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TEILDOKUMENT:



Klaus Sieveking
Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik:
neue Perspektiven nach „Amsterdam„ *

*[Das Manuskript wurde am 16.10.2000 abgeschlossen. Später erfolgten geringfügige Ergänzungen.]

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A. Einführung

Beim Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der EU am 13.10.2000 in Biarritz äußerte der französische Premierminister Jospin Vorbehalte seiner Regierung gegen die geplanten Mehrheitsentscheidungen in der Asyl-, Visa- und Migrationspolitik. [FAZ vom 14.10.2000, 6. In gleichem Sinn Bundeskanzler Schröder, FAZ vom 10.11.00, 7. Auch das Treffen des Europäischen Rates vom 7. – 9.12.00 in Nizza hat dazu keine neuen Entscheidungen in Richtung der Anerkennung des Mehrheitsentscheidungsprinzips im Asyl- und Einwanderungsbereich erbracht, vgl. Bulletin Quotidien Europe Nr. 7861, 5; vgl. auch Nr. 7860, 3.]
Damit sind wir schon fast am Kern unseres Tagungsthemas. Doch für einen Überblick über das Thema „Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik: neue Perspektiven nach Amsterdam„ sind vor allem übergreifende politische und konkrete rechtliche Überlegungen erforderlich. Zuvor sind auch noch einige wenige Hinweise auf statistische Daten und auf Wanderungsmuster in der EU angebracht.

Nach jüngsten Veröffentlichungen von Eurostat [Eurostat Jahrbuch 2000, 110 f.; Statistik kurzgefasst: Bevölkerung und Soziale Bedingungen, Thema 3 – 10/2000, Bevölkerung und Lebensbedingungen, 3. Zum Wandel der Wanderungsmuster siehe auch: Beschäftigung für alle. Rassismus bekämpfen und Eingliederung von Migranten fördern, Luxemburg 2000, 4. Zur Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland siehe Sell (2000).] leben unter den knapp 375 Mio. Menschen in der Gemeinschaft ca. 19 Mio. Ausländer, davon 70%, also mehr als 13 Mio., aus Nicht-EU-Ländern und 6 Mio. aus Ländern der EU. In Deutschland leben 5,48 Mio., in Frankreich 2,3 Mio. und im Vereinigten Königreich 1,3 Mio. Drittstaater. Hinzuzuzählen sind nach groben Schätzungen ca. eine weitere Million Personen mit illegalem Status.

Jährlich kommen derzeit weniger als 250000 Asylbewerber in das Gemeinschaftsgebiet, davon jeweils über 40% nach Großbritannien und Deutsch-

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land. Derzeit werden 60% aller Asylanträge in Deutschland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich gestellt. [Angaben nach Brüsseler Vertretern des UNHCR, vgl. Schutz der Flüchtlingsrechte verlangt, FAZ 28.9.2000, 6. Im Jahre 2000 wurden 78.500 Asylanträge in Deutschland gestellt.]

Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, der Bevölkerungsdruck aus weniger entwickelten Ländern und der politische Wandel in Ostmitteleuropa haben das Wanderungsschema der EU-Mitgliedstaaten in den jüngsten Jahren verändert. Auch die Wanderungsmuster innerhalb der EU haben sich verändert zugunsten der Wanderung von hochqualifizierten Personen. Die zeitliche Befristung von Wanderung spielt ebenso eine stärkere Rolle wie die aus Studiengründen. Während sich in den nördlichen Ländern die Zuwanderung und der Verbleib von Ausländern konsolidiert hat – vor allem durch Familienzusammenführung und das Anwachsen der zweiten Generation -, sind die südlichen Mitgliedsländer zu Einwanderungsländern geworden.

Eine Zunahme von illegaler Zuwanderung ist überall zu beobachten. Schließlich bildet seit vielen Jahren der Wanderungssaldo, also die Differenz von Einwanderung und Auswanderung, besonders in Deutschland, Italien und Schweden die Hauptkomponente der Bevölkerungsentwicklung. Es ist davon auszugehen, dass diese Tendenz in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zunehmen wird und deswegen eine Zuwanderung von erheblicher Größenordnung für erforderlich gehalten wird.

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B. Die politischen Rahmenbedingungen gegenwärtiger Einwanderungs- und Asyldebatten

Seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages im Mai 1999 wird die Öffentlichkeit in Europa zunehmend mit migrationspolitischen Themen konfrontiert. Dazu tragen nicht nur spektakuläre Ereignisse wie z.B. der Tod von bei der Überfahrt über die Wassergrenzen Europas ertrunkenen Flüchtlingen bei. Die Wissenschaft hat die anstehenden Fragen aufgegriffen [Siehe dazu vor allem die Tagung der Europäischen Rechtsakademie Trier am 18. und 19. Februar 1999. Die Beiträge sind veröffentlicht worden, siehe: Hailbronner (1999).] , und die Medien nehmen in ihrer Berichterstattung über rechtspolitische Entwicklungen in Europa immer häufiger Bezug auf Migration, Einwanderung oder

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Asyl – nicht zu sprechen von den anwachsenden Meldungen über antirassistische und fremdenfeindliche Aktionen. Vor diesem Hintergrund wäre – wie in Art. 13 Abs. 2 EU vorgesehen - auf europäischer Ebene eine gemeinsame Strategie und ein umfassendes Konzept [Anderes gilt z.B. für den Bereich der Mittelmeerpolitik, vgl. den Strategiebeschluss Nr. 2000/458/GASP „Gemeinsame Strategie des Europäischen Rates vom 19.06.2000 für den Mittelmeerraum„ ABl. EG L 183/5 vom 22.07.2000.] betreffend Einwanderung und Asyl zu erwarten, da es sich hier um Bereiche handelt, „in denen wichtige gemeinsame Interessen der Mitgliedstaaten bestehen.„ Hieran mangelt es bis heute - trotz erster Ansätze in der Europäischen Kommission. [Hinzuweisen ist auf frühere Mitteilungen der Europäischen Kommission über „Asyl und Einwanderung„ z.B. 1994.]
In der Diskussion auf Gemeinschaftsebene haben sich bislang drei Kernpunkte herausgeschält:

  • Aktivitäten gegen den auf die Gemeinschaft einwirkenden Migrationsdruck, z.B. durch Kooperation mit den Herkunftsländern,

  • eine wirksame Kontrolle der Einwanderung und Bekämpfung illegaler Einwanderung sowie

  • die Stärkung der Rechtsposition der legalen Einwanderer.

