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Podiumsdiskussion: Aktuelle Fragen zum Asylrecht

Die Situationsbeschreibungen und Ergebnisse der Analysen signalisieren politischen Handlungsbedarf. Welche Konsequenzen gezogen werden sollen, ist gleichwohl strittig; trotz Kanzlergespräch am 10. Oktober 1991 und dort erzielter Einigung zu den Verfahrenswegen bei Asylverfahren bleiben die (parteipolitischen Positionen in der Asylfrage in ihren Grundlinien kontrovers.

Mit der Podiumsdiskussion am Nachmittag der Tagung bot sich die Gelegenheit, grundsätzliche Fragen vor dem Hintergrund der in den Referaten des Vormittags entwickelten Anforderungen an eine Zuwanderungspolitik der Zukunft zu besprechen. Dr. Herta Däubler-Gmelin, MdB und Stellvertretende Vorsitzende der SPD, erläuterte die Vorstellungen ihrer Partei. Eduard Lintner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren, präzisierte die entsprechenden Positionen der Bundesregierung bzw. seines Ministeriums. Als dritter Podiumsteilnehmer verdeutlichte Walter Koisser, Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland, die Vorgaben insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention, zu deren Unterzeichner-Staaten die Bundesrepublik Deutschland gehört, und die ein Rahmenwerk darstellt, das in keinem (parteipolitischen Entwurf zu einer Zu-wanderungspolitik übersprungen werden kann.

An vier Punkten verdeutlichten sich die Positionen der Podiumsteilnehmer: An der zentralen Frage, ob Abschottung gegenüber Zuwanderung überhaupt möglich und ob sie auf der anderen Seite wünschbar ist. Die übrigen drei Punkte betrafen unter verschiedenen Aspekten die Frage der Verfahren, auf der Seite der SPD als Durchsetzung rechtsstaatlicher und effizienter Massenverfahren zur zügigen Entscheidung über Bleiberechte für politische Flüchtlinge oder deren Verweigerung konzipiert, vom Innenministerium als Begrenzung der Zuwanderung aufgefaßt. Quotierung von Zuwanderungsgruppen, Verkürzung von Asylverfahren, Änderung des Artikels 16 GG, die Zurückweisung von Asylbewerbern bereits an der Grenze zur Bundesrepublik und Fragen der sozialverträglichen Gestaltung von Zuwanderung in qualitativer und quantitativer Hinsicht wurden angesprochen.

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Die SPD setzt bei der Zuwanderung darauf, die Zahl entsprechend der vorhandenen und machbaren Infrastruktur festzulegen. Das gelte aber nur für Ein- bzw. Zuwanderer, nicht aber für politische Flüchtlinge. Dort könne nicht quotiert werden. Beim Asylrecht könnten Ausgestaltung und Dauer der Anerkennungs- bzw. Ablehnungsverfahren allerdings erheblich effizienter gestaltet werden. Wegen der heute fehlenden Infrastruktur (Wohnungen, Kindergärten, Schulen usw.) müsse den in den vergangenen Jahren sehr stark mit Aussiedlern und Flüchtlingen belasteten Gemeinden unmittelbar geholfen werden.

In der Politik gehe es darum, mit der Bevölkerung ganz offen über die geänderten Bedingungen seit dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs in Europa zu reden, das die Zuwanderung im großen Stil von Osten nach Westen aufgrund der erbärmlichen Lebensbedingungen in den östlichen und südöstlichen Ländern erst möglich gemacht habe. Die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze setze im übrigen nicht nur rechtliche Veränderungen voraus, sondern vor allem, daß Deutschland oder, wenn man dies wolle, ganz Europa durch eine Mauer und Stacheldraht umgeben würde. Das aber wolle niemand. Das Bundesinnenministerium, insbesondere in der Person des ehemaligen Bundesinnenministers Schäuble, ist, was die Wirksamkeit des veränderten Asylverfahrens angeht, mehr als skeptisch. Die nachfolgenden Beiträge Eduard Lintners verdeutlichen dies. Statt auf Verkürzung der Asylverfahren wird nach wie vor auf eine Ergänzung des Artikel 16 Grundgesetz (politisch Verfolgte genießen Asyl) gesetzt, die es möglich macht, Asylbewerber unter bestimmten Voraussetzungen bereits an der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland zurückzuweisen. Eine grundsätzlich andere Position wird auch bei der Definition der Gruppe von Menschen deutlich, die als Zuwanderer bezeichnet werden: Aussiedler, deren Feststellungsverfahren positiv entschieden worden seien, seien Deutsche ohne Wenn und Aber und daher nicht als Zuwanderer zu behandeln, deren Zuzug gesteuert oder begrenzt werden könne.

