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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 41]


Jochen Welt
Auswirkung der Zuwanderung auf Städte und Kommunen


Die leidige und wenig rühmliche Diskussion der vergangenen Monate zu den Bereichen des Asylverfahrens, der Verankerung des individuellen Rechts in Art. 16 II Grundgesetz, und allgemeinen Fragen im Bereich Flüchtlinge und Zuwanderung hat den Gemeinden sehr wenig bei der Bewältigung der praktischen Probleme vor Ort geholfen. Das Thema "Zuwanderung" drückt sich für die Gemeinden in ganz konkreten Zahlen und Schicksalen aus. Es geht um die Zahl ankommender Menschen ebenso wie um die Probleme der fehlenden Wohnungen und Kindergärten. Hier zeigt sich sehr deutlich, daß die aktuellen Schwierigkeiten der Kommunen bei der Realisierung der ihnen obliegenden Aufgaben nicht zu trennen sind von dem Bereich der Zuwanderung.

Erschreckend ist allerdings, daß das Thema "Zuwanderung" in der Öffentlichkeit immer wieder reduziert wird auf das Thema "Asylsuchende" und "Flüchtlinge" und dabei nur noch bestimmte Gruppen ins Auge gefaßt werden. Aber gerade diese Reduzierung auf finanzielle Verpflichtungen und die Betrachtung lediglich "ausgewählter" Gruppen ist in keinster Weise geeignet, den ganzen Komplex der Probleme auch speziell für den kommunalen Bereich zu erfassen.

In drei Kernbereichen stellen sich den Städten und Gemeinden im Feld der Zuwanderung besondere Probleme, die im folgenden näher betrachtet werden sollen:

  1. Probleme der Wohnraumbeschaffung und -Versorgung,
  2. finanzpolitische Probleme,
  3. Probleme im Bereich der sozialen Betreuung.

Die Zuwanderung findet statt in einem aktuellen Umfeld von

  • Wohnungsmangel.

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  • Zukunftsängsten
    (Hierbei geht es etwa gerade im nördlichen Ruhrgebiet um die Stillegung von Zechen; in den neuen Bundesländern liegen dagegen die Schwerpunkte eher bei den Problemen der derzeitigen Situation des Übergangs zu unserer Wirtschaftsstruktur).
  • Mangel an Einrichtungen der sozialen Infrastruktur wie z.B. Kindergärten oder Freizeiteinrichtungen für Jugendliche.
  • Probleme in den Schulen in Zusammenhang mit wachsenden Anteilen ausländischer Schüler.

Dabei kann man die fatale Tendenz beobachten, daß immer mehr Menschen die Zuwanderer, und unter ihnen vor allen Dingen die Asylsuchenden und Flüchtlinge, für Defizite in ihrer persönlichen sozialen Absicherung und für Probleme in ihren Gemeinden und Städten verantwortlich machen. Vergessen wird dabei sehr schnell, daß es seit 1982 keinen ausgereiften und flächendeckenden sozialen Wohnungsbau mehr in der Bundesrepublik Deutschland gibt und daß es nicht die Kommunen sein können, die für Versäumnisse im Kindergarten- und Schulbereich zur Verantwortung gezogen werden sollten. Diese Kritik muß der Bund, aber auch das einzelne Bundesland in der alten Bundesrepublik treffen.

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1. Probleme der Wohnraumversorgung

Die Unterbringung von Asylsuchenden in Übergangs- und Notquartieren erfolgt oft in den strukturell benachteiligten und sozial problematischen Stadtteilen. Dagegen wird in den sogenannten "privilegierten" Wohnbereichen vielfach aufgrund der aktuellen baurechtlichen Bestimmungen und eines sehr starken, subtilen politischen Drucks von seilen der dort betroffenen Wohnbevölkerung die Schaffung und Einrichtung von Übergangswohnheimen und anderen Wohnquartieren verhindert. Dies hat zwangsläufig zur Folge, daß in den sozial benachteiligten Stadteilen die sozialen Probleme, auch gefördert durch Defizite z.B. bei dringend notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen, kumulieren. Somit kommen gerade in diesen Stadtteilen gewöhnlich gleich mehrere Krisenfaktoren zusammen:

