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4. Islamische Feste

4.1 Der Kalender

Der Islam verfügt über einen eigenen Kalender. Schon in vorislamischer Zeit orientierte man sich auf der arabischen Halbinsel - anders als etwa im Sassanidenreich - an einem Mondkalender. Allerdings wurde dieser Kalender von Zeit zu Zeit durch die Einlegung eines Schaltmonates an den solaren Jahreslauf angeglichen. Der Koran verbietet dieses Verfahren der Interkalation, dessen Handhabung Privileg vorherrschender Familien in Mekka gewesen war. Im Jahre 638 n.Chr. wurde die heute gültige Version des Kalenders verbindlich gemacht, in der sich zwölf Monate von 29 und 30 Tagen Dauer abwechseln. Auch in dieser Form bedarf der Kalender noch der Einfügung einzelner Schalttage, da die Länge eines Mondjahres 354,367 Tage beträgt. [Vgl. Endreß 1991, S. 185-189.]

Wie im semitischen Kulturraum üblich, umfaßt der Kalendertag den Zeitraum von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang. [Diese Regel findet sich noch in der Feiertagsordnung der katholischen Kirche wieder, wo Feste und Sonntage mit der Vesper des Vortages beginnen.]

Doch nicht allein das Kalendarium an sich ist islamisch, sondern auch dessen Ausgangspunkt, so daß der Islam auch über eine eigene Zeitrechnung verfügt. Die Jahre werden ab dem Jahr der higra gezählt, also nach der Auswanderung Muhammads und vieler seiner Gefährten von Mekka ins nördlich gelegene Yathrib, dem späteren Medina. Der Beginn der islamischen Zeitrechnung fällt auf den 15. oder 16. Juli des Jahres 622 n.Chr.

Die higra markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des frühen Islam, so daß es inhaltlich legitim erschien, sie zum Bezugspunkt einer eigenen islamischen Zeitrechnung zu machen.

Zwar hat im internationalen Wirtschaftsverkehr der islamische Kalender dem gregorianischen weichen müssen, jedoch spielt er im religiösen Leben der Muslime noch stets eine bedeutsame Rolle, da sich nach ihm die Festtage richten. Da die Bestimmung des Datums einerseits durch Berechnung, andererseits aber auch durch tatsächliche Sichtung des Mondes geschehen kann, finden sich zuweilen unterschiedliche Auffassungen darüber, wann etwa die Fasten im Ramadan beginnen bzw. enden.

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4.2 Die Vielfalt der Feste

Der arabische Begriff für Fest, ‘id, läßt sich von der Grundbedeutung kommen, wiederkommen ableiten.

Die Feste, die der Islam feiert, bewegen sich hinsichtlich ihrer Anlässe, aber auch der Art und Weise, auf die sie begangen werden, zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite stehen die beiden Feste, die unangefochten allgemeine Verbindlichkeit besitzen: Das Fest des Fastenbrechens sowie das Opferfest, die Peter Heine als „zwei kanonische Feste" [Heine 1991b, S. 248. ] bezeichnet. Demgegenüber stehen Feste, die konfessionell, regional oder in bestimmten spirituellen Traditionen beheimatet sind. Auch existieren Feste, die auf vor- oder außerislamische Vorbilder zurückgehen. [Das iranische Neujahrsfest etwa fällt in diese Kategorie.]

