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3. Strukturbedingungen und Kontexte der politischen Kommunikation

3.1. Politisches System und Mediensystem als Parameter politischer Kommunikationsstrategien

Politische Kommunikation vollzieht sich in einem fest strukturierten Kommunikationssystem, das an der Grenze zwischen Politik und Medien die Produktion und Verarbeitung politischer Botschaften leistet (Blumler/Gurevitch 1995: 12). Die Outputseite des Systems der politischen Kommunikation besteht in den Leistungen der Öffentlichkeitsarbeit und der Verarbeitung ihrer Botschaften im Journalismus. In der Akteursperspektive geht es um den „generalisierten Tausch" von Informationen gegen Publizität (Neidhardt 1994: 15) und auf der Ebene der konkreten Organisation bezieht sich das Handeln auf die Themengenerierung, Interpretation und Bewertung von Themen sowie die Kontrolle des Zeitpunktes ihrer Veröffentlichung (Bentele 1998: 141). Politisch bedeutsam wird die Thematisierungsfunktion der politischen Öffentlichkeitsarbeit dann, wenn sie auf die Beeinflussung des politischen Prozesses und die Legitimierung von Politik abzielt (vgl. dazu ausführlich Saxer 1998: 50-53, 62; Schönbach 1992). Die Generierung positiver Images von Organisationen und Akteuren beeinflussen wiederum deren Akzeptanz und Glaubwürdigkeit beim politischen Publikum.

Die theoretisch skizzierte Leistung des politischen Kommunikationssystems dürfte in dem hier vorgestellten Abstraktionsgrad für alle modernen politischen Kommunikationssysteme gelten, während die konkreten Strukturbedingungen des Austausches in unterschiedlichen Ländern variieren. Dies läßt sich durch den Vergleich zwischen der Bundesrepublik und den USA verdeutlichen: Die Strukturen der politischen Kommunikation unterscheiden sich durch die institutionellen Arrangements eines präsidentiellen Regierungssystems mit einer schwachen Rolle der Parteien und einem stark fragmentierten Willensbildungsprozeß in den USA und einem repräsentativen Regierungssystem mit einer starken Rolle der Parteien und wenigen starken Interessengruppen in der Bundesrepublik.

In einem präsidentiellen Regierungssystem wie den USA müssen sich die Kommunikationsanstrengungen politischer Akteure wie der Regierung stark auf die sog. Strategie des „going public" (Kernell 1986) richten. In einer politischen Grundkonstellation, in welcher der Präsident keine Gesetzesinitiative besitzt und Kongreß und Exekutive weitgehend voneinander unabhängig sind, kann die Regierung ihre Vorhaben nur dadurch politisch durchsetzen, indem sie die öffentliche Meinung mobilisiert. Insofern ersetzt die Medienstrategie die Verhandlungen zwischen der Regierung und dem Parlament (Kernell 1986). Eine fast ausschließlich auf die Medien ausgerichtete Kommunikationsstrategie ist in den USA aus mehreren Gründen rational: Da die politischen Parteien auf technische Funktionen von Wahlkampfmaschinen reduziert sind, können sie weder für die Herstellung einer breiten Unterstützung der Regierung durch die Bürger zwischen den Wahlen noch für die punktuelle Mobilisierung zur Durchsetzung spezifischer politischer Programme im Parlament sorgen. Nur eine starke öffentliche Meinung für die Politikinitiativen der Regierung wird einzelne Kongreßabgeordnete beider Parteien dazu bringen, die Vorhaben der Regierung zu unterstützen. Der Willensbildungsprozeß ist durch das amerikanische System der Interessengruppen und Lobbys stark fragmentiert. Dies bedeutet, daß die US-Regierung öffentlichem und politischem Druck von vielen Seiten ausgesetzt ist und sich gegenüber einer Vielzahl von Kontrollgremien verantworten muß. In dieser Situation sind die Medien „einer von wenigen Hebeln, mit denen sich politische Unterstützung innerhalb und außerhalb der Regierung aufbauen und erhalten läßt" (Donsbach 1993a: 236).

