 1990 von 148.842 und 1991 von 168.023 Personen entschieden. [Fn_15: Bulletin, 24.1.1991, S. 42f.; FAZ, 6.1.1992, S. 4.]
Hinzu kam die Erschwerung der Einreise durch Visumzwang bzw. Transitvisapflicht, durch Bußgelder und die Rücktransport-

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pflicht für Luftfahrtgesellschaften bei der Beförderung von Passagieren ohne gültige Visa. Das war in vieler Hinsicht gleichbedeutend mit einer indirekten Auslagerung der Vorentscheidung an die deutschen Botschaften in den Herkunftsländern. Die aber waren angewiesen, die Visaerteilung streng zu handhaben und gerade dann zu verweigern, wenn der Verdacht begründet erscheine, daß das Besuchs- oder Touristenvisum in der Bundesrepublik für einen Asylantrag 'mißbraucht' werden solle. Das düsterste Kapitel indes markierte die in den Bundesländern unterschiedlich gestaltete 'Verhinderung materieller Anreize' für 'Wirtschaftsflüchtlinge' durch eine abschreckende Verschlechterung der Lebensbedingungen: Arbeitsverbote, Einschränkung der räumlichen Bewegungsfreiheit, Kürzung des Sozialhilfesatzes und Gewährung von Sozialhilfe als Sachleistung, Versagung des Kindergeldes, Verweigerung von Integrationshilfen und Bildungsmöglichkeiten, Regelunterbringung in Sammelunterkünften mit Gemeinschaftsverpflegung u.a.m.

Keine Frage, daß es, wie bei allen humanitären Gesetzeswerken, auch beim Asylrecht Mißbrauch gibt. Dahinter aber steht meist nicht schiere Täuschungsabsicht, sondern doppelte Not - Fluchtursachen im Herkunftsgebiet und Aufnahmebedingungen in einem Zielland, das reguläre Einwanderungschancen nicht bietet. Einwanderungsgesetzgebung und -politik nicht kennt: Von der 'besonderen Arbeitserlaubnis' einmal abgesehen, gab es - bei gültigem 'Anwerbestopp', ohne Einwanderungsgesetzgebung mit Zulassungsquoten und ohne zureichende Kontingentangebote für Krisengebiete - Wege in die Bundesrepublik nurmehr über den Familiennachzug, für touristische, Besuchs- bzw. Ausbildungszwecke oder eben durch das Nadelöhr des Asylverfahrens. Das kam auch für viele Flüchtlinge, deren Schicksal es war, nicht lupenrein ins Bild der Deutschen vom politisch Verfolgten zu passen, einer indirekten Nötigung zum 'Mißbrauch des Asylrechts' gleich. Die Rede vom 'massenhaften Mißbrauch des Asylrechts' aber wird meist begründet mit dem Hinweis, daß kaum 5 % (1989: 5,0 %; 1990: 4,4 %) der Antragsteller anerkannt würden und demzufolge mehr als 95 % als 'Schein-' oder 'Wirtschaftsasylanten' zu verstehen seien. Das ist ein Kurzschluß: Geprüft wird im Asylverfahren nur, "ob die erlittene Verfolgung aus der Sicht des Verfolgerstaates 'politisch motiviert' war." [Fn_16: H. Uihlein, W. Weber, Werkheft Asyl, 3. überarb. Aufl., Karlsruhe 1989, S. 18.] Mehr als die Hälfte der abgelehnten Asylbewerber wird aus im Grundgesetz bzw. im Völkerrecht verankerten humanitären, rechtlichen oder politischen Gründen nicht