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Es nimmt nicht Wunder, daß die Feste in ihrer Vielfalt den Spannungsbogen reflektieren, der sich über die verschiedenen Positionen islamischer Religiosität erstreckt. Aufgrund ihrer allgemeinen Verbindlichkeit kommt dem Opferfest und dem Fest des Fastenbrechens integrative und in gewisser Weise normierende Wirkung für die weltweite muslimische Gemeinschaft zu. Lokale Feste und Bräuche werden von konservativen muslimischen Gelehrten nicht selten kritisiert und als unislamisch abgelehnt. [Eine solche Position spiegelt sich etwa im Faltblatt „Feste im Islam" wider. Dort werden als Islamische Feste allein das Opferfest und das Fest des Fastenbrechens aufgeführt. Beschneidung, ‘Aqiqa und Hochzeit finden als „Besondere Anlässe im Leben eines Muslims" Erwähnung. Deutlich heißt es: „Andere, nichtislamische Feste, wie die anderer Religionen, begehen die Muslime nicht, weil der Islam (sic!) diese Feste nicht vorsieht und sie seinen Grundlagen widersprechen. Auch das Neujahr - sowohl das islamische als auch das christliche - und der Geburtstag - sowohl der des Propheten Muhammad als auch der irgendeiner anderen Person - werden im Islam nicht gefeiert, obgleich in einigen muslimischen Ländern heutzutage aus diesen Anlässen offizielle Feiertage stattfinden" (Islamisches Zentrum Aachen Bilal-Moschee e.V. 1994). Ähnlich geht der „Muslimkalender" vor: Als „Islamische Feiertage" gelten allein Ramadan- und Opferfest. Auf andere Feste, etwa die „Kadir Gecesi", wird zwar im Kalendarium hingewiesen, jedoch nicht ohne den Hinweis: „Kein islamischer Feiertag, lediglich ein Islam. Ereignis" (imex-zabar print & publishing 1999, S. 23). ]
Die Reibungen, die es zwischen gesetzesfrommen und volkstümlichen und/oder mystischen Strömungen gegeben hat und gibt, werden am Beispiel der Festordnung noch einmal besonders sinnfällig. Je nach theologischem und kulturellem Standort kann der Rahmen der als legitim betrachteten Feste enger oder weiter gefaßt werden. Die gegenwärtige Spannung zwischen Einheit und Vielfalt charakterisiert Peter Heine: „Es liegt auf der Hand, daß so unterschiedliche Zivilisationen wie die auf der Insel Java und die in der westafrikanischen Sahelzone, auf den Bergen des Hindukush und in der philippinischen Inselwelt das Miteinander der Menschen durch zahlreiche und markante Unterschiede kennzeichnen. Alltag und Feste, Sprache und Kleidung zeigen klar voneinander unterscheidbare Formen, ebenso in weniger deutlicher Weise religiöse Vorstellungen und Rituale. ... Auch wenn man unter kulturgeschichtlichen Aspekten manche Verhaltensweisen von Muslimen als unislamisch betrachten mag, ist doch damit zu rechnen, daß diese selbst solche Sitten als genuin islamisch oder doch zumindest als mit dem Islam vereinbar ansehen. Muslime sind häufig darüber uneins, ob ein bestimmtes Verhalten als vom Islam geboten oder verboten zu betrachten ist. Eine der Ursachen dafür sind die kaum ausgebildeten autoritativen Strukturen dieses Glaubens. Religiöse Funktionsträger, die die Macht haben, bestimmte Handlungen als islamisch zu erklären und andere als unislamisch zu verdammen, gibt es kaum. ... Dem außenstehenden Beobachter bleibt in einer solchen Situation nichts anderes übrig, als die Meinung eines Muslims zu akzeptieren, daß diese Handlung oder jenes Verhalten islamisch ist, auch wenn er damit rechnen muß, daß ein anderer Muslim das Gegenteil behauptet". [Heine 1994, S. 11f.]

Auch die Vorstellungen davon, in welcher Weise die Festlichkeiten angemessen begangen werden, variieren beträchtlich. Wo die Regelungen der Geschlechtertrennung beachtet werden, feiern Frauen und Männer getrennt. Als haram geltende Speisen und Getränke werden nicht gereicht, Musik und Tanz werden von konservativen Muslimen abgelehnt.

Vor den beiden wichtigsten Festen sollen daher einige der nicht allgemein verbindlichen Feiern zur Sprache kommen. Dies kann notwendigerweise nur in einer Auswahl geschehen, die versucht, die bedeutsameren Feste zu berücksichtigen.

