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TEILDOKUMENT:


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Margot Kessler
Europäische Einwanderungs- und Flüchtlings-politik: Initiativen des Europäischen Parlaments


Am 18. Juni 2000 rüttelte uns die Nachricht vom tragischen Tod von 58 Einwanderern auf, die in einem Lastwagen an der britischen Grenze in Dover gefunden wurden. Dieser dramatische Tod von Frauen und Männern erschütterte uns zutiefst und machte mit Entsetzen deutlich, was für große Hoffnungen auf Europa gesetzt werden. Bei einer Aussprache hierzu im Europäischen Parlament bekundeten sowohl Vertreter des Rates, der Kommission als auch Abgeordnete verschiedener Fraktionen ihre Bestürzung.

Ich meine, natürlich ist diese Trauer und Bestürzung berechtigt, aber ist sie nicht auch eine Spur scheinheilig, denn die Flüchtlinge sterben in der Straße von Gibraltar, in der Oder und in stickigen Lastwagen. In den letzten Jahren fischten Italiens Küstenwachen über 400 Tote aus dem Meer. Dutzende von Menschen stehen auf Vermisstenlisten. Und von vielen, die irgendwann in Sri Lanka oder Kurdistan aufbrachen und auf dem Weg über die Adria verschwanden, blieb nicht einmal eine statistische Spur.

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Was tun die europäischen Staaten in Sachen Flüchtlingspolitik?

  • Spanien: Die Zahl der Gastarbeiter nimmt rasch zu. Spanien hat eine Legalisierungskampagne vollzogen und bereits 85.000 Illegalen eine Aufenthaltsberechtigung erteilt. Die Regierung Aznar möchte ein neues Ausländergesetz auf den Weg bringen, nach dem den Illegalen die sofortige Abschiebung droht. Die sozialistische Oppositionspartei PSOE appelliert an die Regierung, von einer „breiten Abschiebung„ abzusehen. Trotz 15 % Arbeitslosigkeit (höchste Rate in Europa) braucht Spaniens Landwirtschaft die billigen illegalen Arbeitskräfte. Aus diesem Grund hat sich Madrid bisher nicht dazu durchringen können, eindeutige Maßnahmen gegen die illegale Einwanderung zu ergreifen. Eine

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    kontrollierte Aufnahme von Saisonarbeitern hat es aber ebenso wenig gegeben.

  • Die Brüsseler Regierung gab in einer groß angelegten Aktion im Jahr 1999 den schätzungsweise 70.000 Illegalen in Belgien die Chance zur Einbürgerung. Dazu wurden Grenzkontrollen wieder eingeführt, was im Einklang mit dem Schengenabkommen steht. Der Tod einer Nigerianerin bei einer Abschiebeaktion brachte die Forderung nach einer dauerhaften Lösung der Asylpolitik auf die Tagesordnung. Ziel dieser Politik ist es, Asylverfahren zu beschleunigen und bereits in Belgien lebende Einwanderer besser zu integrieren.

    Rund 5.000 Ausländer haben im Dezember 1999 in Belgien einen Asylantrag gestellt. Davon sind weniger als 200 mit dem Flugzeug ins Land gekommen. Die Anderen wurden über die Grenzen geschleust. „Belgien ist zum begehrten Transitland geworden, weil es die weit verbreitete Korruption einfacher macht, an den Grenzen durchzukommen„, kritisiert die Grüne Abgeordnete Patsy Sörensen, die sich seit mehr als 10 Jahren mit Mafia und Menschenschmuggel befasst.

  • Italien fühlt sich mit seiner 7.500 km langen Küste allein gelassen von seinen europäischen Partnern. Der Europaabgeordnete Berlusconi verlangt sogar, dass auf die Boote in der Adria geschossen werden soll. Jährlich kommen ca. 100.000 Flüchtlinge über das Meer nach Europa.

  • In der letzten Straßburgwoche machte mein französischer Kollege Caudron auf das Lager Sangatte bei Calais aufmerksam. Seit September 1999 haben 16.000 Menschen in diesem Lager Zuflucht gefunden. Ständig haben 400 bis 600 in diesem Lager eine provisorische Bleibe. Sie werden vom französischen Sozialministerium mit dem Nötigsten versorgt. Das Aufnahmezentrum wird vom Roten Kreuz betrieben. Die Engländer kritisieren die Franzosen für ihren angeblich toleranten Umgang mit den Flüchtlingen. Eine Delegation britischer Abgeordneter hat Sangatte besucht. Aber wohin sollen diese Flüchtlinge ausgewiesen werden? – es handelt sich um rechtlose Flüchtlinge ohne jeglichen Status.

