FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:67]


3. Die fünf religiösen Grundpflichten

Bereits zu Lebzeiten Muhammads haben sich die wesentlichen religiösen Pflichten im Leben des Einzelnen und der Gemeinde herausgebildet. Ein Ausspruch des Propheten faßt sie zusammen:

„Ibn ‘Umar berichtet, der Gesandte Gottes (S) habe gesagt: Der Islam basiert auf fünf grundlegenden Pflichten: Dem Glaubensbekenntnis - ‘Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist der Gesandte Gottes’ -, dem Gebet, der gesetzlichen Abgabe, der Wallfahrt sowie dem Fasten im Ramadan." [Al-Buhari 1991, S. 33.]

Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Wallfahrt und Fasten bilden bis heute die Grundpfeiler muslimischer Religionsausübung, so daß sie auch als „Säulen des Islams" bezeichnet werden.

Page Top

3.1 Das Glaubensbekenntnis

Das Glaubenszeugnis, die šahada, lautet: „Ich bezeuge, daß es keine Gottheit außer Gott gibt, und daß Muhammad der Gesandte Gottes ist." Der Glaube, iman, umfaßt des weiteren die Engel, die Offenbarungsschriften, den Jüngsten Tag sowie die göttliche Vorherbestimmung.

Die šahada bietet gleichsam den Islam in seinem Wesenskern. Ihr erster Teil, das Bekenntnis zum Einen und Einzigen Gott, neben dem es keine anderen Gottheiten gibt, ist Ausfluß eines Gottesbildes, das wesentlich vom Gedanken der absoluten Transzendenz getragen wird. Wiewohl dieser Gott gnädig, barmherzig und vergebungsbereit gedacht wird, bleibt er für seine Geschöpfe doch letztlich unerreichbar in seiner unbedingten Einheit und Einzigkeit. Demzufolge wählt die Hinwendung Gottes zu den Menschen im Islam einen völlig anderen Weg als im Christentum. Der zweite Teil der šahada, das Bekenntnis zur Prophetie Muhammads, weist darauf hin, daß Gott im Islam seinen Willen durch Propheten verkündet, deren letzter und bedeutendster der Prophet Muhammad ist.

Das Prinzip der Einheit Gottes, tauhid, verunmöglicht das Konzept einer göttlichen Inkarnation. In einem mehrheitlich polytheistischen Umfeld entstanden, weist der Islam alles von sich, was im Verdacht steht, göttliche und menschliche Sphären zu vermengen. Besonders deutlich kommt dies in der 112. Sure des Korans zum Ausdruck: „Sprich: Gott ist Einer, / ein ewig reiner. / Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, / und nicht ihm gleich ist einer." [In der Übersetzung von Friedrich Rückert.]
Die Beigesellung, širk, die Gott ein oder mehrere weitere Wesen zugesellt, gilt dem Islam als schwerwiegendste Sünde überhaupt. Von daher ist es auch verständlich, daß die Propheten bei aller Verehrung und Wertschätzung, die ihnen seitens der Gläubigen entgegengebracht wird, stets Menschen bleiben.

Auch im Islam ist, wie im Christentum, die Offenbarung Gottes in einen historischen Rahmen eingebettet. Geschichte ist auch Heilsgeschichte. Allerdings setzt der Islam dabei einen ganz eigenen Akzent. Die erste Verkündung göttlicher Rechtleitung wird nämlich gleichsam außerhalb von Zeit und Raum gelegt. So berichtet der Koran, Gott habe aus den Lenden der Kinder Adams die unerschaffene Menschheit hervorgeholt und sie gefragt: „Bin ich nicht euer Herr?" (7:172) [Im Folgenden liegt, wo nicht anders gekennzeichnet, die Koranübersetzung Rudi Parets zugrunde.]
Indem die Menschheit dies bejaht, ist der Weg unabänderlich vorgegeben. Die Reihe der Propheten, die der Islam anerkennt, beginnt mit Adam und endet, viele Gestalten des

[Seite der Druckausg.:68]

