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[Seite der Druckausg.: 91 ]


Edmundo Muchanga
Die Vereinigung der ausländischen Bürger im Freistaat Sachsen


Morgen, am 8. Mai vor 46 Jahren, wurden theoretisch die Grundlagen für die Beseitigung des Antisemitismus, Rassismus und Faschismus geschaffen.

Wir waren durch Verträge in ein Land gekommen, das sich zu diesem Ziel offiziell bekannte. Wir hatten Partner. Meist waren sie die Leiter der Betriebe, in denen wir arbeiteten. Wir haben an der Entwicklung dieses Landes mitgewirkt. Ab dem Tag der Währungsunion waren es die gleichen Partner, die uns auf die Straße setzten. Wir waren auf einmal überflüssig. Die Jugendzeitschrift "Junge Welt" schrieb dazu kurz vor ihrer Liquidierung den Artikel "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehn".

Von den knapp 5 1/2 tausend Mozambikanern, die im Lande Sachsen tätig waren, sind nur noch 480 da, und von den vietnamesischen Freunden mußten über zwei Drittel das Land verlassen. Doch nicht nur die werktätigen ausländischen Bürger, sondern auch die ausländischen Studenten wurden im Staatsvertrag kaum oder gar nicht mit ihren Problemen berücksichtigt. So darf z.B. der ausländische Studierende im Gegensatz zu seinen deutschen Kommilitonen seinen Standort nicht wechseln, auch wenn sein Fach schon abgewickelt worden ist. Die Mieten in den Wohnheimen, in denen wir zusammengepfercht waren, stiegen schnell um das 10- bis 20fache.

Keiner kann mehr mit der Straßenbahn ohne Sorge vor eventuellen Provokationen oder Tätlichkeiten fahren. Oft kommt es zu tätlichen Auseinandersetzungen, die in manchen Fällen das Leben unserer Freunde kosteten. Gerade gestern schrieb der Reporter Ulrich Kaufmann in der Leipziger Volkszeitung in einem Artikel unter der Überschrift "Haß und diffuse Ideologie":

"Untersuchungen bestätigen, daß die strukturelle Ausländerfeindlichkeit im Osten Deutschlands deutlich höher liegt als im Westen. Nach einer Studie des Bundesarbeitsministers wurde jeder 5. im Osten lebende Ausländer bereits einmal tätlich angegriffen. Besonders hoch ist dabei der Ausländerhaß bei Jugendlichen, die Konkurrenz bei Lehrstellen und Wohnungen fürchten." So kam auch unser Freund Jorge Gomondai, ein 28jähriger Mozambikaner, in Dresden ums

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Leben. Ein halbes Dutzend Skinheads schlug ihn in der Straßenbahn Linie 7 zusammen und warf ihn dann aus der fahrenden Bahn. Selbst die Beerdigung und die 7.000 Demonstranten wurden von den Skinheads mit den Rufen "Sieg heil" und "Ausländer raus" solange gestört, bis die Polizei eingriff.

Wegen der Fülle der Probleme nach der Wende war die Gründung einer Vereinigung ausländischer Bürger erforderlich. "WIR ALLE SIND AUSLÄNDER" -Unter diesem Leitmotiv wurde im Februar vergangenen Jahres die Vereinigung der ausländischen Bürger in Leipzig gegründet. Wir waren damals drei Personen (ein Sowjetbürger, ein Mozambikaner und eine Deutsche), die sich abends zusammensetzten und über Ziele und Inhalt einer Vereinigung nachdachten. Inzwischen sind wir zu einer Vereinigung gewachsen, die viele Nationalitäten, wie zum Beispiel Vietnam, Angola, Polen, Benin, Mozambique, Kuba und Äthiopien sowie zahlreiche Berufe umfaßt, wie z.B. Arbeiter, Mediziner, Musiker, Ingenieure, Studenten und Hausfrauen.

Es ist unser Anliegen, unabhängig von Hautfarbe, Religion, Weltanschauung und sozialer Herkunft, im täglichen Leben gleichberechtigt behandelt zu werden. Unsere Pflichten haben wir täglich zu erfüllen, doch unsere Rechte müssen wir uns täglich neu erkämpfen. Nicht jeder kann sich durchsetzen. Viele resignieren. Und werden sie unbequem, dann wird sofort mit der Kündigung des Arbeitsplatzes oder mit der Ausweisung gedroht. Als Einzelne waren wir zu schwach, doch in unserer Vereinigung der ausländischen Bürger können wir organisiert fest und konsequent für die Rechte unserer Freunde eintreten und ggf. Unrecht verhindern helfen.

Wir helfen ihnen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte im täglichen Leben, im sozialen wie auch im psychologischen Bereich, und fördern ihre Aus- und Weiterbildung. Wir sorgen dafür, daß keiner, der sich an uns wendet, auf der Straße übernachten muß. Wir haben Studenten bei Studienplatzproblemen geholfen, haben ausländische Bürger, die kaum oder nur schlecht die deutsche Sprache sprechen, zu Behördengängen begleitet und haben in sieben Fällen ausländischen Mitbürgern Übernachtungsmöglichkeiten verschafft. Jedes Mitglied für sich - und wir alle zusammen - tragen durch unsere Vereinigung dazu bei, daß die Ausländer integriert werden, denn sie sind ein Teil der Gesellschaft, ob man es nun wahrhaben will oder nicht. Alle unsere Mitglieder sind ehrenamtlich tätig. Wir haben auch Deutsche in unserer Vereinigung, sie sind Ehren-

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mitglieder. Zum Schluß möchte ich noch anmerken, daß wir in ständiger Verbindung mit anderen Vereinigungen und Ausländerbehörden stehen und eine aktive Zusammenarbeit besteht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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