FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
Thomas Lemmen 5. Lösung der Probleme durch Verleihung der Körperschaftsrechte? [Seite der Druckausg.:59] 5. Lösung der Probleme durch Verleihung der Körperschaftsrechte? Kann die Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften öffentlichen Rechts ein gelungener Beitrag zur Lösung der dargestellten Fragen und Probleme sein? Angesichts der aus diesem Status resultierenden Rechtsfolgen kann man tatsächlich geneigt sein, darin einen magischen Schlüssel zur zufriedenstellenden Klärung aller Problemfelder zu sehen. Abgesehen davon, daß die Körperschaftsrechte tatsächlich in vielen Einzelfragen ein Vorteil für beide Seiten wären,
[Im einzelnen lassen sich folgende Rechtsfolgen benennen (Muckel 1995, S. 311f.):
Doch ist zu fragen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, um eine solche Anerkennung aussprechen zu können. Die Voraussetzungen für den Erwerb der Körperschaftsrechte finden sich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV: Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl [Seite der Druckausg.:60] ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten." Wie bereits im Zusammenhang der Anstaltsseelsorge deutlich geworden ist, stellt sich die berechtigte Frage, ob islamische Organisationen tatsächlich den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes aufweisen oder nicht. Die Antwort darauf ist nicht eindeutig zu geben. Stefan Muckel macht jedoch darauf aufmerksam, daß eine Religionsgemeinschaft im Anschluß an die Verwendung des Begriffs im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 als ein Zusammenschluß natürlicher Personen zu verstehen ist. Davon geht auch die Formulierung von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV aus, wenn von der Mitgliederzahl der betreffenden Gemeinschaft die Rede ist.
[Vgl. ebd., S. 312.]
Zusammenschlüsse von Vereinen und Verbänden zu einem größeren Verband wie dies beim Islamrat und beim Zentralrat der Fall ist sind dieser Argumentation zufolge nicht als Religionsgemeinschaften zu betrachten.
[„Dachverbände, denen nur juristische Personen beitreten können, sind folglich keine Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV. Körperschaften öffentlichen Rechts können sie nach Art. 137 Abs. 5 S. 3 WRV nur dadurch werden, daß die in ihnen zusammengeschlossenen Gemeinschaften bereits über den Körperschaftsstatus verfügen" (Ebd.).]
Abgesehen von der Frage der Eigenschaften als Religionsgemeinschaften sind auch hinsichtlich der anderen genannten Voraussetzungen Bedenken angebracht. Wenn der betreffende Artikel des Grundgesetzes von einer Verfassung ausgeht, dann ist damit nicht allein das Vorliegen einer Satzung und die Eintragung beim zuständigen Vereinsregister verlangt. Gemeint ist damit vielmehr der qualitative Gesamtzustand [der Religionsgemeinschaft, Th.L.], d.h. die Summe der Lebensbedingungen, denen sie unterworfen ist."
[Müller-Volbehr 1993, S. 13.]
Die Religionsgemeinschaft muß über entsprechende Organe und Strukturen verfügen, die ihr eine Zusammenarbeit mit dem Staat ermöglichen. Von dieser Bedingung ist nicht zu dispensieren, weil der Staat ihr gewisse Rechte und Kompetenzen verleiht, die eigentlich nur ihm zustehen. Dazu ist er jedoch nur in der Lage angesichts eines vertretungsberechtigten Gegenübers, das authentisch und verbindlich über die Glaubenslehre und das leben der betreffenden Religion befinden kann.
[„Die Verleihung der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt ein partnerschaftliches, auf Kooperation angelegtes Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaft voraus. Daraus ergeben sich Anforderungen an die innere Struktur korporierter Religionsgemeinschaften und an ihre Beziehungen zu anderen religiösen Gruppierungen. … Die Religionsgemeinschaft muß daher über eine auf Dauer eingerichtete Instanz verfügen, die im Hinblick auf Lehre und Ordnung verbindliche Aussagen machen und Rechtshandlungen vornehmen kann" (Muckel 1995, S. 313f.).]