Dies bedeutet nicht, daß in lokalen Zusammenhängen andere Feste nicht ebenfalls von Belang wären. Besonders die sufischen Traditionen haben eigene Feste hervorgebracht bzw. den hergebrachten Festen ihren besonderen Akzent übertragen. Eine typisch sufische Festlichkeit ist die des ‘urs. Ursprünglich bezeichnet dies eine Hochzeit. Im sufischen Kontext ist damit aber der Todestag eines oder einer Heiligen gemeint, denn im Tod überwindet der Mystiker, was ihn vom göttlichen Geliebten noch trennte. Die jährlich wiederkehrende Feier des Gedenkta-

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ges kann ganz verschiedene Gruppen von Gläubigen am Schrein des Heiligen oder an anderen Heiligtümern, etwa Wirkorten, versammeln und unterschiedlichste Dimensionen annehmen. [Einen Einblick ins gelebte Sufitum gibt Jürgen W. Frembgen: „Zu den ‘ urs berühmter Heiliger kommen - auf mehrere Tage verteilt - oft Hunderttausende Besucher. Derwische nutzen dieses Fest zum Verkauf von Amuletten und Heilmitteln und machen sich nützlich, indem sie den Pilgern am Schrein mit großen Wedeln ( pankha ) Luft zufächeln. ... In Indo-Pakistan ziehen Derwische in Prozession sogar aus weit entfernt liegenden Gegenden zum Heiligtum, um den ‘ urs zu feiern. Dabei tragen sie oft modellartige Nachbildungen des Schreins und Grabtücher als Weihegaben mit sich; auf ihrem Weg machen sie an Orten Station, die mit der Lebensgeschichte des verehrten Heiligen in Verbindung stehen. Neben den Derwischen wandern häufig auch Bettler von einem ‘ urs zum andern, nutzen die Freiküchen ( langar ) und die Großzügigkeit der Pilger. ... Sowohl auf dem Subkontinent als auch in Nordafrika sind Heiligenfeste in vielen Fällen mit einem Jahrmarkt verbunden" (Frembgen 1993, S. 42f).]
Die Verehrung von Heiligen sowie von Figuren aus der islamischen Geschichte ist darüber hinaus im schiitischen Islam verbreitet. Ein Fest spezifisch schiitischen Inhalts ist das ‘id ghadir chumm am 18. Dhu-l-Higga. „Bei der Rückkehr von der ‘Abschiedswallfahrt’, seiner letzten Pilgerfahrt nach Mekka, soll der Prophet am 16. März 632 ... am Teich von Humm auf halbem Wege zwischen Mekka und Medina im Angesicht der rastenden Pilgerschar ‘Ali bei der Hand gefaßt und gesagt haben: ‘Jeder, dessen Patron ich bin, der hat auch ‘Ali zum Patron’ ... Die Schiiten interpretieren diese Worte als Designation (nass) ‘Alis zum Nachfolger des Propheten ... Der Tag des Teiches von Humm ... ist von späteren schiitischen Dynastien zum Festtag erhoben worden und wird noch heute von den Schiiten gefeiert." [Halm 1988, S. 10f.]

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4.3 Einzelne Feste

4.3.1 Der Aschuratag

Zu den weiter verbreiteten Festtagen gehört zunächst der Aschuratag. Dieser Fast- und Bußtag geht darauf zurück, daß Muhammad in Medina auf jüdische Stämme traf, die diesen Tag als Fasttag beachteten. Zunächst soll Muhammad das Fasten an Aschura für seine Gemeinde verbindlich gemacht haben. Erst als der Koran das Fasten im Ramadan vorschrieb, änderten sich die Bestimmungen zum Aschurafasten, indem es dem Belieben der Gläubigen anheim gestellt wurde. [Zwei Überlieferungen zum Fasten an Aschura weisen auf vorislamische bzw. jüdische Vorbilder: „In der vorislamischen Zeit fasteten die Quraiš am ‘Ašura’-tag. Der Gesandte Gottes (S) wies die Muslime an, das Fasten an diesem Tag einzuhalten. Als später das Fasten im Ramadan vorgeschrieben wurde, sagte er: ‘Wer weiterhin am ‘Ašura’-tag fasten möchte, soll es tun. Und wer darauf verzichten möchte, mag es unterlassen’" (Al-Buhari 1991, S. 230). „Als der Prophet (S) nach Medina kam, sah er, daß die Juden am ‘Ašura’-tag fasteten. Er fragte sie: ‘Warum fastet ihr heute?’ Sie erwiderten: ‘Heute ist für uns ein wichtiger Gedenktag! Es ist der Tag, an dem Gott die Kinder Israels vor ihrem Feind errettete! Deshalb fastete Moses (Musa) an diesem Tag!’ Der Prophet sagte: ‘Ich habe ein größeres Anrecht auf Moses als ihr!’ Darauf fastete er am ‘Ašura’-tag und hielt auch die Muslime dazu an" (Ebd., S. 241).]

