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1. Einleitung

1.1. Problemstellung

In der öffentlichen Diskussion über politische Kommunikation wird der Stil der Interaktion von Medien und Politik in den USA häufig als allgemeines Modell der „Amerikanisierung" auch auf andere Länder übertragen. Das Schlagwort von der Amerikanisierung der politischen Kommunikation - im Sinne des Exports von US-amerikanischen Wahlkampftechniken – erlangt durch die Globalisierung der Politikberatungsindustrie Plausibilität. Auch in der Bundesrepublik streiten sich Wahlkampfpraktiker und Forscher regelmäßig darüber, ob und inwieweit die bundesdeutschen Wahlkämpfe „amerikanisiert" sind (Bertelsmann Stiftung 1996). Welche Schnellschüsse und Ableitungen dabei zu beobachten sind, hat die publizistische Beurteilung des Wahlkampfes der FDP in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2000 gezeigt.

Für Amerikanisierungstendenzen der politischen Kommunikation haben Forscher den Begriff „American-style video politics" (Blumler/Gurevitsch 1995: 77) geprägt. Diese Begrifflichkeit bezieht sich im wesentlichen auf Anpassungsprozesse der politischen Kommunikation an die Vorgaben der Massenmedien. Als Folgen werden Erscheinungen wie die Personalisierung politischer Prozesse, die Fixierung der Produktion politischer Botschaften auf die Regeln der Medienkommunikation, der Einsatz professioneller Methoden des Polit-Marketings sowie die Veränderung der normativen Grundlagen des Verhältnisses von politischen Sprechern und Journalisten diskutiert.

In der wissenschaftlichen Debatte über die politische Kommunikation in den USA herrscht inzwischen Übereinstimmung darüber, daß man seit den 70er Jahren einen grundlegenden Wandel der politischen Kommunikation beobachten kann. Hintergrund und Anstoß dieser Veränderungen sind einerseits das Wachstum der Regierungstätigkeit und andererseits das Wachstum der Medien, die in ihrem Zusammenwirken das Wesen des demokratischen politischen Prozesses in den USA erheblich verändert haben (Orren 1986). Für die USA wird behauptet, daß die Massenmedien ins Zentrum des politischen Systems der USA gerückt sind. Diese zentrale Stellung wird ihnen vor allem deshalb zugeschrieben, weil sie viele Funktionen wahrnehmen, die lange den politischen Parteien vorbehalten waren und weil sich die Institutionen und Praktiken der Politik und des Regierens an die zentrale Rolle der Massenmedien anpassen (Ranney 1983; Orren 1986, Swanson 1992, McLeod et al. 1994, siehe auch Blumler/Gurevitch 1995:3). Dadurch sei es zu einem Wandel der politischen Institutionen, des Stils und des strategischen Verhaltens in der politischen Kommunikation gekommen, und zwar in dem Sinne, daß sowohl die Medien als auch die politischen Akteure permanente strategische Anpassungsleistungen zu erbringen haben (Entman 1989).

Indikatoren und Folgen dieser Kommunikationsspirale sind in materieller Hinsicht das Wachstum der politischen Öffentlichkeitsarbeit sowie die Spezialisierung und Professionalisierung der Kommunikationsleistung politischer Akteure. Im Hinblick auf den politischen Prozeß indessen verwischen sich unter zunehmendem Kommunikationsdruck die Grenzen zwischen den ehemals zeitlich begrenzten Phasen starker politischer Konkurrenz und Mobilisierung während des Wahlkampfes und der geschäftsmäßigen Politikproduktion zwischen den Wahlen (Dionne 1997). Inzwischen gilt, daß auch die Politik zwischen den Wahlen in den USA als permanente Kampagne begriffen wird.

Es mag nicht verwundern, daß sich das Modell einer Mediendemokratie vor allem im US-amerikanischen Kontext rasch und relativ unreflektiert als zentrales Konzept politi-

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scher Kommunikation und Paradigma der Forschung entwickelt hat. Dies hat zunächst damit zu tun, daß die amerikanische empirische Massenkommunikationsforschung über viele Jahre hinweg eine führende Rolle gespielt hat und die in den USA entwickelten Theorien und Modelle unhinterfragt auch in Europa übernommen wurden (Blumler/Gurevitsch 1995:80). Seit den 90er Jahren haben europäische Forscher begonnen, die Frage zu stellen, ob das US-amerikanische Modell der Video-Politics angemessen ist, um eine allgemeine Entwicklung der moderne politischen Kommunikation in den gegenwärtigen westlichen Demokratien zu beschreiben (Swanson 1992; Gurevitch/Blumler 1990; Mancini/Swanson 1996; Negrine/Papathanassopoulos 1996).

Zweifel über die Generalisierbarkeit der amerikanischen Variante der „Mediendemokratie" sind angebracht. Regierungssysteme, die Rolle der Parteien im politischen Prozeß sowie das Mediensystem und die Kultur des Journalismus variieren in unterschiedlichen Ländern beträchtlich. Die generelle Unterstellung des US-Modells der Mediendemokratie würde aber bedeuten, daß nicht nur die Ergebnisse sondern auch die Voraussetzungen der amerikanischen politischen Kultur und des Journalismus gleichgesetzt werden.