Betrachtet man die bislang entwickelten Instrumente, so überwiegt der sicherheitspolitische Aspekt. Welches Gewicht dabei den außen- und inte-grationspolitischen Zielen oder Vorstellungen einer Rechts- und Wertegemeinschaft zukommt, lässt sich nicht immer deutlich erkennen. Die Verortung dieser Gesichtspunkte im Rahmen eines strategischen Konzepts wäre vonnöten. Dass dies keine leichte Aufgabe ist, ist nicht nur der Komplexität der angesprochenen Problemfelder zuzuschreiben. Die Schwierigkeit liegt in der notwendigen Bearbeitung des Themas im Kontext internationaler, europäischer und nationaler Politik. Für Fragen einer derartigen „Mehrebenenpolitik„ [Vgl. dazu: Jachtenfuchs/ Kohler-Koch, in dies . (Hrsg.) (1996), 15-44; Zürn (1998).] sind noch keine hinreichenden Strukturen entwickelt. Zur näheren Illustration sei auf weitere Stichworte hingewiesen:

  • Bevölkerungsentwicklung: Die Bevölkerungsstudie der UNO [„Replacement Migration: Is It A Solution To Declining And Ageing Populations?" , Population Division, Department of Economic and Social Affairs, United Nations, 6 January 2000. Zur EU siehe den Bericht: Die demographische Lage in der Europäischen Union 1995, Luxemburg 1996.] von Anfang dieses Jahres – sie wurde von der Französischen Präsidentschaft

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    ausdrücklich kritisiert -, hält angesichts sinkender Geburtenraten in Europa allein für Deutschland bis zum Jahre 2050 die Einwanderung von 25 Mio. Menschen für erforderlich;

  • weltweiter Menschenhandel und illegale Einwanderung: Das Drama von Dover im Juni hat die Brutalität des internationalen Menschenhandels gezeigt: Den Versuch, illegal in die EU zu immigrieren, haben 58 Menschen aus dem fernen Osten mit ihrem Leben bezahlen müssen;

  • Ausbau der „Festung Europas„ [Peers (1998); Groenendijk ( 1994).]: Nach innen ist z.B. hinzuweisen auf die Errichtung von EUROPOL, nach außen auf die Entscheidung des Königreichs Spanien, 350 km der Südküste des Landes mit Radarsichtgeräten auszustatten, um sich gegen illegale Einwanderung zu sichern;

  • die bevorstehende Osterweiterung der EU: Das Thema der Freizügigkeit erweist sich bei den Beitrittsverhandlungen als zentral und schwierig. Nach einer Studie aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit [Hönekopp/Werner (1999).] liegen die Schätzungen für die jährliche Einwanderung aus den Ländern Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei nach Deutschland bei 100.000.

  • Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: Erwähnt seien nur die zahllosen rassistischen und fremdenfeindlichen Anschläge nicht nur, aber besonders in Deutschland.

Vor diesem Hintergrund ist zunächst der Diskussionsrahmen zu verdeutlichen, innerhalb dessen und von dem aus europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik diskutiert und beeinflusst wird. Ich unterscheide dabei drei Ebenen:

  • Auf der Ebene der internationalen Politikentwicklungen sind der Zusammenhang der Globalisierung von Wirtschaft, Wettbewerb und Migration, die Bekämpfung von Menschenhandel und illegaler Einwanderung sowie der gleichzeitige Ausbau und die Überwachung der internationalen Instrumente der Menschenrechtspolitik festzustellen.

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  • Wie die Green-Card Diskussion gezeigt hat, besteht zwischen Deutschland, anderen Mitgliedstaaten der EU [Z.B. sucht Schweden qualifiziertes Personal im Ausland, vgl. Überlegungen zur Arbeitserlaubnis für Drittstaater, Bundesarbeitsblatt 9/2000, 23.] , den USA [Vgl. Amerika will 600.000 Computer-Fachleute holen, FAZ vom 05.10.00, 18. Siehe auch: Pfaff (2000); Gaul/ Lunk (2000 ) ; Freckmann (2000). Siehe auch: Die Green Card ein großer Flop?, die tageszeitung vom 16./17.9.00, 7. ] und anderen Ländern der Welt ein Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitnehmer. Das betrifft nicht nur die Computerbranche. Innerhalb Europas hat allgemein der Wettbewerb um gemeinschaftsinternes und gemeinschaftsexternes qualifiziertes Personal, insbesondere Pflegekräfte, begonnen.

  • Das erwähnte Debakel in Dover und die spanischen Grenzsicherungen lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Problem des international organisierten Menschenhandels und auf Fragen der illegalen Einwanderung. [Twomey (2000).] Für Kommissar Vitorino, zuständig für Justiz und innere Angelegenheiten, war dies Ereignis Anlass, eine kohärente und globale Einwanderungspolitik der EU zu fordern. Dazu zählt er die Verbesserung der Bekämpfung der illegalen Einwanderung, die verstärkte Zusammenarbeit in der Kontrolle des Zugangs zu dem Gebiet der EU, die Schaffung einer Partnerschaft mit den Herkunftsländern, die Schaffung eines Schutz bietenden Asylsystems unter Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention sowie eine Aufnahme- und Integrationspolitik, mit der das Trugbild der „Nullimmigration„ verschwinden soll. [Bulletin Quotidien Europe Nr. 7741, 9.]

  • Die internationale Dimension des Themas wird von menschenrechtsrelevanten Fragen der Asyl- und Flüchtlingspolitik überformt. Die menschenrechtlichen Verpflichtungen in den internationalen Abkommen, Übereinkommen, Pakte u.a.m. der Vereinten Nationen und des Europarates sind nicht nur für die Organe der Gemeinschaft, sondern auch für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich. [Vgl. die Übersicht im 5. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen, BTDrucks. 14/3739 vom 28.06.2000, 26 ff. und 46 ff.]

  • Auf der europäischen Politikebene markieren die gegenwärtigen Debatten über die politische und rechtliche Verfasstheit, die Konstitutionalisierung Europas, die immer noch offene Frage der „Staatswer-

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    dung„ Europas. [Fischer (2000) und die Beiträge von Müller-Graff , Schneider und Kohler-Koch in demselben Heft integration 2/2000.]
    Dabei geht es auch um Kompetenzabgrenzungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten einerseits und zwischen Europäischer Kommission, Rat und Parlament andererseits sowie den Zusammenhang der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitikdiskussion mit dem Prozess der angemahnten Demokratisierung der EU, insbesondere der fortlaufenden europäischen Konstitutionalisierung. Auf die mit dem Amsterdamer Vertrag eingetretenen Veränderungen in diesem Feld wird unten näher einzugehen sein. Immerhin, die teilweise Europäisierung des nationalen Ausländerrechts ist vollzogen [Siehe jetzt Schily (2000), 848 ff.], und das Wechselspiel zwischen der Europäischen Kommission als Initiator künftiger Gemeinschaftsgesetzgebung, dem Rat und dem Parlament in diesem neuen gemeinschaftsrechtlich konstituierten Politikfeld wird man unter dem Aspekt des jeweiligen Einflusses genau im Auge behalten müssen.