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abgeschoben. Diese auf Zeit geduldeten 'De-facto-Flüchtlinge', die das Gros der 'Asylanten' stellen, sind mithin keineswegs 'Wirtschaftsflüchtlinge' oder 'Scheinasylanten'. Sie sind vielmehr Flüchtlinge, die zwar im Sinne der Interpretation des deutschen Asylrechts nicht als asylberechtigt anerkannt wurden, deren Abschiebung aber im Sinne der von der Bundesrepublik unterzeichneten Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und einiger anderer Rechtstitel aus humanitären, politischen und sonstigen rechtlichen bzw. 'faktischen* (z.B. Staatenlosigkeit) Gründen gar nicht in Frage kommt. Das galt 1989 z.B. für 57 % (33.090) aller abgelehnten Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland. [Fn_17: Herbert Leuninger, Grafik Pro Asyl, 1991 (Quelle: Bundesministerium des Innern).]
Der Anspruch auf Asyl aber wurde in den 1980er Jahren immer weiter eingegrenzt - ganz abgesehen von den stark verringerten Möglichkeiten, ihn überhaupt zu erheben. Asylverfahrensgesetz, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis haben den materiellen Gehalt des Asylrechts zunehmend eingeschränkt und die Anerkennungsquote stark gesenkt. Um so mehr stieg die Zahl der 'De-facto-Flüchtlinge' unter dem Damoklesschwert der 'Duldung' auf Zeit. Unterschiede zwischen Aufnahme-, Lebensbedingungen und Abschiebepraxis der einzelnen Bundesländer konnten sogar zu der tragischen Groteske führen, daß sich das Fluchtgeschehen in der Bundesrepublik fortsetzte: Asylsuchende flohen in Westdeutschland von einem Bundesland ins andere, abgesehen von der Ost-West-Flucht von Asylsuchenden, die vordem in der DDR Arbeitsverträge hatten, und von solchen, die im Sinne des deutsch-deutschen Einigungsvertrages in den neuen Bundesländern untergebracht worden waren, wo sich in rechtsextremistischen Gruppen die eigene Frustration durch Überfremdung aus dem Westen umsetzte in Aggression gegen Fremde aus der Dritten Welt.

Verfassung und Verfassungswirklichkeit scheinen in Asylrecht und Asylrechtspraxis auseinanderzutreten. Die oft notgedrungene Versuchung zum 'Mißbrauch des Asylrechts' hat, wie gezeigt, ihren Grund darin, daß es für viele keinen anderen Weg in die Bundesrepublik gibt, die 'kein Einwanderungsland' sein oder werden will und deshalb weder eine flexible Einwanderungsgesetzgebung entwickelt hat noch jenes System von Steuerungsventilen für Zuwanderungsdruck, das man aktive Einwanderungspolitik nennt. Hinzu kommt der Mangel an tragfähigen und international abgestimmten Regelungen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten. Das umkämpfte Grundrecht auf Asyl hat die Vereinigung der Deutschen 1990 unangetastet

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überlebt. Ob es die bis zur Öffnung der innereuropäischen Grenzen Ende 1992 geforderte 'Harmonisierung' des Asylrechts auf europäischer Ebene überstehen wird, bleibt offen. Während Politisierung und Emotionalisierung fremdenfeindliche Abwehrhaltungen steigerten und damit auch die politischen Handlungsspielräume verengten, gab es in der Sache lange nur wenige richtungweisende Initiativen. Dazu gehörte eine Entschließung des Bundestages (23.7.1978), zu prüfen, inwieweit Schutzsuchenden aus Bürgerkriegs- und anderen Krisengebieten jenseits des individuellen Asylrechts Hilfe auf Zeit gewährt werden könne. In die gleiche Richtung zielte das vor dem Hintergrund der anwachsenden Fluchtbewegungen in Südostasien ('boat people') verabschiedete 'Kontingentflüchtlingsgesetz' (22.7.1980), das Möglichkeiten zur kollektiven Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisengebieten ('Kontingentflüchtlingen') bot, von denen in der Folgezeit ca. 36.000 Menschen Gebrauch machen konnten.

Eine besondere Wegmarke bildete die 'neue Flüchtlingspolitik' des Berliner Senats vom Sommer 1989, die individuell-menschliche Probleme sowie aktuell-politische Gegebenheiten im Herkunftsland stärker einbezog und dabei neben Verfolgung oder menschenrechtswidriger Behandlung auch Krieg und Bürgerkrieg, Naturkatastrophen und Hungersnöte als Gründe gegen eine Abschiebung gelten ließ. Die Reform des Ausländerrechts hingegen, die im Winter 1989/90 heftiger diskutiert wurde als nach ihrer Verabschiedung im Juli 1990, brachte im Bereich des Asylrechts nach Einschätzung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen nur "wenig mehr Integration und sehr viel mehr Abschottung." [Fn_18: Uihlein/Weber, S. 15f.; Walter Koisser (Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars), in: FR, 16.11.1989.]

