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Peter Ewert
Berufliche Eingliederung von SpätaussiedlerInnen:
Programme und Perspektiven


Die Situation für die Aussiedler in unserem Land ist sehr problematisch, trotz zurückgehender Zuwanderung. Die tägliche Arbeit und die heute gehaltenen Referate machen deutlich: Die Zahlen werden kleiner, die Probleme nicht.

Unverändert schwierig gestaltet sich insbesondere die berufliche Integration der Aussiedler. Die leichte Besserung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat die Aussiedler bisher nicht erreicht, und es gibt keine Anzeichen, daß sich hier schnell etwas ändern wird. Bei nach wie vor vier Millionen Arbeitslosen ist dies auch nicht verwunderlich. Und wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Anforderungen an neu einzustellende Mitarbeiter stetig steigen, noch weniger.

Auf Veranstaltungen wie dieser sollte aber nicht nur auf Probleme eingegangen werden, denn es gibt auch Positives zu berichten. Die jahrelangen Anstrengungen vieler Institutionen und gesellschaftlicher Gruppierungen verbunden mit dem hohen Mitteleinsatz haben eine Reihe von Erfolgen möglich gemacht. Ich habe deshalb meinen Vortrag dreigeteilt:

Im ersten Teil werde ich auf die berufliche Integration der Aussiedler eingehen, so wie sie sich für das Gros von ihnen gestaltet. Dabei kann es nicht ausbleiben, die sehr schwierige Lage darzulegen. In einem zweiten Teil stelle ich Ihnen einige Erfolge vor, die Aussiedler bei der beruflichen Weiterbildung und bei der Arbeitsaufnahme erzielen können. Der dritte Teil schließlich behandelt das wichtige Thema des Verteilungsverfahrens. Ich werde die Frage stellen, ob das praktizierte Verteilungsverfahren den Belangen aller Beteiligten, insbesondere der Aussiedler entspricht, oder ob unter arbeitsmarktlichen Gesichtspunkten hier nicht eine Modifizierung angebracht ist.

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1. Die berufliche Integration von Aussiedlern

Die berufliche Integration von Aussiedlern stellt sich trotz der rückläufigen Zuwanderung sehr schwierig dar - und auch die leichte Belebung auf dem Arbeitsmarkt brachte bisher für diese Personengruppe keine Erleichterung. Aussiedler haben nach wie vor gegenüber den hier geborenen und aufgewachsenen Arbeitnehmern Nachteile, auch gegenüber hier geborenen Ausländern. Das hat verschiedene Ursachen, wesentlich ist das auf dem Arbeitsmarkt häufig nicht - bzw. nicht direkt - verwertbare Qualifikationsniveau der Spätaussiedler, von den Sprachproblemen ganz zu schweigen.

Bundesweit waren im vergangenen Jahr 100.000 Aussiedler arbeitslos, rd. 1/5 weniger als 1998. Diese Entwicklung ist zwar erfreulich, aber nicht überzubewerten. Wir haben nämlich ein Problem: Wir kennen das Problem der Aussiedler-Arbeitslosigkeit gar nicht genau. In der Statistik der Bundesanstalt für Arbeit wird der Status „Aussiedler" nur in den ersten fünf Jahren nach der Einreise erfaßt. Es wird angenommen, der Integrationsprozeß ist nach diesem Zeitraum abgeschlossen. Das heißt: Sobald ein Spätaussiedler länger als fünf Jahre bei uns ist, behandelt ihn die Arbeitslosenstatistik quasi als „Einheimischen". Selbst wenn er weiter arbeitslos ist, haben wir statistisch einen arbeitslosen Aussiedler weniger. Das gilt auch dann, wenn sich ein Aussiedler nach einer Beschäftigung (wieder) arbeitslos meldet. Also nicht nur bei durchgehender Arbeitslosigkeit seit der Einreise bzw. nach dem Deutschlehrgang.

Vor 5 bis 6 Jahren waren die Zuwanderungszahlen aber besonders hoch. Es ist also zu einem nicht unwesentlichen Teil lediglich der Zeitablauf, der eine Entspannung bei der Aussiedler-Arbeitslosigkeit vorgaukelt. Wir dürfen deshalb mit unseren Anstrengungen auf keinen Fall nachlassen. Im Gegenteil - und darauf werde ich noch zu sprechen kommen - die Struktur der gegenwärtig und in der jüngsten Vergangenheit Eingereisten erfordert eine Intensivierung.