  • Zum Thema der Konstitutionalisierung Europas gehört auch der Entwicklungsprozess zur Verabschiedung des vom Konvent gebilligten Entwurfs der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [Siehe dazu den Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Vom Konvent gebilligter Text, Bulletin Quotidien Europe Nr. 2211 vom 3.10.2000. Zur Diskussion siehe: Baer (2000); ausführlich: Pernice (2000); Weber (2000). Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde anlässlich des Europäischen Rates in Nizza am 7.12.2000 feierlich verkündet. Der Text wurde veröffentlicht auch in der Beilage zur Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) Heft 49/2000 vom 4.12.00 und jetzt im ABl.EG Nr. C 364/01 vom 18.12.00.] in der Fassung vom 2. Oktober 2000. Die Grundrechte-Charta-Diskussion hat unmittelbare Verbindungen zum Thema Einwanderung und Asyl deutlich gemacht und die hierfür maßgeblichen Kriterien einer Europäischen Zivilgesellschaft in Erinnerung gerufen. Ein für die europäische Asyl- und Einwanderungspolitik maßgebliches Kriterium ist mit der Aufnahme des Prinzips der Solidarität [Vgl . Meyer (2000).] in den Entwurf der Charta genannt, das in der Präambel und als Kapitelüberschrift zu den sozialen Rechten Eingang gefunden hat. Die Charta enthält zugleich Handlungsaufträge an die Gemeinschaft: In Art. 45 zu Freizügigkeit und

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    Aufenthaltsfreiheit heißt es in Abs. 2: „Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, kann gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden„. Die angesprochene Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen ist ein aktuell diskutiertes Thema, das durchaus kontrovers eingeschätzt wird. Z.B. befürchtet der CSU-Abgeordnete im Europäischen Parlament Singhammer, dass die Erweiterung der Geltung von Arbeitserlaubnissen für ein EU-Land auf die gesamte Union zu „massiver Zuwanderung„ führen würde. Er beruft sich auf die vielen Brasilianer, „die über ihre portugiesischen Verbindungen in Portugal Aufenthaltsrecht„ genießen. [Zitiert nach: CSU fragt Herzog: Wo bleibt das Volk? Scharfe Kritik am Entwurf für Grundrechtscharta, Die Welt vom 23.9.2000, 2.] - Intensive Diskussionen hat es zum Asylrecht nach Art. 18 der Charta gegeben, der das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Konvention sowie dem EG-Vertrag gewährleistet. Das bezeugen die zahlreichen Stellungnahmen der Verbände in den Mitgliedstaaten, von internationalen Organisationen, insbesondere diverser Nichtregierungsorganisationen. [Stellvertretend die Stellungnahmen von Amnesty International vom April 2000 und 22.08.00, nachzulesen im internet www.consilium.eu.int. Zahlreiche Stellungnahmen enthält auch das Stenographische Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Deutscher Bundestag (43. Sitzung) und des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union – Bundesrat – am Mittwoch, 5. April 2000. ] Zur Debatte stehen einheitliche Beurteilungskriterien für Flüchtlinge und harmonisierte Verfahrensrechte.

  • Erwähnenswert ist auch die Initiative der Europäischen Kommission für das Programm „ODYSSEUS„, das eine enge Zusammenarbeit der Verwaltungen der Mitgliedstaaten im Bereich von Asyl und Einwanderung beinhaltet. [Das auf einen Zeitraum 1998 bis 2002 angelegte Programm hat sich Ausbildung, Austauschmaßnahmen und Zusammenarbeit in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Überschreiten der Außengrenzen zum Ziel gesetzt. Drittländer, insbesondere die beitrittswilligen Länder können daran beteiligt werden, vgl. ABl. EG L 99 vom 31.3.1998. Siehe auch das Jahresprogramm 1998, ABl. EG C 169/15 vom 4.6.1998.]

  • Auf der Ebene der Mitgliedstaaten der EU geht es um die Zulassung und die Folgenbewältigung von Einwanderung durch Arbeitsmigration

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    und Asyl. Die Debatten über ein nationales Einwanderungsgesetz werden jetzt geführt, wobei die Abgrenzung zu den Maßnahmen auf europäischer Ebene näher festzulegen sein werden. Fragen der Integration der eingewanderten Personen und die Auseinandersetzung mit fremdenfeindlichen Aktionen werden auf nationaler Ebene ausgetragen. Gleiches gilt für Entscheidungen über die bilateralen Rückübernahme-Abkommen als verfahrensrechtliche Instrumente des Kampfes gegen Menschenhandel und illegale Einwanderung, die außerhalb des Gemeinschaftsrahmens getroffen werden.

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C. Der rechtlich-institutionelle Rahmen von Einwanderung und Asyl

I. Der Kompetenzwandel im Bereich von Einwanderung und Asyl: Vom sozialpolitisch motivierten Konzertierungsverfahren zur eigenständigen Kompetenz für Inneres (1974-1999)

Bereits 1974 stellte der Rat in seiner Entschließung vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm [ABl.EG C Nr. 13, 1.] fest, dass die Wanderungspolitik der Mitgliedstaaten der EG aufgrund ihres Einflusses auf den Arbeitsmarkt und auf die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer für die Sozialpolitik der Gemeinschaft von Bedeutung ist. Der Rat anerkannte die Notwendigkeit der Abstimmung der Wanderungspolitik gegenüber Drittländern. Diese Erwägungen waren Gegenstand der Ratsentschließungen vom 9. Februar 1976 über ein Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen [ABl.EG C Nr. 34, 2.] und vom 27. Juni 1980 über Leitlinien für eine Arbeitsmarktpolitik der Gemeinschaft [ABl.EG C Nr. 168, 1.]. Die Europäische Kommission legte am 8. Juli 1985 ihre Entscheidung zur Einführung eines Mitteilungs- und Abstimmungsverfahrens über die Wanderungspolitik gegenüber Drittländern [ABl.EG L Nr. 217, 25. ] vor. Danach unterrichten die Mitgliedstaaten die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten rechtzeitig und spätestens bis zum Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung über geplante Maßnahmen gegen-

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über Wanderarbeitnehmern aus Drittländern und ihren Familienangehörigen betreffend Zuwanderung, Aufenthalt und Beschäftigung einschließlich illegaler Zuwanderung, illegalem Aufenthalt und illegaler Beschäftigung. Einen Monat später, am 16. Juli 1985, fasste der Rat eine Entschließung über Leitlinien für eine Wanderungspolitik der Gemeinschaft. Darin anerkannte der Rat,

„dass es zweckmäßig ist, die Zusammenarbeit und Konzertierung zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission in bezug auf die Wanderungspolitik zu fördern, und zwar auch gegenüber Drittländern.„

Der von Frankreich und Deutschland gegen das Mitteilungs- und Abstimmungsverfahren angerufene Europäische Gerichtshof wertete in seinem Urteil von 1987 das ausländerpolitische Konzertierungsverfahren als Ausfluss der sozialpolitischen Kompetenz der Gemeinschaft nach Art. 118 EWG (Art. 137 EG Amsterdam) mit der Folge, dass über die mitgliedstaatliche Unterrichtungspflicht hinaus inhaltliche Vorgaben seitens der Gemeinschaft unzulässig sind. [EuGH Slg. 1987, 3203 (Rs. 281, 283, 284, 285 und 287/85 - Bundesrepublik Deutschland u.a. gegen Kommission). Die Kommission wiederholte unter Berücksichtigung der Auffassung des EuGH die Entscheidung über ein Mitteilungs- und Abstimmungsverfahren, vgl. ABl. EG Nr. L 183 vom 14.7.1988.]