Ein belgischer Abgeordneter von den Liberalen hat auch am 2.10.2000 darauf aufmerksam gemacht, dass in der Nähe seines Heimatortes, nahe

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der französischen Grenze, 45 Flüchtlinge, darunter 15 Kinder, auf dem Feld angetroffen wurden. Sie waren von der französischen Polizei über die Grenze gebracht worden.

Das ist der Flickenteppich auf diesem Politikfeld, den Europa heute bietet.

Die Ausländerbehörde einer deutschen Stadt droht einem österreichischen Staatsbürger, ihn und seine Tochter abzuschieben, falls er keinen gültigen Pass für sich und seine Tochter vorlegt. Diese Handlung ist natürlich nicht von den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsvorschriften gedeckt, aber Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU, die ihren Aufenthalt nicht nur vorübergehend in Deutschland haben, sind auch im Ausländerzentralregister gespeichert, weil eine vollständige rechtliche Gleichstellung dieser Staatsangehörigen mit deutschen Staatsbürgern bislang nicht erfolgt ist.

Warum sage ich das? Nach einem Jahr im Europäischen Parlament, als Mitglied im Innen- und Petitionsausschuss, habe ich gelernt, dass es leichter ist, einen Sack Kartoffeln durch die EU zu schicken, als die Freizügigkeit der EU-Bürger reibungslos zu verwirklichen. Um wie viel schwieriger gestaltet es sich, eine harmonisierte oder einheitliche Flüchtlings- und Asylpolitik zu gestalten. Wie Sie wissen, bemühen sich die Mitgliedstaaten seit Mitte der 80er Jahre darum, wie im Zuge des Abbaus der Grenzkontrollen die Einreise von Bürgern aus Drittstaaten kontrolliert werden kann. Und das vor dem Hintergrund, dass die EU-Bevölkerung mit einem beschleunigten Überalterungsprozess konfrontiert wird, wobei es weniger Menschen unter 15 Jahren gibt und die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter immer älter wird.

Die EU-Kommission und bestimmte Ratsinitiativen versuchen, Schwung in die zukünftige EU-Flüchtlings- und Asylpolitik zu bringen.

Die Kommission hat im März 2000 eine Art „Anzeigetafel„ verabschiedet („scoreboard„), die für alle Aspekte der gemeinsamen Innen- und Justiz-politik die Ziele auflistet, was die einzelnen Länder geleistet haben, die Instrumente, und vor allem: die Termine. Mit einem vergleichbaren Plan brachte die Kommission Mitte der 80er neue Fahrt in die Verwirklichung des EU-Binnenmarktes – heute das Prunkstück der europäischen Einigung. Aber das politische Europa lässt weiter auf sich warten.

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Es stimmt zwar, dass der seit Mai 1999 geltende Vertrag von Amsterdam festlegt, dass die Union binnen fünf Jahren zu einer gemeinsamen Handhabung von Asyl, Einwanderung, Flüchtlingsaufnahme und dem Schutz der EU-Außengrenzen finden soll. Aber fast alle Beschlüsse müssen einstimmig gefasst werden, wie Sie sich vorstellen können, ist dies einer Entscheidungsfindung nicht förderlich. Aus diesem Grund muss davon ausgegangen werden, dass es vor 2004 nicht zu einer gemeinsamen EU-Asyl- und Einwanderungspolitik kommen wird. Das Einstimmigkeitsprinzip haben wir zu nicht unerheblichen Teilen dem Druck der CSU auf die Regierung Kohl zu verdanken. Somit wird 2004 nicht automatisch vom Einstimmigkeitszwang auf Mehrheitsbeschlüsse umgeschaltet werden, sondern erst 2004 können die Staats- und Regierungschefs wiederum einstimmig beschließen, nach 2004 per Mehrheit zu entscheiden.