In der Ausgangsfrage nach der Realisierbarkeit und Wünschbarkeit einer Abschottung gegenüber weiterer Zuwanderung umreißt Dr. Däubler-Gmelin die Position der SPD folgendermaßen: Abschottung ist aus Sicht der SPD weder möglich noch wird Abschottung für wünschenswert gehalten. Ein großer Teil unseres Wohlstands sei in der Vergangenheit der Arbeit von zugewanderten

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Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verdanken. Die Steuerung der Einwanderung sei möglich, nur müsse sie nach bestimmten Kriterien verlaufen, über die heute noch keine Klarheit bestehe. Sozialverträglichkeit sei notwendiger und wichtiger Maßstab; sie verlange zumindest für die vor uns stehende Zeit eine verlangsamende Steuerung der Zuwanderer dort, wo dies machbar und vertretbar sei. Artikel 16 Grundgesetz sei für die SPD unantastbar. Politischen Flüchtlingen müsse geholfen werden. Artikel 16 eigne sich als Instrument der Zuzugssteuerung oder Einwanderungsbegrenzung nicht. Beim Kanzlergespräch am 10. Oktober 1991 hätten, so Frau Dr. Däubler-Gmelin weiter, alle Beteiligten folgenden Positionen zugestimmt: Um Deutschland soll keine neue Mauer gezogen werden, eine Grundgesetzänderung oder Grundgesetzergänzung wäre deshalb nicht wirksam; Europa, Westeuropa, dürfe nicht zur Festung ausgebaut werden, die sich gegenüber Osteuropa oder gegenüber den Ländern des Südens abschottet.

In der Entgegnung bekräftigt Lintner, daß Zuwanderung dennoch begrenzbar sein muß, weil sie sonst nicht verkraftbar ist. Es können nicht alle, die kommen wollen, aufgenommen werden, weil dies Destabilisierung zur Folge hätte und letztlich denen, die hier berechtigt Asyl suchen, auch nicht helfen würde. Es ist ein wichtiger Ansatzpunkt, dort mit Hilfe anzusetzen, wo die Ursachen der Wanderung sind. Ob die Bemühungen vor Ort, in den Herkunftsländern, tatsächlich von Erfolg gekrönt sein werden, hängt nicht allein von den Bemühungen der Bundesregierung ab, sondern vor allem auch von den inneren Konditionen in den Herkunftsländern. Deshalb kann nicht vorhergesagt werden, ob es mit diesen Instrumenten möglich sein wird, die Zuwanderung zahlenmäßig im wünschenswerten Umfang einzuschränken. Es besteht jetzt eine Situation, in der für diejenigen, die aus berechtigten Gründen Asyl fordern, nicht mehr die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung sichergestellt werden könne. Dies fordert nach Lintners Meinung die Politik zum Handeln auf, weil die Akzeptanzschwelle in der Bevölkerung nicht beliebig verändert werden könne. Diese Begrenzung, die im Ernstfall notwendig wird, ist - und dies ist auch weiterhin die dezidierte Position des Innenministeriums - nur durch eine Änderung des Grundgesetzes Art. 16 möglich.

Koisser verdeutlicht im Zusammenhang mit der Frage nach Machbarkeit und Wünschbarkeit einer Abschottung die Relation der Zuwanderung nach Europa soweit es sich um Asylsuchende und Flüchtlinge handelt: Diese Menschen ma-