Die spätere Entwicklung löste die Frage nach der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Wanderungspolitik gegenüber Drittländern allmählich aus ihrem sozialpolitisch motivierten Kontext der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in sozialen Fragen. Die Asyl- und Einwanderungspolitik, ein Kernbereich nationaler Souveränität, wurde - nach vergeblichen Versuchen, sich über einen Vorentwurf zu einer Asylrechtsrichtlinie mit dem Vereinigten Königreich zu einigen - seit 1985 nach dem Muster des deutsch-französischen Regierungsabkommens von 1984 über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den Grenzen in die multilaterale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rahmen des sog. Schengener Vertragssystems, also außerhalb der Gemeinschaftszuständigkeiten überführt.

Mit der Etablierung der Gruppe der Schengen-Staaten 1985 und dem Schengener Durchführungsabkommen von 1990 wurde eine neue Form intergouvernementaler Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten im Be-

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reich der Asyl- und Einwanderungspolitik geschaffen, die vor allem wegen der fehlenden Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Laufe der Zeit als unbefriedigend empfunden wurde. Parallel und zu gleicher Zeit, nämlich am 15. Juni 1990, vereinbarten sämtliche Mitgliedstaaten der EU das Dubliner Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Überprüfung eines in einem Mitgliedstaat der EG gestellten Asylantrags [ABl.EG C 254/1 vom 19.08.97.] , das erst am 01.09.1997 in Kraft trat. [ABl.EG C 268/1 vom 04.09.97.]

Mit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 wurde die Personenfreizügigkeit als Bestandteil des Binnenmarktes eingeführt. Damit erhielt auch die Frage nach der Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen innerhalb der Gemeinschaft und damit verbunden die Frage nach der Gemeinschaftskompetenz bezüglich ihrer Rechtsstellung, insbesondere ihrer Zulassung und ihrer innergemeinschaftlichen Rechtsposition neue Aktualität.

Der Maastrichter Vertrag über eine europäische Union von 1992 überführte die auf völkerrechtlicher Basis behandelten Themen in den verfassungsrechtlichen Gemeinschaftsrahmen der sog. „Dritten Säule„. Erstmals wurde mit der Gemeinschaftskompetenz in Art. 100c EGV betreffend Entscheidungen über eine gemeinsame Visapolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen ein kleiner Teil der Asyl- und Einwanderungspolitik an das gemeinschaftliche Handeln herangeführt. Im übrigen verblieb die Politik grundsätzlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und wurde in den dritten Pfeiler, die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres überführt. [Aus der 1986 eingesetzten permanenten „Einwanderungsgruppe„ ging die Zusammenarbeit im Rahmen der dritten Säule des Maastrichter Vertrags von 1992 hervor. Ausführlich Taschner (1998).] Art. K.1 EUV bestimmte, dass die Mitgliedstaaten neben Asyl- und Einwanderungspolitik und Vorschriften betreffend das Überschreiten der Außengrenzen auch die Politik gegenüber den Staatsangehörigen dritter Länder als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse betrachten. [Die Entscheidungen über die in Art. K.1 Ziffern 1 bis 6 genannten Bereiche konnten unter den Voraussetzungen des Art. K.9 in das Abstimmungsverfahren nach Art. 100c EGV überführt werden.]

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In dem institutionellen Gefüge des Maastrichter Vertrags hatte der Europäische Rat mit spezifischen Handlungsformen wie der Festlegung gemeinsamer Standpunkte oder der Annahme gemeinsamer Maßnahmen („soft law„) eine führende Rolle gegenüber dem Parlament und der Kommission. Die Beteiligungsbefugnisse des Parlaments waren beschränkt. Von den im Rahmen der dritten Säule durchgeführten Arbeiten wurde es lediglich unterrichtet. Auch der EuGH hatte im Rahmen des dritten Pfeilers kaum Jurisdiktionsbefugnisse. In einem der wenigen Urteile in diesem Politikfeld vom 12. Mai 1998 entschied der Gerichtshof über die Zulässigkeit der Rechtsgrundlage eines Rechtsaktes des Rates - Gemeinsame Maßnahme betreffend den Transit auf Flughäfen [EuGH, Slg. 1998, I 2763, Rechtssache C-170/96 (Kommission ./. Rat).] - im Rahmen der dritten Säule. Der EuGH hielt sich für zuständig, den Inhalt des Rechtsakts anhand des Artikels 100c EG-Vertrag zu prüfen, wies aber die Klage der Kommission ab, die das Gemeinschaftsrecht für verletzt ansah. Das hier sichtbar werdende strukturelle Defizit des Maastrichter Vertrags führte schon bald zu Revisionsüberlegungen des Vertrags. Für abänderungsbedürftig hielt man insbesondere

  • die fehlende klare Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten der Gemeinschaft in der ersten und der Mitgliedstaaten in der dritten Säule,

  • das wegen des Einstimmigkeitsprinzips praktizierte Ausweichen auf nicht verbindliche Beschlüsse,

  • die Verzögerung des Inkrafttretens von völkerrechtlichen Übereinkommen durch die Ratifikationsprozeduren,

  • die fehlende Kontrolle durch den EuGH und

  • die wegen weitgehend fehlender Befugnisse des Parlaments mangelnde demokratische Substanz.

Mit dem im Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam vom Oktober 1997 setzte sich die Gemeinschaft u.a. das in Art. 2 EUV erwähnte Ziel, nämlich „die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der

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Kriminalität der freie Personenverkehr gewährleistet ist.„ [Zu Entwicklung und Perspektiven dieses Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Monar (2000).]
Sie schuf sich mit dem neuen Titel IV des EG-Vertrags zum schrittweisen Aufbau dieses Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erstmals selbständige Kompetenzen. Sie bündelte diese Kompetenzen in den Bereichen „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr„ und sicherte durch das Schengen-Protokoll (Nr.2) zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union die Fortgeltung der bislang im Rahmen der Dritten Säule getroffenen Entscheidungen. [Ausführlich hierzu Heimann (1999), 61 ff. Der Schengen-Besitzstand gemäß Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses 1999/435/EG des Rates vom 20. Mai 1999 ist jetzt veröffentlicht im ABl.EG L 239 vom 20.09.2000 (473 Druckseiten!). Siehe auch Kuijper (2000). ]
Eine Folge dieser Vergemeinschaftung war – so ist es in entsprechenden Protokollen festgehalten - , dass das Vereinigte Königreich und Irland sowie Dänemark an diesen Maßnahmen nicht teilnehmen. Während Dänemark keinesfalls an Maßnahmen nach Titel IV teilnimmt, können das Vereinigte Königreich und Irland sich ausnahmsweise daran beteiligen (stay-out/opt-in Sonderregelung). [Hailbronner/ Thiery (1998) , 585.]

