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2. Muslime in Deutschland – ein aktueller Überblick

Die gegenwärtige muslimische Präsenz in Deutschland ist untrennbar mit der Geschichte der Arbeitsmigration seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts verbunden. Bei den meisten der heute schätzungsweise drei Millionen Muslime handelt es sich um die einstigen Gastarbeiter oder deren Nachkommen aus der Türkei, Marokko, Tunesien und dem früheren Jugoslawien. Dennoch darf man nicht übersehen, daß die ersten Spuren muslimischen Lebens bis weit vor die Zeit der Arbeitsmigration zurückreichen. [Zu den Grundzügen islamischer Geschichte in Deutschland bis zur Arbeitsmigration: Lemmen 1999c, S. 10-32.]

Die ersten dauerhaft in Deutschland lebenden Muslime waren Kriegsgefangene aus der Zeit der Türkenkriege. Grabsteine in Brake bei Lemgo von 1689 und in Hannover von 1691 sind neben Eintragungen in Kirchenbüchern und kurzen Vermerken in Chroniken die einzigen Zeugnisse dieser Epoche. Die bis heute an verschiedenen Orten erhaltenen orientalisierenden Bauwerke der beiden folgenden Jahrhunderte lassen jedoch nicht unbedingt auf die Anwesenheit von Muslimen schließen, sondern sind vielmehr Ausdruck der kulturellen Beziehungen zwischen Orient und Okzident zu jener Zeit. Auch die in der Literatur immer wieder auftauchende Behauptung einer muslimischen Gemeindegründung in Potsdam im Jahre 1731 hat sich als historisch nicht haltbar erwiesen. Demgegenüber lassen sich allerdings muslimische Soldaten in verschiedenen Truppenteilen der preußischen Armee seit dem 18. Jahrhundert nachweisen. Im Jahre 1763 wurde in Berlin eine Gesandtschaft des osmanischen Reiches eingerichtet. Aus Anlaß des Todes des dritten Gesandten, Ali Aziz Efendi, am 29. Oktober 1798 stellte der preußische König zu dessen Bestattung ein Gelände auf der Tempelhofer Feldmark zur Verfügung. [Vgl. Höpp 1996.] Die zeitgenössischen Berichte beschreiben den genauen Ablauf der Bestattung nach den entsprechenden Vorschriften des islamischen Rechts. [Vgl. ebd., S. 20f.] Nach vier weiteren Bestattungen musste das Gelände 1866 einem Kasernenbau weichen. Man überführte die sterblichen Überreste der fünf osmanischen Diplomaten an eine andere Begräbnisstätte, die zum bis heute erhaltenen türkischen Friedhof am Columbiadamm wurde.

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges entstanden in Wünsdorf und Zossen bei Berlin zwei Lager für muslimische Kriegsgefangene aus den alliierten Streitkräften. [Vgl. Höpp 1997.] Die 1915 im sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf errichtete Holzmoschee war die erste muslimische Gebetsstätte auf deutschem Boden. Sowohl die Zeitungsberichte als auch die Fotoaufnahmen aus der Zeit geben einen Einblick vom religiösen Leben der kriegsgefangenen Muslime in beiden Lagern. [Vgl. Kahleyys 1998.] Während die Moschee wegen Baufälligkeit in den zwanziger Jahren abgerissen wurde – an sie erinnert heute nur noch die Moscheestraße – sind einige Grabsteine von Kriegsgefangenen auf dem früheren Soldatenfriedhof von Zehrensdorf erhalten geblieben.

Das muslimische Leben in Deutschland fand eine gewisse Entfaltung in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen durch muslimische Studenten und Exilanten in Berlin und Umgebung. Die damals insgesamt knapp zweitausend Muslime organisierten sich in einer Handvoll islamischer Vereine, die sie zur Wahrnehmung ihrer religiösen Interessen gründeten. [Zu den islamischen Vereinen jener Jahre im einzelnen: Lemmen 1999c, S. 14-25]
Mittelpunkt des muslimischen Lebens in Berlin wurde die 1924 von den Lahore-Ahmadis gegründete Moschee in Wilmersdorf. Sie ist trotz schwerer Beschädigung bei Kriegsende bis auf den

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heutigen Tag erhalten geblieben. Der Begründer und langjährige Leiter der Moschee, Maulana Sadr-ud-Din, gab 1939 die erste von einem Muslim vorgenommene deutsche Koranübersetzung heraus. Streitigkeiten innerhalb der islamischen Vereine sowie deren Instrumentalisierung für politische Zwecke im Aus- und Inland beeinträchtigten das religiöse Leben der Muslime nachhaltig. Daher wundert es nicht, daß keine der von ihnen gegründeten Organisationen über den Krieg hinaus Bestand hatte. Vielmehr haben die Vereine sich selbst aufgelöst oder wurden von Amts wegen als nicht mehr bestehend gelöscht.

