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Thomas Lemmen
Islamische Religionsausübung in Deutschland

1. Einführung: Themenbeschreibung

1.1 Aufgabenstellung

Die Migration muslimischer Arbeitnehmer und ihrer Familien hat zu Veränderungen der religiösen Landschaft Deutschlands geführt. Der Islam ist zur drittgrößten Glaubensgemeinschaft und damit zu einem erfahrbaren Phänomen im gesellschaftlichen Leben geworden. Die Zeichen dieser veränderten Situation sind augenfällig: Über vielen Städten erheben sich Minarette, auf kommunalen Friedhöfen werden islamische Grabfelder eingerichtet, kopftuchtragende Frauen und Mädchen prägen das Bild mancher Stadtviertel - und mancher Hörsäle. Daß Musliminnen und Muslime in Deutschland leben, ist keine neue Erscheinung. Neu ist hingegen, daß ihre Anwesenheit gesellschaftspolitische Relevanz gewonnen hat und sie nicht mehr nur als Arbeiter, Exilanten oder Flüchtlinge wahrgenommen werden, sondern als Angehörige der zweitgrößten Weltreligion. Zwar reflektieren die Muslime nahezu alle Strömungen der islamischen Welt, vom Reform-Islam bis zum Islamismus, von mystischer Frömmigkeit bis zu religiöser Indifferenz, von Orthopraxie bis Häresie, eines verbindet sie jedoch: In einem nichtislamischen Umfeld versuchen sie ihren religiösen Pflichten nachzukommen. Damit setzen sie sich selbst, wie auch ihr Umfeld, einer hohen Belastungsprobe aus. Wo die Glaubenspraxis sich öffentlich artikuliert, wie beim Moscheebau oder dem öffentlichen Gebetsruf, schlägt der Protest einer verunsicherten Allgemeinheit hohe Wellen. Diffuse Ängste in der Bevölkerung - auf beiden Seiten - erschweren die sachliche Auseinandersetzung. Während die erste Glaubenswahrheit des Islams, daß es „keinen Gott außer Gott" gibt, der deutschen Mehrheitsgesellschaft aus dem jüdisch-christlichen Repertoire zumindest geläufig ist, muß sie ihre Haltung zu zahlreichen Punkten muslimischer Glaubenspraxis erst noch finden. Im Ringen darum wird sich entscheiden, ob es zu Integration oder Separation kommt.

Ziel dieser Expertise soll die Bereitstellung grundsätzlicher Informationen sowie einer Situationsanalyse, die Eingrenzung der Problemfelder und die Beschreibung gangbarer Lösungswege im Hinblick auf die wesentlichen Fragen islamischen Alltagslebens in Deutschland sein.

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1.2 Inhalt und Aufbau

Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in fünf Abschnitte. Der einleitenden Themenbeschreibung folgt ein Überblick darüber, wie sich die islamische Präsenz im Einzelnen darstellt.

Unter Berücksichtigung der dieser Studie nachfolgenden Darlegung der Hauptbereiche muslimischer Religionsausübung widmet sich das dritte Kapitel den konkreten Fragen muslimischen Lebens im deutschen Alltag. Auf der Grundlage der Religionsfreiheit versuchen Muslime in der „Diaspora", ihre Pflichten umzusetzen. Verschiedene religiöse Praktiken ziehen Konflikte nach sich, die in letzter Konsequenz vor Gericht ausgetragen werden, weil die Betroffenen vor Ort überfordert sind. So wird die Frage nach der öffentlichen Ausrufung der Gebetszeiten zu einer Frage der Abwägung der Religionsfreiheit gegen den Lärmschutz, die des betäubungslosen Schächtens setzt die Religionsfreiheit gegen das Tierschutzgesetz. Konfliktfelder, die in erster Linie Frauen betreffen, entziehen sich tendenziell der öffentlichen Diskussion. Daß beispielsweise Musliminnen mit Repressalien rechnen müssen, wenn sie

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Nichtmuslime ehelichen, ist ein rechtlich schwer greifbares Phänomen. Erschwerend steht über allem, daß eine oberste Lehr- und Entscheidungsinstanz dem Islam per se fremd ist, die hiesigen Muslime aber auch über die Anerkennung lokaler Religionsgelehrter uneins sind. Die Hinwendung zu diversen Autoritäten in der islamischen Welt kann langfristig jedoch keine angemessene Konfliktbewältigung leisten. Die verschiedenen Problemfelder verdienen eine ausführliche Würdigung, um die einzelnen Fragen angemessen erörtern zu können.

