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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 41] Wolfgang Schuth
Das in der Verfassung verbürgte Grundrecht auf Asyl für den politisch Verfolgten ist Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Die Verfassungsmütter und -väter haben dieses Grundrecht an prominenter Stelle verankert. Dies war eine sehr bewußte Reaktion auf die Erfahrungen der Situation nach dem Ersten Weltkrieg und die Erfahrungen mit dem Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg. Die Mitarbeiter der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege selbst waren Zeugen und Opfer dieser Geschichte. Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt wurden verboten und mußten ins Exil gehen. Teile der Kirchen gingen in den Widerstand, und ein Kollege des katholischen Büros bezeichnete die Kirchen im Nationalsozialismus als eine der größten Schlepperorganisationen während der Zeit der Diktatur. Als Ungarn sich im März 1989 zu den Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention bekannte, war damit ein Instrument geschaffen, Bürgern der DDR Aufnahme zu gewähren. Die Flucht aus der DDR war auch Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem System und hat entscheidend zur radikalen Veränderung beigetragen. Wir erleben dies in vielen Ländern der Welt, das Flucht den Weg zum gesellschaftlichen Umbruch bereitet - da waren auch die anderen Länder Osteuropas ein Beispiel. Oft ist es aber auch die Flucht aus der Not oder der Kriegssituation. Diese Erfahrungen, die wir auch hier gemacht haben, werden schnell vergessen. Deshalb müßten wir heute, würden wir die Verfassung neu schreiben, das Asylrecht unverändert in die neue deutsche Verfassung schreiben. Es ist sozusagen eine gesellschaftliche Aufgabe, daß Großorganisationen, wie die Freie Wohlfahrtspflege auf die Flucht und die Fluchtursachen hinzuweisen, sie nicht negieren und darauf drängen, daß wir einen fairen Umgang mit Asylsuchenden wahrzunehmen haben. [Seite der Druckausg.: 42] Heute ist das Grundrecht auf Asyl in der Diskussion, weil es sozusagen mißbraucht wird - sagen die, die es ändern wollen. Damit ist gemeint, daß viele Ausländer, die zum Teil nicht politisch verfolgt im engen Sinne des Asylrechts sind, das Asylanerkennungsverfahren - ich betone das Verfahren - benutzen, um Aufenthalt in der Bundesrepublik zu erhalten. Damit ist ihnen das Asylrecht noch nicht zugesprochen - aber die Vorwirkung, die das Asylrecht haben muß -sonst wäre es sinnlos - ermöglicht den Aufenthalt im Bundesgebiet. Es kommt deshalb darauf an, das Asylanerkennungsverfahren rechtsstaatlich und zügig durchzuführen. Auf die verfahrene Situation im Asylverfahren brauchen wir hier nicht einzugehen - wichtig allerdings ist es zu erkennen, daß dies in den sozialrechtlichen Bestimmungen seine konsequente Fortsetzung findet. Selbst diejenigen, die Einschränkungen und die Abschaffung des Asylrechts fordern, müßten die elementare Forderung - das Gebot der Menschenwürde des Artikel l des Grundgesetzes - achten: Die Menschenwürde ist unteilbar! Sie ist nicht unterschiedlich verteilt nach Paß, Hautfarbe oder Herkunft. Schon das Menschenwürdegebot zwingt uns zu Auseinandersetzungen mit dem Vorbringen der Verfolgungsgeschichte eines ausländischen Bürgers. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege müßten auch ohne den historischen Bezug aufgrund des Menschenwürdeprinzips für das Asylrecht einstehen. Dabei ist entscheidend für die Wirkung des Grundrechts, daß die Fiktion, daß der Schutz des Asylrechts solange gelten muß, solange das Gegenteil im Verfahren nicht festgestellt wurde, wirkt. Wer diesen Grundsatz einschränkt, schränkt das Recht auf Asyl selber ein. Die geringe Anerkennungschance im Verwaltungsverfahren, die ähnlich niedrig ist wie in anderen Bereichen des Verwaltungsrechts, darf nicht dazu führen, vom Prinzip einer effektiven Asylgewährung abzuweichen. Europa scheint zum weiteren Schlagwort für die Einschränkung des Asylrechts zu werden. In der Folge der Öffnung der Grenzen stehen uns nach Aussagen der Politiker Gefahren ins Haus, die es zu bekämpfen gilt: Terrorismus, Drogenhandel und Flüchtlinge. Auch dies kann hier nicht vertieft behandelt werden -doch muß auf die Wirkung in der Öffentlichkeit hingewiesen werden, die solche [Seite der Druckausg.: 