II. Neue Kompetenzen im Bereich von Asyl und Einwanderung

Von der grundlegenden Neuordnung der Bereiche Justiz und Inneres sowie des Rechts zur Abschaffung der Binnengrenzkontrollen soll hier nur der Ausschnitt Asyl und Einwanderung dargestellt werden. [Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei: Heimann (1999); Hailbronner/ Thiery (1998) .]

Als Ermächtigungsgrundlage für gemeinschaftliches Handeln im Bereich der künftigen Asyl-, Einwanderungs- und – wie es heißt - Vertriebenenpolitik [Der Vertriebenenbegriff meint in Abgrenzung zum Flüchtlingsbegriff vertriebene Personen, die ihr Herkunftsland wegen bewaffneter Konflikte verlassen haben, jedoch nicht im Sinne der GFK verfolgt werden.] dient Art. 63 EG. Die Zuständigkeit der Gemeinschaft – sie ist nicht umfassend und auch nicht ausschließlich - konkurriert mit derjenigen der Mitgliedstaaten, d.h. die Länder bleiben solange zuständig, bis die Gemeinschaft für einen Bereich eine abschließende Regelung getroffen hat. Die

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Gemeinschaft muss sich bei ihrer Rechtssetzung an das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 EGV halten. Nach Nr. 6 S. 3 des Protokolls (Nr. 21) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ist der Rat grundsätzlich gehalten, bei seinen Maßnahmen eine Richtlinie einer Verordnung vorzuziehen.

Maßnahmen des Rates – und hier handelt es sich um eine Handlungspflicht - im Bereich von Asyl, Einwanderung (Art. 63) und Rechte der Drittstaatsangehörigen (Art. 62) werden während eines Übergangszeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags einstimmig und auf Vorschlag der Kommission oder auf Initiative eines Mitgliedstaates und nach Anhörung des Parlaments entschieden. Allerdings gilt dieser Zeitplan gemäß Art. 63 letzter Satz EG nicht für die Förderung einer ausgewogenen Lastenverteilung, für Vorschriften bezüglich Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen und Verfahren zur Erteilung langfristiger Visa und Aufenthaltstitel sowie Maßnahmen zur Festlegung der Aufenthaltsrechte Drittstaatsangehöriger.

Nach Ablauf der Übergangszeit werden Vorschriften über die Erteilung kurzfristiger Visa durch die Mitgliedstaaten sowie über ein einheitliches Visum im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 (modifizierte Fassung von ex Art. 189b ) EG erlassen. Für alle Bereiche des Titels IV EG gibt es dann kein mitgliedstaatliches Initiativrecht, d. h. das Vorschlagsmonopol der Kommission wird wiederhergestellt. Schließlich fasst der Rat einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments einen Beschluss, wonach auf alle oder einige Bereiche des Titels IV EG das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG Anwendung findet. Gemäß Art. 68 EG unterliegt der neue Titel zwar der Auslegungshoheit des EuGH; hierbei sind jedoch einige Einschränkungen und Besonderheiten zu beachten, die vom bislang bekannten Rechtsschutzsystem erheblich abweichen [Ausführlich dazu Heimann (1999), 50 ff.], z.B. die Beschränkung der Vorlageverpflichtung auf einzelstaatliche Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.

Des weiteren sind Maßnahmen bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen zu erwähnen. Der Rat erlässt gemäß Art. 62 Nr. 2 lit. b EG Vor-

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schriften über Visa von höchstens drei Monaten Gültigkeit. Hierzu erstellt er eine Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige der Visumpflicht unterliegen (Negativliste), sowie der Drittländer, deren Staatsangehörige davon befreit sind (Positivliste). Damit wird die Zuständigkeit der Gemeinschaft im Vergleich zu Art. 100c EGV a. F. zu einer umfassenden Regelungskompetenz auf dem Gebiet der Visapolitik für Aufenthalte von bis zu drei Monaten erweitert. Neu ist die in Art. 62 Nr. 2 EG erwähnte Kompetenz der Gemeinschaft, Vorschriften für ein einheitliches Visum zu erlassen. Der Rat regelt ebenso Verfahren und Voraussetzungen für die Visumerteilung durch die Mitgliedstaaten. Nach der Erklärung Nr. 6 der Regierungskonferenz dürfen bei der Anwendung des Art. 62 Nr. 2 lit. b EGV auch außenpolitische Überlegungen berücksichtigt werden. Diese Regelung ist Teil der sog. Übernahme des Schengen aquis.

III. Die Entwicklung seit 1997

Der Rat (Justiz und Inneres) legte am 3. Dezember 1998 in Wien den „Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts„ vor. [ABl.EG C 19/1 vom 23. Januar 1999.] Der Plan soll „im Geiste interinstitutioneller Zusammenarbeit„ (Ziff. 4) den allgemeinen Ansatz und die Philosophie des Konzepts eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts„ zum Ausdruck bringen. Anstelle fehlender rechtlicher Bindung von vielen bereits getroffenen Entschließungen und Empfehlungen sollen jetzt verbindliche Gemeinschaftsinstrumente und angemessene Überwachungsmechanismen eingesetzt werden. Im Hinblick auf den Raum der Freiheit soll bei der Einwanderungs- und Asylpolitik [Zur Asylpolitik siehe Huber (2000) und zahlreiche Beiträge in: Barwig u.a. (1999), 407-556.] der Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der Integration sowie den Rechten der sich rechtmäßig aufhaltenden Drittstaatsangehörigen Priorität zukommen (Ziff. 8). Bei künftigen Maßnahmen wollen sich Rat und Kommission nicht nur vom Grundsatz der Subsidiarität, sondern gerade bei grenzüberschreitenden Herausforderungen vom Grundsatz der Solidarität zwischen den Mit-

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gliedstaaten und zwischen diesen und den europäischen Organen leiten lassen.

Der Rat betont, dass bei der Ausarbeitung von Maßnahmen der Tatsache gebührend Rechnung zu tragen sei, „dass es sich bei den Bereichen Asyl und Einwanderung um unterschiedliche Bereiche handelt, die unterschiedliche Ansätze und Lösungen erfordern„ (Ziff.33). Seiner Ansicht nach sollte eine umfassende Migrationsstrategie entwickelt werden, bei der ein System europäischer Solidarität herausragende Bedeutung haben sollte. [Ziffer 34. des Beschlusses, Fn. 39. Der Beschluss unterscheidet zwischen binnen zwei Jahren zu ergreifenden Maßnahmen, Maßnahmen, die so schnell wie möglich ergriffen werden sollen, und binnen fünf Jahren zu ergreifende Maßnahmen.] Im folgenden wird nach zeitlichen Perioden (nach 2 bzw. 5 Jahren und so schnell wie möglich) gestaffelt ein Katalog von Maßnahmen formuliert, der Maßnahmen gemeinsam für Asyl und Einwanderung und jeweils gesondert für Asyl und Einwanderung vorsieht.