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chen nur einen kleinen Teil der Zuwanderung insgesamt aus, obwohl es im Augenblick hohe Zahlen sind und die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren viele Flüchtlinge und Asylbewerber aufgenommen hat, mehr als jedes andere Land in der Europäischen Gemeinschaft. Es darf aber nicht übersehen werden, daß es weniger als 10 % der Flüchtlinge sind, die Europa und die Länder in Nordamerika erreichen. Über 90 % der Flüchtlinge dieser Welt befinden sich in den Ländern der sog. Dritten Welt. Die Gründe für die massiven Fluchtbewegungen sind allzu bekannt: Man trifft eine Menschenrechtssituation in vielen der Herkunftsländer, die nicht geeignet ist, dort ein demokratisches Leben zu führen, es herrscht nach wie vor politische Verfolgung. Ökologische Katastrophen, Armut, Hunger und Bürgerkriege zwingen die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat. Aus der Position des Hohen Flüchtlingskommissars stellt die Genfer Flüchtlingskonvention, die ja gerade geschaffen wurde, um den Millionen von Flüchtlingen nach dem 2. Weltkrieg zu helfen, bereits eine sehr gute Basis dar, um europaweit Verfahren zu schaffen, die es ermöglichen, gerechte, schnelle und faire Asylverfahren durchzuführen.

Unabhängig davon, ob programmatisch von Steuerung oder von Begrenzung gesprochen wird, stellt sich die grundsätzliche Frage nach den Kriterien und den Verfahren, also die Frage danach, wer kommen darf oder sogar soll und über welches Instrumentarium Einfluß genommen werden kann. Für die Position des Innenministeriums in diesen Fragen führt Lintner aus, daß Zuwanderung nicht zuletzt für das wirtschaftliche Wachstum in der Bundesrepublik notwendig ist und sein wird, daß aber Zuwanderung bereits über drei Gruppen gesichert sei: über die Bürger der Europäischen Gemeinschaft, die sich jeder Zeit in der Bundesrepublik niederlassen dürfen; über die Flüchtlinge und Asylanten, die legaliter auf Dauer bleiben und über die Aussiedler, von denen etwa 200.000 Personen 1991 in die Bundesrepublik gekommen sind. Letztere Gruppe entspricht mit Blick auf die Altersstruktur unter bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten in etwa den objektiven Anforderungen. Zusätzlich werde geschult und ausgebildet. Nach Lintners Auffassung ist das Problem einer Steuerung von Zuwanderung nach bevölkerungspolitischen und qualifikatorischen Gesichtspunkten wie auch die grundsätzliche Frage einer Quotierung eher nebensächlich. Dreh- und Angelpunkt der gesamten Zuwanderungspolitik bleibt für ihn die z. Zt. unkontrollierbare Zuwanderung über den Art. 16 des Grundgesetzes. Er soll im Kern den politisch Verfolgten Asyl in der Bundesrepublik Deutschland sichern, hat aber in seiner jetzigen Form nach

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Auffassung des Innenministeriums offensichtlichen Mißbrauch zur Folge. Lintner bekräftigt entsprechend die Forderung, den Art. 16 mit Einschränkungen zu versehen, die einen derartigen Mißbrauch einzuschränken geeignet sind, erst danach könne über Quotierung sinnvollerweise geredet werden.

Dazu konträr ist die Position der Sozialdemokraten: Flüchtlinge und Einwanderer müssen unterschieden werden. Bei Flüchtlingen kann überhaupt nicht quotiert werden, weil Menschen, die verfolgt sind, nicht warten können, sie brauchen sofort Schutz. Die Zulassung von Aussiedlern könne entsprechend den Möglichkeiten unserer Infrastruktur sehr wohl auf eine bestimmte Zahl pro Jahr begrenzt werden. Das würde nicht bedeuten, daß der Rest abgelehnt würde, er müsse jedoch warten. Menschen, die sich auf das Recht der Familienzusammenführung berufen könnten, hätten ebenfalls ein Zuzugsrecht. Bei Arbeitsemigranten könne und müsse quotiert werden; allerdings gelte es hierfür Kriterien zu finden, die sich nicht nur an unseren wirtschaftlichen Interessen orientierten.

Koisser stellt noch einmal deutlich heraus, daß das Asylrecht und auch die Genfer Flüchtlingskonvention nie dazu gedacht waren, Einwanderungskontrolle auszuüben. Wenn von Asyl im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention gesprochen wird, dann können nicht Zahlen das entscheidende Kriterium sein, sondern die Schutzbedürftigkeit des Einzelnen. Und die Gewährung von Asyl kann nicht an Quoten gekoppelt werden. Eine andere Sache dagegen ist die Migration aus wirtschaftlichen Gründen. Nach Koissers Auffassung ist der Flüchtlingsbegriff dabei durchaus geeignet, auch Fälle von Flucht vor Bürgerkriegen wie z.B. jetzt in Jugoslawien abzudecken. Hier entscheidet allein der politische Wille, was der Flüchtlingsbegriff beinhaltet und was nicht.

