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Peter A. Köhler
Erste Praxiserfahrungen mit der schwedischen Rentenreform – Denkanstöße für die aktuelle Rentendiskussion in Deutschland


[Seite der Druckausg.: 53 ]

Nach der Darstellung der normativen Konstruktion des neuen Rechts der Alterssicherung in Schweden kann ein knapper Rückblick auf die Hintergründe, die in Schweden eine Reform erforderlich machten aufzeigen, wie ähnlich die Problemkonstellationen in Schweden und Deutschland sind. Dabei kann auf die Ergebnisse der die schwedische Reform vorbereitenden Expertenkommission zurückgegriffen werden. Ein wichtiges Reformziel war danach die Forderung, dass das Alterssicherungssystem grundlegend modernisiert werden musste. Die Kommission riet von einer Politik der kleinen Schritte ab, weil diese das System für den Bürger nur noch verwirrender machten und kaum die langfristige Stabilität brächten, die für die Zukunft erforderlich ist. Allgemein herrschte Einigkeit über den Grundsatz, dass Alterssicherung primär Staatsaufgabe sei und dies auch bleiben müsse. Nur durch ein öffentliches System könne die Stabilität erreicht werden, die notwendig ist, um individuelle Sicherheit im Alter auch wirklich zu garantieren. Prominenter Hauptpunkt der Vorschläge ist deshalb der Kernsatz: „Die Alterssicherung muss ein obligatorisches öffentlich-rechtliches Rentensystem sein„.

Als weiteres Reformziel wird von diesem öffentlich-rechtlichen Rentensystem verlangt, dass es beides enthalten müsse: Leistungen, die der Höhe nach an die Lebensleistung des Versicherten anknüpfen und Schutz für den, der in seinem Arbeitsleben nur niedrige Erwerbseinkommen erzielen konnte. Das System soll also Grundsicherung und Lebensstandardsicherung beinhalten, es sollte deshalb „beitragsbestimmt„ sein, nicht „leistungsbestimmt„. Die Alterssicherung soll ein eigenständiger Zweig der Sozialversicherung sein, (also ohne Invalidität!) und vollständig aus zweckgebundenen Abgaben (Beiträgen) finanziert werden. Der sozialpolitische Auftrag des Systems soll dadurch deutlich gemacht werden, dass verteilungspolitisch anfallende (also „versicherungsfremde„) Kosten allein steuerfinanziert sein sollen. Zugleich soll dieses öffentliche System mit der Eröffnung der Möglichkeit zu individuellem Sparen komplettiert werden.

[Seite der Druckausg.: 54 ]

Das inzwischen in Kraft getretene neue Alterssicherungssystem lässt die darin gesetzte Hoffnung, nun ein stabiles System für das nächste Jahrhundert geschaffen zu haben, plausibel erscheinen. Insbesondere scheint durch den gesetzlich festgeschriebenen Selbststeuerungsmechanismus ein Hauptanliegen aller Experten erfüllt worden zu sein, nämlich ein möglichst „politikfreies„ Alterssicherungssystem zu errichten. Allgemein wurde als wichtiges Reformziel die Realisierung der Hoffnung genannt, die Alterssicherung weitgehend der Tagespolitik zu entziehen. Neben der demographischen Herausforderung ist die Reform primär aus wirtschaftlichen Gründen erforderlich gewesen. Es wird sich zeigen, ob diese außerhalb der Tagespolitik institutionalisierte Stabilität auf Dauer auch dann durchzuhalten ist, wenn der Indexierungsmechanismus zwischen Beiträgen und Leistungen oder der demographische Faktor der „Teilungszahl„ auch einmal zu Leistungseinschränkungen führen sollten.

Ein durchaus politisches Problem stellt sich dem Gesetzgeber ganz aktuell: Nach schwedischem Arbeitsrecht hat jeder Arbeitnehmer grundsätzlich das Recht, bis zum 67. Jahr zu arbeiten. Weil die meisten Kollektivverträge aber eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit 65 vorsehen, wurden die Tarifparteien während der Rentenreformdiskussion von allen im Reichstag vertretenen Parteien aufgefordert, sich bis Ende des Jahres 1999 auf die Möglichkeit einer Weiterarbeit bis wenigstens zum 67. Lebensjahr zu einigen. Da dies bislang nicht erfolgt ist, hat die Regierung angekündigt, nun ein entsprechendes Gesetz erlassen zu müssen – ein Eingriff in die Tariffreiheit, der in Schweden äußerst ungewöhnlich wäre und wohl tatsächlich nicht zu erwarten ist.

Ein weitere – unerwartete – Schwierigkeit trat bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben der Prämienrente auf:

Während das Reichsversicherungsamt wie vorgesehen zum Jahresbeginn 1999 die Bewertungsbescheide für die einkommensbezogenen Altersrenten an 5,3 Millionen Versicherte hinausschicken konnte, hatte die neue Prämienrentenbehörde für ihren Bereich Schwierigkeiten. Man sah sich zum Jahresbeginn 1999 technisch nicht in der Lage, bei den Versicherten deren Entscheidungen hinsichtlich der Anlage ihrer Prämienversicherungsbeiträge abzurufen. Wegen diverser Probleme der EDV und wohl auch zu geringer Personalstärke bei der Behörde musste die erste Wahl einer Anlage für die private Vorsorge um ein Jahr verschoben werden.