Alten Testaments [Allerdings ist die Terminologie nicht deckungsgleich. Von den Gestalten, die das AT als Propheten kennt, kommt im Koran nur Jona (=Yunus) vor, während dem Koran etwa Adam, Mose, David (=Daud) und Salomo (=Sulayman) als Propheten gelten.] sowie Jesus (=Isa) einschließend, mit Muhammad. Nach islamischem Verständnis ist kein Volk ohne Warner und Verkünder der frohen Botschaft geblieben. Die Vielzahl der Propheten ist allein dadurch zustande gekommen, daß die Menschheit, die ursprünglich geeint war im Bekenntnis zu Gott, sich in viele verschiedene Gruppen aufspaltete, die die im Kern stets gleiche Botschaft der Propheten nicht unverfälscht bewahrten. Wiederholte Sendung von Propheten dient somit mehr der Wiederherstellung der Rechtleitung als der Verkündung wesentlich neuer Botschaften. Der Koran sichert Muhammad zu: „Und wir haben vor dir keinen Gesandten auftreten lassen, dem wir nicht eingegeben hätten: Es gibt keinen Gott außer mir. Dienet mir!" (21:25) Das Besondere an der Offenbarung, die Muhammad zuteil wird, auch in Abgrenzung zu denen, die nach islamischer Auffassung auf Moses, David und Jesus herabgesandt wurden, besteht darin, daß der Koran die letzte und vollkommene Bekundung göttlichen Willens darstellt. Das Muster von Rechtleitung, Verfehlung der Menschen und erneuter Rechtleitung durch die Barmherzigkeit Gottes endet mit dem Koran. Muhammad nimmt somit die Rolle des Schlußsteins im Gebäude der islamischen Prophetie ein. [Vgl. Miehl 2000, S. 45.] Sure 33:40 bestätigt dies, indem sie ihn als „Siegel der Propheten" bezeichnet. [Vor diesem theologischen Hintergrund spielt sich die Ablehnung nachislamischer Religionen oder Sekten ab.]

Page Top

3.2 Das Gebet

Das Gebet nimmt in der islamischen Religionsausübung eine hervorgehobene Position ein. Gemeint sind dabei zunächst nicht die vielfältigen Formen und Traditionen des freien Gebets, die der Islam wie alle großen Religionen kennt und hervorgebracht hat, sondern das Ritualgebet, salat. Im Koran heißt es dazu: „Das Gebet ist für die Gläubigen eine festgelegte Vorschrift." (4:103) Frauen wie Männer sind verpflichtet, es fünfmal täglich zu verrichten. Diese Verpflichtung gilt mit dem Eintritt der Pubertät. Ab dem siebten Lebensjahr sollen die Kinder langsam an das Gebet herangeführt werden, und ab dem zehnten Lebensjahr sollen sie bestraft werden, wenn sie es nicht verrichten. Wer im Besitz seiner Verstandeskräfte ist, also z.B. nicht durch Ohnmacht oder Geisteskrankheit beeinträchtigt, muß das Gebet verrichten.

Zur Verrichtung des Gebets bedarf es der Gewährleistung einiger ritueller Voraussetzungen. Zunächst obliegen die täglichen fünf Gebete nicht der individuellen oder kollektiven zeitlichen Festlegung. Ihre Verrichtung ist an Zeiten gebunden, die weder von der Gemeinde noch vom einzelnen Beter festgelegt werden, sondern die sich nach dem Stand der Sonne richten. Dabei handelt es sich um Zeiträume, innerhalb derer Gelegenheit zur Verrichtung des Gebetes gegeben ist. So erstreckt sich die Zeitspanne, innerhalb derer das Morgengebet zu verrichten ist, vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Aufgang der Sonne. Das Mittagsgebet beginnt, wenn die Sonne im Zenit steht und endet, wenn der Schatten, den ein Gegenstand wirft, so lang ist, wie der Gegenstand selbst. Unmittelbar daran anschließend und bis zum Sonnenuntergang dauernd, ist die Zeit für das Nachmittagsgebet. Vom Sonnenuntergang bis zum Ende der Dämmerung kann das Abendgebet verrichtet werden. Danach, bis zum Beginn der Zeit des Morgengebetes liegt die Spanne, in der das Nachtgebet zu verrichten ist.

Mithin gibt es einige Zeiten im Tageslauf, an denen die Verrichtung von rituellen Gebeten verpönt ist: Die Zeitspanne des unmittelbaren Auf- und Untergangs der Sonne sowie ihr Zenit.

[Seite der Druckausg.:69]

Ein weiterer Umstand, der zur Verrichtung des Gebetes vonnöten ist, besteht in der Beachtung diverser Reinheitsvorschriften. Ähnlich dem Judentum besteht der Islam auf der Einhaltung verschiedener ritueller Reinheitsvorschriften, u.a. eines Bluttabus, die eine breite Ausfaltung gefunden haben. So unterscheidet man zwischen dem Zustand ritueller Reinheit, tahara, und dem der Unreinheit, der sich wiederum in große und kleine Unreinheit gliedert. Das Gebet erfordert sowohl die Reinheit des Beters und seiner Kleidung als auch des Ortes, an dem gebetet wird.