Unter dem Stichwort "Sozialverträglichkeit der Zuwanderung", das in den Referaten des Vormittags und dort insbesondere in den Ausführungen zu den Auswirkungen der Zuwanderung auf Städte und Kommunen in die Diskussion gebracht worden war, kritisierte Dr. Däubler-Gmelin die Versäumnisse der Bundesregierung in den vergangenen acht Jahren bei der Schaffung der notwendigen Infrastruktur, also bei Wohnungen, Kindergärten, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Diese Mängel seien das eigentliche Problem, das es jetzt zu beheben gelte. Sie halte es für unerträglich und für politisch schädlich, Mängel der Politik auf dem Rücken der Menschen

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auszutragen, die sich nicht wehren könnten und sie so zum Sündenbock für eigene Versäumnisse zu machen.

Sie halte es auch nicht für richtig, die Gruppe der Aussiedler und der Asylsuchenden gegeneinander auszuspielen. Klar sei jedoch, daß Aussiedler auf dem Wohnungsmarkt Wohnungen nachfragten, nach denen sowieso schon ein erheblicher Bedarf in der ansässigen Bevölkerung bestehe, nämlich nach knappen Sozialwohnungen. Neben den rund 1,6 Millionen Aussiedlern, die seit 1986 in der Bundesrepublik aufgenommen worden seien, gelte das auch für die statistisch nicht mehr erfaßte Zahl von Übersiedlern aus den neuen Bundesländern, die im Westen Arbeit gefunden hätten. Was für Wohnungen gelte, gelte auch für die knappen Einrichtungen der übrigen sozialen Infrastruktur, also Kindergartenplätze, Kinderhorte u.a. Da die Ressourcen allgemein knapp seien, mache sich Konkurrenz gerade bei den wenig verdienenden Bürgerinnen und Bürgern unserer Bevölkerung deutlich. Das mache verständlichen Unmut, dürfe aber nicht Asylsuchenden angelastet werden.

In der Entgegnung streicht Lintner heraus, daß Sozialverträglichkeit nicht eine Frage ist, die nur die Aussiedler betrifft. Die Frage, ob Zuwanderung im weitesten Sinne sozialverträglich gestaltet werden kann, ist eine Frage der Zahlen und hier vor allem der Zahlen derer, die unter Berufung auf das Asylrecht in die Bundesrepublik kommen. Daß der SPD-Entwurf eine Quotierung gerade der Aussiedler, die Deutsche sind und einen entsprechenden Anspruch genießen, beinhaltet, weist Lintner als unverständlich zurück. Die Unruhe in der Bevölkerung hänge mit der Zahl der Asylbewerber zusammen. Die Kommunen und ihre Repräsentanten hätten sich weniger gegen die Aussiedler ausgesprochen, als dagegen. Asylbewerber in der jetzigen Zahl verkraften zu müssen.

Eine wirksame Verkürzung der Asylverfahren sei in der jetzt angestrebten Weise nicht zu erreichen, so Lintner auch in diesem Zusammenhang gegen die Position der SPD; sie bringe deshalb nicht den gewünschten Effekt einer Reduzierung der Zahlen, vielmehr muß ein Verfahren darauf gerichtet sein, denjenigen Menschen den Zugang zum Asylverfahren zu verwehren, bei denen von vornherein feststeht, daß sie nach der hiesigen Rechtssituation nicht als Asylberechtigte anerkannt werden können. Ein entsprechender Vorschlag seines

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Hauses dazu liegt vor: Diejenigen, die aus einem sicheren Drittland wie z.B. Dänemark in die Bundesrepublik kommen, die also von der Definition her eigentlich gar nicht Asylbewerber sein können, sollen in dieses sichere Drittland zurückgeschickt werden, damit sie ihre Verfahren aus diesem Land heraus betreiben. Abgewiesen werden sollen auch diejenigen, die aus Ländern kommen, in denen nachgewiesenermaßen keine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 GG stattfindet. Dies betreffe zigtausende von Asylbewerbern z.B. aus Rumänien, Bulgarien, Polen. Und drittens schließlich soll derjenige, der in einem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft bereits ein Verfahren betrieben hat und abgewiesen worden ist, auch sofort von der Bundesrepublik abgewiesen werden.