[Seite der Druckausg.: 55 ]

Noch immer nicht in allen Details entschieden ist, welche Bankgebühren im Rahmen der Prämienrente alljährlich zu zahlen sind. So steht die Behörde auf dem Standpunkt, sie lege im Namen von Millionen von Anlegern deren Gelder jedes Jahr quasi als einmaligen Akt bei den Banken bzw. Fondsverwaltern an, während insbesondere von den Fondsverwaltern vertreten wird, nur bei Anwendung der üblichen Ausgabezuschläge für jedes individuelle Depot sei ihnen ein Engagement im Prämienrentensystem zumutbar. Einzelne (insbesondere internationalen) Fonds haben angekündigt, sich am Prämiensystem nicht beteiligen zu wollen, weil dies sich ohne die üblichen Ausgabeaufschläge für sie nicht lohne.

Ein schwerer wiegendes und durchaus politisches Problem zeichnet sich für die längerfristige Fondsverwaltung des Prämienrentensystems ab: Es lässt sich leicht ausrechnen, dass selbst aus 2,5% Rentenbeiträge in absehbarer Zeit ganz erhebliche Summen anwachsen werden, über deren Platzierung in der schwedischen Wirtschaft (oder im Ausland!) zu bestimmen auch politische Macht bedeutet. Da es sich bei diesem Kapital nach allgemeiner Meinung um eigentumsgleiche Lohnbestandteile der Versicherten handelt, wird bereits jetzt über die Legitimation und demokratische Kontrolle der Entscheidungsträger diskutiert. In diesem Kontext wird auch die Rolle der neuen Prämienrentenbehörde diskutiert. Es spricht nach den aktuellen Erfahrungen viel für die Vermutung, dass ein großer Teil der Versicherten mit niedrigen Beiträgen darauf verzichten wird, jährlich selbst über eine Anlage zu entscheiden. Dies hätte dann die Behörde von Gesetzes wegen zu tun, was womöglich dazu führen könnte, dass langfristig Verwaltungsentscheidungen mehr Auswirkungen auf den Kapitalmarkt haben als die politische Steuerung durch den Gesetzgeber.

Schließlich musste das Sozialministerium im Herbst 1999 zugeben, dass man im Reichsversicherungsamt noch nicht so weit sei, die äußerst kompliziert ausgestaltete Garantierente rechtzeitig zum 1. Januar 2001 auszurechnen. Man brauche noch Zeit, um die Datenbanken aufzubauen, die das Zusammenspiel der Garantierente mit anderen Sozialleistungen in jedem Einzelfall präzise und schnell ermöglichen. Ein Aufschub der Umstellung der Volksrente auf die Garantierente bis ins Jahr 2003 wird nicht mehr ausgeschlossen. Seitens der Rentnerorganisationen wurde errechnet, dass der Staat dadurch über 900 Millionen Kronen einsparen würde, weshalb bereits entsprechende Kompensationen für die Betroffenen eingefordert wurden.

[Seite der Druckausg.: 56 ]

Schließlich wird zu bedenken gegeben, dass auch das neue Recht der Alterssicherung prinzipiell fest mit der Vorstellung eines Arbeitsmarktes verbunden ist, auf dem im „Normalfall„ jeder eine über das ganze Leben gespannte Erwerbsbiografie entwickeln kann. Auch in Schweden ist aber keineswegs sicher, dass dieser „Normalfall„ auch in Zukunft für die meisten Bürger normal sein wird. Erst dann wird sich zeigen, ob die Reform zu einer allgemeinen stabilen Lebensstandardsicherung im Alter führen wird oder ob die steuerfinanzierte Mindestsicherung durch die Garantierente am Ende nicht doch wieder zu einer „Volksrente„ wird, weil allzu vielen Bürgern der Erwerb beitragsfinanzierter Rentenansprüche nicht in hinreichendem Ausmaß gelingt.

Fazit: Weil die Anlaufschwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung der Rentenreform in Schweden offenbar in keiner Weise „typisch schwedisch„ sind, erscheinen sie allgemein lehrreich zu sein. Besonders hervorzuheben ist wohl das Erfordernis der umfassenden Information der Versicherten, wenn man diesen den Weg in die private Altersvorsorge öffnen willl. Nur so kann ja eine ökonomisch sinnvolle Wahl der Anlageform getroffen werden. In Deutschland müsste dies dann aber für annähernd zehn mal so viele individuelle Versicherte geleistet werden wie in Schweden. In der sozialpolitischen Diskussion sollte nicht stillschweigend übergangen werden, dass dies der gründlichen Vorbereitung bedarf und sicher nicht kostenfrei zu haben ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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