Das islamische Recht widmet den Reinheitsvorstellungen umfangreiche Überlegungen und Vorschriften. Die beiden Arten der Waschung, Ganz- und Teilwaschung des Körpers, gehen auf die Überlieferung zurück, der Engel Gabriel sei dem Propheten Muhammad erschienen und habe sie ihm vorgemacht. Gemäß diesem Vorbild vollziehen Muslime bis heute die Waschungen, wobei festgelegt ist, wie und in welcher Reihenfolge der Körperteile dabei vorzugehen ist.

Allgemein gilt, daß die Reinheit verloren geht, wenn der Gläubige mit unreinen Dingen (Alkohol, Blut, Sperma, Exkrementen, Schweinefleischhaltigem und dergleichen) oder Tieren (insbesondere Schweinen und Hunden) oder mit Personen des anderen Geschlechtes in Kontakt kommt, sich sexuell betätigt, schläft oder in Ohnmacht fällt. Die Regelungen sind im Einzelnen sehr komplex und können daher hier keine umfassende Erwähnung finden. [Vgl. Zaidan 1996; Arikan 1998.]

Das Gebet erfolgt, sofern der Beter die Möglichkeit hat, dies festzustellen, stets nach Mekka gewandt. Diese Gebetsrichtung, qibla, ist in den Moscheen durch eine meist kunstvoll gestaltete Nische, mihrab, ausgewiesen.

Weiterhin gehört zum Gebet die Bedeckung des Körpers. Der zu bedeckende Bereich, aura, wird dabei für Männer und Frauen unterschiedlich definiert.

Sind all diese Vorbedingungen erfüllt, bedarf es noch der Erklärung der Absicht zum Gebet, der niya. Eine solche Absichtserklärung geht allen wichtigen religiösen Handlungen notwendig voraus.

Das Gebet selbst besteht aus Lob- und Bittgebeten und der Rezitation verschiedener Koranverse. Darunter befindet sich in jedem Falle die fatiha. Augenfälliger Ausdruck der gläubigen Unterwerfung unter Gottes Willen und der Hingabe sind die Körperhaltungen, die das Gebet begleiten, insbesondere die Niederwerfung, bei der die Stirn den Boden berührt. Die Sprache des rituellen Gebetes ist Arabisch, denn der Koran entzieht sich, indem er als Gotteswort aufgefaßt wird, der Übersetzung in andere Sprachen, die den gottesdienstlichen Zwecken gerecht würden.

Zum Gebet stellen sich die Teilnehmer in Reihen, Schulter an Schulter auf. Vor ihnen steht der Imam, dessen Platz leicht erhöht sein kann. Die körperliche Nähe beim Gebet und die Haltungen, die dabei eingenommen werden, liefern eine pragmatische Begründung dafür, daß Frauen und Männer nicht in einer Reihe beten. Wie im Judentum und verschiedenen christlichen Traditionen werden Frauen und Männer während des Gebetes separiert, und es kommen den Geschlechtern unterschiedliche gottesdienstliche Funktionen zu. Die Regelungen, die getroffen werden, um eine Ablenkung vom Gebet durch das andere Geschlecht zu verhindern, haben dabei verschiedene Ausprägungen gefunden. Frauen beten hinter den Reihen der Männer, auf Emporen, durch Vorhänge oder ähnliches abgetrennt oder gar in eigenen Frauenräumen bzw. Frauenmoscheen. Beten die Frauen hinter den Männern, wird ihnen oft eine größere Konzentration beim Gebet zugeschrieben, denn während sie sich durch den Anblick der vor ihnen stehenden Männer nicht irritieren ließen, würden in der umgekehrten Konstellation die

[Seite der Druckausg.:70]

Männer leicht abgelenkt. In der Praxis vermischen sich hier kulturelle und religiöse Vorstellungen so sehr, daß es wiederholt zu Klagen in Deutschland lebender Musliminnen gekommen ist, ihnen sei der Zutritt zur Moschee verwehrt worden.

Der gleichförmige Wochenrhythmus wird durch ein Gebet unterbrochen, dessen gemeinsame Verrichtung in der Moschee für alle erwachsenen, freien, männlichen Muslime verpflichtend ist. Den Musliminnen ist die Teilnahme daran freigestellt. Zum Freitagsgebet, das zur Mittagszeit gehalten wird, gehört eine Predigt, chutba, die im Unterschied zum Gebet in der Sprache zu halten ist, die die Mehrheit der Anwesenden versteht. Daher steht zu erwarten, daß mittelfristig das Angebot deutschsprachiger Predigten zunehmen wird. Bislang bleiben deutsche Predigten eher die Ausnahme, wenn auch zuweilen zu besonderen Anlässen, etwa an Abenden des Ramadans, Ansprachen religiösen Inhalts in deutscher Sprache angeboten werden. Da, wo Muslime unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, die keine gemeinsame Muttersprache haben, ist die deutschsprachige Predigt bereits zur Notwendigkeit geworden.