Nach Kriegsende ging eine Wiederbelebung muslimischer Aktivitäten von der Wilmersdorfer Moschee aus, [Vgl. Hobohm 1994.] deren Bedeutung jedoch mit der Entstehung anderer Organisationen zunehmend verloren ging. Die aus Großbritannien kommenden Qadiani-Ahmadis ließen sich in Hamburg nieder und gründeten 1955 die Ahmadiyya Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland e.V., die in verschiedenen Städten ihre Niederlassungen errichtete. In München entstand 1958 die Geistliche Verwaltung der Muslimflüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland e.V. als ein Betreuungsverein für die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen muslimischen Glaubens. Auf die Initiative iranischer Kaufleute in Hamburg und arabischer Studenten in Aachen und München ging in den sechziger Jahren die Errichtung der Islamischen Zentren in den drei Städten zurück. Damit waren eine Reihe muslimischer Institutionen entstanden, die den religiösen Zwecken der vergleichsweise wenigen Muslime in Deutschland genügten.

Diese Situation änderte sich grundlegend mit der Arbeitsmigration. Durch den Abschluß von Anwerbevereinbarungen mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Tunesien (1965) und dem früheren Jugoslawien (1968) gelangten zahlreiche muslimische Arbeitsmigranten in die Bundesrepublik. Hatten die meisten von ihnen zunächst einen vorübergehenden Aufenthalt im Sinn, so entschieden sich doch viele nach der Verhängung des Anwerbestopps von 1973 für den dauerhaften Verbleib und den Nachzug der Ehepartner und Familienangehörigen. Dieses Phänomen hatte freilich nichts mit der Religionszugehörigkeit zu tun, sondern ist vielmehr bei allen Migrantengruppen jener Zeit festzustellen gewesen. Auf die Muslime bezogen zeigte sich aber, daß dieses Geschehen auch einen Wandel im Verständnis der eigenen Religion und deren Ausübung zur Folge hatte. Mit der Verfestigung des Aufenthalts ging eine Verlagerung der Erfüllung der religiösen Bedürfnisse von der Heimat ins Gastland einher.

Jørgen Nielsen beschreibt diesen Prozeß zutreffend mit den folgenden Worten: „Während der ersten Phasen der Muslimimmigration waren die Zuwanderer hauptsächlich Männer, die allein und für eine begrenzte Zeit kamen. Die Tatsache, daß sie allein kamen, bedeutete, daß religiöse Erfordernisse bei der Aussiedlung minimal waren: es genügte meist, daß man beten konnte. Die Einschränkung der Religionsausübung wurde durch die Aussicht auf eine baldige Rückkehr nach Hause noch weiter an den Rand verwiesen. Die Situation veränderte sich grundlegend, als aus der Migration muslimischer Arbeiter eine Immigration muslimischer Familien wurde. Zuerst schwand das Gefühl, der Aufenthalt sei zeitlich begrenzt. Nun rechnete man mit Dauer. Dann führte die Anwesenheit von Frauen und Kindern zu intensiven Kontakten zu der Gesellschaft, in der sie lebten … . Als Folge wurden große Bereiche der traditionellen Kulturen in Frage gestellt. So ergab sich die Notwendigkeit, Institutionen einzurichten, entweder zur Unterstützung der alten Traditionen oder um Spannungen zu mildern." [Nielsen 1995, S. 153.] Nicht von ungefähr setzte daher zeitgleich mit dem Anwerbestopp die Bildung islamischer Vereine und Verbände in größerem Umfang ein. [Zu den islamischen Organisationen: Lemmen 2000a.]
Als älteste Organisationen, die zahlreiche Moscheen im

