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[Seite der Druckausg.: 85 ]


Nguyen Trong Cu
Situation der Vietnamesinnen in der ehemaligen DDR - Erfahrungen und Überlegungen zur Ausländerproblematik


Nach verschiedenen Informationsquellen leben z.Zt. 25.000 Vietnamesinnen in den neuen Bundesländern und Ostberlin. Diese Zahl kann sich durch die Rückkehr vieler vietnamesischer Arbeitnehmer/innen in den letzten Wochen verringert haben. Die Gruppe besteht aus Studentinnen und Aspirantinnen an Universitäten und Hochschulen, Vietnamesinnen mit Daueraufenthalt, d.h. mit "ständigem Wohnsitz" und mehrheitlich Arbeitnehmerinnen im Regierungsabkommen. Hinzu kommen in der nächsten Zeit noch weitere 2.000, nämlich 20% der 10.000 vietnamesischen Asylbewerberinnen in den alten Bundesländern. In Leipzig leben gegenwärtig 1.300 Vietnamesinnen. Sie sind die größte Gruppe der Ausländerinnen in der ehemaligen DDR. Es geht hier aber weniger um die Zahl, als vielmehr um ein soziales Phänomen. Die Praxis der über 10-jährigen Verwirklichung des Regierungsabkommens zwischen der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV) und der DDR liefert typische Beispiele für die Ausländerproblematik.

Ich möchte nun meine persönlichen Erfahrungen aus drei Perioden der Ausländerarbeit darstellen.

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1. Periode: 1987 bis 1989

In dieser Zeit wirkte ich an der Vorbereitung des Einsatzes vietnamesischer Arbeitskräfte in verschiedenen Betrieben der DDR mit. Die Ausländerpolitik war durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

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  1. Betrachtung des einzelnen nicht als menschliches Individuum, sondern ausschließlich unter dem Aspekt der Arbeitskraft

Die DDR brauchte Arbeitskräfte, um ihre Wirtschaft arbeitsfähig zu erhalten. Es ging um den Abbau des akuten Arbeitskräftemangels, um die Absicherung des 3-Schicht-Systems in der Schwerindustrie sowie um die Einführung des 2-Schicht-Systems in der Leichtindustrie.

Für Vietnam bedeutete der Export von Arbeitskräften die Öffnung von Ventilen für die angestauten gesellschaftlichen Spannungen, wie z.B. die Arbeitslosigkeit und die sozialen Probleme nach dem Krieg. Außerdem brachte dieser Arbeitskräfteexport Vietnam finanzielle Einnahmen. Der Einsatz vietnamesischer Werktätiger in der DDR erfolgte innerhalb des großen Rahmens der brüderlichen Zusammenarbeit. Dabei spielten die konkreten Lebensbedingungen der Ausländerinnen in einer ihnen vollkommen fremden Welt keinerlei Rolle, Die vietnamesischen Arbeiterinnen wurden von den Betrieben lediglich als Arbeitskräfte angesehen, die je nach Bedarf nach bestimmten Zeiträumen ausgetauscht werden konnten. Viele Einsatzbetriebe waren gar nicht auf die Aufnahme ausländischer Arbeitskräfte vorbereitet bzw. nicht in der Lage, diese unterzubringen.

Die Folgen dieser Politik waren:

  • Ghettoisierung der Vietnamesinnen in Wohnheimen und dadurch Isolierung von der gesellschaftlichen Umwelt.
  • Mangelnder Zugang zu kulturellen Werten auf Grund fehlender Sprachkenntnisse und fehlende Möglichkeiten zu eigener kultureller Betätigung.
  • Keine Möglichkeiten zur Schaffung einer Privatsphäre bei einer durchschnittlichen Zimmerbelegung von zwischen drei und fünf Personen.
  • Erzwungene jahrelange Trennung von der eigenen Familie sowie die Unmöglichkeit bzw. erhebliche Schwierigkeit während des Aufenthaltes in der DDR Kinder zu gebären.

  1. Auslieferung der Vietnamesen an eine undemokratische Bürokratie

Dazu einige Erscheinungsformen:

Kontakte der Ausländerinnen mit der Bevölkerung der DDR waren unerwünscht.

  • Verschweigen der Probleme, die im Zusammenhang mit dem Einsalz der ausländischen Arbeitskräfte entstanden.

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  • Abhängigkeit der vietnamesischen Arbeiterinnen von den ihnen zugeordneten Betreuerinnen, Heimleitern und vietnamesischen Gruppenleiterinnen. Viele Betreuerinnen und Gruppenleiterinnen setzten die Arbeiterinnen auf verschiedene Weise unter Druck, erzwangen von ihnen Gehorsam und Untertanengeist und nutzten das Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem persönlichen Vorteil aus.

