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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 85 ]


Günter Danner
Sparmodell oder Vorsorgekonzept?
Anmerkungen zum britischen Rentenmodell aus sozialökonomischer Sicht


In der sozialpolitischen Diskussion über Fragen von zukunftsweisender Bedeutung ist es gelegentlich schwierig, ideologiefrei und sachlich unterschiedliche Systeme zu betrachten, ohne sofort zu Bewertungen zu schreiten. Das soziale Europa, d.h. die auf subsidiärer Gestaltung beruhende Vielfalt der Sicherungssysteme verlangt allerdings sowohl nach dezidierten Standpunkten hinsichtlich der Stärken und Schwächen des eigenen Modells als auch nach Kenntnissen über Versuche anderer. Gerade zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich zeigen sich heute unterschiedliche sozial- und wirtschaftspolitische Denkweisen, die zu einer Be- und gelegentlich auch Verurteilung geradezu einladen. Streng genommen handelt es sich jedoch um weitgehend unterschiedliche Strategien für ebenso verschiedenartige gesellschaftspolitische Handlungsfelder.

Detailwissen tut somit Not, um Entwicklungsprozesse auch aus ihren Entstehungsbedingungen heraus begreifen zu können. Vor diesem Hintergrund gebührt Mr. Guy Fiegehen Dank und Anerkennung für seine Präsentation, die in nuancierter Weise Gelegenheit bot, sich mit den strukturellen Veränderungen des britischen Rentenmodells in den zurückliegenden Jahren auseinanderzusetzten und dabei Widersprüchen nicht aus dem Weg gegangen ist. Zunächst ein Wort zur allgemeinen Einschätzung des zentralen sozialpolitischen Phänomens der Alterssicherung aus deutschem Blickwinkel.

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Gedanken zur deutschen Alterssicherung

Mit der Existenzsicherung der Rentenbezieher durch ein umlagefinanziertes Versicherungssystem wurde ein makroökonomischer Weg beschritten, der vorwiegend sozialpolitische und gerechtigkeitsorientierte Ziele verfolgt und mithin über alle Formen von Ansparmodellen weit hinausgeht. Gerade durch das Phänomen, dass eigene Beitragszahlung zwar für die Berechnung der späteren Rente wesentlich ursächlich sind, jedoch kein Deckungskapital aufbaut,

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wurde ein Weg gewählt, der allen Fährnissen zum Trotz immerhin zwei Kriege, etliche Wirtschaftskrisen und zwei Währungsreformen überdauert hat. Hinsichtlich des Inflationsausgleichs kann sich das Vorhandene dann durchaus mit manchen vollmundigen Ankündigungen kapitaldeckungsstockfinanzierter Sparprogramme messen. Dennoch werden Stimmen laut, die angesichts künftiger Veränderungen nach Ergänzungen oder gar nach Strukturreform rufen. Hier ist deutlich zwischen jenen zu unterscheiden, die ein von wesentlichen sozialen Ausgleichselementen bestimmtes Modell generell hinterfragen möchten und solchen, die Zweifel haben, ob die Zukunft mit dem gegenwärtigen Instrumentarium allein problemlos bewältigt werden kann. Auch bei uns, dies sollte nicht übersehen werden, gibt es kompromisslose Befürworter einer Individualisierung des Vorsorgerisikos. Dieser Personenkreis hat in der Vergangenheit und vielfach wohl noch heute in den britischen Prinzipien einer minimalen Regelversorgung im Umlageverfahren und ergänzenden Sparprogrammen mit oder ohne betriebliche Anknüpfung stets ein Vorbild gesehen. Dabei geht es nicht um schöpferische Diskussionen notwendiger Reformen. Wohl zu keinem Zeitpunkt in unserer jüngeren Wirtschafts- und Sozialgeschichte standen wir vor ähnlich großen Herausforderungen wie heute. Die fortschreitende Veränderung der nationalen Arbeitsmärkte und Beschäftigungstypologien ist hier ebenso zu nennen wie Strukturwandel und Mobilitätszuwachs in der industriellen Fertigung. Der demographische Faktor, viel zitiert wenn es darum geht, die bestehende Alterssicherung durch die Gesetzliche Rentenversicherung infrage zu stellen, betrifft private Anbieter in vergleichbarer Weise. Werden die Sterbetafeln korrigiert, so dürfte dies nicht ohne Folgen für Versicherungsleistungen bleiben, die auf Rentenbasis ausgeschüttet werden. Wie von Frau Staatssekretärin Ulrike Mascher ausgeführt, sind bestimmte Traditionen, etwa die klassische Erwerbsbiografie von 45 Jahren, möglicherweise noch Bezug durchschnittlichen Verdienstes nicht unbedingt zukunftsfähig. Will man also sozialpolitische und ethische Werte – eben diesen entspringt wohl primär der Gedanke eines Bismarckschen Vorsorgekonzeptes – über den bloßen Erhalt von bestimmten Strukturen stellen, so ist es gerade im Interesse des Bestehenden wohlabgewogen sachlich und zielführend, Reformüberlegungen anzustellen. Die nicht zu unterschätzende Kraft eines gewachsenen Systems sozialer Dienstleistung zeigt sich letztendlich gerade an dessen Fähigkeit, schöpferisch und wertorientiert auf Umfeldveränderungen zu reagieren. Die jüngsten Vorstellungen der Bundesregierung zeigen hier eine Denkrichtung auf,