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Bundesgebiet betreiben, entstand 1973 der heutige Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) und 1976 die Vorgängerin der späteren Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG). Die größte islamische Organisation im Bundesgebiet wurde die 1984 gegründete Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DÝTÝB). Das Erscheinungsbild des organisierten Islams in Deutschland prägen seit jenen Jahren die großen türkisch-islamischen Verbände, die allesamt europaweit verbreitet sind und sich unterschiedlichen religiös-politischen Kräften in der Türkei zuordnen lassen. Hinzu kommen die zahlenmäßig weitaus kleineren Organisationen anderer ethnischer Gruppen, die als Arbeitnehmer, Studenten oder Flüchtlinge in Deutschland leben. Außer den iranischen Kaufleuten, den arabischen Studenten und den türkischen Arbeitsmigranten gelangten seit Mitte der siebziger Jahre zahlreiche muslimische Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, von denen viele ebenfalls auf Dauer geblieben sind. [Hauptherkunftsländer sind der Libanon (seit 1975), der Iran (seit 1979), Afghanistan (seit 1979), Bosnien-Herzegowina (seit 1992) und der Kosovo (seit 1999).]
Die Vielfalt muslimischen Lebens in ethnischer, religiöser, sozialer und politischer Hinsicht spiegelt sich in der Vielfalt verschiedener Vereine und Verbände wider. Da die Zugehörigkeit zum Islam in den meisten Fällen nicht deckungsgleich mit der Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation ist, läßt sich der Organisationsgrad aller Muslime in Deutschland oder jener einzelner Verbände nur schwer feststellen. Sowohl Eigenangaben als auch Schätzungen sind daher genau nach den Kriterien zu befragen, die dem Begriff der Mitgliedschaft zugrunde liegen. [Es ist zu unterscheiden, ob mit „Mitgliedern" die eingetragenen Mitglieder eines Vereins oder die regelmäßigen Besucher einer Moschee ohne oder mit ihren Familienangehörigen oder lediglich die Personen im weiteren Umfeld einer religiösen Einrichtung gemeint sind (Lemmen 2000a, S. 28).]
Diese Fragen sind von Relevanz, soll darüber befunden werden, wer in Fragen muslimischer Religionsausübung auf Seiten der Muslime repräsentativer Ansprechpartner sein kann. So wenig wie ein Verband für sich in Anspruch nehmen kann, alle Muslime vertreten zu können, so wenig darf man ihn als Ansprechpartner außer Acht lassen, nur weil dies nicht der Fall ist. Vielmehr ist darauf abzuheben, die verschiedenen Verbände als Vertretungsorgane der in ihnen organisierten Personen zu betrachten. Dies erfordert allerdings wahrzunehmen, daß Muslime in Deutschland ein weitaus differenzierteres Bild von sich abgeben, als man dies landläufig zu beobachten glaubt.

Dazu gehört auch die Erkenntnis, daß derzeit keine exakten statistischen Daten über die Gesamtzahl der Muslime in Deutschland bekannt sind. Die Ursachen dafür liegen zum einen in der äußeren Wahrnehmung und zum anderen im Selbstverständnis der Muslime. So erfassen die Einwohnermeldeämter die Muslime bisher unter der Kategorie Verschiedene. Sofern sie Ausländer sind, werden sie unter ihrer Staats-, jedoch nicht unter ihrer Religionszugehörigkeit geführt. Demnach lassen sich keine genauen Zahlen der in Deutschland lebenden Muslime ermitteln. Zusätzlich ist die Frage der Zugehörigkeit zum Islam aus der Sicht der Muslime nicht in jedem Fall zweifelsfrei geklärt. So halten viele Muslime die aus Pakistan stammenden Ahmadis und die hauptsächlich in der Türkei verbreiteten Aleviten als nicht mehr zur islamischen Gemeinschaft zugehörend, obwohl diese sich selbst als Muslime betrachten. [Diese Auffassung vertritt beispielsweise die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. in einer Stellungnahme zu Aleviten und Ahmadis (Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V., o.J., S. 5).]
Diese unterschiedliche Einschätzung des Muslimseins führt unweigerlich dazu, daß sich die Angaben über die Zugehörigkeit zur islamischen Gemeinschaft je nach Standpunkt voneinander unterscheiden. Da die Trennungslinien von außen schwer zu erkennen sind und einem Nichtmuslim ein solches Urteil wohl auch nicht zukommen kann, läßt sich nur schwer feststellen, wer noch zum Islam gehört und wer nicht mehr.

Ein wichtiges statistisches Ergebnis lieferte die Volkszählung vom 25. Mai 1987, die bei der Religionszugehörigkeit der Bevölkerung bisher einmalig auch die Muslime berücksichtigte.