Vergangenes Jahr konnten bundesweit 20.800 Spätaussiedler in Beschäftigungen über 7 Tage vermittelt werden, ebenso viele wie 1998. Während die Vermittlungen in Arbeit insgesamt deutlich zugenommen haben, blieben sie bei den Aussiedlern konstant.

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Während Spätaussiedller 2,4% aller Arbeitslosen stellen, entfallen nur 0,7% aller Vermittlungen auf sie. Woran liegt das?

Auch wenn es schon oft gesagt wurde, will ich die Hauptgründe noch einmal nennen:

  • Der Anteil der arbeitslosen Aussiedler ohne verwertbare berufliche Kenntnisse ist sehr hoch.

  • Hinzu kommen nicht ausreichende und auch nach mehrjährigem Aufenthalt oft völlig unzureichende Sprachkenntnisse.

  • Ferner ist die Bereitschaft, sich beruflich weiterzubilden, nur unterdurchschnittlich ausgeprägt. Und wenn Aussiedler einen Lehrgang zur beruflichen Weiterbildung besuchen, ist die Abbruchquote verhältnismäßig hoch. Auch hier spielen die mangelhaften Deutschkenntnisse oft die entscheidende Rolle. Fehlende Motivation, fehlendes Durchhaltevermögen und vielfach unzureichende Leistungsbereitschaft kommen hinzu.

  • Schließlich sind Mobilität und Flexibilität ebenfalls zu gering ausgeprägt.

Bei der Entscheidung, wer einen Arbeitsplatz bekommt, werden die Schlüsselqualifikationen von immer größerer Bedeutung. „Schlüsselqualifikationen schlagen Fachkompetenz" - das ist kein leeres Schlagwort mehr - es ist die Realität. Die Vermittler in den Arbeitsämtern werden damit täglich konfrontiert. Auch hier können Aussiedler häufig mit den Mitbewerbern nicht mithalten. Nicht nur berufsfachlich, auch in den Schlüsselqualifikationen müssen wir die Aussiedler fit machen. Ich weiß, hier geschieht schon einiges, aber noch nicht genug. Dazu gehört auch das Bewerbungstraining. Die Bewerbungssituation, so wie sie sich bei uns stellt, ist Aussiedlern unbekannt, sie kennen die Spielregeln nicht. Es gilt also, das vorhandene Angebot auszubauen.

Und lassen Sie mich noch folgendes erwähnen: Wir sollten den Aussiedlern nicht nur bei der Einreise, sondern kontinuierlich Tips und Hilfestellung geben, sich ihrer neuen Umgebung besser als bisher anzupassen. Aussiedler haben nicht nur ein weit über dem Durchschnitt liegendes Risiko, arbeitslos zu bleiben - wenn sie einen Job gefunden haben, ist bei ihnen das Risiko, wieder arbeitslos zu werden, ebenfalls überdurchschnittlich. Bei Entlassun-

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gen sind Aussiedler, vor allem Ungelernte und Hilfskräfte, als erste von Kündigungen betroffen. Dies geschieht teilweise auch nach bereits mehrere Jahre bestehenden Beschäftigungsverhältnissen. Hier wird ganz besonders deutlich, was für alle Arbeitnehmer gilt: Die berufliche Qualifikation ist nicht nur der Schlüssel ins Berufsleben, sondern auch der wesentliche Faktor, in Beschäftigung zu bleiben.

Mit diesen Handicaps haben nahezu alle Aussiedler bei der Arbeitssuche zu tun. Einzelne Personengruppen stehen zusätzlichen spezifischen Schwierigkeiten gegenüber. Mehr als die Hälfte der arbeitslosen Aussiedler sind Frauen. Sie haben auf dem engen Arbeitsmarkt ganz geringe Chancen, zumal in den sogenannten Frauenberufen mit dem Schwerpunkt „Dienstleistung", wo besonders gute Deutschkenntnisse vorausgesetzt werden. Außerdem haben sie im Herkunftsland vielfach in sog. „Männerberufen" gearbeitet, in denen sie praktisch keine Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt finden.