Der Wunsch von Romano Prodi, Präsident der Kommission, ist es, möglichst rasch auf die Mehrheits-beschlüsse umzustellen. In der Tat würde man auf diese Weise das nationale Vetorecht abschaffen, und anders scheint es mir nicht möglich, den versprochenen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu verwirklichen. Mehrheitsentscheidungen bedeuten zugleich mehr Macht für das Parlament, da bei Mehrheitsentscheidungen des Rates in der Regel die Zustimmungen des EP nötig sind. Das Parlament wird jetzt nur konsultiert. Eine Gelegenheit für Veränderung bietet die angelaufene Reform der EU-Entscheidungsmechanismen, und wir setzen große Hoffnungen auf Biaritz und Nizza.

Die Formulierung einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik stellt sich noch immer als ein zähes Ringen um konsensfähige Lösungen zwischen der Kommission, dem Parlament und dem Rat sowie den konservativen und den liberalen Kräften dar.

Die Integrations- und Migrationspolitik ist ein Reizthema in der EU. Hier treffen bei jeder Diskussion im Ausschuss die gegensätzlichen Positionen der Konservativen auf der einen und der Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen auf der anderen Seite zusammen.

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Gemeinsame Flüchtlingspolitik

Die Umsetzung der durch den Amsterdamer Vertrag gemachten Vorgaben erfolgt in einer Reihe von Einzelinstrumenten, welche zu einem gemeinsamen Asylsystem führen sollen. Die Europäische Kommission hat acht Themen aufgelistet, die das Legislativprogramm bilden:

  1. Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist,

  2. Fingerabdruckdatei,

  3. Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern,

  4. Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als Flüchtlinge,

  5. Mindestnormen für die Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft,

  6. Mindestnormen für den komplementären/subsidiären Schutz von Personen, die internationalen Schutz bedürfen,

  7. Mindestnormen für den vorübergehenden Schutz von vertriebenen Personen aus dritten Ländern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können,

  8. Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen auf die Mitgliedstaaten, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vertriebenen Personen verbunden sind.

Das Europäische Parlament verlangte eine Straffung der acht Titel auf drei oder vier Legislativakte.

Die wesentlichen Schwierigkeiten liegen in der Auslegung von Rechts-vorschriften, dem Bestehen unterschiedlicher Rechtsstellungen für Flüchtlinge bzw. de facto Flüchtlinge sowie einem unzureichenden System zur Identifizierung der Antragsteller.

Das Europäische Parlament hat mit der Annahme des Berichtes von Ingo Schmitt (EVP) über das Arbeitsdokument der Europäischen Kommission „Gemeinsame Normen für Asylverfahren„ speziell folgende Punkte befürwortet:

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  • Eine Politik der Teilung der Belastung;

  • eine strikte Unterscheidung zwischen Asylbewerbern im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, der Zuwanderung aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen und der vorübergehenden Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisenregionen.

Das Europäische Parlament folgte dem Vorschlag der Kommission, das Asylrecht in zwei Stufen zu harmonisieren, weist aber darauf hin, dass auch an der ersten Stufe der Harmonisierung grundsätzlich die Verfahrensrechte und Verfahrensschritte in der EU alle gleich und zwingend geregelt sein sollten, der verbleibende Spielraum für die Mitgliedstaaten darf die Harmonisierung des Asylrechts nicht unterlaufen.

Kommissar Vitorino, der schon eher gestanden hat, dass das Konzept der Nulleinwanderung nicht funktioniert, hat sich im Ausschuss vorige Woche zu der Richtlinie zu den Mindestnormen des Asylrechtes geäußert - es soll ein „schnelles, einfaches und gerechtes„ Verfahren sein, und ein Entwurf soll noch vor Ende 2000 von der Kommission vorgelegt werden, was dann langfristig zu einem einheitlichen Asylsystem, wie Tampere es vorsieht, führen soll. Und es soll nicht der kleinste gemeinsame Nenner sein, sondern ein gemeinsames festgelegtes Niveau beinhalten, damit keine „sekundären Bewegungen„ entstehen. Nun hoffe ich sehr, dass sich Kommissar Vitorino mit dieser Linie durchsetzen wird, weil bis jetzt Asyl für mich eine rein humanitäre Geste eines Empfängerstaates ist. In der gerade ausgearbeiteten Grundrechtecharta ist das Asylrecht als Individualrecht für Drittstaatsangehörige nicht einmal erwähnt worden. Nun ist meiner Meinung nach das Asylrecht am wenigsten dazu geeignet, als Mittel der Einwanderungskontrolle eingesetzt zu werden, und ich werde mich dafür einsetzen, dass das Asylrecht in seinem Ansehen und in seinem Kern gestärkt wird.