Die einfache Übertragbarkeit des Videopolitics-Modells auf andere Länder ist auch deshalb fraglich, weil auch die Prämisse, daß die Medien bestimmte vitale Funktionen der Parteien übernommen haben, sicherlich nicht für die westeuropäischen Parteiendemokratien gilt. Die Diskussion um die Amerikanisierung der politischen Kommunikation zeigt, daß man den Stil, die Interaktion von Medien und Politik sowie deren Folgen, wie sie für die USA behauptet werden, nicht unbedingt als ein allgemeines Rollenmodell politischer Kommunikation unterstellen kann. Vielmehr bedarf es vergleichender Untersuchungen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der politischen Kommunikation herauszufinden. Erst auf dieser Grundlage kann man über mögliche allgemeine Amerikanisierungstendenzen spekulieren.

Vor diesem Hintergrund werden im folgenden einige zentrale Aspekte der politischen Kommunikation in der Bundesrepublik und den USA in einer vergleichenden Perspektive dargestellt. Grundlage der Argumentation ist das Konzept von Blumler und Gurevitch (1995), das die strukturellen Bedingungen der politischen Kommunikation mit den Einstellungen und Interaktionsmustern der Akteure in Verbindung bringt. Die Idee ist also, die Kommunikationsrollen, Normen und Einstellungen, die das Kommunikationsverhalten auf der Akteure beeinflussen - und die im folgenden als „politische Kommunikationskultur" bezeichnet werden - mit den strukturellen Bedingungen des politischen Kommunikationssystems in Beziehung zu setzen.

Das Gutachten hat das Ziel, Strukturen und Handlungsorientierungen der politischen Kommunikationskultur in beiden Ländern zu vergleichen, um zu einer Einschätzung der folgenden Fragen zu kommen:

Ist die Entwicklung der politischen Kommunikation in den USA ein allgemeines Modell der Entwicklung bzw. Modernisierung der politischen Kommunikation für westliche Demokratien?

Welche Anhaltspunkte lassen sich in Deutschland dafür finden, daß es zu einem Wandel der politischen Kommunikation nach dem US-amerikanischen Modell kommt?

Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind bei den strukturellen Bedingungen und den Einstellungen der Akteure der politischen Kommunikation in Deutschland und den USA festzustellen?

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1.2. Vorgehensweise des Gutachtens und Abgrenzung

Im Mittelpunkt des Gutachtens steht der Handlungsbereich der politischen Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen, d.h. es geht nicht um Wahlkämpfe und nicht um Symptome und Erscheinungsbilder der modernen Wahlkampfführung. Gegenstand der Erörterung ist die auf die Massenmedien bezogene Kommunikation in der politischen Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen sowie die Interaktionen, die zwischen politischen Sprechern des Regierungssystems und Journalisten stattfinden. Die politischen Kommunikationsleistungen der Regierungen in der Bundesrepublik und den USA zwischen den Wahlen werden analysiert und die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Diskussion um allgemeine Wandlungsprozesse im Sinne der Modernisierung politischer Kommunikationskulturen diskutiert.

Das Gutachten unterscheidet zwischen den strukturellen Bedingungen der politischen Kommunikation im Bereich des politischen Systems und des Mediensystems einerseits und den Einstellungen der Akteure der politischen Kommunikation andererseits. Diese Einstellungen werden als Elemente der „politische Kommunikationskultur" verstanden. Prämisse ist die Annahme, daß die professionellen Rollen und Handlungsorientierungen von politischen Sprechern und Journalisten durch die strukturellen Bedingungen des Regierungssystems und des Mediensystems im jeweiligen Land beeinflußt werden.

Nach einer kurzen Darstellung der Modernisierungsdiskussion in der politischen Kommunikationsforschung in Kapitel 2, umfaßt der Vergleich der politischen Kommunikation in beiden Ländern zwei Teile: In Kapitel 3 werden die Strukturbedingungen der politischen Kommunikation auf der Seite des Regierungssystems und des Mediensystems in Deutschland und den USA beschrieben, die als zentrale Handlungskontexte der Kommunikationsstrategien und der politischen Öffentlichkeitsarbeit der jeweiligen Regierungen verstanden werden. Im Kapitel 4 werden einige zentrale Aspekte der politischen Kommunikationskultur in beiden Ländern erörtert: Welche Regeln und Erwartungshaltungen steuern das Verhältnis von politischen Sprechern und Journalisten, wie schätzen diese Akteure die Medien bei ihrem strategischen Handeln ein und welche Ziele und Handlungsrepertoires charakterisieren die politische Öffentlichkeitsarbeit in beiden Ländern?

Zentral ist die Hypothese, dass aufgrund der unterschiedlichen strukturellen Kontextbedingungen der politischen Kommunikation, mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen den politischen Kommunikationskulturen in Deutschland und den USA auftreten. Betrachtet man die jeweiligen nationalen Kommunikationskulturen im Kontext ihrer strukturellen Bedingungen, so kann man vermuten, daß in den USA und in Deutschland unterschiedliche politische Kommunikationskulturen bestehen. Inwieweit sich diese Annahmen bestätigen und wo es zu Erosionen der traditionellen politischen Kommunikationskulturen kommt, wird abschließend vor dem Hintergrund der Modernisierungsdiskussion in der politischen Kommunikationsforschung diskutiert.

Das Gutachten stützt sich in der Beschreibung der Strukturbedingungen der politischen Kommunikation auf die politik- und medienwissenschaftliche Forschungsliteratur. Der Beschreibung von Einstellungsmustern liegen die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Autorin zugrunde, die sich auf eine explorative Studie auf der Basis von 112 Leitfadengespräche mit politischen Sprechern und Journalisten in Washington und Bonn in den Jahren 1992-1994 stützt. Angaben zu Datenerhebung und Methode sind an anderer Stelle dokumentiert (Pfetsch 2000a).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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