  • veraltete, teilweise heruntergekommene Wohnbausubstanz,
  • vielfach überalterte Bevölkerungsstrukturen bei den deutschen Bewohnern,

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  • ein hoher Anteil von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen,
  • ein hoher Anteil von ausländischen Mitbürgern und
  • nun zusätzlich der Aufbau von Notwohnungen in Form von Übergangswohnheimen, Containerwohnungen oder Wohnwagenghettos.

Versuche, Standorte für Notunterkünfte und Übergangsheime auf das gesamte Stadtgebiet zu verteilen, stoßen immer mehr auf den Widerstand der dort ansässigen deutschen Bevölkerung. Dabei korrespondiert die Intensität des Widerstandes, aber auch die leider nicht unrealistische Erfolgsaussicht auf Verhinderung der Errichtung von Unterkünften mit dem sozialen und finanziellen Status der Bewohner der jeweiligen Stadtteile.

Während sich die politischen Aktionen in den benachteiligten Stadtteilen offen gegen einen vermehrten Zuzug wenden und Befürchtungen einer vermeintlichen Bedrohung offen ausgesprochen werden, dienen in den privilegierten Wohnbereichen eine Palette von stadtentwicklungsspezifischen und sozialen Argumenten sowie die kenntnisreiche Anwendung der Vorschriften des Bau- und Planungsrechts als Ablehnungsgründe. Hierbei ist es von Bedeutung, wie der Bestimmungszweck der in Frage kommenden Gelände definiert ist, auf denen z.B. Übergangswohnheime errichtet werden sollen.

Handelt es sich um ein reines Wohngebiet, z.B. mit einer Struktur von Bungalows und kleineren Einfamilienhäusern, kann eine Errichtung von Wohnungen zum Zweck der vorübergehenden Aufnahme von Asylbewerbern nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim grundsätzlich untersagt werden. Begründet wird dies mit dem reinen Wohncharakter der Gegend, wobei die Unruhe, die von vielen auf engem Raum zusammenlebenden Menschen in einem Wohnheim ausgehe, zu nicht hinnehmbaren Störungen der Ruhe und Sicherheit der anderen Anwohner führen würde. Außerdem bestehe - so der Urteilstenor - der Zweck dieser zu errichtenden Häuser eben nicht darin, für eine längere Zeit bewohnt zu werden. Sie dienten vielmehr gemäß § 23 II des Asylverfahrensgesetzes als gemeinschaftliche Sammelunterkunft mit dem Ziel, durch eine vorübergehende Unterbringung die ortsgebundene, kontrollierte Durchführung des Asylverfahrens zu garantieren. Durch diese Rechtslage wird natürlich der Kreis der zur Verfügung stehenden Standorte für die Errichtung von Notunterkünften erheblich eingeschränkt.

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2. Finanzpolitische Probleme

Neben der kurz erörterten Wohnproblematik stellt sich nicht nur in den Ballungsgebieten, sondern in allen Gemeinden die Frage der finanziellen Belastung durch die Zunahme an Leistungen für Unterbringung, Unterhalt und Integration von Aussiedlern und Asylbewerbern. Die bislang zur Verfügung gestellten Mittel für den Bau, die Unterhaltung der Unterkünfte, aber auch die Zuschüsse für Integrationsmaßnahmen durch Bund und Länder reichen bei weitem nicht aus, um die tatsächliche Belastung der Städte und Gemeinden adäquat aufzufangen. So decken z.B. die den Städten für Aussiedler im Durchschnitt pro Jahr zukommenden Beträge in Höhe von 2.041,06 DM/pro Kopf die Kosten für Unterbringung und Eingliederung in unsere Gesellschaft nur sehr unzureichend.