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Auf der Grundlage eigener Angaben erbrachte sie die Gesamtzahl von 1.650.952 Muslimen in den alten Bundesländern, was damals einem Bevölkerungsanteil von 2,70% entsprach. Der überwiegende Teil von ihnen (1.602.986 = 97,09%) besaß eine ausländische Staatsangehörigkeit, während nur eine kleine Minderheit (47.966 = 2,91%) deutsche Staatsbürger waren. [Zu den Ergebnissen der Volkszählung: Statistisches Bundesamt 1990, S. 20-43.]
Diese Zahlen sind die bislang einzigen sicheren statistischen Angaben, die jedoch mittlerweile weit überholt sind. Angesichts der bereits genannten Hindernisse, lassen sich neuere Angaben nur im Rückgriff auf die Zahlen der Hauptherkunftsländer der ausländischen Muslime gewinnen. Diese Methode kann jedoch nur annähernd genaue Ergebnisse erzielen, da sie weder die nichtmuslimischen Minderheiten der Länder mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit noch die muslimischen Minderheiten anderer Länder, noch die eingebürgerten deutschen Muslime berücksichtigt. [Gegenwärtig ist in Deutschland mit insgesamt 65.000 orientalischen Christen aus der Türkei und anderen Staaten zu rechnen (Rothe 1995). Über die Zahl der Juden, Hindus, Sikhs und Bahá’ís aus diesen Ländern sind dem Verfasser keine Angaben bekannt. Unter die zweite Kategorie fallen die Muslime aus Indien, der Russischen Föderation und verschiedenen afrikanischen Staaten, über die ebenfalls keine genauen Zahlen vorliegen. Lag die Zahl der deutschen Muslime 1987 bei insgesamt 47.966 Personen, so hat sie seither durch Einbürgerungen stark zugenommen. Allein 1998 erwarben 53.696 Türken, 4.971 Marokkaner, 3.469 Bosnier, 1.822 Tunesier, 1.692 Libanesen und 1.186 Pakistanis die deutsche Staatsbürgerschaft (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000, S. 34).]
Unter Berücksichtigung dieser Ungenauigkeiten lassen sich folgende Zahlen für die wichtigsten Herkunftsländer nennen (Stand: 31. Dezember 1999) [Vgl. ebd., S. 23.]:

Türkei

2.053.564

Bosnien-Herzegowina

167.690

Iran

116.446

Marokko

81.450

Afghanistan

71.955

Libanon

54.063


Darüber hinaus lassen sich für eine Reihe weiterer Länder folgende Zahlen ermitteln
(Stand: 31. Dezember 1995) [Die Zahlenangaben sind den jeweiligen Länderartikeln entnommen aus: Schmalz-Jacobsen / Hansen 1997.]:

Ägypten

13.455

Kirgisien

1.662

Albanien

10.528

Libyen

1.898

Algerien

17.705

Malaysia

3.084

Aserbaidschan

1.399

Pakistan

36.924

Bangladesch

7.156

Senegal

2.509

Gambia

2.371

Somalia

8.248

Guinea

1.287

Sudan

4.615

Indonesien

9.470

Syrien

19.055

Irak

16.745

Tunesien

26.396

Jemen

1.083

Usbekistan

1.249

Jordanien

12.249



Über die Gesamtzahl der deutschen Muslime herrscht weitgehend Unklarheit. Abgesehen von den 47.966 Personen bei der Volkszählung von 1987 wird die Zahl der Einbürgerungen von Ausländern aus Staaten mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit seither mit etwa

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344.000 Personen beziffert. [Mitteilung des Bundesministeriums des Inneren vom 28. Juni 2000.]
Dabei ist jedoch davon auszugehen, daß ein Teil von ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, wodurch es zu Doppelzählungen kommen kann. Keine überprüfbaren Zahlen liegen hingegen über die zum Islam konvertierten deutschen Staatsbürger vor. [Das Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland e.V. gibt die Zahl der deutschstämmigen Muslime Anfang des Jahres 2000 mit insgesamt 10.900 Personen an (Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland e.V. 2000, S. 115).]
Alles in allem betrachtet läßt sich die Gesamtzahl der Muslime auf derzeit 3 Millionen schätzen.

Aufgrund der unterschiedlich verlaufenen Migrationsprozesse in alten und neuen Bundesländern ist davon auszugehen, daß sich der überwiegende Teil von ihnen im Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik aufhält. Die Zahl der Muslime in den neuen Bundesländern bezifferte Peter Schütt Anfang des Jahres 2000 mit insgesamt 60.000. [Vgl. Schütt 2000.]