Das vierte Kapitel hat die Frage der „Seelsorge" an Muslimen in öffentlichen Einrichtungen als einen Sonderfall der Religionsausübung zum Gegenstand. Das letzte Kapitel soll schließlich Lösungsansätze im hiesigen Kontext darstellen. Im Vordergrund steht dabei die - nicht nur unter Muslimen - kontrovers diskutierte Frage, ob die Verleihung der Körperschaftsrechte wegweisend sein könnte. Aus der Sicht deutscher Behörden würde dies vieles vereinfachen, etwa die Erteilung islamischen Religionsunterrichtes. Die kirchenähnlichen Strukturen jedoch, die eine Körperschaft öffentlichen Rechts kennzeichnen, werden von nicht wenigen Muslimen abgelehnt.

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1.3 Quellen und Literatur

Die Literatur zu allgemeinen Fragen islamischer Religionsausübung ist sehr umfassend. Keine Einführung in den Islam kommt ohne eine Darstellung der religiösen Grundvollzüge islamischen Lebens aus. [Als eine von vielen grundlegenden Einführungen in den Islam sei lediglich das bis heute unübertroffen gebliebene Standardwerk von W. Montgomery Watt und Alford T. Welch genannt (Watt / Welch 1980).]
In der gängigen islam- und religionswissenschaftlichen Literatur hat eine Behandlung dieser Themen im Zusammenhang der Migration von Muslimen nach Westeuropa jedoch lange Zeit keine Aufmerksamkeit gefunden. Beide Fachwissenschaften haben sich vielmehr primär mit den historischen Kerngebieten islamischer Zivilisation sowie deren Ausbreitung nach Afrika und Asien befasst. Im Mittelpunkt ihres Interesses konnten zunächst nicht die demgegenüber vergleichsweise neuen und zahlenmäßig eher unbedeutenden Erscheinungsformen islamischen Lebens in Deutschland stehen.

Eine erste Auseinandersetzung damit im Zusammenhang der Migration ausländischer Arbeitnehmer ging von den beiden christlichen Kirchen aus. Die Motivation dazu ist zum einen aus der veränderten gesellschaftlichen Situation und zum anderen aus innerkirchlichen Prozessen hervorgegangen. Im katholischen Bereich markierte das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) einen Neubeginn im Verhältnis der Kirche zu den Muslimen. Die Konzilserklärung Nostra aetate beschränkt sich nicht nur auf die Feststellung theologischer Gemeinsamkeiten und Unterschiede, sondern ruft Christen und Muslime zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Verantwortung für die Gestaltung der Welt auf. [Vgl. Zirker 1989, S. 38-54; Zehner 1992, S. 21-64.]
Nicht weniger bedeutsam sind auf evangelischer Seite die Stellungnahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ausgehend von einem Projekt zum Dialog mit Menschen anderen Glaubens aus dem Jahre 1967 führten die auf verschiedenen Ebenen geführten Beratungen 1979 zu den Leitlinien zum Dialog mit Menschen verschiedener Religionen und Ideologien. Wie das genannte Konzilsdokument auf katholischer Seite, so bezeichnen diese Leitlinien auf evangelischer Seite einen Wandel im Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen. [Vgl. ebd. S. 65-106.]

Diese theologischen Grundsatzentscheidungen sind nicht ohne Auswirkungen auf die Haltung der Kirchen gegenüber den Angehörigen anderer Religionen in Deutschland geblieben. Als im