Während der Aktionsplan als Instrument der Planung und Organisation wichtige Impulse für die Selbstbindung der Gemeinschaftsorgane setzte, signalisierte der Europäische Rat Tampere zur Justiz- und Innenpolitik Mitte Oktober 1999 der europäischen Öffentlichkeit, dass sich die EU nach der wirtschaftlichen Integration mit Binnenmarkt und Währungsunion nun mit Nachdruck zu einer politischen Union mit einer gemeinsamen Innen- und Justizpolitik und zu einem wirklichen „Europa der Bürger„ entwickelt. Die Schlussfolgerungen des Vorsitzes [Bulletin Quotidien Europe Nr. 2158 vom 19.10.1999; Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 7.12.1999, 793; zu den Beschlüssen siehe Wilhelm (2000).] dokumentieren den ernsthaften Willen zur Umsetzung der im Vertrag von Amsterdam vorgesehenen Möglichkeiten zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, über dessen Ziele und Grundsätze ein offener Dialog mit der Bürgergesellschaft entwickelt werden soll. An der Spitze der – wie es heißt – „Meilensteine von Tampere„ steht die Europäische Integration, die sich auf das gemeinsame Bekenntnis zur Freiheit gründet, das sich auf die Menschenrechte, demokratische Institutionen und Rechtsstaatlichkeit stützt. Weiter heißt es:

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„Diese Freiheit sollte jedoch nicht als ausschließliches Vorrecht für die Bürger der Union betrachtet werden. Die Tatsache, dass sie existiert, hat Sogwirkung auf viele andere Menschen in der Welt, die nicht in der Freiheit leben, die die Unionsbürger als selbstverständlich empfinden. Es stünde im Widerspruch zu den Traditionen Europas, wenn diese Freiheit den Menschen verweigert würde, die wegen ihrer Lebensumstände aus berechtigten Gründen in unser Gebiet einreisen wollen. Dies erfordert wiederum, dass die Union gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitiken entwickelt und dabei der Notwendigkeit einer konsequenten Kontrolle der Außengrenzen zur Beendung der illegalen Einwanderung und zur Bekämpfung derjenigen, die diese organisieren und damit zusammenhängende Delikte im Bereich der internationalen Kriminalität begehen, Rechnung trägt.„

Nach Ansicht des Europäischen Rates machen „die gesonderten, aber eng miteinander verbundenen Bereiche Asyl und Migration„ die Entwicklung einer gemeinsamen Politik der EU erforderlich, die folgende Elemente einbezieht: Partnerschaft mit den Herkunftsländern, ein gemeinsames Europäisches Asylsystem, die gerechte Behandlung von Drittstaatsangehörigen und die Steuerung der Migrationsströme. Es verwundert nicht, dass der Europäische Rat Tampere auch die Modalitäten für die Einsetzung eines später Konvent genannten Gremiums zur Erarbeitung einer Grundrechtscharta der EU festlegte, bei dessen Arbeiten insbesondere die Fragen des Asyls eine wichtige Rolle spielten.

Von besonderer praktischer, vor allem aber politischer Bedeutung war der Auftrag an die Kommission, ein „Score-board„ vorzulegen, das sämtliche Justiz- und Inneres-Aufträge des Amsterdamer Vertrags, des Wiener Aktionsplans von 1998 und des Europäischen Rates Tampere mit den jeweiligen Zieldaten in einem Dokument übersichtlich zusammenfasst. Dieses „Score-Board„ oder - wie es auf Deutsch heißt: „Anzeiger„ - ist im März 2000 als Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament ergangen [Anzeiger der Fortschritte bei der Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts„ in der Europäischen Union, KOM(2000) 167 endgültig vom 24.3.2000.] und soll im November 2000 fortgeschrieben werden. Dieses Dokument fasst klar und übersichtlich sämtliche angedachten und

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geplanten und in Durchführung befindlichen Maßnahmen und erforderlichen Rechtssetzungsinstrumente zusammen, die zur Schaffung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beitragen sollen. Insofern hat der „Anzeiger„ nicht nur Orientierungsfunktion; er ist auch eine Art Kontroll-instrument, das Verantwortlichkeiten überprüfbar macht.

Das „Score-Board„ ist Ergebnis von Beratungen mit den Mitgliedstaaten, mit dem Europäischen Parlament und mit Vertretern der „Zivilgesellschaft„, wie z.B. UNHCR und NRO wie Amnesty International. [Siehe auch Peers (2000) und Niessen/Rowlands (2000), deren Beitrag Diskussionsergebnisse dreier maßgeblicher NROs ist, dem „European Network against Racism (ENAR, Brüssel), der Immigration Law Practitioners` Association (ILPA, London) und der Migration Policy Group (MPG, Brüssel). Beteiligt an diesen Arbeiten sind Guild , Niessen , Peers und Rowlands . Zur Rolle der Nichtregierungsorganisationen siehe Niessen (2000). ]
Die Kommission wird zusammen mit den Mitgliedstaaten zu den im „Score-Board„ genannten Vorhaben Entwürfe für Rechtsakte vorlegen und kann hierzu in vielen Fällen auf früher vorgelegte Vorschläge zurückgreifen.

Mehr als sechs Jahre nach einem ersten Vorstoß zu einer liberal ausgerichteten Zuwanderungspolitik der EU hat die Europäische Kommission Ende November 2000 erneut einen Vorstoß unternommen und zwei Mitteilungen zur Wanderungs- und Asylpolitik vorgelegt. [Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine Migrationspolitik der Gemeinschaft, KOM (2000) 757 endgültig vom 22.11.2000 und die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, KOM (2000) endgültig vom 22.11.2000.]
Darin kommen jetzt deutlich wirtschaftliche Interessen der EU-Staaten zum Ausdruck: Angesichts der aus der demographischen Entwicklung resultierenden Finanzierungsprobleme der Altersversorgung sei das bisher vorherrschende Konzept eines Einwanderungsstopps nun überholt. Die Analyse der neuen Mitteilungen bedarf weiterer Untersuchungen.

IV. Einzelne Aktionsbereiche

Seit 1999, insbesondere im ersten Halbjahr 2000 ist auf dieser Grundlage von der Europäischen Kommission eine Reihe von Vorschlägen verabschiedet worden, aus der abzulesen ist, in welche Richtung die Politik der Ge-

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meinschaft geht. Diese Maßnahmen sind im folgenden näher vorzustellen und zu bewerten.