43] Gleichstellungen haben müssen. Das die Aufnahme von Flüchtlingen ein humanitärer Akt ist, daß das Asylrecht die Freiheitsstatue in der Verfassung ist, wie Burkhard Hirsch sagte, wird heute eher milde belächelt. Der Sozialstaat hat die Menschenwürde nicht nur zu achten und zu schützen durch die Abwehr von Eingriffen in diese. Er muß es vielmehr als seine vornehmliche Aufgabe betrachten, die Würde des Menschen auch zu verwirklichen durch Gesetze, durch Sozialleistungen und Hilfen, um jedem Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Was bedeutet dieser Grundsatz für Asylsuchende, wenn die politischen Vorgaben für die Behandlung von Asylsuchenden von Abschreckung und Anreizminderung getragen sind und Integration bewußt abgelehnt wird? Dies drückt sich formal in den Richtlinien des Landes Sachsen-Anhalt aus, die auf Großlager drängen, Kasernen zu Flüchtlingsunterkünften machen wollen und dabei Wohnplätze von maximal fünf Quadratmetern vorsehen. So heißt es in den "Grundsätzen über die Unterbringung von Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften":
[Seite der Druckausg.: 44] Die Wirklichkeit sieht oft noch düsterer aus - wie wir auch positive Beispiele für dezentrale Unterbringungsformen in Sachsen-Anhalt haben. Die Freie Wohlfahrtspflege kann diesen Maßnahmen nicht zustimmen. Sie muß auf die zu erwartenden Probleme mit der einheimischen Bevölkerung hinweisen und Alternativen anbieten. Wer sich die Asyl verfahren ansieht und die Art dei Unterbringung verfolgt, der stellt fest, daß wir das sogenannte Flüchtlingsproblem verwalten.
[Seite der Druckausg.: 45] Die Aufzählung ließe sich weiterführen und jeder einzelne Punkt bedürfte der Kommentierung. Wir machen durch unsere unsoziale Politik für Flüchtlinge diese wie keine andere Gruppe zum Objekt der Innen- und Sozialverwaltung. Während sonst in der Regel Sozialarbeit auf auffälliges Verhalten reagieren soll, ist der Asylsuchende schon als solcher Klient und Adressat öffentlicher und Freier Wohlfahrtspflege. Die soziale Beratung und Betreuung beschäftigt sich mehr mit der Durchführung und den Folgen einer ausländerpolitisch motivierten Behandlung der Asylsuchenden und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung, als mit den Problemen der Betroffenen. Wenn z.B. in Sachsen-Anhalt die Unterbringung von Asylsuchenden durch die Bezirksregierungen gelöst wird und die Federführung für die Unterbringung beim Innenministerium liegt, dann sind die Kommunen und die Sozialverwaltung außen vor. Dann deutet dies darauf hin, daß die Aufnahme von Flüchtlingen eher ein Problem ist, das es zu administrieren gilt, als in Kooperation mit den Kommunen und der Sozialverwaltung einvernehmlich zu lösen. Dieser Politik liegt die Vorstellung zugrunde, daß alleine der Wohlstand in der Bundesrepublik Menschen zur Flucht animiert. Die bewußte Verschlechterung der Lebensbedingungen muß deshalb zwangsläufig zum Rückgang der Flüchtlingszahlen führen. Daß tatsächlich Flüchtlinge die Situation nicht nach der Entwicklung in der Bundesrepublik beurteilen, sondern ihre Flucht Ursachen im Herkunftsland hat - Verfolgung, Krieg- oder Bürgerkrieg - läßt der Gedanken der Abschreckung oder Anreizminderung mit Mitteln der Sozialpolitik banal erscheinen. Sie verfehlt ihre Wirkung auf die Bevölkerung aber keineswegs. Wenn es also um die Aufgaben der Wohlfahrtspflege geht, dann verstehen wir das so, daß wir
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Die Beratung und Betreuung Asylsuchender ist seit Jahrzehnten ein Tätigkeitsfeld der sozialen Arbeit. Auch in Sachsen-Anhalt sind die Wohlfahrtsverbände Träger von Beratungsstellen für ausländische Flüchtlinge und betreuen Flüchtlinge in Kommunen und Unterkünften. Darüber hinaus sind sie teilweise als Träger von Gemeinschaftsunterkünften für die Unterbringung selbst verantwortlich. Auch im Flüchtlingsbereich gilt der Vorrang der Freien Wohlfahrtspflege gem. § 10 Abs. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Gerade im Flüchtlingsbereich halten wir ein Angebot an unabhängiger und neutraler Beratung für wünschenswert. So sollte die kommunale Sozialarbeit durch die der Freien Träger ergänzt werden. Das Vordringen privater Unternehmen in den Bereich der Betreuung ausländischer Flüchtlinge ist bedenklich, stehen doch Erwägungen der Gewinnmaximierung bei privaten Unternehmen im Vordergrund. Es ist deshalb zu fordern, daß Privatunternehmen auf dem Bereich der Unterbringung (Bereitstellung von Unterkünften) beschränkt werden. Die Einbeziehung der Wohlfahrtsverbände in die Wahrnehmung der Aufgaben in der Flüchtlingsarbeit kann auf verschiedene Weise geschehen:
