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5. Lösung der Probleme durch Verleihung der Körperschaftsrechte?

Kann die Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften öffentlichen Rechts ein gelungener Beitrag zur Lösung der dargestellten Fragen und Probleme sein? Angesichts der aus diesem Status resultierenden Rechtsfolgen kann man tatsächlich geneigt sein, darin einen magischen Schlüssel zur zufriedenstellenden Klärung aller Problemfelder zu sehen. Abgesehen davon, daß die Körperschaftsrechte tatsächlich in vielen Einzelfragen ein Vorteil für beide Seiten wären, [Im einzelnen lassen sich folgende Rechtsfolgen benennen (Muckel 1995, S. 311f.):

  1. Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV sind Körperschaften des öffentlichen Rechts berechtigt, „aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben." Demzufolge könnten die Finanzämter von den Mitgliedern der jeweiligen muslimischen Gemeinschaft Steuern erheben, die dann zur Verwendung für deren Aufgaben weitergeleitet werden.
  2. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind nach § 121 Nr. 2 BRRG dienstherrenfähig. Sie können Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Art begründen und Beamte einstellen, die nicht dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterliegen. Derartige Dienstverhältnisse sind daher dem öffentlichen Dienst gleichgestellt und werden analog behandelt. Durch diese Bestimmung kann die Einreise und Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Imame möglicherweise erleichtert werden.
  3. Das Bundesministerium für Frauen und Jugend hat nach § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 GjS Beisitzer der Bundesprüfstelle aus den als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften zu berufen. Muslimische Gemeinschaften hätten demzufolge das Recht, aus ihren Kreisen Beisitzer für dieses Gremium zu benennen.
  4. Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus sind nach § 19 Abs. 1 BSHG als Träger der freien Wohlfahrtspflege und nach § 75 Abs. 3 SGB als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Diese Bestimmungen würden es den muslimischen Gemeinschaften ermöglichen, im Bereich der Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe zu wirken und mit staatlicher Unterstützung soziale Einrichtungen zu betreiben.
  5. Nach § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 6 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Erfordernisse der Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsrechten für Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen. Das hätte zur Folge, daß in den Bauleitplänen auch Plätze für den Bau von Moscheen mit dazu gehörenden Parkplätzen auszuweisen wären.
  6. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts genießen Religionsgemeinschaften schließlich zahlreiche steuerliche Vergünstigungen und Befreiungen im Steuer- sowie im Kosten- und Gebührenrecht.]
ist zuallererst festzustellen, daß islamische Organisationen damit in einen Rechtsstatus eintreten könnten, der sie zu einem verbindlichen Gesprächs- und Vertragspartner für gesellschaftliche und staatliche Stellen werden ließe. Die daraus resultierenden Vorteile wären vielfältiger Art: In sämtlichen Bereichen der Anstaltsseelsorge könnten entsprechende Vereinbarungen getroffen werden, um eine ordentliche Seelsorge für Muslime zu gewährleisten. Islamische Gemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts könnten ihre eigenen konfessionellen Friedhöfe betreiben und damit die Umsetzung der islamischen Bestattungsvorschriften ermöglichen. Gleichzeitig könnten sie ihre Ansprüche beim Bau ihrer religiösen Einrichtungen in Wohngebieten geltend machen. In der leidigen Frage des Schächtens könnte eine von ihnen berufene und bevollmächtigte Institution eine verbindliche Entscheidung zum Schlachtvorgang treffen. In allen Fragen, in denen es um verbindliche Lehrmeinungen und -aussagen einer Religionsgemeinschaft geht, wären endlich Lösungen in Sicht. Diese Beispiele mögen genügen, um anzudeuten, welche Konsequenzen die Verleihung der Körperschaftsrechte nicht nur für die muslimische, sondern auch für die nichtmuslimische Seite haben könnte.

Doch ist zu fragen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, um eine solche Anerkennung aussprechen zu können. Die Voraussetzungen für den Erwerb der Körperschaftsrechte finden sich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV: „Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl

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ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten." Wie bereits im Zusammenhang der Anstaltsseelsorge deutlich geworden ist, stellt sich die berechtigte Frage, ob islamische Organisationen tatsächlich den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes aufweisen oder nicht. Die Antwort darauf ist nicht eindeutig zu geben. Stefan Muckel macht jedoch darauf aufmerksam, daß eine Religionsgemeinschaft im Anschluß an die Verwendung des Begriffs im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 als ein Zusammenschluß natürlicher Personen zu verstehen ist. Davon geht auch die Formulierung von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV aus, wenn von der Mitgliederzahl der betreffenden Gemeinschaft die Rede ist. [Vgl. ebd., S. 312.] Zusammenschlüsse von Vereinen und Verbänden zu einem größeren Verband – wie dies beim Islamrat und beim Zentralrat der Fall ist – sind dieser Argumentation zufolge nicht als Religionsgemeinschaften zu betrachten. [„Dachverbände, denen nur juristische Personen beitreten können, sind folglich keine Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV. Körperschaften öffentlichen Rechts können sie nach Art. 137 Abs. 5 S. 3 WRV nur dadurch werden, daß die in ihnen zusammengeschlossenen Gemeinschaften bereits über den Körperschaftsstatus verfügen" (Ebd.).]
Neben diesen beiden Spitzenverbänden sind verschiedene andere islamische Organisationen nach diesem Modell strukturiert; sie alle würden daher nach Muckel als Religionsgemeinschaften nicht in Frage kommen. Erschwerend kommt hinzu, daß es in den einzelnen Bundesländern nicht jeweils eine islamische Organisation gibt, die in den Genuß entsprechender Rechte kommen würde, sondern gleich mehrere. Die eindeutig festzustellende Vielfalt derartiger Vereine und Verbände verkompliziert die Fragestellung zusätzlich. Sind sie alle als Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen oder kann die Vereinigung zu einer einzigen verlangt werden? Sicherlich kann der Staat letzteres den Muslimen nicht abverlangen, sondern er hat sie vielmehr als separate Gemeinschaften zu betrachten, sofern sie Eigentümlichkeiten aufweisen, die eine solche Differenzierung rechtfertigen. Andererseits führt die Anerkennung verschiedener islamischer Religionsgemeinschaften unweigerlich zu einer weiteren Konfessionalisierung der Muslime, die in diesem Sinne wohl nicht von ihnen gewünscht ist. Ferner kann nicht vom Staat verlangt werden, in bestimmten Fragen islamischer Religionsausübung mit verschiedenen separaten Religionsgemeinschaften gleichzeitig verhandeln zu müssen. Man denke etwa daran, die verschiedenen islamischen Verbände beantragen je für sich die Einführung islamischen Religionsunterrichts.

Abgesehen von der Frage der Eigenschaften als Religionsgemeinschaften sind auch hinsichtlich der anderen genannten Voraussetzungen Bedenken angebracht. Wenn der betreffende Artikel des Grundgesetzes von einer Verfassung ausgeht, dann ist damit nicht allein das Vorliegen einer Satzung und die Eintragung beim zuständigen Vereinsregister verlangt. Gemeint ist damit vielmehr „der qualitative Gesamtzustand [der Religionsgemeinschaft, Th.L.], d.h. die Summe der Lebensbedingungen, denen sie unterworfen ist." [Müller-Volbehr 1993, S. 13.] Die Religionsgemeinschaft muß über entsprechende Organe und Strukturen verfügen, die ihr eine Zusammenarbeit mit dem Staat ermöglichen. Von dieser Bedingung ist nicht zu dispensieren, weil der Staat ihr gewisse Rechte und Kompetenzen verleiht, die eigentlich nur ihm zustehen. Dazu ist er jedoch nur in der Lage angesichts eines vertretungsberechtigten Gegenübers, das authentisch und verbindlich über die Glaubenslehre und das –leben der betreffenden Religion befinden kann. [„Die Verleihung der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt ein partnerschaftliches, auf Kooperation angelegtes Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaft voraus. Daraus ergeben sich Anforderungen an die innere Struktur korporierter Religionsgemeinschaften und an ihre Beziehungen zu anderen religiösen Gruppierungen. … Die Religionsgemeinschaft muß daher über eine auf Dauer eingerichtete Instanz verfügen, die im Hinblick auf Lehre und Ordnung verbindliche Aussagen machen und Rechtshandlungen vornehmen kann" (Muckel 1995, S. 313f.).]
Wie in den verschiedenen Einzelfragen islamischer Religionsausübung immer wieder

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deutlich geworden ist, kennt der Islam derartige Institutionen, die mit einer solchen Verbindlichkeit für alle Muslime sprechen können, eben nicht. Seinem Selbstverständnis nach kann und will der Islam eben keine Kirche sein. Die Bemühungen um die Schaffung entsprechender Strukturen stoßen daher stets auf Skepsis unter Muslimen. [Vgl. Köhler 1997, S. 6f.] Kennzeichnend für die Lage – auch im Hinblick gerade auf die verschiedenen Rechtsschulen – ist das folgende Zitat Richard Hartmanns: „Das Gesetz ist nicht einmal völlig einheitlich; bestehen doch die vier Rechtsschulen zu Recht nebeneinander. Die Gemeinde hat diese – sachlich freilich geringfügigen – Unterschiede geradezu als eine Gnade Gottes gegenüber den Menschen angesehen. Man hat sie nicht etwa als Rechtsunsicherheit empfunden." [Hartmann 1992, S. 77.]

