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Ulla Schmidt
Lebensbegleitendes Lernen: Herausforderungen für die Politik?


Lebensbegleitendes Lernen hört sich fast so an, als ob Lernen neben dem tatsächlichen Leben stattfindet. So ist es natürlich nicht.

Lebenslanges Lernen – das hört sich wiederum nach lebenslänglich an. Wie dem auch sei, die unterschiedlichen Begriffe machen eins deutlich:

Lernen ist der Schlüssel zur Gestaltung der Lebenschancen. Oder anders gesagt: Lebensbegleitendes Lernen wird zum lohnenden Freizeitspaß!

Die Ära der Lebensberufe neigt sich dem Ende zu. Das ist eine Herausforderung für den Arbeitsmarkt, aber auch für die Eigenverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

In den Konferenzen von Luxemburg, Amsterdam und Lissabon wurden die Konsequenzen aus dieser Entwicklung in den Leitlinien zu einer europäischen Beschäftigungsstrategie zusammengefasst. Worum geht es? Es geht um die

  • Erhaltung und Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit, vor allem durch lebenslanges Lernen;

  • Verbesserung der Anpassungsfähigkeit durch flexible Arbeitsorganisation und Arbeitszeiten;

  • Stärkung der unternehmerischen Fähigkeiten und Kapazitäten wo immer möglich; und es geht um die

  • Förderung der Chancengleichheit.

Die tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt verlangen daher von allen Menschen permanente Anpassung der Qualifikation. Der Bildungsmarkt – so ist zu erwarten – wird erheblich expandieren. Das Bildungs-system muss sich darauf einstellen, lebensbegleitendes Lernen allen Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. So wie sich alle Bevölkerungsgruppen beteiligen sollten, so müssen auch alle maßgeblichen Akteure ihren Beitrag dazu leisten.

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Die Bundesanstalt für Arbeit hat daher gemeinsam mit den Ländern ein Modellversuchs-Programm zum „Lebenslangen Lernen„ auf den Weg gebracht. Ziel ist es u. a., die arbeitsmarktpolitischen Instrumente im Hinblick auf den Qualifikations- und Weiterbildungsbedarf weiter zu entwickeln. Hierzu gehören auch Überlegungen, wie Job-Rotation als Qualifizierungs-Instrument genutzt werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass wir die positiven Erfahrungen der skandinavischen Länder mit diesem Instrument gleichfalls nutzen sollten.

Die Erfahrungen aus den abgeschlossenen ADAPT-Projekten (Verein Job-Rotation – Verein zur Förderung des lebenslangen Lernens e. V. und die Nationale Unterstützungsstelle ADAPT der Bundesanstalt für Arbeit) und aus den Landesprogrammen in Nordrhein-Westfalen sowie Berlin lassen Rückschlüsse zu, wie Hemmnisse insbesondere in kleineren und mittleren Betrieben abgebaut werden können. Betriebe, die Job-Rotation nutzen, haben zweierlei Vorteile. Zum einen bleiben deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen immer auf dem neuesten Stand, und zum anderen können sie den damit verbundenen Arbeitsausfall weitestgehend kompensieren. Die Stellvertreter und Stellvertreterinnen der „Rotierenden„ erhalten ihre Chance, um Kenntnisse, Fertigkeit und Kompetenzen wieder einzubringen.

Auf diese Weise können für Arbeitslose neue Beschäftigungsmöglichkeiten erschlossen werden, und vor allem kann so auch Langzeitarbeitslosigkeit vermieden werden. Job-Rotation ist daher eine sinnvolle Ergänzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik.

Wir – die rot-grüne Regierungskoalition – werden daher in Kürze einen Antrag in den Bundestag einbringen, damit im Zuge einer Reform des Arbeitsförderungsrechts die Job-Rotation mit berücksichtigt wird.

Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit sich alle Partner für Job-Rotation ausgesprochen haben. Diskutiert wurden Fragen zur Finanzierung von betrieblicher Weiterbildung, zur Qualifizierung von Un- und Angelernten und älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Auch die Nutzung von Guthaben aus Arbeitszeitkonten spielte hierbei eine Rolle.

Das Bündnis hat dann folgerichtig beschlossen (28. Juni 2000), dass Job-Rotation ein Regelinstrument innerhalb des SGB III werden müsse. Die Bündnispartner gehen davon aus, dass es grundsätzlich Aufgabe der Be-

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triebe bleibt, die Kosten für die Weiterbildung ihrer Beschäftigten selbst zu tragen. Für die Qualifizierung der Stellvertreter hat dagegen die Bundesanstalt für Arbeit die organisatorische und finanzielle Voraussetzung zu schaffen.

Wie auch immer die zukünftige Gesellschaft bezeichnet werden wird, – ob Informations-, Lern- oder Wissensgesellschaft – Lernen wird zu einem wichtigen Bestandteil jedes oder jeder Einzelnen. Arbeitszeit, Freizeit, Zeit zum Lernen – alles zusammen wird neue Diskussionen über die Zeitverwendung und damit auch über flexible Arbeitszeitmodelle auslösen.