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die geeignet sein könnte, scheinbar Unvereinbares miteinander zu verbinden: die Beibehaltung der umlagefinanzierten Regelalterssicherung und die staatlich „geförderte„ und eigentumsrechtlich geschützte ergänzende Lebensstandardsicherung oberhalb des heutigen Schutzniveaus.

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Ethik und Ökonomie

Mit der umlagefinanzierten Alterssicherung wird ein wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung der demokratischen Bürgergesellschaft geleistet, der sich in letzter Konsequenz der Bewertung in Mark und Pfennig entzieht. Die deutsche Rentenversicherung geht dabei, etwa in der überaus wichtigen Rehabilitation, als soziales Vorsorgekonzept über die schlichte Akkumulation und Anlage von Sparkapital hinaus. Jeder Vergleich mit anderen Systemen, etwa demjenigen Großbritanniens oder aber einer deutschen privaten Versicherung, muss diese Unterschiede gebührend berücksichtigen, wenn eine faire Bewertung angestrebt wird. Die Sicherung des Lebensstandards im Alter ist eine sozialpolitische Konsensleistung, die in der Vergangenheit ganz wesentlich zur sozialen Stabilität in Deutschland beigetragen hat. Nicht immer hat dieses parteiübergreifende gesellschaftliche Konsenswerk jedoch die wünschenswerte wissenschaftliche Fürsprache gefunden. Es war und ist aus den verschiedensten Gründen gelegentlich modern, sich mit Untergangsszenarien zu profilieren, insbesondere aus Ecken, die überraschenderweise gleich auch ein Produkt anbieten, das hier für diejenigen Abhilfe schaffen soll, die sich derlei leisten können. [Die strukturellen Probleme der gesetzlichen Alterssicherung sollen nicht verniedlicht wer den. Allerdings dient ihre gelegentlich durchaus simplifizierte Darstellung nachhaltig der Absatzförderung für eine Fülle von Alterssicherungsprodukten im Spektrum zwischen privaten Lebens - und Rentenversicherungen bis hin zu Investmentfonds. Zielgruppe können natürlich nur solche Personen sein, deren verfügbares Einkommen derartige Sparanstrengungen in ausreichendem Umfang zulässt. Viele dieser Produkte zeigen sich darüber hi naus zumindest bei zukunftsbindenden Aussagen für ihre Performanz überaus zugeknöpft.]
Dabei können bestimmte Erfahrungen der britischen Gesellschaft mit entsprechenden Sparprogrammen durchaus nützlich sein. Summa summarum geht es in der anstehenden vergleichenden Diskussion britischer und deutscher Erfahrungen also weder um ein „Entweder-Oder„ noch um die Frage, ob und wie ein Systemwechsel herbeizuführen wäre. Der Verfasser hält ein solches

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Ansinnen für weitgehend unseriös. Es geht nicht um die Frage eines Systemwechsels, sondern um Überlegungen, wie ein in der Vergangenheit und Gegenwart funktionierendes Modell für eine in wesentlichen gesellschaftlichen Parametern veränderte Zukunft vorbereitet und notfalls auf der Grundlage profunder sozialpolitischer Leitbilder verändert werden kann. Auf die britischen Erfahrungen bezogen steht also nicht zur Debatte, ob Deutschland hier etwas kopieren sollte oder könnte, sondern, welche Erfahrungen man im Vereinigten Königreich mit bestimmten Entscheidungen der Vergangenheit gemacht hat, die – mutatis mutandis – für uns aussagefähig sein können.