Ganz allgemein gilt, daß das Gebet in Gemeinschaft verdienstvoller ist als dasjenige, das allein vollzogen wird. [Genauer: In Gemeinschaft mit den Engeln.]

Neben den fünf täglichen Gebetszeiten und dem Freitagsgebet gibt es noch eine Reihe weiterer Gebete, die an bestimmte Anlässe geknüpft sind, wie etwa das Totengebet, Gebete bei Mond- und Sonnenfinsternis oder auch das Gebet um Regen. Dabei sind nicht alle Gebete für alle Muslime verpflichtend. Beim Totengebet beispielsweise ist die Verpflichtung erfüllt, wenn einige Männer es verrichten. Verrichtet aber niemand dieses Gebet, so wird dies der gesamten Gemeinde zur Last gelegt.

Im Ramadan ist es üblich, zusätzlich zu den gewöhnlichen Gebetszeiten abends die sogenannten tarawih-Gebete in den Moscheen gemeinschaftlich zu halten.

Diese Ausführungen lassen bereits erahnen, daß die Moschee als Ort des muslimischen Gebetes eine ganz andere Rolle spielt als die Kirche im christlichen Verständnis.

Die Moschee definiert sich aus der wichtigsten in ihr stattfindenden Handlung, der Niederwerfung beim Gebet, sugud. Die Moschee, masgid, ist der Ort dieser Niederwerfung. Umgekehrt ist jeder Ort, an dem das Gebet verrichtet wird, in diesem Sinne Moschee. Dem Gebäude als solchem eignet kein sakraler Charakter. Heilig ist Gott allein, und nichts Geschaffenes hat daran Anteil. Das wichtigste im Gebetsraum einer Moschee ist die große Fläche, die sie den Betenden bietet, denn das eigentliche Gebet bedarf ja keines Mobiliars. Die erste Moschee in der Geschichte des Islams befand sich im Hof des Prophetenhauses und war somit im Wesentlichen ein umfriedeter Platz. Zur Predigt stieg Muhammad auf einen Palmstumpf.

In heutigen Moscheen ist für den Prediger eine Kanzel, minbar, eingerichtet, zuweilen findet man eine Kanzel, die für die Freitagspredigt verwendet wird, und eine andere, die zu sonstigen religiösen Anlässen dient. Eine Nische, der mihrab, zeigt die Gebetsrichtung nach Mekka an. Vor ihr befindet sich der leicht hervorgehobene Platz des Imams, des Vorbeters.

Mit dem Gebet verbunden ist der Gebetsruf, der adhan. Da die Zeiten für das Gebet sich nach dem Stand der Sonne richten, verschieben sie sich täglich um einige Minuten. Dies hat zur Folge, daß man sich nicht nach feststehenden Uhrzeiten richten kann, wie etwa beim christlichen Gottesdienst.

Die islamische Überlieferung sieht die Einführung des Gebetsrufes im Traum eines Prophetengefährten begründet. Nach der higra, der Auswanderung der Muslime von Mekka nach Medina, war zum ersten Mal in der Geschichte des Islams die Religionsausübung ohne Re-

[Seite der Druckausg.:71]

pressalien durch die heidnischen Mekkaner möglich. In dieser Zeit festigte sich das religiöse Regelwerk, Fasten, Gebet und Almosen wurden verpflichtend. Die Prophetenbiographie des Ibn Ishaq berichtet: „Zuerst hatte der Prophet daran gedacht, wie die Juden mit einer Trompete zum Gebet aufrufen zu lassen, doch dann mißfiel ihm dieser Gedanke, und er ließ eine Klapper machen, durch deren Schlagen die Muslime zum Gebet ermahnt wurden. In dieser Zeit hatte Abdallah Ibn Zaid einmal einen Traum, ging am nächsten Morgen zum Propheten und erzählte ihm davon: ‘Letzte Nacht ging im Traum ein Mann an mir vorüber. Er war mit zwei grünen Gewändern bekleidet und trug eine Klapper in der Hand. Ich fragte ihn: ‘Du Diener Gottes, verkaufst du mir deine Klapper?’ - ‘Was willst du damit machen?’ - ‘Wir rufen zum Gebet damit.’ - ‘Soll ich dir dafür etwas Besseres sagen?’ - ‘Nämlich?’ - ‘Der Ruf: Allahu akbar, Allahu akbar, Allahu akbar! Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Gott! Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Gott! Ich bekenne, daß Muhammad der Prophet Gottes ist! Ich bekenne, daß Muhammad der Prophet Gottes ist! Auf zum Gebet! Auf zum Gebet! Auf zum Heil! Auf zum Heil! Allahu akbar, Allahu akbar! Es gibt keinen Gott außer Gott!’’