Ältere Arbeitnehmer können auf dem Arbeitsmarkt so gut wie gar nicht Fuß fassen. Und auch Akademiker tun sich schwer, einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden. Die Konkurrenz der Mitbewerber und die hohen Anforderungen der einstellenden Unternehmen machen Vermittlungen auf Akademikerniveau nahezu unmöglich. Hinderlich ist auch die hohe Erwartungshaltung der einreisenden Akademiker. Sie sind der Meinung, einen studienadäquaten, passgenauen Arbeitsplatz zu erhalten und verkennen, daß ihr Studium sehr oft einfach nicht verwertbar ist. Die Spezialisierung der Studiengänge im Herkunftsland führt häufig nicht daran vorbei.

Ein Düsseldorfer Personalberater, der auch Lehrgänge für arbeitslose Akademiker einschließlich Aussiedlern durchführt, sagte mir vor wenigen Tagen: Wie soll denn ein Ingenieur für Eisenbahnschienen oder ein Ingenieur für Eisenbahnschwellen in Deutschland einen Job finden? Und er ergänzte, wie schwierig es sei, die Bereitschaft zur beruflichen Umorientierung und damit meist zur „Qualifizierung nach unten" zu wecken. Dabei ist dies häufig der einzige Weg ins Arbeitsleben. Das bestätigen die Vermittler aus den Arbeitsämtern. Gerade bei Ingenieuren bestehen Vermittlungsmöglichkeiten allenfalls unterhalb des formalen Qualifikationsniveaus.

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Jugendliche stehen vor besonderen Problemen und sind deshalb eine spezielle Zielgruppe der Integrationsbemühungen. Viele von ihnen wollten nicht nach Deutschland, haben kaum Deutschkenntnisse oder verwertbare Berufsausbildungen. Nur wenige bekommen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Aus der beruflichen Praxis und aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, daß langzeitarbeitslose und andere schwer vermittelbare Jugendliche dann noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, wenn sie folgendes auf sich vereinigen:

  • Sie sollten zwischen 20 und 25 Jahren alt, männlich und kinderlos sein;

  • sie sollten nicht Sozialhilfe beziehen, Arbeitslosengeld scheint dagegen unschädlich zu sein - das zeigt ja, daß sie schon einmal gearbeitet haben;

  • sie sollten den Hauptschulabschluß besitzen und eine Berufsausbildung abgeschlossen haben;

  • schließlich ist der Führerschein von Vorteil.

Schon dieser Katalog macht deutlich, daß jugendliche Aussiedler vergleichsweise schlechte Chancen haben. Um so wichtiger sind gerade hier spezielle Programme, um den gesellschaftlichen und beruflichen Einstieg in Deutschland zu unterstützen.

Einen wesentlichen Beitrag zur Eingliederung liefert das „Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit" der Bundesregierung. Mit einem enormen Mitteleinsatz konnte bereits die Jugendarbeitslosigkeit abgebaut werden. Auch jugendliche Aussiedler haben davon profitiert.

Besonders hilfreich ist die von diesem Programm gebotene Möglichkeit der sozialen Betreuung, um auf Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen hinzuführen. Eine wertvolle Ergänzung des vorhandenen Instrumentariums sind die beschäftigungsbegleitenden Hilfen, u.a. zum weiteren Abbau von Sprachdefiziten, und zwar ausgerichtet an den Erfordernissen der Arbeitswelt.

Auf Länderebene gibt es eine Reihe ergänzender Programme. Beispielhaft nenne ich hier das auf langzeitarbeitslose Jugendliche ausgerichtete Pro-

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gramm „Jugend in Arbeit" in Nordrhein-Westfalen. Die Umsetzung des Programms erfolgt gemeinsam durch das Land, die Arbeitsämter und die Kammern. Aus diesem Programm können Betrieben, die langzeitarbeitslose Jugendliche einstellen, Zuschüsse bis zu 70 % des Arbeitsentgelts gezahlt werden. Für über 500 junge Aussiedler wurde im Rahmen dieses Programms bereits ein persönlicher Entwicklungsplan erstellt, vergleichbar mit den holländischen Integrationsplänen (inkl. „Fördern und Fordern"). Es kann davon ausgegangen werden, daß viele von ihnen Arbeit finden werden.

Neben diesen neuen Programmen möchte ich einige seit längerem praktizierte Aktivitäten für junge Aussiedler ansprechen:

  • Junge Aussiedler profitieren von den Angeboten der Berufsberatung der Arbeitsämter. Eine wichtige Rolle spielen berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, die die Zugangsvoraussetzungen für eine Berufsausbildung verbessern sollen.