  • Ungerechte Verteilung der Arbeitsgänge, Unterbezahlung und ungerechtfertigte Lohnabzüge, fristlose Entlassungen auf Grund von nichtigen oder erfundenen Vorkommnissen.

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2. Periode: 1990

Rechtsberatung und Rechtshilfeleistung für Ausländerinnen, vor allem für Vietnamesinnen standen im Mittelpunkt meiner Arbeit. Ich betätigte mich anfangs auf individueller Basis, später im Rahmen des Interkulturellen Zentrums Leipzig e.V. und schließlich auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Ausländerbeauftragten der Regierung der DDR, Frau Dr. Almuth Berger.

Nach der Wende sind ausländerfeindliche Haltungen erstmals deutlich an die Oberfläche getreten. Diese äußern sich in verschiedenen Formen: Ignorierung, Gewaltanwendung gegen Ausländerinnen sowie Anti-Ausländer-Konzeptionen verschiedener politischer Kräfte und Parteien, die als eine Form der aufgeklärten Ausländerfeindlichkeit angesehen werden können. Auch die DDR-Massenmedien schürten in der Zeit von November 1989 bis März 1990 durch ständige und ausführliche Berichte über ausländische Spekulanten Antipathien gegen Ausländerinnen.

Dazu einige Beispiele: - Ein vietnamesischer Gruppenleiter erzählte, daß der deutsche Betreuer ihm täglich die Zeitung mit einem Artikel über Ausländer hinwarf und sagte: "So seid ihr!" oder: Auf Grund der wachsenden Ablehnung fragte mich ein vietnamesischer Arbeiter: "Was hat man über uns in der Zeitung geschrieben? Meine Arbeitskollegin, die immer freundlich war, ist jetzt anders geworden."

Diese Erscheinungen hingen auch mit einem wiedererwachenden Nationalgefühl der Deutschen im Vorfeld der deutschen Vereinigung zusammen. Wesentlich

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verstärkt wurden sie jedoch durch die soziale und rechtliche Unsicherheit, die auch heute noch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR vorherrscht. Die rechtliche Unsicherheit betraf sowohl die Phase der Rechtsschaffung als auch die der Rechtsverwirklichung. Die Rechtsschaffung betreffend gab es in der DDR kein System von spezifischen Rechtsnormen, die den Status von Ausländerinnen geregelt hätten. Dadurch existierte ein rechtloser Raum, der durch willkürliche administrative Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen kompensiert wurde. Nach dem Herbst 1989 wurde eine Reihe spezifischer gesetzlicher Bestimmungen geschaffen, die die Existenzbedingungen für Ausländerinnen regelten. Aber: Die Asylverordnung war erarbeitet worden, aber in keinem Falle zur Anwendung gekommen. Die Wohnsitzverordnung, die weitestgehende Möglichkeiten für die Ansiedlung von Ausländerinnen in der DDR geschaffen hatte, wurde von einer Dienstvorschrift des MDI an die zuständige Abteilung Paß-und Meldewesen erheblich eingeschränkt. Nach dieser Dienstvorschrift ist der § 2 der Wohnsitzverordnung so zu verstehen, daß der Antrag auf ständigen Wohnsitz in der DDR nur im Falle einer bevorstehenden Ehe mit einer/einem Deutschen oder mit einer/einem in der DDR ständig wohnhaften Ausländerin und im Falle einer Familienzusammenführung gestellt werden kann. Der Kontext des Gesetzes ließ aber ursprünglich auch andere Möglichkeiten zu.

Meine Arbeit umfaßte in dieser Periode die rechtliche Beratung bis hin zur Vertretung der Betroffenen vor Gericht. Dank der Autorität und der tatkräftigen Hilfe der Ausländerbeauftragten auf den verschiedenen Ebenen konnten 95 % der von mir betreuten Probleme außergerichtlich beigelegt werden. Die gerichtliche Durchsetzung von Rechten ist in der ehemaligen DDR ein langer Weg. Dafür ein Beispiel: Für die Klage der sieben vietnamesischen Näherinnen, die bereits im August 90 gegen ihre fristlose Entlassung Klage erhoben haben, ist wegen des Fehlens eines ehrenamtlichen Richters noch immer kein Termin für die Hauptverhandlung in Aussicht. Weitere typische Fälle in meiner Arbeit waren:

  1. Unbegründete fristlose Entlassung vieler Vietnamesinnen durch ihre Betriebe. Dadurch wollten die Betriebe zwei Ziele erreichen: Sicherung der Arbeitsplätze für die Deutschen und Entbindung der Betriebe von allen Verpflichtungen gegenüber den ausländischen Werktätigen.