In vieler Hinsicht richtungweisend war die im September 1990 von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgestellte, von einer interministeriellen Arbeitsgruppe ausgearbeitete 'Flüchtlingskonzeption der Bundesrepublik Deutschland', die 'Ansätze für eine ressortübergreifende Politik' formulierte: Sie bot einen ersten amtlichen Orientierungsrahmen für eine umfassende Antwort auf die Herausforderung durch das Weltflüchtlingsproblem - von der Außenpolitik über die Entwicklungs- bis zur Asylpolitik und von der besonders betonten Bekämpfung der Ursachen von Fluchtbewegungen bis hin zur Flüchtlingsaufnahme und zur Rückkehrhilfe auf nationaler Ebene und in internationaler Ko-

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operation. [ Fn_19: Flüchtlingskonzeption der Bundesrepublik Deutschland: Ansätze für eine ressortübergreifende Politik, hg. vom Bundesminister des Innern, Bonn, 25.9.1990.]
In diesem auch international begrüßten Orientierungsrahmen aber hat sich bislang wenig bewegt.

In der Spanne zwischen individueller Asylgewährung und kollektiver Not, weltweitem, auch kontinentaleuropäischem Entwicklungsgefälle und schrumpfenden Aufnahmekapazitäten aber erscheint insgesamt dreierlei sachlich notwendig, politisch machbar und rechtlich gestaltbar: 1. die Beibehaltung des individuellen Asylrechts für politisch Verfolgte, ergänzt durch multilateral abgesicherte Kontingentlösungen als kollektive Krisenhilfe; 2. Einwanderungsgesetzgebung und Einwanderungspolitik mit Quotenregelungen; vor allem aber 3. die Bekämpfung der Fluchtursachen im Sinne einer migrationsorientierten Entwicklungspolitik bzw. einer entwicklungsorientierten Migrationspolitik - nicht als verschämter Gnadenakt der Reichen gegenüber den Armen oder gar als defensive Selbstschutzmaßnahme der Reichen gegen die Armen, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe im gemeinsamen Interesse. Das verweist auf die globalen Dimensionen des Problems, bei deren Bewältigung es keine nationalen Alleingänge geben kann. Die Bonner 'Flüchtlingskonzeption' war denn auch nur als "Grundlage eines internationalen Vorgehens in der Flüchtlingsfrage" gedacht. [Fn_20: Ebenda, S. 23.] Hierher gehörte die auf Initiative des Europarates einberufene internationale Ministerkonferenz über 'Ost-West-Wanderungsfragen' in Wien am 24./25. Januar 1991. Sie bildete den Auftakt zu einer Reihe von zum Teil stark defensiv bzw. sicherheitspolitisch ausgerichteten internationalen Konferenzen über Weltwanderungsprobleme mit dem Ziel einer "abgestimmten Politik sowohl der Industriestaaten als auch der Herkunftsstaaten" zur Bewältigung "der weltweiten Flüchtlingsproblematik durch Bekämpfung der Fluchtursachen". [Fn_21: Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble, zit. nach: FAZ, 5.1.1991, S. 1.] Dabei aber geht es im Kern nicht um Migrationspolitik, sondern um Verteilungsprobleme in der Weltgesellschaft. Über eine entwicklungsorientierte Migrationspolitik bzw. eine migrationsorientierte Entwicklungspolitik hinaus wird hier deshalb letztlich nur ein 'internationaler Lastenausgleich' weiterhelfen können, der das weltweite Fluchtgeschehen als Ausdruck einer globalen Strukturkrise versteht. [Fn_22: F. Nuscheler, Migration - Flucht - Asyl, Tübingen 1988, S. 84f.]

[Seite der Druckausg.: 68 = Leerseite]


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