Besondere Beobachtung findet dieser Fasttag im schiitischen Islam, wo sich mit ihm das Gedächtnis an den Tod Husayns, des Sohnes Alis, verbunden hat. Prozessionen, Passionsspiele und dergleichen erinnern an seinen Tod in Kerbela’ und sind Ausdruck schiitischer Frömmigkeit. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich Flagellantenumzüge und teilweise exzessive Trauerrituale entwickelt. [Einen persönlich gehaltenen Bericht aus nichtmuslimischer Sicht über die im südindischen Hyderabad erlebten Umzüge im Jahre 1991 bietet Schäfer 1992.]
Die Grundbedeutung des Festes Aschura ist von schiitischer Märtyrerverehrung überlagert worden, die soweit geht, daß der gesamte Monat Muharram von der Trauer über deren Tod dominiert wird. „Seinen Höhepunkt erreicht das Klagen über die Imame im Muharram, dem Monat der Passion al-Husains. Während der ersten neun Tage wird der Leiden des Imams und seiner Gefährten im Lager bei Kerbela’, am 10. (‘Ašura’) seines Todes

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und am 13. seiner Bestattung gedacht; vierzig Tage nach seinem Tod (yaum al-arba‘in: Tag der Vierzig) folgt die im Islam übliche Gedächtnisfeier." [Halm 1988, S. 179.]

4.3.2 Feste, die sich auf das Leben Muhammads beziehen

Bei der Verehrung, die der Prophet Muhammad genießt, überrascht es nicht, daß auch Ereignisse und Legenden, die mit seinem Leben verknüpft sind, Anlaß zu Festen gegeben haben. Dies sind vor allem die Himmelfahrt und der Geburtstag des Propheten.

Muhammads Himmelsreise, die mi‘rag, ist der islamischen Volksfrömmigkeit sowie der islamischen Mystik zu einem wichtigen spirituellen Bezugspunkt geworden. Die Tradition hat vielfältige Ausschmückungen gefunden, ihre Grundbestandteile finden sich jedoch bereits in der Prophetenbiographie des Ibn Ishaq, der berühmtesten Vita Muhammads. [Vgl. Ibn Ishaq 1999, S. 80-89.]
Ibn Ishaq beschreibt, wie Muhammad eines Nachts in wunderbarer Weise von Mekka nach Jerusalem reiste. Der Buraq, das geflügelte und ein menschliches Gesicht besitzende Reittier der Propheten wurde ihm vom Engel Gabriel gebracht, der ihn auf seiner Fahrt begleitete. In Jerusalem verrichtete Muhammad das Gebet gemeinsam mit Mose, Abraham und Jesus am masgid al-aqsa, dem fernsten Anbetungsort. Al-Aqsa wiederum wurde zum Ausgangspunkt der Himmelsreise, die Muhammad durch die sieben Himmel hindurch in eine außergewöhnliche Gottesnähe gelangen ließ. Legendär ist hier der Ursprung der täglichen fünf rituellen Gebete der Muslime zu sehen.