Auch die Frage nach der Mitgliederzahl der Antragstellerin weist Schwierigkeiten auf. In formeller Hinsicht erfüllen bestimmte islamische Verbände diese Vorschrift, insofern sie die Mindestzahl von einem Tausendstel der Bevölkerung eines Bundeslandes tatsächlich aufweisen können. Demgegenüber sind in inhaltlicher Hinsicht jedoch erhebliche Zweifel angebracht, da die Frage der Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation nicht immer eindeutig geklärt ist. Grundsätzlich ist zwischen der Zugehörigkeit zum Islam – die durch Geburt oder Konversion entsteht – und der Mitgliedschaft in einem bestimmten Verein zu unterscheiden. Beide Größen sind nicht immer identisch, vielmehr ist davon auszugehen, daß nur eine Minderheit der Muslime in Deutschland sich vereinsrechtlich einer der bestehenden Organisationen angeschlossen hat, während ein viel größerer Teil deren Angebote wahrnimmt oder zum Kreis der Anhängerschaft zu rechnen ist. [Vgl. Lemmen 2000a, S. 28.] Hinsichtlich der Frage der Körperschaftsrechte sind jedoch klare Regelungen vorausgesetzt, um auszuschließen, „daß die Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts Hoheitsrechte gegenüber Nichtmitgliedern ausübt." [Muckel 1995, S. 315.]

Diese Beobachtungen führen zu dem Ergebnis, daß eine Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mangels Erfüllung der formellen Mindestvoraussetzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben zu sein scheint. Daher ist allen diesbezüglichen Versuchen in der Vergangenheit kein Erfolg beschieden gewesen. [Vgl. Abdullah 1981, S. 159-168.] Diese ernüchternde Bilanz sollte jedoch nicht zu der Annahme führen, daß dieser Weg islamischen Gemeinschaften auf Dauer verschlossen sein sollte. Vielmehr sind einige Organisationsbildungen der letzten Jahre festzustellen gewesen, die sich den Erfordernissen anzunähern versuchen. Erinnert sei lediglich an die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH), die eine Mitgliedschaft natürlicher Personen im Lande Hessen voraussetzt und interne Strukturen zur Klärung religiöser Fragen geschaffen hat. Auch ähnliche Zusammenschlüsse islamischer Gruppierungen in anderen Bundesländern sowie die in verschiedenen Bundesländern entstandenen Landesverbände des Verbandes der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) bereiten den Weg in diese Richtung. Bis es tatsächlich zu einer Anerkennung kommen wird, kann es unter Umständen jedoch noch Jahre dauern.

Abgesehen davon bleibt festzuhalten, daß der Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts noch lange nicht in allen Fragen der Religionsausübung von Muslimen zwingend erforderlich ist. Das Grundgesetz spricht vielmehr in bestimmten Fragen von Religionsgesellschaften, die

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als Ansprechpartner des Staates für beispielsweise Religionsunterricht oder Anstaltsseelsorge in Frage kommen. Auch wenn es sich dabei nicht um ein formelles Anerkennungsverfahren handelt, haben die Diskussionen um den Islamischen Religionsunterricht in Berlin und um die Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot beim Schächten in Hessen in aller Deutlichkeit gezeigt, daß der Charakter der betreffenden Organisationen als Religionsgesellschaften in diesem Sinne nicht zweifelsfrei feststeht, sondern erst gerichtlich erstritten werden muß. Nicht geklärt ist ferner, ob islamische Organisationen den Charakter einer Religionsgesellschaft im Sinne des Grundgesetzes besitzen oder nicht.

Die vorgestellten Probleme islamischer Religionsausübung lassen sich jedoch nicht bis zu einer vollständigen Klärung der staatskirchenrechtlichen Grundsatzfragen ungelöst zurückstellen. Dies kann weder im Sinne der Muslime noch in dem der Nichtmuslime sein. In Kenntnis der grundlegenden Verpflichtungen ihres religiösen Lebens und auf der Grundlage des Grundgesetzes und der anderen gesetzlichen Bestimmungen ist vielmehr im Einzelfall nach konkreten Lösungen im Sinne einer praktischen Konkordanz der widerstreitenden Interessen und Ansprüche zu suchen. Einen Beitrag zu diesem Prozeß versuchen diese beiden Studien zu liefern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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