Die Palette der Arbeitszeitmodelle wird immer vielfältiger. Insbesondere in Großunternehmen sind die Arbeitszeitkonten längst über das Stadium eines Monats oder halben Jahres hinausgewachsen.

Bei Hewlett Packard, BMW AG, Siemens u. a. wird den Beschäftigten durchaus ein Jahr Pause gegönnt. Es muss ja nicht immer für die Weltreise sein, es kann ja auch für die Weiterbildung sein. Wer beispielsweise über acht Jahre lang auf einem Arbeitszeitkonto Überstunden anspart, kann ohne finanzielle Einbußen die dadurch „gewonnene„ freie Zeit gestalten.

Der Einstieg in den zeitlich begrenzten Ausstieg ist uns allen durch das Sabbatjahr zum Begriff geworden. Was seit 1995 als Privileg der Lehrerinnen und Lehrer galt, erfasst zunehmend auch andere Berufsgruppen.

Im Alten Testament heißt es „dass du sechs Jahre dein Feld besäst„, aber „im siebten Jahr soll das Land seinen großen Sabbat dem Herrn feiern„.

Auch wenn nur noch einige Wenige im wahrsten Sinne des Wortes ihr Feld bestellen, so bleibt doch im übertragenen Sinne, dass alles seine Zeit haben wird und muss.

Die strategischen Aktionsfelder für mehr Beschäftigung in einer wissensbestimmten Wirtschaft sind die Verstärkung der Bildung und Ausbildung. Die soziale Leistungsfähigkeit liegt somit im Potential der neuen Technologien.

Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels in dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie hängt es nun sicherlich nicht allein davon ab, ob wir genügend Fachkräfte aus dem Ausland anwerben können. Es kommt schließlich auch auf die Qualifizierung der Beschäftigten an.

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Hier haben wir einiges aufzuholen, und vieles ist auch auf dem besten Weg.

D.h. wir müssen auf allen Ebenen ansetzen, um dem wachsenden Bedarf an aktueller und individueller Bildung und Weiterbildung gerecht zu werden.

In kleinen und mittleren Unternehmen ist der Einsatz von Internet und Intranet bei der betrieblichen Weiterbildung, das sogenannte netzbasierte Lernen, noch sehr verhalten. Dies ist unter anderem ein Ergebnis der repräsentativen Studie zu den „Zukunftsperspektiven multimedialen Lernens in kleinen und mittleren Unternehmen„, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie von der Michel Medienforschung und Beratung (MMB) durchgeführt wurde.

Etwa ein Viertel der befragten Unternehmen mit einer Betriebsgröße von 50 bis 1000 Beschäftigten nutzen bereits multimediale Lernformen. Computergestützte Aus- und Weiterbildungskonzepte sind damit verbreiteter als weithin angenommen. Jedoch setzen erst 7 Prozent der befragten Unternehmen netzgestützte Lernapplikationen ein. Diese betriebliche Weiterbildung über Internet und Intranet wird bislang für die Weiterbildung nahezu ausschließlich von großen Unternehmen mit mehr als tausend Mitarbeitern angewendet. Gleiches gilt für TV-basiertes Lernen („Business TV„). Außerdem steht im Mittelpunkt des multimedialen Lernens bislang noch immer die Vermittlung von Computer-Know-how. Lernprogramme zu berufsspezifischen Themen werden deutlich weniger genutzt.

In meiner Heimatstadt Aachen wurde im Sommer 1999 vor diesem Hintergrund ein Großprojekt zur Verbesserung von Aus- und Weiterbildung gestartet.

32 Kooperationspartner haben sich im Rahmen des Leitprojektes „Service-Netzwerke für Aus- und Weiterbildungsprozesse„ (SENEKA) vernetzt.

Das Projekt zielt auf die Vernetzung der Akteure bildungsintensiver Innovationsprozesse in Unternehmen sowie den Aufbau und die Erprobung von anpassungsfähigen Service-Netzwerken für Aus- und Weiterbildungsprozesse. Damit soll es vor allem den klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU’s) zukünftig erleichtert werden, sich kurzfristig, bedarfsgerecht

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und wirtschaftlich mit Informationen und Bildungsdienstleistungen aus dem weltweit verfügbaren Angebot zu versorgen.

Aktuelle bildungspolitische Herausforderungen wie z. B. die Verbindung von Lernen und Arbeiten, die Dynamisierung der Berufsprofile sowie die Notwendigkeit zu multikulturellen Kompetenzen werden in diesem Projekt aufgegriffen. Für die Nutzung unternehmensinterner und -externer Wissenspotentiale und vor allem für den Zugang zu international verfügbaren Informationen werden neue Orientierungshilfen, Bewertungsinstrumentarien, Umsetzungskonzepte sowie entsprechend organisierte Strukturen geschaffen werden. Schwerpunkt des Projektes SENEKA ist daher die Entwicklung innovativer formaler und inhaltlicher Schnittstellen zwischen Informations- und Wissensdienstleistern, Bildungsmanagern und Anwendern.