1. Maßnahmen bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen der EU für höchstens drei Monate (Art. 62 Nummer 2 EG)

Ende Januar 2000 veröffentlichte die Kommission den Vorschlag für eine „Verordnung des Rates zur Aufstellung der Liste von Drittländern, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste von Drittländern, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind„. [KOM (2000) 27 endgültig vom 26.1.2000.] Dieser Vorschlag knüpft an den im Rahmen des alten Art. 100c EGV verfolgte Ziel und den „Schengen-aquis„ an und entwickelt ihn auf der Grundlage von Art. 62 Nummer 2 Buchst. b) EG fort. Mit dieser Maßnahme soll die vollständige Harmonisierung der für Drittstaatsangehörige geltenden Visumsregelung für Drittländer erreicht werden. Gleichzeitig soll den Mitgliedstaaten auch weiterhin die Möglichkeit eingeräumt werden, für bestimmte Personengruppen Ausnahmen, insbesondere aus völker- und gewohnheitsrechtlichen Gründen, vorzusehen. Unterschiedliche Vorstellungen bestehen innerhalb des Rates zu den jeweiligen Länderlisten. Mit der Vorlage eines geänderten Vorschlags der Kommission ist demnächst zu rechnen, nachdem man sich beim Treffen der Innenminister in Paris am 28.9.2000 darauf einigen konnte, dass die beitrittsuchenden Länder Bulgarien und Rumänien in die Positivliste aufzunehmen sind. [Bulletin Quotidien Europe Nr. 7809 vom 29.9.2000.]

2. Asyl- und Vertriebenenpolitik (Art. 63 Nummern 1 und 2 EG)

Die Kommission legte Anfang März 1999 ein Arbeitsdokument „Gemeinsame Normen für das Asylverfahren[KOM SEK (1999) 271 endg. vom 3.3.1999. Siehe auch den Bericht über das Arbeitsdokument vom Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten des Europäischen Parlaments vom 19.4.2000, Berichterstatter Ingo Schmitt, PE 285900.] vor, das einen Anstoß zur Debatte über die Asylverfahren im Rat und im Parlament geben sollte. Dieses Ar-

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beitsdokument liest sich wie ein Legislativprogramm für asyl- und schutzbezogene Maßnahmen, die nach dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags auf der Grundlage von Art. 63 Nummern 1 und 2 EG umgesetzt werden sollen. Im Zentrum stehen Vorschläge der Kommission für Rechts-instrumente der Gemeinschaft für Mindestnormen im Asylverfahren.

  1. Im Mai 2000 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine nach Art. 63 Nummer 2 Buchst. a) EG zu verabschiedende „Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten„ vorgelegt. [KOM (2000) 303 endgültig vom 24.5.2000.] Diese Maßnahme gehört zu den im Wiener Aktionsprogramm 1998 genannten „so schnell wie möglich„ zu ergreifenden Maßnahmen. Vor dem Hintergrund der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und dem Kosovo soll vor allem eine Überlastung des Asylsystems verhindert werden. Die Neuerungen des Vorschlags betreffen nicht nur die uneingeschränkte Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch die Verkürzung der Höchstdauer für den vorübergehenden Schutz auf zwei Jahre, die Vereinfachung des Beschlussverfahrens, die Präzisierung der Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber den durch den vorübergehenden Schutz begünstigten Personen und integrierte Solidaritätsmechanismen einerseits in Form von finanzieller Solidarität mit Hilfe eines transparenten Finanzierungsinstruments der Gemeinschaft, andererseits in Form der konkreten Aufnahme auf der Grundlage der Freiwilligkeit sowohl des Aufnahmestaates wie auch der aufzunehmenden Personen.

    Mit der Verabschiedung dieser Richtlinie würde ein jahrelang andauerndes Ringen beendet, um den Schutzinteressen der Menschen, der uneingeschränkten Anwendung der Genfer Konvention, den mit dem Massenzustrom verbundenen Zwängen und den Interessen der Staaten Rechnung zu tragen.

  2. Einen Vorschlag für eine „Entscheidung des Rates über die Errichtung eines Europäischen Flüchtlingsfonds„ hatte die Kommission bereits Ende

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    1999 vorgelegt. [KOM (1999) 686 endg. vom 14.12.1999. Siehe dazu die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen vom 14./15.Juni 2000, CdR 80/2000 fin.]
    Der Vorschlag geht zurück auf „Ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung der Integration von Flüchtlingen„ [KOM (1998) 731 endg. vom 16.12.1998; ABl.EG C 36/20 vom 10.2.1999.] von 1998 zurück. Dem am 15. September 2000 vorgelegten geänderten Vorschlag [KOM (2000) 533 endgültig vom 15.09.2000.] folgte kurz danach die Verabschiedung der Ratsentscheidung. [ABl.EG L 252/12 vom 6.10.2000.]
    In Konkretisierung des globalen solidarischen Ansatzes des Amsterdamer Vertrags zielt die Entscheidung darauf ab, eine ausgewogene Verteilung der Belastungen der Mitgliedstaaten im Asylbereich durch die Einführung eines Systems zu begünstigen, das eine proportionale Aufteilung der Mittel zu den von jedem Mitgliedstaat übernommenen Lasten ermöglicht. Der Beschluss ist eine Antwort auf die vom Europäischen Rat Tampere erhobenen Forderungen, ein System für dringende, durch Massenzustrom, z.B. von Flüchtlingen entstandene Situationen zu entwickeln, ohne dabei die langfristigen Maßnahmen in Frage zu stellen. Vorgesehen sind jährliche Mittel von 500.000 EUR für 2000 bis 2004, jährlich jeweils um 100.000 EUR abnehmend. Mittel sind z.B. für Kosten der Aufnahmebedingungen oder Sofortmaßnahmen wie Unterbringung, Unterhalt und medizinische Versorgung gedacht.

  3. Frühere Entwürfe konnten nicht verabschiedet werden: Jetzt ermöglicht die neue Vertragsgrundlage des Art. 63 Nummer 1 Buchst. a) den Erlass einer „Verordnung (EG) des Rates über die Einrichtung von „Eurodac„ für den Vergleich der Fingerabdrücke von Asylbewerbern und bestimmten anderen Ausländern„. [KOM (1999) 260 endg. vom 26.5.1999] Der Kommissionsvorschlag hierzu wurde im Mai dieses Jahres vorgelegt. Er versteht sich als flankierende Maßnahme in bezug auf Asyl. Der Rat hat diese Verordnung entsprechend Art. 67 EG während des Übergangszeitraums bis 2004 anzunehmen. Bislang haben weder das Vereinigte Königreich und Irland noch Dänemark erkennen lassen, dass sie an der Entscheidung teilnehmen wollen.

    Es geht hierbei um die Errichtung des Eurodac-Systems für das Sammeln und den Vergleich der Fingerabdrücke von Asylbewerbern und gewissen anderen Ausländern, also einer Datenbank, die die Anwendung der

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    Dubliner Konvention von 1990 erleichtern soll. Derzeit streiten sich der Rat und das Europäische Parlament darum, wem die Ausführungsbefugnis zustehen soll. Der Rat hatte den Text des ursprünglichen Vorschlags geändert und der Kommission die Ausführungsbefugnis entzogen. Inzwischen streitet das Parlament mit der Kommission und dem Rat darum, von welchem Alter an (ab 14 oder erst ab 18) Fingerabdrücke genommen werden dürfen. [Vgl. Bulletin Quotidien Europe Nr. 7804 vom 22.9.2000. Zur streitigen Debatte siehe auch: Bericht des Abgeordneten im Europäischen Parlament Hubert Pirker vom 1.9.2000, PE 285.937.]