Der Erzählung nach trug Gott Muhammad zunächst 50 tägliche Gebete auf. Beim Abstieg durch die Himmel sei Muhammed Mose begegnet, der ihm geraten habe, noch einmal zurückzukehren und um Verringerung dieser Zahl zu bitten. Muhammad habe diesen Rat befolgt und ihm seien zehn Gebete erlassen worden. Wiederum habe Mose ihm geraten, um Nachlaß zu bitten, und so sei es weitergegangen, bis nur noch fünf Gebete übrig gewesen seien. Hier habe Muhammad sich geweigert, noch weiteren Nachlaß zu erbitten, da er schon so oft gegangen war und sich schämte. Seinen Zuhörern habe er versichert: „Jedem von euch, der diese fünf Gebete gläubig und ergeben verrichtet, werden sie wie fünfzig Gebete vergolten werden." [Ebd., S. 89.] Eine kleine illustrierte Broschüre, die in leichtverständlicher Form in die Riten des Gebetes einführt, greift die mi‘rag auf und vergleicht den Aufstieg Muhammads zu Gott mit dem Hintreten vor Gott im Gebet: „Das Gebet ist der Miraj jeden Moslems." [Osmanoglu / Esenyel o.J., S. 25.] Dieser Vergleich wird oft und gerne gezogen. Ein weiterer Aspekt der mi‘rag, der gerne bedacht wird, ist die Fürsprecherrolle, die Muhammad hier für seine Gemeinde einnimmt.

Nacht- und Himmelsreise ereigneten sich in einer einzigen Nacht. Der islamische Kalender erinnert in der Nacht vom 26. auf den 27. Ragab an dieses Ereignis. Mancherorts, „wie in Kaschmir feierte man das Ereignis eine ganze Woche lang mit Rezitationen und Illuminationen, wie auch in der Türkei die mi‘radsch-Nacht als kandil, mit Illumination zu feierndes Fest, bezeichnet wird. Die an diesem Tag geborenen Kinder können (wie mir zumindest aus Indo-Pakistan bekannt ist) Miradsch oder Miradsch Din o.ä. genannt werden." [Schimmel 1981, S. 140f.]

Ein Fest aus Anlaß des Geburtstages des Propheten Muhammad, maulid, türk. auch veladet kandili, wird am 12. Rabi‘u-l-Awwal gefeiert. Derselbe Tag wird auch als Todestag Muham-

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mads begangen. „Lange schon, bevor Geburtstagsfeiern für ihn im Nahen Osten populär geworden waren, feierten die indischen Muslime diese Nacht mit ernsten Predigten, Koranrezitation und Almosengeben als barah wafat, seinen Todestag." [Ebd., S. 124. ]

Die Feier des maulid ist weit verbreitet. Zu Ehren des Propheten trägt man die entsprechenden Legenden vor, die sich um seine Geburt entfaltet haben sowie die vielfältigen Hymnen, die in den jeweiligen Volkssprachen die Vorzüge Muhammads besingen. Koranrezitationen, (mystische) Gebete, Illuminationen, volksfestähnliches Treiben können zu diesem Fest gehören, wie zuweilen eine besondere Süßspeise gereicht wird, wie man sie bei der Geburt eines Kindes zuzubereiten pflegt. Neun Monate vor dem maulid wird mancherorts die Nacht der Empfängnis des Propheten gefeiert. [„Die erste Nacht zum Freitag des Monats Redscheb, des ersten der drei heiligen Monate, d.h. die Nacht vom Donnerstag auf den Freitag, ist die Nacht des Reghaib" (Arikan 1998, S. 153).]

Diese dem Propheten gewidmeten Festtage haben „im religiösen Volksleben oft eine kaum geringere Bedeutung gewonnen als die offiziellen Feste". [Hartmann 1992, S. 93.]

4.3.3 Heilige Nächte

Zwei weitere verbreitete Feste sind die laylatu-l-qadr im Ramadan sowie die Nacht in der Mitte des Monates Ša‘ban. Diese Nacht bringen viele Muslime im Gebet zu, da in ihr das Schicksal bestimmt wird, das die Menschen im folgenden Jahr ereilen wird.