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Fingerabdrucksdatei

Eurodac soll im Wesentlichen eine zentrale Datenbank sein, an die alle Fingerabdrücke von Asylbewerbern in Mitgliedstaaten sofort übermittelt und verglichen werden. Diese Daten von Asylbewerbern sollen zehn Jahre lang gespeichert werden; die von Ausländern, die beim illegalen Grenzübertritt erwischt werden, zwei Jahre. Die illegale Einreise kann nicht nur

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direkt an der Grenze festgestellt werden. Auch wenn ein Ausländer später in einem Zug gefunden wird, sollen ihm die Fingerabdrücke abgenommen werden. Fingerabdrücke von Menschen, die sich bereits illegal in einem Land aufhalten, können nach Brüssel gemeldet werden, um feststellen zu lassen, ob sie bereits in einem anderen Staat einen Asylantrag gestellt haben. Ihre Daten werden nicht gespeichert.

Die Eurodac-Stelle, die bei der Kommission in Brüssel angesiedelt sein soll, soll das Land feststellen, in dem ein Ausländer berechtigt ist, seinen Asylantrag zu stellen.

Bis zuletzt war im Parlament strittig, ob, wie von der Kommission vorgeschlagen, bereits ab dem Alter von 14 Jahren Fingerabdrücke abgenommen werden sollen. Nach einer turbulenten Debatte votierten die Abgeordneten für die vom Ausschuss vorgeschlagene Altersgrenze von 18 Jahren. Das Mindestalter von 14 Jahren steht im Widerspruch zu den geltenden internationalen Innenabkommen, begründete der Ausschuss seine Ansicht. Die konservative Fraktion der Europäischen Volkspartei, die die größte Fraktion im Parlament stellt, hatte dafür gestimmt, dass schon von 14-Jährigen Fingerabdrücke genommen werden sollen. Da das Parlament in diesem Gesetzgebungsverfahren nur angehört werden muss, wird davon ausgegangen, dass der Ministerrat das Mindestalter wie geplant bei 14 Jahren belässt.

Der Berichterstatter Hubert Pirker (EVP) sieht in der Verabschiedung seiner Stellungnahme die Bestätigung, endlich ein - wie er meint – „wirksames Instrument im Kontext der Asylpolitik und hier besonders im Hinblick auf den Asylmissbrauch„ gefunden zu haben. Auch Hartmut Nassauer (EVP) meinte: „In allen Staaten überwiege die Zahl der Asylbewerber, die aus nicht politischen Gründen um Asyl nachsuchten, die Zahl derjenigen, die aus politischen Gründen geflüchtet seien. Es gäbe Fälle, in denen gleiche Antragsteller in mehreren Staaten Asyl beantragen. Dieses Problem sei zu beherrschen…„ Eine Vertreterin der Grünen äußerte allerdings ihre Zweifel an der sozialen Dimension: „...mittels Eurodac würden erst einmal alle Asylsuchenden als Betrüger verdächtigt…„

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Aktionspläne für Afghanistan, Albanien, Marokko, Somalia, Sri Lanka und Irak

Hauptziel dieser Aktionspläne ist es, die politische, wirtschaftliche und Menschenrechtssituation in den betroffenen Staaten zu untersuchen und die Ursachen für Flucht oder Auswanderung zu erkunden. Die Aktionspläne enthalten Vorschläge für Maßnahmen der EU, um zu unterschiedlichen Formen der Kooperation mit diesen Staaten zu kommen, meist ohne jegliche finanzielle Auswirkungen, sondern es handelt sich um Maßnahmen auf politischer und diplomatischer Ebene, wie z. B. beim Irak, wo es u. a. um die Aushandlung eines Transitabkommens mit der Türkei gehen soll. Das würde den EU-Mitgliedstaaten gestatten, abgelehnte irakische Asylbewerber auf freiwilliger Basis sowie zwangsweise in den Nordirak zurückzuführen.