Als er dies dem Propheten erzählt hatte, rief dieser aus: ‘Wahrlich, ein wahrer Traum, insscha’allah! Gehe zu Bilal und trage es ihm vor. Er soll mit jenen Worten zum Gebet rufen, denn er hat eine wirkungsvollere Stimme als du!’" [Ibn Ishaq 1999, S. 114f.]

Diese Worte bilden bis heute den islamischen Gebetsruf (allerdings wird der erste takbir, die Formel „Allahu akbar", viermal ausgerufen). Zum Morgengebet wird hinzugefügt: „Das Gebet ist besser als der Schlaf!" In der Moschee wird der Gebetsruf unmittelbar vor dem Gebet noch einmal wiederholt. Diese sogenannte iqama umfaßt den Gebetsruf, je nach Rechtsschule vollständig oder um einige der Wiederholungen verkürzt, sowie die Worte „Das Gebet beginnt". Die Männer, die adhan bzw. iqama hören, sollen sie leise nachsprechen, Frauen ist dies freigestellt. Die iqama fordert auf, sich zum Gebet aufzustellen.

Zu Zeiten des Propheten wurde der Gebetsruf vom Dach des höchsten Hauses am Ort ausgerufen. Heute dient das Minarett diesem Zweck.

Page Top

3.3 Das Fasten

Das Fasten als religiöse Praxis nimmt im Islam wichtigen Raum ein. Bereits in vorislamischer Zeit war es auf der arabischen Halbinsel bekannt. So hatte sich Muhammad auf den Berg Hira zu Gebet und Fasten zurückgezogen, als ihm der Engel Gabriel erschien und ihm seine Berufung zum Propheten übermittelte.

Zu den wichtigsten Fastzeiten im islamischen Kalender gehört das Fasten im Monat Ramadan.

Der Ramadan ist ein Monat der Vergebung und Versöhnung sowie der Solidarität mit den Armen. In ihm gedenken die Muslime der Herabsendung des Korans. So ist es üblich, den ganzen Koran in diesem Monat zu rezitieren. Das Fasten im Ramadan beginnt bei Tagesanbruch, wenn man - so die klassische Definition - einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann, und endet bei Sonnenuntergang.

Die Vorschriften des Fastens sind dabei sehr streng. Der Fastende enthält sich jeglicher Speisen und Getränke sowie des ehelichen Verkehrs. Je nach Auslegung lassen das Rauchen, das Einatmen von Wohlgerüchen, wie etwa Weihrauch oder Blumenduft, sowie medizinische Injektionen und Infusionen, Medikamente, die über die Nase aufgenommen werden oder auch Ohrentropfen, jedoch nicht Augentropfen, das Fasten hinfällig werden. Dies gilt auch für Zahnfleischbluten in größerem Umfang sowie für das Schlucken von in den Mund geratenem

[Seite der Druckausg.:72]

Schnee oder Regenwasser. Für Menschen, denen das Fasten unmöglich ist oder schaden würde, gibt es verschiedene Regelungen, die es ihnen erlauben, das Fasten nachzuholen bzw. ersatzweise Arme zu speisen. Frauen, die während ihrer Menstruation nicht fasten dürfen, holen die versäumten Tage für gewöhnlich im Laufe des Jahres nach. Verheiratete Frauen bedürfen dazu der Erlaubnis ihres Gatten.

Nach dem abendlichen Fastenbrechen sind alle Verbote bis zum kommenden Morgen aufgehoben. Traditionell bricht man das Fasten nach dem Vorbild des Propheten mit einer ungeraden Zahl von Datteln.

Die Ramadanabende werden oft in Gesellschaft verbracht. Im Rahmen der Familie und Freunde oder auch der Moschee wird das Fastenbrechen, iftar, gemeinschaftlich begangen. Solche iftar-Essen sind Gelegenheiten, zu denen oft auch nichtmuslimische Freunde eingeladen werden.