Die laylatu-l-qadr ist das unter den nichtkanonischen Festen am wenigsten umstrittene. Dies mag daran liegen, daß die Nacht der (All-)Macht Gottes oder der Bestimmung im Koran Erwähnung findet. Die 97. Sure trägt den Namen „die Bestimmung". In ihr heißt es: „Wir haben ihn (d. h. den Koran) in der Nacht der Bestimmung herabgesandt. Aber wie kannst du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist? Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate. Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn hinab, lauter Logos(wesen). [Eine andere Interpretation des vierten Verses lautet: „Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn herab mit jedem Anliegen." So übersetzt Adel Theodor Khoury.] Sie ist (voller) Heil (und Segen), bis die Morgenröte sichtbar wird." (97:1-5)

Diese Sure wirft auf den ersten Blick mehr Fragen als Antworten auf, insbesondere nach dem Zeitpunkt dieser besonderen Nacht und nach der Herabsendung des Korans.

Aus dem Leben Muhammads (und aus dem Koran selbst [Es ist eine Eigentümlichkeit des Korans, daß er sich zu sich selbst äußert und so auch auf die Umstände seiner Herabsendung rekurriert, etwa: „(Es ist) ein Koran, den wir abgeteilt haben, damit du ihn den Menschen in aller Ruhe vortragen kannst. Und wir haben ihn wirklich (als Offenbarung) auf dich herabgesandt." (17:106)]) ist bekannt, daß er, anders als andere Propheten, nicht das gesamte Buch der Offenbarung auf einmal empfing, sondern daß sich die Herabsendung des Korans von seinem vierzigsten Lebensjahr bis zu seinem Tode erstreckte. Die koranische Aussage, der Koran sei in einer Nacht, eben der Nacht der Bestimmung, herabgesandt worden, korrespondiert mit weiteren Versen, etwa: „Der Monat Ramadan ist es, in dem der Koran als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist, und (die einzelnen Koranverse) als klare Beweise der Rechtleitung und der Rettung (?)." (2:185) Auch 44:2-4 betont den außergewöhnlichen Charakter dieser Nacht: „Bei der deutlichen Schrift! Wir haben sie in einer gesegneten Nacht hinabgesandt. Und wir haben (die Menschen damit) gewarnt. In dieser Nacht wird jede weise Angelegenheit entschieden."

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Diese Spannung löst sich auf dem Hintergrund islamischen Offenbarungsverständnisses, das das Vorhandensein einer himmlischen Urschrift des Korans annimmt. Diese wurde zunächst aus dem siebten Himmel in den niedrigsten Himmel gesandt, wo sie in der Nacht der Bestimmung vollständig abgeschrieben wurde. Der Engel Gabriel begann dann, Muhammad die Schrift abschnittweise zukommen zu lassen. [Diese Sichtweise findet sich etwa bei Zamachšari (gest. 1144). Vgl. Peters 1994, S. 169f.]

Die Nacht der Bestimmung darf also dem Koran zufolge im Ramadan vermutet werden. „Man weiß aber nicht genau, welche Nacht dies ist; nur daß es eine der fünf letzten ungeraden Nächte des Ramadan ist, gilt als sicher. So werden diese Nächte von Frommen in besonderer Weise gefeiert; auch bringt man u.U. das letzte Drittel des Monats in der Klausur in der Moschee zu." [Hartmann 1992, S. 87.] Ein solcher Rückzug, i‘tikaf, in die Moschee (für den Mann) oder in einen Teil des Hauses (für die Frau) wird nach dem Vorbild des Propheten für die zehn letzten Tage des Ramadan gehalten und in Andacht und sexueller Enthaltsamkeit verbracht. [Vgl. Zaidan 1996, S. 126.]

Traditionell wird die laylatu-l-qadr in der Nacht vom 26. auf den 27. Ramadan begangen. Andächtiges Gebet in ihr hat sündenvergebenden Charakter.

4.3.4 Die beiden Hauptfeste

Die beiden Hauptfeste des Islams, Opferfest und Fastenbrechen, verfügen eigentümlicherweise über nur wenige festgelegte Riten.