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Zuge der Arbeitsmigration in den sechziger und siebziger Jahren zunehmend Arbeitnehmer muslimischen Glaubens in die Bundesrepublik gelangten, begann in kirchlichen Kreisen das Bemühen um die Begegnung und Verständigung mit ihnen. Damit verbunden war auch die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Fragen islamischer Religionsausübung im deutschen Umfeld. Auf katholischer Seite entstand mit der 1978 in Köln gegründeten CIBEDO eine wichtige Informations- und Dokumentationsstelle zu Fragen des Islams in Deutschland. Die seit 1981 in Frankfurt am Main beheimatete Institution gab bis 1986 die CIBEDO Dokumentationen und CIBEDO Texte heraus, in denen erstmals grundsätzliche Informationen über die islamische Präsenz in Deutschland und über Einzelfragen der Religionsausübung zur Verfügung standen. Beide Reihen wurden von 1987 bis 1999 unter der Bezeichnung CIBEDO Beiträge zum Gespräch zwischen Christen und Muslimen fortgeführt. Mit diesen drei Reihen stellten die Herausgeber dem am Thema interessierten Personenkreis eine Fülle an Informa-tionen, Dokumentationen und wissenschaftlichen Reflexionen zur Verfügung. [Eine Übersicht der einzelnen Themen der Dokumentationen und Texte ist auf der inneren und äußeren Umschlagrückseite der letzten Ausgabe der Texte vom November 1986 zu finden. Die Abkürzung CIBEDO steht für Christlich-Islamische Begegnung - Dokumentationsstelle.]
Diesem Anliegen fühlt sich auch der in Altenberge bei Münster ansässige Verlag für Christlich-Islamisches Schrifttum (CIS-Verlag) verpflichtet. Der Verlag gab von 1981 bis 1989 die Zeitschrift Aktuelle Fragen heraus, die viele der damals erstmalig auftretenden Probleme islamischer Religionsausübung thematisierte. [Die damalige Diskussion um die Einführung islamischen Religionsunterrichts ist zum Beispiel in den Beiträgen von 1982 bis 1984 teilweise wiedergegeben.]
Erwähnenswert sind ferner die seit 1980 in Abständen herausgegebenen Handreichungen. Sie behandeln die Fragen, die sich in verschiedenen Bereichen wie Schule, Strafvollzug, Krankenhaus und Bestattungswesen im Hinblick auf Muslime ergeben können. [Vgl. Richter 1980; Khoury / Irskens / Wanzura 1981; Wanzura 1982; Ders. 1990; Lemmen 1999a.]
Auch auf evangelischer Seite war man bemüht, den veränderten gesellschaftlichen und religiösen Verhältnissen Rechnung zu tragen und durch die Herausgabe entsprechender Publikationen über die Muslime und ihr Leben zu informieren, um damit die Verständigung mit ihnen zu fördern. Das Kirchliche Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland gab 1974 eine Handreichung Moslems in der Bundesrepublik heraus, die neben grundlegenden Informationen über den Islam eine Reihe praktischer Anregungen für die Begegnung mit Muslimen in verschiedenen Lebensbereichen enthielt. Dieser ersten Schrift folgten bald weitere, die der Verlag Otto Lembeck in der Reihe Beiträge zur Ausländerarbeit (später: Interkulturelle Beiträge) veröffentlichte. Neben allgemeinen Fragen der Begegnung und des Miteinanders mit Muslimen hatten sie auch besondere Themen, wie etwa Ehen mit Muslimen, christliche und islamische Feste oder türkische Volksfrömmigkeit, zum Inhalt. [Vgl. Fingerlin / Mildenberger 1983; Micksch 1983; Mildenberger / Vöcking 1984; Haas 1986; Micksch / Mildenberger 1988; Ders. 1990.]
Unter dem Titel Information Islam gaben die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands und das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam eine Faltblattserie aus 24 Teilen heraus, die kurz und prägnant über die unterschiedlichsten Fragen islamischen Glaubens und Lebens informierte. Die Faltblattserie lieferte die Textgrundlage für das von diesen beiden Kirchen herausgegebene Taschenbuch mit dem Namen Was jeder vom Islam wissen muß, das mittlerweile in der fünften Auflage erschienen ist. [Vgl. Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands / Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1996.]
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich schließlich mit Fragen des Zusammenlebens mit Muslimen im Rahmen

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einer Handreichung befasst, die neben theologischen Grundsätzen die rechtlichen Rahmenbedingungen muslimischer Religionsausübung und verschiedene Einzelfragen behandelt. [Vgl. Kirchenamt der EKD 2000.]

Trotz dieser beachtenswerten Fülle von Schriften zum Islam und zum Leben der Muslime in Deutschland bleibt festzuhalten, daß damit gesamtgesellschaftlich gesehen nur ein bescheidener Beitrag zum Verständnis der religiösen Grundvollzüge der Muslime geleistet werden konnte. Die Kirchen haben sich aus interreligiösen Beweggründen zu einem Zeitpunkt mit Fragen islamischen Lebens in Deutschland zu beschäftigen begonnen, als die Thematik in der breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit nicht die Rolle spielte, die sie heute hat. Die von ihnen herausgegebenen Schriften blieben trotz ihrer bisweilen beachtlichen Inhalte aufgrund der geringen Auflagen zumeist einem kleinen Leserkreis vorbehalten und fanden – bis auf das Werk Was jeder vom Islam wissen muß – keine weite Verbreitung. Daher wundert es nicht, daß die Herausgeber die meisten Reihen mittlerweile wieder eingestellt haben. Bemerkenswert bleiben jedoch die vergleichsweise vielen Beiträge muslimischer Autoren in den genannten Publikationen, denen damit zum ersten Mal die Gelegenheit geboten wurde, sich zu den entsprechenden Fragen zu äußern. [Sowohl die Publikationen von CIBEDO als auch die des CIS-Verlages enthalten zahlreiche Beiträge muslimischer Autoren.]