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Dualität im britischen Pensionskonzept

Mit dem Pauschalbetragssystem für eine staatliche Pension aus dem Jahr 1909 wurde in Großbritannien ein Versuch unternommen, insbesondere für einkommensschwache Gruppen eine Minimalsicherung einzuführen. Auch heute noch gehen die meisten Briten mit einer Kombinationspension in Rente, die sich aus der „basic state pension„ und dem Ertrag der betrieblichen oder privaten Zusatzpension zusammensetzt. Als Ergebnis des sinkenden Pensionswertes im Verhältnis zur Einkommensentwicklung rechnet man in Großbritannien mit möglicherweise fallenden Kosten für die Basispension. Als Teil der so genannten „funded pensions„, d.h. arbeitgeberseitig eingerichteten „trusts„ mit nicht unerheblichen steuerlichen Nebenwirkungen, sind Betriebsrenten wesentliches Element der britischen Altersvorsorge. Neben den Privatrenten mit betrieblicher Anbindung existieren die von Mr. Fiegehen beschriebenen individuellen Pensionssparpläne oder „personal pensions„, weitgehend auf der Basis privatrechtlicher zweiseitiger Verträge der Versicherten mit den Anbietern. Hier zeigt sich eine Strukturparallele zu den uns vertrauten Angeboten. Dies gilt möglicherweise auch hinsichtlich der dankenswerterweise hier dargestellten strukturellen Kritik. Verkauft als Alternative zur Betriebspension mit üblicherweise rund 10% Arbeitgeberzuschuss oder gar mehr sollte „effektives Anlagemanagement„ das Fehlende kompensieren. Dies ist offenbar nicht durchgängig gelungen. Insbesondere für solche Personen, deren Einzahlungszeitraum zu kurz war, kam es zu herben Enttäuschungen. Als Ergebnis waren Gerichte damit beschäftigt, fehlinformierte Kleinsparer vor den schlimmsten Folgen zu bewahren.

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Neue Ansätze der Labourregierung

Im Unterschied zur konservativen Regierung und den bisweilen aus deutscher Sicht überaus befremdlich anmutenden Versuchen, ein zweites sozialpolitisches Amerika zu schaffen, versucht die Labourregierung auf der Basis des Bestehenden eine Fortentwicklung mit bestimmten sozialpolitischen Leitvorstellungen durchzusetzen. Ein Minimaleinkommen für einen allein stehenden Rentenbezieher in Höhe von 75 Pfund/Woche, allerdings auf der Basis einer Bedürftigkeitsprüfung, soll der Tatsache Rechnung tragen, dass es in Großbritannien vergleichsweise verbreitet Altersarmut gibt. Eine zweite „state pension„ soll eingeführt werden, um Bezieher geringer Einkommen besser zu stellen. Als Ziel sollen insbesondere solche Personen gefördert werden, deren Jahresgehalt 9.500 Pfund (rund 28.500 DM) nicht übersteigt. Immerhin sollen bis zu 11 Millionen Geringverdiener davon profitieren. Dieser Ansatz ist durchaus neuartig und zeigt gerade unter dem Blickwinkel der Zielsetzung einer Verteilung von 60 : 40 aus privaten und öffentlichen Pensionskassen für das Jahr 2050 die offensichtliche Notwendigkeit eines bedingt umverteilenden Elements auf. [Dies ist interessant insbesondere vor dem Hintergrund, dass es lange Zeit als beispielhaft galt, Umverteilungselemente möglichst auf die Sphäre der Sozialhilfe zu begrenzen.]
Im Bereich der kapitaldeckungsstockfinanzierten Renten ist das Element der „Stakeholder pensions„ eines Poolverfahrens zum optimalen Einkauf von Investmentanteilen oder anderen Geldanlagen bemerkenswert. Hier werden Irrtümer der Vergangenheit, also vor allem leichtfertiges Vertrauen in die Ehrlichkeit der Anbieter bis hin zum großzügigen Gestaltungsrecht des Kapitaleigners über die Mittel seines betrieblichen Pensionsfonds – bekannt aus dem so genannten Maxwell-Skandal – versuchsweise korrigiert. In der Anlagebranche beliebte zusätzliche Einnahmequellen wie offene oder verdeckte Ausgabeaufschläge sollen im Wege des „genossenschaftlichen Einkaufs„ oder „Poolens„ eingedämmt werden. Zugleich möchte man einer zahlenstarken Einkommensgruppe zwischen 9.500 und 20.000 Pfund/Jahr (28.500 – 60.000 DM) Zugang zu flexiblem Pensionssparen ermöglichen.