Das gesellige Beisammensein in den Abend- und Nachtstunden und das Fasten bei Tag - zuweilen ist es üblich, vor Tagesanbruch noch eine Mahlzeit einzunehmen - verändern den Lebensrhythmus im Ramadan völlig. Besonders im nichtislamischen Umfeld bringt es Schwierigkeiten mit sich, den religiösen Vorschriften zu folgen und trotzdem den Ansprüchen etwa in Schule und Beruf zu genügen. Auf nichtmuslimischer Seite ist oft nicht bekannt, wann denn eigentlich gefastet wird. Da der islamische Kalender dem Mondjahr folgt, wandern seine Monate durch das Sonnenjahr. Das Mondjahr ist elf Tage kürzer als das Sonnenjahr, und so rückt auch der Ramadan im Laufe der Jahre durch alle Jahreszeiten. Je weiter man vom Äquator entfernt ist, desto weiter entfernt man sich auch von der Tag- und Nachtgleiche. Fasttage im Winter sind somit kürzer, während das Fasten im Sommer sehr strapaziös sein kann. Muslime in Polnähe orientieren sich an näher am Äquator gelegenen Ländern.

Page Top

3.4 Das Almosen

Der Begriff Almosen gibt nur bedingt wieder, was diese Säule des Islams meint, nämlich eine verpflichtende Abgabe zugunsten bestimmter Gruppen. Im Koran heißt es dazu:

„Die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen (?) (bestimmt), (ferner für) diejenigen, die damit zu tun haben, (für) diejenigen, die (für die Sache des Islam) gewonnen werden sollen (w. diejenigen, deren Herz vertraut gemacht wird), für (den Loskauf von) Sklaven, (für) die, die verschuldet sind, für den heiligen Krieg (w. den Weg Gottes) und (für) den, der unterwegs ist (oder: (für) den, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; w. den Sohn des Wegs). (Dies gilt) als Verpflichtung von seiten Gottes. Gott weiß Bescheid und ist weise." (9:60) Zur Höhe und Art der Abgabe gibt der Koran den Hinweis: „Und man fragt dich, was man spenden soll. Sag: Den Überschuß!" (2:219) Diese koranische Bestimmung wird durch das islamische Recht weiter konkretisiert, das festlegt, wer wem zur Abgabe verpflichtet ist und wer nicht, und wie die Abgabe zu berechnen ist.

Page Top

3.5 Die Wallfahrt

Die Wallfahrt, hagg, nach Mekka ist eine Besonderheit unter den islamischen Grundpflichten. Einmal im Leben soll jeder Gläubige die Riten der hagg vollziehen.

Der Vollzug dieser Verpflichtung hängt von mehreren Faktoren ab. So hat die hagg ihren zeitlichen Rahmen in einem bestimmten Monat des islamischen Jahreslaufs, namentlich im Dhu’l-Higga. Die Wallfahrt beginnt am 8. und dauert bis zum 12. bzw. 13. dieses Monats, woran sich noch ein Besuch des Grabes des Propheten in Medina anschließen kann. Eine

[Seite der Druckausg.:73]

Wallfahrt, die zu anderen Zeiten angetreten wird und deren Umfang geringer ist, erhält die Bezeichnung ‘umra oder auch kleine Wallfahrt.

Da mit der Reise nach Mekka schon in frühester Zeit Mühen, Gefahren und erhebliche finanzielle Auslagen einher gingen, sieht das islamische Recht verschiedene Erleichterungen vor. Zwar kann die hagg nur in dem ihr gewidmeten Monat begangen werden, jedoch steht es dem Gläubigen frei, die Reise im Jahr seiner Wahl anzutreten. Prinzipiell darf die hagg wiederholt vollzogen werden, mit einer Wallfahrt ist die Verpflichtung aber schon erfüllt. Auch darf die hagg nur angetreten werden, wenn eventuell bestehende Versorgungsansprüche Abhängiger dadurch nicht gefährdet werden und wenn der Pilger auch selbst nicht verschuldet ist. Zwar sind Frauen wie Männer zur Wallfahrt verpflichtet, bedürfen aber gemeinhin der Begleitung ihrer Ehemänner, bzw. männlicher Verwandter oder sollen sich wenigstens einer größeren Gruppe von Frauen anschließen. Gegenwärtig ist die Einreise alleinstehender Frauen nach Saudi Arabien zum Zweck der Wallfahrt so gut wie unmöglich. Es ist möglich, die hagg vertretungsweise für jemanden zu vollziehen, der ihre Mühen nicht auf sich nehmen kann. Nicht wenige Menschen machen sich jedoch noch in vorgerücktem Alter nach Mekka auf, zumal es eine besondere Gnade ist, während der hagg den Tod zu finden.