Das Interesse an der Religionsausübung der Muslime nahm mit dem Augenblick zu, als man ihre Gemeinden und Institutionen im kommunalen Umfeld wahrzunehmen begann. Die schon seit Jahren bestehenden größeren und kleineren Moscheen fanden die Aufmerksamkeit der Stadtverwaltungen, als sie zunehmend mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit traten. Eine Reihe von Stadtverwaltungen gab daher Studien und Gutachten über die islamischen Gemeinden und Vereine in ihrem Zuständigkeitsbereich in Auftrag, die bisweilen sehr detailreich über die verschiedenen Facetten muslimischen Lebens Auskunft erteilen. Bisher liegen Untersuchungen aus folgenden Städten vor: Hamburg (1990), Köln (1992), Berlin (1993 / 1999), Essen (1995), Bremen (1995), München (1996), Frankfurt am Main (1996), Mannheim (1996) und Duisburg (ohne Jahr). [Vgl. Mihçiyazgan 1990; Lier 1992; Yonan 1993; Jonker / Kapphan 1999; Zentrum für Türkeistudien 1995b; Frese / Hannemann 1995; Anderson 1996; Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main 1996; Beauftragter für ausländische Einwohner 1996; Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Duisburg / Stadt Duisburg o.J.]
Der Wert dieser Arbeiten liegt in dem Versuch einer Darstellung der verschiedenen islamischen Organisationen und der von ihnen entfalteten religiösen Aktivitäten im jeweiligen kommunalen Zusammenhang. Sie finden in mancherlei Hinsicht eine Ergänzung durch die von Landesbehörden beim Zentrum für Türkeistudien in Auftrag gegebenen Untersuchungen für die Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen. [Vgl. Zentrum für Türkeistudien 1995a; Dass. 1997. Während das zuständige Ministerium die für Hessen bestimmte Studie bald nach Erscheinen zurückgezogen hat, erlebte die Studie für Nordrhein-Westfalen mittlerweile eine dritte überarbeitete Auflage.]
So kenntnisreich die Arbeiten über muslimische Gemeinschaften in bestimmten Städten oder Bundesländern auch im einzelnen sein mögen, so bleiben sie doch im wesentlichen der Beschreibung und Analyse der vorgefundenen Lebensverhältnisse verhaftet, wobei zudem Fragen der kollektiven Religionsausübung im Vordergrund stehen. Demgegenüber bleiben Aspekte individueller Religiosität und die hinter den einzelnen Erscheinungen der Glaubenspraxis stehenden theologischen Zusammenhänge weitgehend unberücksichtigt. Gerade dem widmen sich jedoch eine Reihe religions- und islamwissenschaftlicher Studien der letzten Jahre.

Bereits 1985 hatte der katholische Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury in seinem Werk Islamische Minderheiten in der Diaspora Lösungsvorschläge dargelegt, die das klassi-

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sche Rechtssystem für Muslime außerhalb der islamischen Welt entwickelt hatte. Dabei stellt der Autor zunächst die Voraussetzungen des islamischen Rechts dar und überträgt sie anschließend auf verschiedene Lebensbereiche. Gemeinsam mit Ludwig Hagemann greift Khoury die Thematik in dem 1997 erschienenen Buch Dürfen Muslime auf Dauer in einem nicht-islamischen Land leben? erneut auf. Neben historischen Stellungnahmen islamischer Gelehrter zu Grundsatz- und Einzelfragen enthält das Werk auch solche zeitgenössischer Gelehrter der islamischen Welt. Die Übertragung der Ergebnisse auf die hiesigen Verhältnisse bleibt der theoretischen Fragestellung der Studie verhaftet. Der Islamwissenschaftler Peter Heine legte hingegen mit seinem 1994 veröffentlichten Kulturknigge für Nichtmuslime einen konkreten Ratgeber für verschiedene Bereiche muslimischen Alltagslebens vor. Darüber hinaus geht er diesen Fragen in seinem Buch Halbmond über deutschen Dächern von 1997 mit Blick auf die besonderen Lebensverhältnisse in Deutschland nach. Eine ebenso umfangreiche Beschreibung und Bewertung islamischen Lebens in einer Fülle unterschiedlicher Aspekte unternimmt die Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann in ihrem Buch Muslime in Deutschland von 1998. Mit Recht gilt ihr Werk als die gegenwärtig umfassendste und bedeutendste Darstellung des Themas.