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Sparmodell mit Risiken

Die Ansätze der Labourregierung verdienen auf der Basis des britischen Standards gelegentlich mehr Interesse, als ihnen gerade von sozialstaatsbereiter

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Seite im Ausland oft entgegengebracht wird. Wir sind rasch bereit, nach schnellem Vergleich von Durchschnittseinkommen und Arbeitnehmerrechten unseren deutschen Status quo für das Maß aller Dinge zu nehmen. Das britische Modell betreibt minimale Lebensstandardsicherung und ergänzt diese wesentlich um angespartes Kapital. Als Instrument der Vermögensbildung ist das weitgehend in Aktien investierte Pensionskapital insbesondere derzeit durchaus erfolgreich. Allerdings scheint die Frage berechtigt, ob eine vorwiegende oder gar – dies ist selten – ausschließliche Anlage in volatilen Aktien dem deutschen Sicherheitsbedürfnis entspricht oder überhaupt nur sinnvoll wäre. Kapitaldeckungsstockfinanzierte Regelsparmodelle geraten üblicherweise schnell an eine Grenze, wo die gewaltigen aufgehäuften Mittel am Anlagemarkt sich selbst im Wege stehen. Nicht von ungefähr empfahlen Weltbankgelehrte für bestimmte südamerikanische Sparmodelle in der Alterssicherung die Anlage in weltweiten Risikopapieren. Heimische Anlagemärkte wären auch mit vergleichsweise geringen Summen rasch überfordert. Hier könnte durchaus eine Zeitbombe ticken, da ein Börsencrash nach Jahren scheinbar unaufhaltsamen Kursanstiegs durchaus wahrscheinlich ist. Viel wird davon abhängen, wie sich die Anlageverantwortlichen dieser Pensionsfonds in einer solchen Situation verhalten. Kommt es zu institutionellen Massenverkäufen, so könnte leicht ein Abwertungsprozess eingeläutet werden, an dessen Ende der Versicherte im Regen steht. Mit rund ¾ ihres Anlagekapitals in Aktien sind die britischen betrieblichen Pensionsfonds hier durchaus anfällig. Ob und in wieweit dieses System sein hochgestecktes Versorgungsziel langfristig erreichen kann, wird also sehr davon beeinflusst, wie mit der nächsten ernsten Börsenkrise umgegangen wird. Eine weitere Absurdität sollte nicht verschwiegen werden: Börsengewinne sind heute vielleicht weniger denn jemals zuvor von schlichten betriebswirtschaftlichen Daten abhängig. Mitunter diffuse Stimmungen, Fusionsgerüchte, die weltpolitische Großwetterlage und nicht zuletzt mögliche Ankündigungen von „Freisetzungen„ von Personal beeinflussen die Kurse. Welchen Vorteil aber hätte ein Arbeitnehmer von steigenden Kursen seiner Betriebspension als Konsequenz einer Entlassung, die auch ihn persönlich beträfe? Gerade die jüngste Zeit mit ihrem für viele völlig überraschenden Beinahe-Konkurs eines deutschen Konzerns zeigt doch, dass den meisten Menschen jedweder Durchblick in der immer komplexeren industriellen Verflechtungsszene fehlt. [Ein multinationaler Konkurs als Folge eines durchgeführten oder gescheiterten Übernahmeversuchs dürfte noch ungleich komplexere Informationen voraussetzen. Angesichts der enormen weltweiten Gestaltungsmöglichkeiten zeitgenössischer Konzernstrukturen bleibt die Frage nach den Chancen für objektive Solvenzbeurteilungen. Kommt es dann noch zu Interessenkollisionen etwa zwischen Gläubigerinstitutionen, die zugleich Aktienfonds ver walten, so ist der Kleinanleger offensichtlich völlig auf die Ehrlichkeit seines Fondsverwalters angewiesen.]

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Vorsorge ist mehr als Sparen