Das Europäische Parlament hat den Bericht, verfasst von Hernandes Mollar (EVP), mit großer Mehrheit Ende März 2000 angenommen. Allerdings bedauerte es, dass die Pläne „auch wenn sie als eine Zusammenstellung von Daten und allgemeinen Informationen beachtlich sind, keinen echten gemeinschaftlichen Mehrwert schaffen„. Das EP forderte den Rat auf, geeignete Beschlüsse zu fassen, um eine neue Art der politischen Zusammenarbeit mit den ausgewählten Ländern auf der Grundlage der Stärkung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit zu ermöglichen„. Es meint außerdem, dass es zur völligen Vergemeinschaftung der Politik betreffend Zuwanderung, Asyl und Bekämpfung des Menschenhandels und der illegalen Einwanderung führen muss.

Die Diskussion zu dem Bericht zeigte wieder sehr viele Meinungsverschiedenheiten bei den Abgeordneten.

Ein Vertreter der Konservativen, wie der Brite Hannan, hielt sogar eine Aktion auf Ebene der Europäischen Union in diesem Bereich für nicht notwendig oder sogar negativ. Er bekräftigte, „dass die bilateralen oder multilateralen Abkommen ausreichen und sehr gut funktionieren…„.

Einige Abgeordnete forderten, dass das Hauptaugenmerk darauf zu richten sei, wirksame Sanktionen bei Menschenrechtsverletzungen zu schaffen. Ich frage mich aber, wie ein Dialog oder eine Kontaktaufnahme und mit welchen Behörden, z. B. von Afghanistan aussehen soll.

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Die Sozialdemokraten wie Anna Terron unterstrichen bei der Debatte, dass „… der Rat für jeden einzelnen Plan, den er mit jedem einzelnen Staat beschließe, das EP anhören müsse. Die Frage sei jedoch, wer für die Umsetzung der Pläne zahlen werde, denn es gäbe keine Haushaltsmittel hierfür.„ Das war im März. Positiv ist, dass inzwischen eine neue Haushaltslinie „Zusammenarbeit mit Drittländern im Bereich der Migration„ (5 Mill. Euro) auf Druck des EP's eingestellt wurde, im Zusammenhang mit dem Bericht von Anna Karamanou zu Albanien.

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Der Europäische Flüchtlingsfonds

Das Europäische Parlament befürwortete am 11. 04. 2000 mit der Annahme des Berichtes von Pernille Frahm (KVEL/ NGL) den Vorschlag der Kommission zur Errichtung eines Europäischen Flüchtlingsfonds als Mittel zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Erstmals war es für den Haushalt 2000 gelungen, die Mittel für die Flüchtlingspolitik in einer Haushaltslinie zusammenzufassen, die bis dahin in 3 Haushaltslinien zur Aufnahme von Flüchtlingen, zur Integration und für die freiwillige Rückführung aufgesplittert waren.

Die Innenministerrunde einigte sich am 28.09. auf einen Europäischen Flüchtlingsfonds, der bis zum Jahr 2004 mit insgesamt 216 Millionen Euro Aufnahme, Betreuung, aber auch die Rückkehr von Flüchtlingen unterstützen soll. Deutschland soll aus dem Fonds rund 30 Prozent der Mittel erhalten; dies entspricht dem Anteil der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, die im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen waren. In einer Protokollerklärung ließ Staatssekretär Schapper vom Bundesinnenministerium festschreiben, dass mit dem Fonds das Problem einer gerechteren „Lastenteilung„ der Flüchtlingsströme zwischen den EU-Partnern nicht erledigt sei. (Wir streiten uns auch um das Wort „Last„ im Ausschuss.) Hinsichtlich der Auswahl und der Verwaltung der Aktivitäten im Rahmen dieses Fonds sollten die Mitgliedstaaten die Hauptverantwortung tragen, jedoch in Partnerschaft mit einer Reihe relevanter Einrichtungen einschließlich NRO, Flüchtlingsorganisationen, den Sozialpartnern sowie lokalen und regionalen Behörden tätig werden. Die Entscheidungshoheit für die Auswahl der zu fördernden Projekte soll in erster Linie, jedoch nicht ausschließlich bei den Mitgliedstaaten liegen. Die Kommission wurde aufgefordert, Zwischenbe-

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richte zu präsentieren. Bei der Debatte zu diesem Bericht wurden die unterschiedlichen Meinungen der Fraktionen wiederum bei der Integration der Vertriebenen deutlich. Einig waren sich die Abgeordneten nur, dass die finanziellen Mittel unzureichend seien. Die tragischen humanitären Konsequenzen der Ereignisse im Kosovo haben gezeigt, dass ein Instrument für Sofortmassnahmen dringend notwendig ist. Es wurde eine Reserve von 10 Mill. Euro/Jahr eingestellt.