Die hagg und ihre Riten gehen im Wesentlichen auf vorislamische Kulte zurück. Zu Lebzeiten Muhammads war dessen Heimatstadt Mekka ein Zentrum nicht nur des Karawanenhandels, sondern auch des religiösen Lebens.

Mekka war Mittelpunkt verschiedener polytheistischer Kulte. Mit der Verehrung verschiedener Götter, Göttinnen und Gottheiten verbanden sich Riten und Wallfahrten, die zu festgesetzten Zeiten stattfanden. An die Wallfahrtsmonate waren Zeiträume des Verbotes kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den Beduinenstämmen gebunden. Dem Wirtschaftsleben der Stadt kam ebenfalls zugute, daß in diesen heiligen Monaten Raubüberfälle auf Handelskarawanen unterbleiben mußten, wie sie im übrigen Jahreslauf zu den festen Einkommensquellen der Beduinen gehörten.

Der Ort, an dem sich das religiöse Leben Mekkas kristallisierte, war - und ist - der heilige Bezirk, in dem sich die Ka‘ba befindet. Dieser etwa elf Meter hohe würfelförmige Bau beherbergte in vorislamischer Zeit figürliche Darstellungen und Standbilder verschiedener Gottheiten. Da neben den Anhängern polytheistischer Kulte auf der arabischen Halbinsel auch jüdische Stämme sowie vereinzelte christliche Gruppierungen lebten, nimmt es nicht Wunder, wenn die Überlieferungen aus dem Leben Muhammads unter diesen Darstellungen auch ein Bildnis der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind erwähnen.

Sinnfälliger Ausdruck des islamischen Monotheismus ist, daß die Ka‘ba heute leer ist. Mit der Einnahme seiner Heimatstadt Mekka im Januar des Jahres 630 durch die von Muhammad geführten Muslime gingen die nichtislamischen Kulte an diesem Ort unter. Bis heute ist der Aufenthalt in den heiligen Städten Mekka und Medina, den haramayn, nur Muslimen vorbehalten. Nichtmuslime gleich welchen Glaubens dürfen sich ihnen nicht einmal bis in Sichtweite nähern.

Da Muhammads Botschaft sich in deutlichem Widerspruch zu den polytheistischen Kulten der arabischen Halbinsel artikulierte, konnten die Inhalte der althergebrachten Wallfahrtsrituale nicht in die religiöse Gedankenwelt des Islams integriert werden. Wohl aber blieben äußere Formen erhalten. Diesen Bedeutungswandel illustriert der Koran, wo er sich zu den Ritualen der Wallfahrt äußert: „Die Wallfahrt findet in (den) bekannten Monaten statt." (2:197) „Und wenn ihr eure Riten vollzogen habt, dann gedenket Gottes, wie ihr (bisher) eurer Väter gedachtet, oder noch inniger!" (2:200) Ein Hadith verdeutlicht den Vorgang: „‘Umar (R a) näherte sich dem schwarzen Stein [der in der Ka‘ba eingemauert ist, M.M.] und küßte ihn. Er

[Seite der Druckausg.:74]

sagte: ‘Ich weiß, daß du nur ein Stein bist, der nicht schaden und nicht nutzen kann. Ich hätte dich nicht geküßt, wenn ich nicht gesehen hätte, daß der Gesandte Gottes (S) dich geküßt hat!’" [Al-Buhari 1991, S. 211.]

Inhaltlich suchte der Islam eine Assimilation des Kultes an Prämissen seines Offenbarungsverständnisses. In einem Rekurs auf die Anfänge der Menschheitsgeschichte postuliert er Adam, der ihm als der erste Prophet gilt, als den Erbauer der Ka‘ba. Auch Abraham wird mit der Ka‘ba in Verbindung gebracht, in deren unmittelbarer Nähe man die Gräber Ismaels und Hagars wähnt. „Das erste (Gottes)haus, das den Menschen aufgestellt worden ist, ist dasjenige in Bakka (d.h. Mekka), (aufgestellt) zum Segen und zur Rechtleitung für die Menschen in aller Welt. In ihm liegen klare Zeichen vor. (Es ist) der (heilige) Platz Abrahams. Wer ihn betritt, ist in Sicherheit. Und die Menschen sind Gott gegenüber verpflichtet, die Wallfahrt nach dem Haus zu machen - soweit sie dazu eine Möglichkeit finden." (3:96f.)