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  2. Viele Betriebe versuchten, den Vietnamesinnen ihre Rechte, z.B. Kündigungsfrist, einmalige Entschädigung in Höhe von DM 3.000,-, Fortzahlung des Lohnes für die Dauer von drei Monaten, Übernahme der Rückreisekosten nicht oder nicht vollständig zu gewähren.

  3. Willkürliche Maßnahmen, Rechtsverletzungen und Verletzung der menschlichen Würde durch die Mitarbeiterinnen der Polizei, Gewerbeaufsicht, Inspektion Ordnung und Sauberkeit usw. Das betrifft vor allem die Festlegung der Strafgeldhöhe und die unrechtmäßige Beschlagnahme von Waren ambulanter Handeltreibender, sowie in einigen Fällen auch Mißhandlungen.

  4. Für vietnamesische Arbeitnehmerinnen, die sich entschieden haben, nach ihrer vorzeitigen Kündigung bis zum Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Vertragsdauer in Deutschland zu bleiben, ist die Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Ansprüche mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, die einerseits durch die ungenügenden kommunalen Bedingungen (z.B. Mangel an Wohnraum, Arbeitsstellen) und andererseits durch das ablehnende Verhalten zuständiger Behörden gekennzeichnet sind.

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3. Periode: Seit Anfang 1991

Seit Anfang dieses Jahres bin ich im Referat des Ausländerbeauftragten der Stadt Leipzig tätig. Für die inhaltliche Gestaltung der Arbeit der Ausländerbeauftragten sind vor allem zwei Momente relevant. Zum ersten befindet sich ein Netz von Beratungs- und Betreuungsstellen für Ausländerinnen noch im Aufbau. Zum anderen vergrößert sich mit der Umstrukturierung der Behörden und der Abschaffung des alten Betreuungssystems die Hilflosigkeit der Ausländerinnen weiter.

Wie ist die gegenwärtige Situation der Vietnamesen? Das Regierungsabkommen in der alten Fassung und die Planwirtschaft gaben den vietnamesischen Arbeitnehmerinnen eine Arbeitsplatzgarantie. Mit der Möglichkeit einer fristgemäßen Kündigung aus zwingenden Gründen, die in einer Verordnung (GBL Nr. 35, Teil I) verankert ist, wird heute häufig nach dem Motto "Bevor ein Deutscher geht, fliegt ein Vietnamese" gehandelt. Mit der Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses wird auch ihr Wohnrecht im bisherigen Wohnheim aufgeho-

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ben. Wir verurteilten und verurteilen die unwürdigen Lebensbedingungen in den Wohnheimen. Jetzt aber träumen viele Vietnamesinnen von ihrer alten Unterkunft. In Leipzig konnten wir bis jetzt in Zusammenarbeit mit dem Amt für Wohnungswesen 60 Vietnamesinnen und in den nächsten Wochen noch weitere 120 unterbringen. Es ist jedoch in absehbarer Zeit mit 800 vietnamesischen Obdachlosen zu rechnen. Die miserable soziale Lage der Vietnamesinnen ist nicht zu trennen von ihrer rechtlichen Situation. Die Anwendung des AusIG NF auf Ausländerinnen in der ehemaligen DDR ist in der Tat eine Vergewaltigung. Das AusIG NF ist eine Fortsetzung der ausländerrechtlichen Politik der ehemaligen BRD zur Schaffung der Rahmenbedingungen für ein Leben von Ausländerinnen innerhalb der dort herrschenden Verhältnisse. Die Besonderheiten des Ausländerrechts der DDR bzw. unterschiedliche Ausgangspunkte der beiden Ausländerrechtssysteme wurden im AusIG NF nicht genügend berücksichtigt. Die Erfahrungen mit ausländischen Arbeitskräften in der ehemaligen BRD in den 60er Jahren wurden vom Gesetzgeber genutzt, um den Arbeitnehmerinnen im Regierungsabkommen den Weg zum Daueraufenthalt abzuschneiden. Sogar den Arbeitnehmerinnen im Regierungsabkommen, welche sich mehr als fünf und weniger als acht Jahre in der DDR aufgehalten haben, steht nur eine "Aufenthaltsbewilligung" zu. Also ist die nach dem DDR-Recht vollzogene mehrmalige Verlängerung der "länger befristeten Aufenthaltsgenehmigung" als Verfestigung des Aufenthaltes nach dem Ablauf der im Regierungsabkommen vorgesehenen Vertragsdauer für die Überleitung der DDR-Aufenthaltstitel in die neuen nach dem AusIG NF nicht rechtsrelevant.

In bezug auf die Bewältigung der Ausländerproblematik im vereinigten Deutschland haben wir nicht nur die Last der Vergangenheit, sondern auch die Last der Zukunft zu tragen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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