Das Fest des Fastenbrechens, ‘idu-l-fitr, beginnt am ersten Tag des auf den Ramadan folgenden Monats Šawwal und wird bis zu drei Tage lang gefeiert. Die einzige gottesdienstliche Besonderheit besteht in einem morgendlichen Festgebet mit Predigt in der Moschee. Die zakatu-l-fitr ist als besonderes Almosen zu entrichten und betont noch einmal den sozialen Aspekt des Ramadans. Wer allgemein der Pflicht zur zakat unterliegt, muß auch am Ende des Ramadans diese wohltätige Abgabe entrichten. Das ‘idu-l-fitr wird als Freudenfest begangen, an dem man zunächst Verwandte und dann Freunde besucht, sich festlich kleidet und vielerorts nicht nur die Kinder mit Süßigkeiten beschenkt. Von dieser Sitte hat das Fest im Türkischen den Beinamen seker bayrami, Zuckerfest, erhalten. Selbstverständlich tauscht man auch Glück- und Segenswünsche zum Fest aus, die meist mündlich oder durch Grußkarten vermittelt werden. Der ausgeprägt freudige Charakter des ‘idu-l-fitr täuscht etwas darüber hinweg, daß es theologisch weniger bedeutsam ist als das ‘idu-l-adhha. Letzteres ist das eigentliche „große Fest", ‘idu-l-kabir, während das Fastenbrechen das „kleine Fest", ‘idu-s-saghir, genannt wird.

Das ‘idu-l-adhha erinnert an das Opfer Abrahams. Der Islam teilt die alttestamentliche Vorstellung, Abraham sei bereit gewesen, seinen Sohn zu opfern: „Und wir verkündeten ihm einen braven Jungen. Als er nun so weit herangewachsen war, daß er mit ihm den Lauf machen konnte, sagte Abraham zu ihm: ‘Mein Sohn! Ich sah im Traum, daß ich dich schlachten werde. Überleg jetzt, (und sag), was du (dazu) meinst!’ Er sagte: ‘Vater! Tu, was dir befohlen wird! Du wirst, so Gott will, finden, daß ich (einer) von denen bin, die (viel) aushalten können.’ Als nun die beiden sich (in Gottes Willen) ergeben hatten und er ihn auf die Stirn niedergeworfen hatte, riefen wir ihn an: ‘Abraham! Du hast den Traum wahr gemacht.’ So vergelten wir denen, die fromm sind. Das ist die offensichtliche Prüfung. Und wir lösten ihn mit einem gewaltigen Schlachtopfer aus. Und wir hinterließen ihm unter den späteren (Generatio-

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nen den Segenswunsch): ‘Heil sei über Abraham!’ So vergelten wir denen, die fromm sind." (37:101-110) [Vgl. Gen 22, 1-19. ] Die islamische Tradition geht allerdings überwiegend davon aus, es habe sich nicht um Isaak, sondern um Ismael, den Sohn Hagars und Stammvater der Araber gehandelt. Abraham und Ismael werden im Koran mit der Wiedererrichtung der Ka‘ba und den Riten der hagg assoziiert.

Das Fest wird am 10. des Wallfahrtsmonates Dhu-l-Higga gefeiert. Diejenigen Muslime, die sich zur hagg nach Mekka begeben haben, vollziehen innerhalb der Riten der Pilgerfahrt eine rituelle Schlachtung. Diese kann zwischen dem 10. und 13. des Monats erfolgen und soll „beim alt(ehrwürdig)en Haus" (22:33) stattfinden. Schlachtort bei der hagg ist Mina, bei der ‘umra Al-Marwa. [Vgl. Zaidan 1996, S. 198.] Als kulttaugliche Opfertiere gelten Schafe, Ziegen, Rinder und Kamele. Es können Tiere beiderlei Geschlechtes gewählt werden. Die Tiere müssen gesund und makellos sein und ein (je nach Tierart verschiedenes) bestimmtes Alter erreicht haben. Das Mindestmaß der Opferung beträgt eine Ziege oder ein Schaf, bzw. den siebten Teil eines Kamels oder Rinds. Im Falle dieser größeren Tiere ist es mithin möglich, daß Opfernde sich zur Beschaffung eines Tieres zusammenschließen.