Gleiches gilt für die Riten der hagg. So heißt es etwa in 22:26: „Und (damals) als wir [d.h. Gott, M.M.] dem Abraham die Stätte des Hauses (der Ka‘ba) als Wohnung anwiesen (und ihm die Verpflichtung auferlegten): ’Geselle mir nichts (als Teilhaber an meiner Göttlichkeit) bei und reinige mein Haus für diejenigen, die die Umgangsprozession machen und (andächtig im Gebet) stehen, und die sich verneigen und niederwerfen!’"

Die heute gültige Form der hagg nimmt die letzte Wallfahrt Muhammads zum Vorbild, die dieser im Jahre seines Todes vollzog. Ihre Riten sind so detailreich, daß schon in den ersten Jahrhunderten der islamischen Zeitrechnung regelrechte Wallfahrtsanleitungen geschrieben wurden. Auch heute noch bedarf es von Seiten der Pilger nicht nur der spirituellen Einstimmung auf die Wallfahrt, sondern auch intensiver Auseinandersetzung mit ihren Formalia. Nimmt man die bloße logistische Organisation der Reise und die besonderen Bestimmungen bei der Einreise nach Saudi Arabien hinzu, ergibt sich für professionelle Reiseveranstalter ein weites Betätigungsfeld.

Die Pilger erhoffen sich vom Vollzug der hagg nicht zuletzt die Vergebung ihrer Sünden. Ein Hadith überliefert, Muhammad habe gesagt: „Wer die Wallfahrt für Gott vollzieht, während dieser Zeit keine anstößigen Reden führt und sich keines Vergehens schuldig macht, kehrt wie neugeboren nach Hause zurück." [Ebd., S. 202.] Diese Erfahrung führt oft dazu, daß für Menschen, die aus Mekka in ihre Heimat zurückkehren, die hagg ein regelrechtes Bekehrungserlebnis markiert. Die Pilger werden in aller Regel von ihren Angehörigen und Freunden ehrerbietig und freudig empfangen. Sie dürfen nun den Titel des haggi, bzw. der hagga führen.

Die Pilgerreise hat aber nicht nur Auswirkungen auf die persönliche religiöse Lebensführung der Rückkehrer. Oft ist die hagg auch ein soziales Schlüsselerlebnis. Das islamische Ideal der Gleichheit und Solidarität aller Gläubigen ohne Ansehen von Herkunft und Besitz scheint unter den Umständen der Wallfahrt auf exemplarische Weise verwirklicht. Durch den Strom von Pilgern aus aller Welt wird der Gedanke der umma, der Gemeinschaft der Muslime sinnfällig mit Leben erfüllt. Wo dies in besonderem Gegensatz zur Lebenssituation der Pilger in ihren Heimatländern steht, wird die hagg zum Maßstab islamischer Glaubens- und Lebenspraxis mit beachtlichem Potential der Rückbesinnung auf gemeinsame islamische Grundwerte. [In einem vom Attaché für Islamische Angelegenheiten der Botschaft des Königreichs Saudi Arabien verbreiteten Faltblatt mit dem Titel „Der Islam auf einen Blick" wird dieser Aspekt der ha gg in ideologisierter Form betont. Unter der Überschrift „Der Islam - Die Lösung der Probleme unserer Zeit" heißt es: „Der Islam zeigte während der vergangenen 1400 Jahre in der Praxis, wie Rassismus abgeschafft werden kann. Jahr für Jahr kann man das islamische Wunder der Brüderlichkeit zwischen allen Rassen und Nationen während der Pilgerfahrt in der Realität sehen."]

[Seite der Druckausg.:75]

In der Vielfalt der Lebenswirklichkeiten und Kulturen, die sich im Islam entfaltet haben, ist die Wallfahrt eine der identitätsstiftenden und -wahrenden Klammern, die ein zu starkes Auseinanderdriften der verschiedenen Gruppierungen verhindern und an der sich innerislamische Reformbewegungen entzünden können. [So wurde z.B. im Jahre 1833 die Sanusiyya während der zweiten ha gg des Sidi Muhammad Ibn Ali As-Sanusi gegründet (Grunebaum 1991, S. 405).]
Die Einflußnahme auf die Wallfahrt, vor allem die Herrschaft über die heiligen Stätten, war und ist somit immer auch ein Politikum. [Vgl. Faroqhi 1990.]

Ein Ritual der hagg bringt insbesondere die Verbundenheit auch der nichtwallfahrenden Muslime mit den Pilgern zum Ausdruck. Das Opferfest, ‘idu-l-adhha, wird nicht nur in Mekka begangen, sondern von Muslimen in aller Welt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

Previous Page TOC Next Page