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In keinem Fall kann der Sozialhilfeträger hoheitliche Aufgaben delegieren, wie etwa die Auszahlung der Sozialhilfe - was regelmäßig zu Problemen führt. Die Aufnahme von Asylsuchenden ist durch ein erhebliches Maß von asyl-, ausländer- und sozialrechtlichen Bestimmungen vorbestimmt. Die Asylsuchenden haben insbesondere in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft einen erheblichen Bedarf an Informationen über ihre rechtliche Lage. Im allgemeinen kann dies durch fachkundige Berater geleistet werden. Nun sind zwar die neuen Bundesländer durch den Einigungsvertrag zur Aufnahme von 20 % Asylsuchenden verpflichtet. Mit dieser Verpflichtung war allerdings die Herstellung der Infrastruktur noch nicht gewährleistet. Das heißt, fachkundige Berater auf Seiten der Wohlfahrtspflege gab es nicht und müssen erst ausgebildet werden. Das bedeutet für uns einen erheblichen Bedarf an Fortbildungsveranstaltungen, die wir offen für die öffentliche und Freie Wohlfahrtspflege durchführen. Das heißt, das Beratungsnetz ist erst im Aufbau, und wir stoßen auch hier administrativ an eine Grenze, da die Landesrichtlinien vorsehen, nur dort Berater zu finanzieren, wo Asylsuchende in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Wo findet die Beratung für die dezentral Untergebrachten statt, und wer trägt hierfür die Kosten? In allen anderen sozialen Bereichen wird derzeit viel über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gelöst. Auf Dauer ist es notwendig, auch für die dezentral Untergebrachten Beratung zu organisieren und zu finanzieren. Praktisch heißt dies, daß neben der Ausbildung von Fachleuten auch die Erstellung von entsprechenden Informationsmaterialien, die als Orientierungshilfe für Flüchtlinge dienen können, erst entwickelt werden müssen und zum Teil rudimentär bestehen, wie zum Beispiel: Ämterinfos, kommunale Wegweiser oder sprachliche Orientierungsangebote durch die Volkshochschulen und Freien Träger. [Seite der Druckausg.: 48] Unter den Asylbewerbern gibt es Menschen mit traumatischen Fluchterlebnissen oder Verfolgungsschicksalen - Foltererfahrungen. Für sie besteht in der Regel Bedarf an psychosozialer Beratung, der im Rahmen der allgemeinen Beratung nicht abzudecken ist und besondere Fachkenntnisse erfordert. Ein solches Zentrum existiert in Sachsen-Anhalt nicht. Insbesondere im Bereich der psychosozialen Beratung, aber auch bei anderen Beratungsangeboten existiert das Problem der mangelnden Sprachkenntnisse vieler Flüchtlinge bzw. der Berater. Die Zusammenarbeit mit Dolmetschern ist deshalb unumgänglich. Für die Unterbringung alleinlebender Minderjähriger muß es, wenn sich der Bedarf ergibt, eine separate Lösung fernab der Großunterkünfte geben. Ein weiteres Handicap der Beratung ist es, daß die zuständigen Fachorganisationen und Fachbehörden, die bei der Beschaffung und Erledigung unterschiedlichster Aufgaben behilflich sein können oder ohne deren Hilfe und Unterstützung es zum Teil gar nicht geht, nicht bekannt sind. Auch diese Stellen müssen stärker ins Bewußtsein gebracht werden und im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen ihre Aktivitäten darstellen:
Der Bereich der Rechtsberatung ist noch unterentwickelt, weil es in den neuen Bundesländern ohnehin zu wenig Juristen gab und das deutsche Verwaltungsrecht, gerade das Asylrecht, mit besonderen Problemen behaftet ist. Die Freien Verbände unterhalten in Zusammenarbeit mit dem UNHCR ein Netz von Rechtsberatern. Es ist allerdings zu befürchten, daß der Aufbau einer ähnlichen Struktur in den neuen Ländern nur schwer gelingt. Kaum ein anderes Rechtsgebiet wird so stark von Einzelfallentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes beeinflußt und setzt ein hohes Maß an Wissen der Rechtssprechung voraus. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind auch hier gefordert, die Rudimente des Rechtsberatungssystems in den neuen Bundesländern weiter zu entwickeln. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001 |