[Seite der Druckausg.:61] deutlich geworden ist, kennt der Islam derartige Institutionen, die mit einer solchen Verbindlichkeit für alle Muslime sprechen können, eben nicht. Seinem Selbstverständnis nach kann und will der Islam eben keine Kirche sein. Die Bemühungen um die Schaffung entsprechender Strukturen stoßen daher stets auf Skepsis unter Muslimen. [Vgl. Köhler 1997, S. 6f.] Kennzeichnend für die Lage auch im Hinblick gerade auf die verschiedenen Rechtsschulen ist das folgende Zitat Richard Hartmanns: Das Gesetz ist nicht einmal völlig einheitlich; bestehen doch die vier Rechtsschulen zu Recht nebeneinander. Die Gemeinde hat diese sachlich freilich geringfügigen Unterschiede geradezu als eine Gnade Gottes gegenüber den Menschen angesehen. Man hat sie nicht etwa als Rechtsunsicherheit empfunden." [Hartmann 1992, S. 77.] Auch die Frage nach der Mitgliederzahl der Antragstellerin weist Schwierigkeiten auf. In formeller Hinsicht erfüllen bestimmte islamische Verbände diese Vorschrift, insofern sie die Mindestzahl von einem Tausendstel der Bevölkerung eines Bundeslandes tatsächlich aufweisen können. Demgegenüber sind in inhaltlicher Hinsicht jedoch erhebliche Zweifel angebracht, da die Frage der Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation nicht immer eindeutig geklärt ist. Grundsätzlich ist zwischen der Zugehörigkeit zum Islam die durch Geburt oder Konversion entsteht und der Mitgliedschaft in einem bestimmten Verein zu unterscheiden. Beide Größen sind nicht immer identisch, vielmehr ist davon auszugehen, daß nur eine Minderheit der Muslime in Deutschland sich vereinsrechtlich einer der bestehenden Organisationen angeschlossen hat, während ein viel größerer Teil deren Angebote wahrnimmt oder zum Kreis der Anhängerschaft zu rechnen ist. [Vgl. Lemmen 2000a, S. 28.] Hinsichtlich der Frage der Körperschaftsrechte sind jedoch klare Regelungen vorausgesetzt, um auszuschließen, daß die Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts Hoheitsrechte gegenüber Nichtmitgliedern ausübt." [Muckel 1995, S. 315.] Diese Beobachtungen führen zu dem Ergebnis, daß eine Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mangels Erfüllung der formellen Mindestvoraussetzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben zu sein scheint. Daher ist allen diesbezüglichen Versuchen in der Vergangenheit kein Erfolg beschieden gewesen. [Vgl. Abdullah 1981, S. 159-168.] Diese ernüchternde Bilanz sollte jedoch nicht zu der Annahme führen, daß dieser Weg islamischen Gemeinschaften auf Dauer verschlossen sein sollte. Vielmehr sind einige Organisationsbildungen der letzten Jahre festzustellen gewesen, die sich den Erfordernissen anzunähern versuchen. Erinnert sei lediglich an die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH), die eine Mitgliedschaft natürlicher Personen im Lande Hessen voraussetzt und interne Strukturen zur Klärung religiöser Fragen geschaffen hat. Auch ähnliche Zusammenschlüsse islamischer Gruppierungen in anderen Bundesländern sowie die in verschiedenen Bundesländern entstandenen Landesverbände des Verbandes der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) bereiten den Weg in diese Richtung. Bis es tatsächlich zu einer Anerkennung kommen wird, kann es unter Umständen jedoch noch Jahre dauern. Abgesehen davon bleibt festzuhalten, daß der Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts noch lange nicht in allen Fragen der Religionsausübung von Muslimen zwingend erforderlich ist. Das Grundgesetz spricht vielmehr in bestimmten Fragen von Religionsgesellschaften, die [Seite der Druckausg.:62] als Ansprechpartner des Staates für beispielsweise Religionsunterricht oder Anstaltsseelsorge in Frage kommen. Auch wenn es sich dabei nicht um ein formelles Anerkennungsverfahren handelt, haben die Diskussionen um den Islamischen Religionsunterricht in Berlin und um die Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot beim Schächten in Hessen in aller Deutlichkeit gezeigt, daß der Charakter der betreffenden Organisationen als Religionsgesellschaften in diesem Sinne nicht zweifelsfrei feststeht, sondern erst gerichtlich erstritten werden muß. Nicht geklärt ist ferner, ob islamische Organisationen den Charakter einer Religionsgesellschaft im Sinne des Grundgesetzes besitzen oder nicht. Die vorgestellten Probleme islamischer Religionsausübung lassen sich jedoch nicht bis zu einer vollständigen Klärung der staatskirchenrechtlichen Grundsatzfragen ungelöst zurückstellen. Dies kann weder im Sinne der Muslime noch in dem der Nichtmuslime sein. In Kenntnis der grundlegenden Verpflichtungen ihres religiösen Lebens und auf der Grundlage des Grundgesetzes und der anderen gesetzlichen Bestimmungen ist vielmehr im Einzelfall nach konkreten Lösungen im Sinne einer praktischen Konkordanz der widerstreitenden Interessen und Ansprüche zu suchen. Einen Beitrag zu diesem Prozeß versuchen diese beiden Studien zu liefern. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001 |