  4. Als ein erster Schritt für ein einheitliches europäisches Asylsystem dürfte ein weiterer Vorschlag der EU-Kommission für eine „Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft[KOM (2000) 578 endgültig vom 20.9.2000.] anzusehen sein, der von der Kommission am 20. September 2000 angenommen worden ist. Mit dieser Maßnahme soll ein einfaches, schnelles und effizientes Verfahren gefunden werden, das rechtsstaatlichen Kriterien bei der Behandlung von Asylgesuchen entspricht. Es sollen Mindeststandards geschaffen werden. Von besonderem Interesse wird die Regelung betreffend das gesamte Rechtsmittelverfahren sein. Der Entwurf sieht Garantien für ein faires Verfahren und Mechanismen und Instrumente für ein effizientes Verfahren vor.

  5. Derzeit wird im Rat „Justiz und Inneres„ über einen Entscheidungsvorschlag zu den Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern beraten. In Tampere hat der Europäische Rat die Harmonisierung der Aufnahmebedingungen von Asylbewerbern als ein Kernelement der europäischen Asylpolitik bezeichnet. Die Debatten im Rat dürften bis zur Vorlage eines Richtlinienvorschlags der Kommission besonders zu drei Punkten kontrovers diskutiert werden: Die räumliche Beschränkung des Aufenthaltsrechts, ein angemessenes Harmonisierungsniveau bei der finanziellen und materiellen Unterstützung der Asylbewerber und das Rechtsmittelverfahren. Nicht in allen Mitgliedstaaten bestehen vergleichbare Vorschriften wie in Deutschland zur räumlichen Beschrän-

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    kung [Vgl. § 56 Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 1993, BGBl. I S. 1361.] der Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern und zur Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. [Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.8.1997, BGBl. I S. 2022.]

3. Einwanderungspolitik (Art. 63 Nummer 3 EG)

Das Einwanderungsthema scheint den Institutionen der EU wohl am meisten Kopfzerbrechen zu machen. Von zahlreichen erwarteten Maßnahmen im Bereich Einwanderung ist bislang eine, freilich sehr wichtige Anfang Dezember 1999 vorgelegt worden, nämlich der in allen Mitgliedstaaten bereits heftig diskutierte Vorschlag der „Richtlinie des Rates über das Recht auf Familienzusammenführung„. [KOM (1999) 638 endgültig vom 1.12.1999.] Mit dieser Initiative beginnt die Kommission ihre Einwanderungsvorstellungen mit einem Vorschlag für eine legale Einreise und einen legalen Aufenthalt in der EU zu konkretisieren. Diese Initiative ist als erster Schritt hin zu einer aktiven europäischen Einwanderungspolitik anzusehen, mit dem sich die Kommission gleichzeitig von dem Konzept eines Einwanderungsstopps distanziert, das Mitte der 80er Jahre in großen Teilen Europas, insbesondere in Deutschland praktiziert wurde. Dass die Familienzusammenführung gewählt wurde, hat nicht nur gesellschaftliche Gründe. Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung stehen auch in einem spezifischen internationalrechtlichen Rechtsrahmen (UN-Menschenrechtspakte von 1966, Übereinkommen der ILO Nr. 143, GFK, Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989, EMRK, Europäische Sozialcharta). Dass der Vorschlag einen weit gefassten Familienbegriff zugrunde legt, zeigt sich an der Einbeziehung nicht nur der Ehegatten und Kinder, sondern auch der Großeltern, Verwandten, nicht verheirateten Paaren und gleichgeschlechtlichen Partner.

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4. Aufenthaltsrecht der Drittstaatsangehörigen
(Art. 63 Nummer 4 EG)


Im Rahmen der Einwanderungspolitik der EU hatte die Kommission Mitte 1997 auf der Grundlage von Art. K 3 Abs. 2 Buchst. c) des dritten Pfeilers des Maastrichter Unionsvertrags den „Vorschlag für einen Rechtsakt des Rates über die Ausarbeitung des Übereinkommens zur Regelung der Zulassung von Drittstaatsangehörigen dritter Länder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten[KOM (97) 387 end. vom 30.7. 1997.] vorgelegt. Darin ist das Konzept der Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen mit Daueraufenthaltsrecht in einem Mitgliedsland bislang am deutlichsten entwickelt. Schon damals ging die Kommission davon aus, dass mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags die Einwanderungspolitik vergemeinschaftet werden würde, und kündigte deshalb zu gegebener Zeit einen neuen Vorschlag in Form einer Richtlinie an. Es ist derzeit nicht abzusehen, wann die Kommission ihren Vorsatz umsetzen wird.

Schließlich ist zum Thema der grenzüberschreitenden Wanderung von Drittstaatsangehörigen auf zwei Richtlinienvorschläge der EU-Kommission zum Thema: „Drittstaatsangehörige in der EU: Freizügigkeit für Arbeitnehmer oder Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit für Unternehmer„ hinzuweisen. [KOM (2000) 271 endg. vom 8.5.2000.]

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D. Perspektiven

  • Der Amsterdamer Vertrag hat die Bereiche Freier Personenverkehr, Asyl und Einwanderung teilweise vergemeinschaftet. Damit hat die Gemeinschaft einen wichtigen Kompetenzzuwachs erhalten – und wohl auch einen Effizienzgewinn gegenüber dem vorherigen Status. Dies wird beides erst nach Ablauf der fünf Jahre zum Tragen kommen, da bis dahin das Einstimmigkeitsprinzip herrscht. Danach kann der Rat einstimmig beschließen, dass auf alle unter den Titel IV fallenden Bereiche das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 271 anzuwenden ist. Damit

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    würden Entscheidungen des Rates erleichtert werden, und auch das Europäische Parlament erhielte mehr Einflussmöglichkeiten.

  • Der Vergemeinschaftungsprozess führt zu einer teilweisen Europäisierung der Innenpolitik. Dies macht deutlich, dass Migrationsfragen tendenziell mit Fragen der Inneren Sicherheit verbunden bleiben. Diese Tendenz lässt sich an zahlreichen, parallel zur Migrationspolitik im engeren Sinne eingeleiteten Vorhaben ablesen; die Etablierung von EUROPOL und das Eurodac-Überwachungssystem sind die prominentesten Beispiele dafür. Es bleibt schwer vorauszusehen, ob sich europäische Einwanderungs- und Asylpolitik doch noch als eigenständiger Politikbereich herausbilden können, in dem zivilgesellschaftliche, nationalstaatliche und Gemeinschaftsinteressen ebenso Eingang finden wie außen- und entwicklungspolitische.

  • Die im Prozess der Europäisierung von Migrationspolitik praktizierte Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen in den politischen Konsensbildungsprozess zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft scheinen mir das auffälligste Merkmal einer Fortentwicklung der Gemeinschaft hin zu einer politischen Union zu sein.

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