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2. Modernisierung der politischen Kommunikation? Anmerkungen zum grundlegenden Wandel der politischen Kommunikation in westlichen Demokratien

Die Kritik an der Amerikanisierungsthese hat dazu geführt, daß die Entwicklungen in der politischen Kommunikation in neueren Arbeiten in einer breiteren Perspektive diskutiert werden. Vor dem Hintergrund allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen in modernen Massendemokratien wird auch die Entwicklung der politischen Kommunikation als Modernisierungsphänomen diskutiert (Mancini/Swanson 1996). Zu den grundlegenden Aspekten der allgemeinen Modernisierung gehört die steigende soziale Komplexität, die eine zunehmende funktionale Differenzierung der Leistungsanforderungen und –programme und eine entsprechende Ausdifferenzierung spezifischer Berufsrollen bewirkt Im politischen System ist dies durch die Ausdifferenzierung der Kommunikation als zentraler Leistungsbereich der Darstellung von Politik und durch entsprechende Stellen, Rollen und Professionalisierungstendenzen der politischen Öffentlichkeitsarbeit zu beobachten (vgl. Münch 1993, Rolke 1999). Im Mediensystem kann man funktionale Differenzierungen durch die Anpassung der Medien an Markt- und Globalisierungsprozesse, die Spezialisierung von Medien, die Entwicklung neuer Medien - wie z.B. das Internet – sowie neue spezialisierte Medienberufe zu erkennen.

Der Modernisierungsprozeß im politischen Bereich hängt nach Mancini/Swanson (1996) auch damit zusammen, daß die politische Loyalitäten in allen westlichen Ländern zu erodieren beginnen. Allgemeine politische Loyalitäten und ideologische Bindungen werden zugunsten themenbezogener kurzfristiger Unterstützungsmotive und Betroffenheitssurrogate zurückgedrängt. Diese Konstellation befördert, so Mancini/Swanson (1996), daß in Prozessen der Politikformulierung zunehmend symbolische Realitäten an Bedeutung gewinnen. Dies hat für den politischen Prozeß ebenso wie für die Medien schwerwiegende Folgen, denn der Bedeutungsgewinn von symbolischen Politiksurrogaten verändert die Formen und Inhalte der politischen Kommunikation. Darüber hinaus geht mit der Erosion der ideologisch orientierten alten Volksparteien eine Tendenz einher, die politische Sozialisationsleistungen zunehmend den Medien zu überlassen. Für die Integration der Bürger in das politische System spielten die Medien immer schon eine große Rolle. Ihre Bedeutung nimmt allerdings in dem Maße zu, indem die Parteien Leistungs- und Funktionsdefizite aufweisen.

Ausgerechnet in dieser Situation haben sich die Medien ebenfalls verändert. In Deutschland wurde in den letzten 20 Jahren eine radikale Änderung der elektronischen Medien durchgesetzt. Die gemeinwohlorientierten öffentlich-rechlichen Fernsehanstalten ARD und ZDF haben Konkurrenz durch profitorientierte private Anbieter bekommen. Diese Anbieter sind vor allem einer hohen Massenattraktivität verpflichtet, um die Finanzierung ihrer Angebote und ihre Gewinne zu sichern. Im Zuge der Kommerzialisierung haben die Medien ihre Autonomie insgesamt ausgebaut, indem sie sich von den traditionellen politischen Institutionen und deren sozialen Basis entfernen (Jarren 1996:80). Der zunehmende Spielraum politischer und weltanschaulicher Autonomie bewirkt indessen, daß die Medien Eigensinn und spezifische Handlungslogiken entwickeln und die öffentliche Kommunikation durch ihre eigenen Produktionsbedingungen, Leistungsprogramme und Zieldefinitionen nachhaltig prägen (Jarren 1996).

Die politischen Akteure reagieren auf die dargestellten Entwicklung durch ein Verstärkung ihrer Kommunikationsanstrengungen. Das politische Handeln muß in viel stärkerem Maße als früher „verkauft" werden. Die politische Public Relations (PR) wird zur zentralen Leistungsanforderung des politischen Handelns. Durch die steigende Bedeutung werden die politische Kommunikation und PR professionalisiert. Die traditionelle

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Medienarbeit wird durch strategische Kommunikation abgelöst. Langfristige Planung, professionelle Medienarbeit, Personalisierung und der Einsatz potentieller Pseudoereignisse prägen die neue politische Kommunikation.

Diese grundlegenden Wandlungsbedingungen der politischen Kommunikation weisen in der Richtung auf Phänomene, die auch in der Diskussion über die Amerikanisierung angesprochen werden. Allerdings ist zu beachten, daß die politische Kommunikation in ihrer konkreten Ausformung sich nicht nur an den „großen Makrotrends" orientiert. Die Feinheiten der Unterschiede in den politischen Systemen, deren Entwicklungsstand und deren Interdependenzen prägen die konkrete Ausformung politischer Kommunikation, bzw. des Handelns der Akteure. So weisen diejenigen Autoren, die den Modernisierungsprozeß der politischen Kommunikation analysieren, bewußt darauf hin, daß der Modernisierungsprozeß alte Strukturen nur langsam auflöst und daß es im Zuge der Modernisierung zu Parallelstrukturen alter und neuer Erscheinungen der politischen Kommunikation kommt (Mancini/Swanson 1996). Dies gilt für konkrete strukturelle Ausformungen, etwa im Mediensystem, ebenso wie für langfristige Orientierungen, etwa bei den politischen Sprechern und Journalisten. Diese Parallelstrukturen lassen rasche Systemwechsel nicht zu.

Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Wandel und das Tempo des Wandels der politischen Kommunikation in hohem Maße kontextabhängig ist, d.h. es gibt nationale strukturelle Bedingungen auf der Seite des politischen Systems, wie z.B. die Verfaßtheit des politischen Systems, die Rolle der Parteien und das System der politischen Interessenvermittlung, sowie auf der Seite des Mediensystems, wie z.B. die Gemeinwohlverpflichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die den Entwicklungsprozeß moderieren oder verlangsamen. Diese Faktoren tragen zum Beharrungsvermögen traditioneller Strukturen und Kulturen der politischen Kommunikation bei.

Die Schlußfolgerung, die man aus der Diskussion um die Modernisierung und Amerikanisierung der politischen Kommunikation ziehen muß, ist daß die politische Kommunikation in westlichen Demokratien sich in einem langfristigen Wandlungsprozeß befindet. Traditionellen Strukturen und Kulturen der politischen Verlautbarungspolitik werden ergänzt und überlagert durch Prozesse strategischer Kommunikation, bei denen die Medienregeln die Schaffung von symbolischen Realitäten diktieren. Gleichwohl gilt, daß das Ausmaß und das Tempo dieser Wandlungsprozesse in erheblicher Weise durch die historisch gewachsenen Strukturbedingungen beeinträchtigt werden, so daß erhebliche nationale Unterschiede in der Entwicklung zu erwarten sind. Inwieweit wir ein Aufbrechen traditioneller Strukturen und Kulturen der politischen Kommunikation erwarten können, soll auf der Grundlage einer vergleichenden Untersuchung der Struktur und Kultur der politischen Kommunikation in der Bundesrepublik und den USA diskutiert werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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