Nach der systematischen Vernachlässigung von Bildung und Forschung hat die neue Bundesregierung den Startschuss für eine neue Bildungsoffensive gegeben. Rund 1 Mrd. DM mehr wurde für die Förderung von wis-senschaftlichen Projekten (+ 13,7%), von Nachwuchswissenschaftlern (+ 117%), der medizinischen (+ 6%) und der Biotechnologie zur Verfügung gestellt. Das entspricht einer Steigerung von 5,9%.

Die Innovations- und Investitionspolitik wurde auch im Jahr 2000 fortgesetzt. 2001 werden die Mittel für Zukunftsinvestitionen um eine weitere Mrd. DM erhöht.

Die Bundesregierung wird in den nächsten fünf Jahren für die Entwicklung von Lernsoftware für Schulen, Hochschulen und Berufsbildung 400 Mio. DM bereitstellen.

Lernen am PC soll zum Normalfall im Unterricht werden, egal in welchem Fach. Dafür wird die Lernsoftware dringend benötigt. Das gilt für Schulen, Hochschulen, Berufsschulen und Betriebe.

Ziel des Programms ist es,

  • Mehrwert durch die Computernutzung im Bereich des Lehrens und Lernens zu schaffen,

  • den Strukturwandel im Bildungsbereich voranzutreiben, der durch die Globalisierung und die IuK-Techniken induziert ist,

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  • den Markt für Lernsoftware, dem weltweit zweistellige Zuwachsraten prognostiziert werden, in der Bundesrepublik Deutschland zu stimulieren, und

  • eigenständige nationale Lernkultur bewahren zu helfen.

Bei der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik rangiert Deutschland im internationalen Vergleich im unteren Tabellendrittel unter den Industriestaaten, bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Informationstechnik und Telekommunikation nur im internationalen Mittelfeld. Auf dieses Defizit hat Bundeskanzler Schröder in seiner Rede auf der Veranstaltung „Deutschl@nd geht online„ am 11. Februar 2000 deutlich hingewiesen.

Tatsache ist, dass die technische und kulturelle Beherrschung des Computers bereits heute zur Eintrittskarte in das Berufsleben geworden ist. Es handelt sich dabei längst um eine unverzichtbare neue „Kulturtechnik„. Deshalb muss die nachwachsende Generation so früh wie möglich darauf vorbereitet werden.

Hinter diesen Aktivitäten darf die Arbeitsmarktpolitik nicht zurückstehen. Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit sind für die Weiterbildungsförderung rd. 13 Mrd. DM „reserviert„. Die Arbeitsämter entscheiden dann vor Ort (nach § 77 SGB III), welche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gefördert werden. Hierbei geht es immer um die Frage, welche Weiterbildung ist notwendig, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern bzw. mit welcher Weiterbildung eine drohende Arbeitslosigkeit abgewendet werden kann. Es geht also um das Notwendige, um den Erfolg der beruflichen Qualifizierung und damit um die arbeitsmarktgerechte Weiterbildung. Bildung von der Stange, die am Bedarf vorbei geht, ist nicht nur Verschwendung von Finanzmitteln, sie führt darüber hinaus auch zu Demotivation der Weiterbildungsteilnehmer.

Dass die Arbeitsverwaltung in der Lage ist, zielgerichtete und nachgefragte Qualifikation zu fördern, zeigen insbesondere die aktuellen Aktivitäten. Gerade in den Berufen der Informationswirtschaft bestehen hervorragende Beschäftigungschancen mit beeindruckenden Eingliederungsquoten, die durch eine bedarfsgerechte Weiterbildung genutzt werden können. Bundesregierung und Bundesanstalt für Arbeit berücksichtigen diese Entwicklung auch bei der Weiterbildungsförderung. Allein in den IT-Berufen hat die

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Bundesanstalt die Förderung auf über 40.000 Teilnehmer in entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen erhöht.

Trotz all dieser Maßnahmen stehen wir beim Thema lebensbegleitendes Lernen erst am Anfang einer sich abzeichnenden Entwicklung. Die Erkenntnis, dass am Ende der Berufsausbildung dennoch niemand „ausgelernt„ hat, ist noch lange nicht selbstverständlich. Darüber zu reden, heißt noch lange nicht, dass wir ein Volk von wissbegierigen Menschen geworden sind.

Hier gibt es ebenso Defizite wie im Bereich der Weiterbildung. Das, was notwendig ist, haben wir in unserem Antrag Anfang 2000 dargelegt. Das, was wir brauchen, ist leicht gesagt. Die Stichworte werden Ihnen, weil Sie sich für Weiterbildung interessieren, wahrscheinlich sofort einleuchten.

Es geht z. B. um

  • Transparenz auf dem Weiterbildungsmarkt,

  • verbesserte Beratung,

  • allgemein anerkannte Qualitätsstandards,

  • personelle und sachliche Ressource,

  • neue Lernformen,

  • geeignete Finanzierungsinstrumente und natürlich auch um

  • einen erleichterten Zugang zu Weiterbildungsangeboten, und zwar für alle Bevölkerungsschichten.

Ich bin zuversichtlich, dass wir auch diesen Bereich so reformieren, dass wir bald den Anschluss an die gesellschaftlichen Veränderungen gewinnen und ihn dann auch halten.

[Seite der Druckausg.: 18 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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