Kontrovers zwischen den Parteien bleibt die Frage der Wirksamkeit der Verabredung im Kanzleramt vom Oktober 1991. Dr. Däubler-Gmelin faßt die geplanten Verfahrensregelungen so zusammen: Während heute das Verfahren durch Zuständigkeitszersplitterung, Doppelarbeit zwischen Bund und Land und Ineffizienz im allgemeinen gekennzeichnet sei, was sich zunehmend belastend auch für die Betroffenen und die Gemeinden auswirke und zu überlangen Verfahrensdauern auch in einfachen Fällen führe, sehe der Vorschlag der SPD, der im Gespräch beim Bundeskanzler die Unterstützung aller Anwesenden gefunden habe, ein Verfahren vor, das das Verwaltungsverfahren in die Zuständigkeit einer Stelle, nämlich der des Bundes zusammenführe. Ob ein Bleiberecht bestehe, ob es auf Artikel 16, der Genfer Flüchtlingskonvention oder anderer ausländerrechtlicher Gründe beruhe, müsse gemeinsam erörtert, geprüft und entschieden werden. In den Gemeinschaftsunterkünften mit nicht mehr als höchstens 700 Plätzen sollten Asylbewerber höchstens sechs Wochen bleiben. Dort könnten regionale Schwerpunkte gebildet werden, die es ermöglichen, Informationen, Dolmetscher und andere notwendige sachliche Voraussetzungen rational und vernünftig zur Verfügung zu stellen. Allerdings müsse der Bund endlich die Verpflichtungen wahrnehmen, die er in seinem Verantwortungsbereich in der Vergangenheit erheblich vernachlässigt habe: Wer Asylsuchende nach dem Zehnfinger-System erkennungsdienstlich behandle, was sowieso rechtsstaatlich problematisch sei und im übrigen überflüssig sei, dann aber für die Verarbeitung eines Fingerabrucksatzes über neun Monate benötige, der solle sich gefälligst vernünftigere und rechtsstaatliche Verfahren einfallen lassen.

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Wer bisher weder eine vernünftige umfassende und informative Asyldokumentationsstelle aufgebaut habe und Zugriffsmöglichkeiten auf bestehende Informationen auf elektronischem Wege immer noch nicht installiert habe, müsse sich fragen lassen, ob die Forderung nach Veränderung des Grundgesetzes nicht vorgeschoben sei.

Es ist die praktische Realisierbarkeit der anvisierten Verkürzung der Verfahren, die Lintner in seiner Entgegnung bezweifelt. Er verweist darauf, daß seitens der Bundesländer, bevor Verfahren "in einer Hand" stattfinden können, Gemeinschaftsunterkünfte einzurichten und zwischen 500 und 600 Asylbewerber dann auch jeweils dort zu versammeln sind, damit sie für dieses schnelle Verfahren überhaupt erreichbar sind. Dieses Verfahren sei nur möglich, wenn die Länder bereit sind, diese Rahmenbedingungen zu schaffen. Es seien von den Ländern selbst, auch den sozialdemokratisch regierten, noch gar nicht alle Anforderungen an Objekte, die der Bund ihnen angeboten hat, gekommen. Es sei nicht richtig zu sagen, daß es der Bund ist, der die Realisierung des neuen Verfahrens abbremst. Dr. Däubler-Gmelin hält diesen Einwendungen verschiedene Tatsachen entgegen. Sie betont insbesondere, daß sich der Bund in dem Gespräch beim Bundeskanzler dazu verpflichtet habe, freistehende Bundesliegenschaften für Gemeinschaftsunterkünfte unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Das sei bisher nicht erfolgt, müsse aber jetzt endlich in die Tat umgesetzt werden. Sofern Baurecht geändert werden müsse, müsse das vom Bundestag geschehen. Im übrigen bestehe sie darauf, daß die mittlerweile mehr als 200.000 Altfälle beim Bundesamt in Zirndorf vor Beginn des neuen Verfahrens endlich entschieden werden müßten. Es sei schon traurig, daß der zuständige Bundesinnenminister noch nicht einmal die ihm vom Bundestag schon vor Jahren bewilligten über 100 Entscheiderstellen besetzt habe.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2001

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