Wie die absoluten Angaben über die Muslime weitgehend auf Schätzungen beruhen, so müssen auch alle weitergehenden Differenzierungen mit diesem Dilemma auskommen. Weltweit betrachtet sind rund 90% aller Muslime Sunniten, etwa 9% Schiiten und der Rest Angehörige anderer Gruppen. [Auf eine Darstellung der verschiedenen Richtungen innerhalb des Islams muß verzichtet werden. Einige Verweise auf weiterführende Literatur mögen genügen: Halm 1988; Ahmed 1990; Kehl-Bodrogi 1993; Elsas 1994; Radtke 1996; Ende 1996; Schmucker 1996; Steinbach 1996, S. 373-386.]
Diese grobe Aufteilung paßt jedoch nicht auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Da vergleichsweise viele Türken der alevitischen Ausprägung des Islams zuzurechnen sind, liegt der Anteil der Sunniten in Deutschland bei nur etwa 80%. Der weitaus größte Teil von ihnen gehört der in der Türkei, Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und Pakistan verbreiteten hanafitischen Rechtsschule an. Daneben finden sich jedoch auch Minderheiten der drei anderen Rechtsschulen.

Unter den Schiiten dominiert auch in Deutschland die weltweit vorherrschende Richtung der Zwölferschiiten. Ihre Zahl liegt bei insgesamt 125.000 Personen, die hauptsächlich aus dem Iran stammen. [Vgl. Spuler-Stegemann 1998, S. 42.] Daneben sind der Libanon, die Türkei und Afghanistan ihre Heimatländer. Da Sunniten und Schiiten in Fragen ihrer Religionsausübung nur geringfügig voneinander abweichen, braucht im Folgenden nicht zwischen beiden Hauptrichtungen des Islams unterschieden zu werden.

Mit insgesamt 400.000 Anhängern stellen die aus der Türkei stammenden Aleviten eindeutig die zweitgrößte islamische Gruppierung in Deutschland dar. [Vgl. ebd., S. 51.] Bei ihnen handelt es sich um eine Sondergruppe, die sich in Fragen der Religionsausübung in erheblichem Umfang von Sunniten und Schiiten unterscheidet. Da sie sich weder an die fünf religiösen Grundpflichten der Muslime noch an die Verpflichtungen des islamischen Rechts gebunden fühlen, sondern statt dessen ihre eigenen religiösen Vorschriften und Rituale entwickelt haben, treffen viele der im Folgenden behandelten Fragen muslimischer Religionsausübung nicht auf sie zu. Es ist daher geraten, ihre besonderen religiösen Verpflichtungen und Praktiken eigens zu betrachten, was in diesem Zusammenhang jedoch nur andeutungsweise der Fall sein kann.

Als letzte religiöse Gruppierung sind noch die Ahmadis zu nennen, die die Zahl ihrer Anhänger in Deutschland mit 60.000 Personen angeben. [Vgl. Becker 1996.] Aufgrund der herausragenden Bedeutung ihres Stifters, Mirza Ghulam Ahmad (1835-1908), den die Mehrheit der Ahmadis als Prophe-

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ten (Qadianis), die Minderheit hingegen als Erneuerer des Islams (Lahoris) betrachtet, stellen sie sich aus der Sicht vieler Muslime in Widerspruch mit der im Koran verbürgten Vorstellung von der Finalität der Sendung Muhammads (Sure 33:40). In Fragen ihrer Religionsausübung unterscheiden sie sich jedoch nicht wesentlich von Sunniten und Schiiten. Auf die ihnen gegenüber vorgenommenen Ausgrenzungen haben sie ihrerseits mit entsprechenden Maßnahmen reagiert. [Durch Beschluß des pakistanischen Parlaments von 1974 gelten Ahmadis als nichtislamische Minderheit. Demzufolge dürfen sie sich dort nicht als Muslime bezeichnen, ihre Gebetsstätten nicht Moscheen nennen, den Gebetsruf nicht ausrufen und vieles mehr. Umgekehrt erlauben Ahmadis ihren Mitglieder nicht, an Gebeten teilzunehmen, denen Nichtahmadis vorstehen, und ihren Frauen gestatten sie nicht, einen Nichtahmadi zu heiraten (Ahmed 1975; Ders. 1980).]


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