Neben diesen neueren islam- und religionswissenschaftlichen Arbeiten dürfen nicht die mittlerweile vorliegenden Werke muslimischer Autoren übergangen werden, kann man doch von ihnen einen authentischen Zugang zu Fragen der islamischen Religionsausübung erwarten. Abgesehen von einer Vielzahl von Beiträgen in verschiedenen islamischen Zeitungen und Zeitschriften, die anlässlich aktueller Auseinandersetzungen erschienen, seien zwei nennenswerte Schriften der letzten Jahre erwähnt. 1996 legte der spätere Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen e.V., Amir Zaidan, seine Einführung in die islamischen gottesdienstlichen Handlungen vor. 1998 gab der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. das von Hasan Arikan verfasste Buch Der kurzgefaßte Ilmihal heraus, wobei es sich um ein Lehrbuch für die verschiedenen religiösen Praktiken der Muslime handelt.

Die seit Anfang der neunziger Jahre in zeitlichen Abständen verstärkt auftretenden Diskussionen um einzelne Aspekte islamischer Religionsausübung zeigen jedoch die Notwendigkeit weitergehender Klärungsprozesse. Die bisweilen sehr emotional geführten Auseinandersetzungen haben auf der einen Seite eine Flut von Artikeln und Leserbriefen in der jeweiligen lokalen Presse zum Ergebnis gehabt. Andererseits sind eine Reihe von grundsätzlichen Beiträgen zu einzelnen Themen zu verzeichnen gewesen, die jedoch nicht mehr ohne eine Berücksichtigung der juristischen Dimensionen des Geschehens auskommen. [Auf die Beiträge wird im einzelnen im jeweiligen Zusammenhang eingegangen.]
Der Rückgriff auf die Religionsfreiheit im Zusammenhang mit Einzelfragen der islamischen Religionsausübung führt unweigerlich dazu, die Geltung und Reichweite dieses Anspruchs zu überprüfen. Wo es zum Konflikt mit anderen Grundrechten oder dem einfachen Recht kommt, ist im Sinne der praktischen Konkordanz nach einem Ausgleich der Interessen zu suchen. Gelingt diese Verständigung nicht, bleibt es den Verwaltungsgerichten überlassen, in Angelegenheiten islamischer Religionsausübung Recht zu sprechen. Allein im vergangenen Jahrzehnt ist dies in nahezu 30 Fällen in verschiedenen Instanzen der Fall gewesen. Die Gerichtsurteile sind – sofern sie zugänglich sind – eine unerlässliche Quelle für die juristische Bewertung der Zusammenhänge. [Die einzelnen Urteile kommen an den betreffenden Stellen im dritten Kapitel vor. Eine Zusammenstellung aller dem Verfasser bekannten Entscheidungen findet sich im Anhang.]
Auch wenn sie die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht ersetzen können, sind sie doch Ausdruck des Bemühens um eine Einordnung der Fragen islamischer Religionsausübung in die religionsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik. Dementsprechend finden

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sich auch in der juristischen Literatur zunehmend Beiträge zur in Frage stehenden Problematik. [Vgl. Loschelder 1986; Stempel 1988; Walter 1989; Schnapp / Dudda 1992; Brandhuber 1994; Muckel 1995; Ders. 1997; Otting 1997; Völpel 1997; Oebbecke 1998; Muckel 1999; Tillmanns 1999; Rohe 2000.]
Nicht außer Acht bleiben dürfen schließlich die mittlerweile zahlreichen Stellungnahmen einzelner Muslime oder deren Organisationen zu den jeweiligen Fragen ihrer Religionsausübung. Sie enthalten die für die inhaltliche Auseinandersetzung unersetzlichen Begründungs- und Argumentationszusammenhänge aus muslimischer Seite. [Die für die Diskussion maßgeblichen Dokumente finden sich an den entsprechenden Stellen im Textverlauf zitiert.]
Abschließend sei noch erwähnt, daß das Thema Islam in Deutschland - nach einer Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 15. Juni 1999 - Gegenstand einer großen Anfrage geworden ist, mit deren Beantwortung durch die Bundesregierung Ende des Jahres 2000 zu rechnen ist. [Vgl. CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag 1999.]


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