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Familienzusammenführung

Die Berichterstatterin zu diesem Vorschlag, Frau Eva Klamt (EVP), war nach der Abstimmung von Änderungsanträgen im Innenausschuss zurückgetreten, nachdem sich abzeichnete, dass die Vorschläge der Konservativen keine Mehrheit fanden.

Im Plenum äußerte sie zu dem Vorschlag der Familienzusammenführung: „Die Kommission vermischt Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen mit Asyl.„

Außerdem war Frau Klamt nicht mit der Definition „Familie„ einverstanden, die ihr viel zu weit gefasst schien. Sie wollte - auch im Namen ihrer Fraktion - den Begriff „Familie„ nur auf die Kernfamilie beschränken und so Eltern, volljährige Kinder und unverheiratete Partner ausschließen. Sie meinte dazu: „Die vorgesehenen weitgefassten Regelungen zum Familiennachzug eröffnen unkontrollierbaren Missbrauch„. Herr Pirker, Sprecher der christdemokratischen Fraktion im EP, bezeichnete den Richtlinienentwurf sogar als „Etikettenschwindel„. Er unterstellte, dass „die Schlepper, die Dokumentenfälscher werden ihnen das danken, die sie diesen Vorschlag unterstützen, und die Bevölkerung - da können sie sicher sein - wird mit Empörung reagieren.„

Die Vertreterin der liberalen Fraktion, Baroness Ludford, meinte: „I am surprised at the stance of the EPP Group, which normally puts a lot of emphasis on family values and yet today is undermining the family by opposing reunification, which will assist the social integration of these legally resident migrants. This seems to us perverse."

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Die sozialdemokratische Fraktion des EP (SPE) wertete die Annahme des Berichtes als großen Erfolg. Maria Berger, meine österreichische Kollegin, als Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Recht und Binnenmarkt hob hervor: „Das Recht auf Achtung des Familienlebens ist ein universelles Menschenrecht. Es ist nicht teilbar und kann nicht Unionsbürgern allein vorbehalten werden.„

Für die neue Gesetzgebung stimmten 323 Abgeordnete, dagegen 212 Abgeordnete der Konservativen und der extremen Rechten.

Die Sozialdemokraten begrüßen die neue Gesetzgebung, da sie von einem offenen und liberalen Ansatz zeugt und den humanitären Geist des Vorschlags von EU-Kommissar Antonio Vitorino übernimmt.

Im Moment gibt es allein 25 Initiativen von Ratspräsidentschaften, die zusätzlich im Ausschuss behandelt werden, zwei davon sind für das Thema, was wir heute hier behandeln, wichtig.

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Initiative Frankreichs zu einer Richtlinie zur Definition der Beihilfe zur illegalen Einreise sowie zum unerlaubten Aufenthalt und deren Bekämpfung

Der Berichterstatter Ozan Ceyhun (Grüne), der selbst vor 20 Jahren auf verschlungenem Wege aus der Türkei nach Deutschland kam, fasst in seinem Berichtsentwurf für den Innenausschuss in seiner Definition der strafbaren Handlung Folgendes zusammen:

Der Richtlinienvorschlag entspricht nicht der Notwendigkeit einer deutlichen Unterscheidung zwischen den unbedingt zu bekämpfenden Vorgehensweisen organisierter Netze von Menschenhändlern und der humanitären Hilfe, die natürliche oder juristische Personen gutgläubig leisten. Es wäre ungerecht, diesen Menschen strafbare Handlungen anzulasten, beispielsweise die von den Kirchen oder anderen Vereinigungen geleistete Hilfe beim illegalen Aufenthalt von Immigranten.

Die zu diesem Zweck vorgeschlagenen Änderungsanträge des Berichterstatters erläutern die strafbare Handlung besser und betonen den wesentlichen Aspekt der strafbaren Handlung, nämlich die von den Schleppern betriebene Erlangung eines Vermögensvorteils. Darauf wird im übrigen schon in

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Artikel 27 des Schengener Übereinkommens hingewiesen. Es ist von grundlegender Bedeutung, zu unterscheiden zwischen der von natürlichen oder juristischen Personen geleisteten selbstlosen Beihilfe, die straffrei bleiben muss, und derjenigen durch kriminelle Banden, die energisch bestraft werden muss.