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Im Vergleich dazu ist die strukturelle Konstellation eines repräsentativen Regierungssystems wie in der Bundesrepublik dadurch gekennzeichnet, daß die Unterstützung der Regierung sowohl von den Parlamentsfraktionen als auch von politischen Opportunitäten im Bundesrat abhängt. Dies bedeutetet, daß partei- und koalitionspolitische Motive und Großwetterlagen bei der Darstellung von Politik berücksichtigt werden müssen. Die zentrale Größe im Willensbildungsprozeß der Bundesrepublik sind die politischen Parteien, die neben den institutionellen Positionen „viele gesellschaftliche Bereiche infiltriert (haben, bp), die von ihrer Natur eher ‚parteienfern‘ sein sollten" (Donsbach 1993a: 274). Für die Regierung sowie für einzelne Politiker in Deutschland ist es zentral, zunächst die Unterstützung ihrer Parteien zu suchen und danach erst die des Publikums. Dies gilt sowohl für die generelle Unterstützung zwischen den Wahlen als auch für die Mobilisierung von Zustimmung für einzelne politische Programme und deren Durchsetzung im Parlament. In der Bundesrepublik bemißt sich die Durchsetzung von Politik danach, ob es der Regierung gelingt, die politische Auseinandersetzung in ihrem Sinne zu orchestrieren. Die auf die Medien gerichteten Kommunikationsstrategien dienen indessen der symbolischen Legitimierung nach außen, während Medienaufmerksamkeit in internen Verhandlungsprozessen als eher dysfunktional angesehen wird (Beyme 1994:334). Die Medien selbst werden als Arenen der Demonstration symbolischer Auseinandersetzung zwischen Regierung und Kommunikation betrachtet (Schmidt 1996). Dies bedeutet, daß auch die Kommunikation der deutschen Regierung sich auf die Medien einstellen und gegebenenfalls auf den Druck aus den Medien reagieren muß.

Hinsichtlich der Medienordnung unterscheiden sich die beiden Länder durch ein vollständig kommerzialisiertes Mediensystem in den USA im Vergleich zu einem gemischten Mediensystem in der Bundesrepublik, das sowohl eine privatwirtschaftliche Säule als auch eine öffentlich-rechtliche Säule im Fernsehsektor aufweist; die Printmedien in Deutschland haben zudem erkennbare politisch ideologische Profile (Voltmer 1997). Der Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Kommerzialisierung der Medien und den Stilen der Informationspolitik ist darin zu sehen, daß bei zunehmendem wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den Medienorganisationen die Kosten der Informationsbeschaffung so niedrig wie möglich sein sollen. Dies macht die Medien empfänglich für die bereits nach Nachrichtenwerten und Medienlogiken zugeschnittenen Botschaften der politischen PR (Entman 1989: 20).

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Abbildung1: Strukturbedingungen der politischen Kommunikation im Vergleich

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3.2. Annahmen über die Unterschiede der politischen Kommunikation in der Bundesrepublik und USA

Wenn man die Leistungen des politischen Kommunikationssystems als Produktion politischer Botschaften in der politischen Öffentlichkeitsarbeit versteht, so kann man nach einer Dichotomie von Mazzoleni (1987: 85) zwischen einem „(partei)politischen Typ" der politischen Kommunikationskultur und einem „medienorientierten Typ" der politischen Kommunikationskultur unterscheiden (Pfetsch 1998). Bei der politischen Variante steht die Steuerung des politischen Prozesses im Mittelpunkt der Kommunikation und bildet den zentralen Anker der Orientierungen der Akteure. Die Medien sind Mittel zur Erreichung politischer Ziele. Die Kommunikationsanstrengungen zielen darauf ab, die politischen Akteure im politischen Wettbewerb zwischen den Parteien und gegenüber dem Publikum positiv zu plazieren sowie politische Programme durchzusetzen. Im Gegensatz dazu geht es bei der medienorientierten politischen Kommunikationskultur ausschließlich um eine positive Mediendarstellung und jene unspezifische Unterstützung, für die das Medienpublikum als Surrogat steht. Die Orientierungen der Akteure fokusieren auf die Medienlogik, die politische Substanz der Botschaft ist dagegen zweitrangig. Dieses Denken impliziert Techniken des politischen Marketings, sucht strategische Zielgruppen, begreift Wähler als Verbraucher und bietet ein symbolisches Produkt, das konstruiert und vermarktet wird (Plasser et al. 1996: 86).