Bestandteil der deutschen Regelalterssicherung ist ein umfassender Leistungskatalog – u.a. zur Erhaltung der Arbeitskraft und zur beruflichen Re-Integration –, den ein Sparmodell wie dasjenige Großbritanniens nicht kennt. Kritiker verweisen beim Umlagemodell gern auf die „demographische Zeitbombe„ und fordern entsprechende strukturelle Veränderungen, meist in eine Richtung, die jenseits des Kanals bereits beschritten wurde. Auch das britische Modell einer betriebsgebundenen Alterssicherung ist anfällig für wirtschaftlichen Strukturwandel und könnte Flexibilität am Arbeitsmarkt, etwa den Arbeitgeberwechsel, einschränken. Unterstellt man eine Zunahme an Formen beruflicher Selbstständigkeit, so scheidet dieses Modell weitgehend aus. Individuelle Sparprogramme leiden in Großbritannien und wohl auch bei uns an verschiedenen einkaufstechnischen Mängeln, die die Stellung des Kleinanlegers nicht eben begünstigen. [Die üblicherweise saftigen Ausgabeaufschläge, egal ob verdeckt in Pauschalgebühren oder offen als Agio, treffen gerade Kleinsparer nicht unerheblich. Zusätzlich verfügt der Individualanleger kaum über hinreichende Markttransparenz, um das Anlageverhalten eines Fonds kritisch zu durchleuchten. Aus verschiedenen Ecken der Welt weiß man, wo Banken diejenigen Papiere loswerden können, die sich am offenen Markt – etwa als überteuerte Neuemission – nur zögernd absetzen lassen.]
Die auch in Großbritannien fühlbare Neigung, nicht zu sparen ist u.a. eine Reaktion auf die Entwicklung von Einkommen und Preisen für die Güter des täglichen Bedarfs. In der deutschen Diskussion geht es dennoch nicht um die Frage, ob zusätzliches Sparen sinnvoll ist oder nicht. Wer dies immer kann, sollte und würde dies wahrscheinlich auch tun. Problematisch ist jedoch der Versuch, Menschen, insbesondere Bezieher sehr geringer Einkommen, über Jahrzehnte zum Sparen zu zwingen, obwohl ihre frei verfügbaren Mittel dies eigentlich kaum erlauben. Wünscht man sich auch bei uns mehr „private Vorsorge„, so wird vieles davon abhängen, wie es gelingt, die Interessen der Kleinanleger optimal zu schützen. Gerade diese Zielgruppe ist aufgrund vergleichsweise niedriger Steuerlast nicht eben prominenter Empfänger von Steuerentlastungen. Fragen einer Konkursfestigkeit von individuellen Sparrücklagen, etwa bei Pfändung oder Insolvenz, wären schließlich zu klären, um zu vermeiden, dass

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eventuell Angespartes im Fall des Bonitätsverlustes eingezogen würde. Die britische Politik verfolgt Zielsetzungen, die von unseren sozialpolitischen Leitbildern abweichen. Man kann dies, so meine ich, durchaus feststellen, ohne in oberlehrerhafter Weise andere Nationen zu bevormunden. Die aus deutscher Sicht relevante Frage ist eigentlich, was zu geschehen hat, um das gelegentlich beschädigte Image der gesetzlichen Rentenversicherung im Bewusstsein unserer Nation und insbesondere der jüngeren Beitragszahler zu heben. Streng genommen ist es also sinnvoll, dass sich insbesondere diejenigen um zukunftsweisende und zielführende Problemanalyse und ggf. Erneuerungen kümmern, denen dieses System als sozialpolitische Errungenschaft mit gerechtigkeitsstiftender Wirkung am Herzen liegt. Gerade in der wissenschaftlichen Bewertung zeigt sich jedoch gelegentlich eine Tendenz, die vorwiegend grundsätzlich kritische Stimmen im Vordergrund aufweist, ohne konstruktive Regenerationsvorschläge zu unterbreiten. Im Lichte der jüngsten Berliner Reformvorschläge sind Informationen, auch zu den andersartigen Problemen des britischen Modells, dabei durchaus nützlich. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, im Interesse der kommenden Generationen nach politischen und ökonomisch fundierten Lösungen zu suchen, auch und gerade um einem breiten Vertrauensverlust vorzubeugen und Verunsicherungen zu vermeiden. Dabei sollte soziale Sicherung als politisches Konsensprodukt nicht im Parteienstreit zerrieben werden. Zu kurz ist eine Legislaturperiode, um den Wirkungshorizont auch nur bescheidener Reformeingriffe hinlänglich auszuschöpfen. Das Element der sozialen Marktwirtschaft hat zur Armutsvermeidung entscheidend beitragen können. Es verdiente gelegentlich mehr politischer und wissenschaftlicher Unterstützung. Lassen wir einzelne Elemente der britischen Variante Revue passieren, so wird abermals deutlich, dass es in Deutschland nicht um ein Alles oder Nichts, also um eine „Totalreform„ gehen kann. Grad, Nuancen und Strukturen der erforderlichen Anpassungen verlangen vielmehr hohe Detailkenntnisse und eine zweckmäßige öffentlichkeitswirksame Darstellung, damit gewollten und ungewollten Missverständnissen vorgebeugt werden kann. Der sich entwickelnde EU-Binnenmarkt wird unser wirtschaftliches Umfeld rasch und nachhaltig verändern. Flexible Sozialsysteme und geschmeidige Politikformulierung können dazu beitragen, dass auch unseren Kindern und Enkeln noch ein Wirtschaftsstandort mit sozialem und ethisch vertretbarem Antlitz zur Verfügung steht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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