Ceyhun verlangt in einem besonderen Artikel, die spezifische Verantwortung der Arbeitgeber von illegalen Immigranten strafrechtlich zu ahnden. Auf jeden Fall sollten nicht die illegalen Arbeitnehmer verfolgt werden, erst recht nicht, wenn man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten Menschen ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis um ihr Überleben kämpfen.

Eine sinnvolle Verstärkung der Bekämpfung der Beihilfe zur illegalen Einreise müsste, um wirklich wirksam zu sein, von einer verstärkten justitiellen und polizeilichen Zusammenarbeit, sowohl im Rahmen von Europol als auch im Rahmen von Eurojust begleitet werden.

Diese repressiven Maßnahmen stellen dabei allerdings nur einen Aspekt einer umfassenden europäischen Immigrationspolitik dar. Die illegale Einreise wird nämlich nur dann wirksam in den Griff zu bekommen sein, wenn in den Drittländern, die die Ursprungs- und Transitländer dieser illegalen Immigrationsbewegungen sind, eine justitielle Zusammenarbeit möglich sein wird, die darauf ausgerichtet ist, dass diese strafbaren Handlungen gleichermaßen strafrechtlich verfolgt werden. Darüber hinaus sollten in diesen Ländern Informationskampagnen über die Gefahren der illegalen Einreise durchgeführt werden.

Ozan Ceyhan geht mit diesem Thema wesentlich nuancierter um, als es der vorliegende Text der französischen Initiative tut, und daran sehen Sie, wie wichtig es ist, dass die Abgeordneten konsultiert werden, natürlich wäre eine Mitentscheidung noch besser.

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Gemeinsame Entschließung des Europäischen Parlaments zu Dover

Das Europäische Parlament

  • fordert den Rat dringend auf, Schritte zu unternehmen, um die Migration zu regulieren und insbesondere die kriminellen Organisationen zu

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    bekämpfen, die Menschenhandel betreiben, obwohl in Artikel 63 EGV ein Fünfjahreszeitraum für die Annahme gemeinsamer Rechtsvorschriften im Bereich der Zuwanderung vorgesehen ist;

  • weist den Rat auf seine auf dem Europäischen Rat von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999 eingegangene Verpflichtung hin, derzufolge die Europäische Union eine gemeinsame Asyl- und Zuwanderungspolitik ausarbeiten muss; dabei ist der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, an den Außengrenzen kohärente und effiziente Kontrollen durchzuführen, um die illegale Einwanderung zu unterbinden; fordert den französischen Vorsitz auf, diese Frage als Dringlichkeit in ihr Arbeitsprogramm aufzunehmen;

  • fordert alle beteiligten Stellen auf, die Zusammenarbeit zwischen Europol und den nationalen Behörden, insbesondere in bezug auf den schnellen Austausch von Informationen, zu verbessern und sicherzustellen, dass Europol mit allen finanziellen Mitteln und Humanressourcen ausgestattet ist, die für die Bekämpfung des Menschenhandels erforderlich sind;

  • weist darauf hin, dass die Festlegung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften in den Bereichen Asyl und Zuwanderung nicht unabhängig von der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Union erfolgen kann, auf dessen Grundlage es auch möglich wird, die demokratischen Werte und die Rechtsstaatlichkeit jenseits der Grenzen der Union zu fördern;

  • betont die große Verantwortung der Botschaften in den Herkunftsländern in bezug auf die erste Entscheidung über Visaanträge; fordert eine stärkere Konsultation zwischen den europäischen Botschaftern in den Ländern, aus denen viele illegale Einwanderer stammen, und fordert diese Botschaften dringend auf, Informationskampagnen durchzuführen, in denen die Menschen vor den Gefahren des Menschenhandels gewarnt werden;

  • fordert die Mitgliedstaaten auf, als Instrument zur Bekämpfung der Beschäftigung von illegalen Einwanderern ihre Gesetze zu verschärfen, damit die Arbeitgeber strenger bestraft werden können;

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  • fordert den Rat und die Kommission auf, spezifische Vorschläge auszuarbeiten, um die Eingliederung der legalen Einwanderer in der Europäischen Union auf der Grundlage der bewährtesten Modelle der Mitgliedstaaten zu verbessern.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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