Medienorientierte Stile der politischen Öffentlichkeitsarbeit sind demnach eher in Ländern mit einem ausschließlich kommerziellen Mediensystem anzutreffen. Politische Stile des News Managements sind in Ländern zu erwarten, deren Medienordnung pol-

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itisch profilierte Medien kennt und auch öffentlich-rechtliche Medien vorschreibt, die – wie im Fall der Bundesrepublik – einen sogenannten „öffentlichen Auftrag" erfüllen und dementsprechend politischer bzw. pluralistischer Kontrolle unterliegen.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen konkreten Strukturbedingungen von Politik und Medien kann man vermuten, daß sich die politischen Kommunikationskulturen in der Bundesrepublik und den USA unterscheiden. Insofern liegt dem Gutachten die Annahme zugrunde, daß die politische Kommunikationskultur, d.h. die Einstellungen, Normen und Handlungsorientierungen, in den USA eine starke Medienorientierung aufweist, die die Zusammenarbeit zwischen politischen Öffentlichkeitsarbeitern und Journalisten bestimmt. Zu erwarten ist, daß politische Sprecher und Journalisten ihr Handeln stark an den durch die Medien diktierten Regeln der Aufmerksamkeitsgenerierung und den Selektionskriterien journalistischer Nachrichtenproduktion ausrichten und daß damit eine insgesamt starke Medienfixierung der politischen Öffentlichkeitsarbeit einhergeht.

Dagegen kann man für die Bundesrepublik die Vermutung aufstellen, daß sich die politische Kommunikationskultur, d.h. die Einstellungen, Normen und Handlungsorientierungen an politischen Orientierungsgrößen bemißt. In Deutschland ist daher zu erwarten, daß (partei)politische Stile die Kommunikationsrollen und die Zielsetzungen der politischen Öffentlichkeitsarbeit prägen. D.h. daß die Einstellungen, Normen und Handlungsorientierungen von politischen Sprechern und Journalisten die Regeln des politischen Wettbewerbs und der Konkurrenz politischer Akteure um Medienaufmerksamkeit und symbolische Legitimation widerspiegeln. Beim gegenseitigen Umgang von politischen Sprechern und Journalisten entsteht zunächst das Problem, daß politischen Akteuren und ihren Sprechern im Umgang mit Journalisten nicht ohne weiteres parteipolitische Nähe unterstellt werden kann. Daher müssen funktional aquivalente Normen gesucht werden, die die Chance erhöhen, daß politische Sprecher ihre Botschaften möglichst optimal in den Medien plazieren. In diesem Sinne können solche allgemeinen sozialen Normen wie z.B. Zuverlässigkeit oder Vertrauen fungieren, die die Nähe zwischen den Gruppen stabilisieren, ohne den Anschein parteipolitischer Verstrickung zu erwecken.

Vor diesem Hintergrund werden im folgenden einige zentrale Ergebnisse zu den Einstellungen, Rollen, Normen und Handlungsorientierungen politischer Sprecher und Journalisten in den USA und der Bundesrepublik referiert, die aus einer Studie über die politischen Kommunikationskulturen in beiden Ländern stammen. Diese Ergebnisse basieren auf 112 Leitfadengesprächen mit politischen Sprechern der Regierung sowie den Partein und politischen Korrespondenten der wichtigsten nationalen Medien in Washington und Bonn in den Jahren 1992-1994. Die Gesprächspartner wurden aufgrund ihrer Position in den wichtigsten Sprecherrollen der jeweiligen Regierung bzw. Parteiorganisation bzw. in den jeweiligen Medien ausgewählt. Aufgrund der qualitativen Erhebungsmethode und der niedrigen Fallzahl sind die Ergebnisse im statistischen Sinne nicht repräsentativ. Gleichwohl kann man annehmen, daß es durch die systematische Analyse der Aussagen gelungen ist, grundlegende Argumentationsmuster und Handlungsorientierungen zu identifizieren, die man als „kognitive Heuristik" einer bestimmten Gruppe von professionallen Rolleninhabern und Akteuren der politischen Kommunikation interpretieren kann.

Die vergleichende Analyse der politischen Kommunikationskultur in den USA und der Bundesrepublik bezieht sich auf drei Fragestellungen und Bereiche:

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- Erstens: Welche Regeln und Erwartungshaltungen steuern den Umgang zwischen politischen Sprechern und Journalisten in beiden Ländern und welche Regelverstöße und Konflikte treten im Verhältnis dieser beiden Gruppen auf? (Punkt 4.1.)

- Zweitens: Wie schätzen politische Sprecher und Journalisten die Rolle verschiedener Medien in der politischen Kommunikation ein, welche Handlungskalküle verbinden sie mit bestimmten Medienstrukturen und Regeln der Nachrichtenproduktion, wenn es darum geht, politische Botschaften zu lancieren? (Punkt 4.2.)

- Drittens: Welche Ziele und Handlungsrepertoires haben politische Sprecher und Journalisten in bezug auf die politische Öffentlichkeitsarbeit? (Punkt 4.3.)


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