Die Riten der Schlachtung sehen vor, daß das Tier zunächst in die Gebetsrichtung gedreht wird. Nach entsprechenden Gebeten und Anrufungen Gottes wird das Tier unter den Worten bismillahi allahu akbar, „im Namen Gottes, Gott ist größer" zu Tode gebracht, indem ihm mit einem scharfen Gegenstand rasch die Halsschlagadern, Luft- und Speiseröhre durchtrennt werden. Das Blut des so geschächteten Tieres gilt wie alles Blut als rituell unrein und muß aus dem Leib ausfließen.

Wer nicht in der Lage ist, sein Opfertier selber zu schlachten, darf diese Aufgabe delegieren, soll aber bei der Schlachtung nach Möglichkeit anwesend sein. In diesem Fall darf der Schlachter jedoch nichts von dem Fleisch oder der Haut als Lohn erhalten, sondern muß für seine Dienste anderweitig entschädigt werden.

Das Fleisch der Opfertiere wird verzehrt, was eine implizite Absage an Brand- und Götzenopfer darstellt. Im Koran heißt es: „Weder ihr Fleisch noch ihr Blut gelangt zu Gott, wohl aber die Gottesfurcht (die ihr) eurerseits (empfindet und an den Tag legt)." (22:37) Dabei werden stets auch Anteile als Almosen gegeben. Andere Empfänger sind Verwandte und Freunde der Schlachtenden. Auch hierzu äußert sich der Koran in der 22. Sure. „Und die Opferkamele haben wir euch zu Kultzeichen Gottes gemacht. Ihr habt an ihnen etwas Gutes. Sprecht den Namen Gottes über ihnen aus, wenn sie (zum Schlachten) aufgereiht sind! Und wenn sie (tot) umgesunken sind, dann eßt (selber) davon und gebt (auch) dem, der (darum) bittet, und dem, der (ohne ausdrücklich zu bitten) beschenkt sein will (?), (davon) zu essen! So haben wir sie euch dienstbar gemacht. Vielleicht würdet ihr dankbar sein." (22:36) Das Fleisch darf auch konserviert werden, was früher eine Quelle der Wegzehrung für die Pilger darstellte. Die gegenwärtigen Verhältnisse in Mekka erfordern es jedoch, die rituellen Schlachtungen in Bahnen zu lenken. Die allgemein gestiegene Mobilität hat auch die Zahl der Pilger zunehmen lassen, was mittlerweile eine Kontingentierung nach Herkunftsländern erforderlich gemacht hat. „Da die Anzahl der Hadsch-Wallfahrer immer mehr zunimmt (1996 mehr als zwei Millionen) und damit zwangsläufig auch die Anzahl der geschlachteten Opfertiere, ist der Verzehr bzw. die Verwertung dieser riesigen Mengen Fleisch durch die Pilger, deren Angehörige und die Bewohner bzw. Besucher Mekkas mittlerweile unmöglich. Um dem Verderben des Fleisches und der Verschwendung von Lebensmitteln vorzubeugen, ist man heutzutage dazu übergegangen, die Schlachtung der Tiere und die Verteilung des Fleisches professionell zu organisie-

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ren. Anstelle des eigenhändigen Schlachtens der Opfertiere ist es heutzutage möglich, eine Spezialfirma damit zu beauftragen. Man zahlt die Kosten für das jeweilige Opfertier (z.B. für ein Schaf ca. 150,- DM) und die Firma übernimmt: das Schlachten des Opfertieres, die Verarbeitung, die Konservierung, den Transport und die Verteilung des Fleisches an Bedürftige in armen Ländern." [Ebd., S. 199.] Eine solche Regelung war dringend nötig, da vor der Errichtung der entsprechenden Kühl- und Verarbeitungseinrichtungen oft große Mengen Fleisch einfach durch Vergraben vernichtet werden mußten. Neben den ethischen Fragen hatte diese Praxis handfeste hygienische Probleme aufgeworfen.

Im Rahmen des Opferfestes beteiligen sich Muslime weltweit an den Schlachtungen. Sie obliegen dem Familienoberhaupt und sind neben dem gemeinschaftlichen Festgebet Bestandteil der Festriten, die ansonsten denen des Festes des Fastenbrechens gleichen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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