Auch bei den Übergangswohnheimen lassen sich große Unterschiede zwischen geleistetem Zuschuß und den tatsächlich entstehenden Kosten feststellen. Auch hier ist, wie in anderen Bereichen, die unterschiedliche Förderung für Aussiedler und Asylbewerber auffallend. Betrachtet man z.B. die Kommune in Nordrheinwestfalen, so stellt man fest, daß die Plätze für Aussiedler mehr als doppelt so hoch bezuschußt werden wie die für Asylbewerber. Aber selbst wenn man die Zuschüsse für die Aussiedler addiert, ist festzustellen, daß diese nur ca. 75 % der Einrichtungskosten abdecken, die den Städten und Gemeinden praktisch entstehen.

Eine ähnliche Konstellation ergibt sich für die laufenden Kosten der Wartung und Unterhaltung der Wohnungen und Häuser. Die tatsächlichen Kosten sind oft mehr als doppelt so hoch wie die förderungswürdige Veranschlagung. Darüber hinaus ergibt sich für viele Städte und Gemeinden bei der hohen Zahl an Zuwanderern zunehmend die Frage, wie diese unterzubringen sind, wenn schon bestehende feste Häuser in ihrer Kapazität voll ausgeschöpft sind. Oft bleibt gerade deshalb, weil schnell Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden müssen, nur die Möglichkeit, Behelfswohnungen oder Wohncontainer zu installieren, die dann aber ganz aus der Förderung herausfallen.

Vor dem Hintergrund der finanzpolitischen Restriktionen, die sich wohl eher noch verschärfen werden, sind immer stärkere Verteilungskämpfe in den Städten und Gemeinden zu erwarten. Dabei dürften die steigenden finanziellen Bela-

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stungen durch die Zuwanderer zu weiteren sozialen Vorbehalten in der Gemeinde rühren.

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3. Probleme im Bereich der sozialen Betreuung

Zu einem weiteren Problemkomplex für die Städte und Gemeinden ist in den letzten Jahren der Bereich der Finanzierung der sozialen Betreuung geworden. Hierbei geht es nicht allein um die Bereitstellung notwendiger Mittel für die Zuwanderer, sondern auch um die Möglichkeilen für die Städte und Gemeinden, die schon ansässige Bevölkerung über die neuen Fragen und Änderungen in ihren persönlichen Umkreisen adäquat zu informieren und darüber hinaus Vertrauen und Akzeptanz gegenüber den Zuwanderern zu schaffen. Auch auf diesem Feld fühlen sich die Gemeinden mehr und mehr alleingelassen. Die Betreuungspauschalen reichen bei weitem nicht aus, um sowohl eine angemessene soziale Betreuung zu gewährleisten, als auch Programme zur Information für die deutsche Bevölkerung zu realisieren. Gerade in strukturschwachen Gebieten sind die Kommunen auf die Zuschüsse von Bund und Land angewiesen, um überhaupt die minimalen Anforderungen einer adäquaten Betreuung realisieren zu können. Dabei sind die Probleme z.B. der Sprachförderung noch gar nicht mit betrachtet.

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Fazit

Dies sind einige der ganz konkreten und praktischen Probleme, die bei jeder Stellungnahme zu einer zukünftigen, realistischen Zuwanderungspolitik beachtet werden müssen. Die Gemeinden müssen in die Lage versetzt werden, die sozialen Bedingungen erfüllen zu können, die für eine Integration bei gegenseitiger Toleranz und einem größtmöglichen Maß an Miteinander dringend erforderlich sind. Zuwanderung muß sozialverträglich gestaltet werden. Das bedeutet in der Praxis, daß die Kommunen finanziell und rechtlich in der Lage sein müssen, eine Infrastruktur zu schaffen, die eine Aufnahme von Zuwanderern auch von den Rahmenbedingungen her ermöglicht. Diesem Aspekt muß man auch deshalb große Bedeutung schenken, da man die Ängste der ansässigen Bevölkerung - auch dann, wenn sie eines realistischen Gehaltes entbehren - ernst nehmen und sich damit in einer Form des offenen Dialogs auseinandersetzen muß.

[Seite der Druckausg.: 46 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2001

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