  • In diesem Jahr wird die Bundesanstalt für Arbeit gemeinsam mit dem Bundesverwaltungsamt in 11 Arbeitsamts-Bezirken 4-monatige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen für junge Spätaussiedler unmittelbar im Anschluß an den Deutschlehrgang durchführen. Schwerpunkte sollen insbesondere Betriebspraktika zur Vorbereitung auf den Berufsalltag und die Sprachförderung bilden.

Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch die Zusammenarbeit mit Sportvereinen. Wichtig ist nämlich eine sinnvolle Freizeitgestaltung, damit die jugendlichen Aussiedler bei abnehmender Familienbindung nicht abgleiten. Und oft können mit Hilfe von Sportvereinen Arbeits- und Ausbildungsplätze gefunden werden. Es gilt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, sie zu verknüpfen. Nicht umsonst sollen aus Mitteln des Bundesinnenministeriums künftig bevorzugt solche Integrationsprojekte gefördert werden, die von kommunalen Netzwerken entwickelt und begleitet werden. Dazu gehören alle gesellschaftlichen Gruppierungen, die Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und die regionalen Beiräte usw.

Wenn die Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Kommunen und Arbeitsämtern weiter ausgebaut wird und auch die Aussiedler selbst ihren

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aktiven Beitrag leisten, sehe ich durchaus Chancen, jungen Aussiedlern Perspektiven zu eröffnen.

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2. Berufliche Weiterbildung

Die berufliche Weiterbildung hat unter den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten einen ganz besonderen Stellenwert. Für Arbeitslose ist sie die erfolgversprechendste Brücke in den Arbeitsmarkt. Das gilt auch für Aussiedler. 60 % der vergangenes Jahr arbeitslosen Aussiedler hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung. Lediglich 21 % hatten eine betriebliche Berufsausbildung, weitere 12 % eine schulische Berufsausbildung. Gut 5 % hatten ein Studium an einer Fachhochschule oder Hochschule abgeschlossen. Ich sagte eingangs, daß die Integrationsbemühungen auf eine Reihe von Erfolgen zurückblicken können, trotz der verhältnismäßig schlechten beruflichen Struktur.

Berufliche Weiterbildungsmaßnahmen haben ganz wesentlich zur beruflichen Integration der Spätaussiedler beigetragen. Teils waren dies speziell für Aussiedler eingerichtete Lehrgänge, überwiegend konnte auf dem allgemeinen Weiterbildungsmarkt das Passende gefunden werden. Allein in Nordrhein-Westfalen haben 4.400 Aussiedler einen beruflichen Weiterbildungslehrgang begonnen, 11.600 Austritte waren im gleichen Zeitraum zu verzeichnen. Unserer Geschäftsstatistik können wir leider nicht entnehmen, wieviele Austritte von Aussiedlern einen erfolgreichen Abschluß bedeuten. Eines wissen wir jedoch: Die Abbruchquote ist überdurchschnittlich hoch. Nicht selten ziehen Aussiedler „die schnelle Mark" in irgendwelchen Jobs der Beendigung des Lehrgangs vor. Dennoch spielt die berufliche Weiterbildung eine Schlüsselrolle bei der beruflichen Integration auch von Aussiedlern. Und das nicht nur im Segment der niedrigqualifizierten Berufe.

Gerade im anspruchsvollen Bereich konnten einige gute Erfolge erzielt werden - sowohl in den Lehrgängen als auch bei der anschließenden Arbeitsaufnahme. Lassen Sie mich beispielhaft den heutzutage sehr gefragten Bereich der Informations- und Kommunikationsberufe - kurz IuK - herausgreifen.

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Ein renommierter, bundesweit tätiger Weiterbildungsträger im IuK-Bereich hat mir vor kurzem dazu mitgeteilt: „Im Geschäftsjahr 98/99 nahmen 48 Aussiedler ... an unseren Lehrgängen teil. Gemessen an der Teilnehmerzahl wurde eine durchschnittliche Vermittlungsquote ... von 82 % erzielt".

Weiter teilt mir diese Weiterbildungseinrichtung mit: „Die sprachlichen Probleme zu Beginn der Lehrgänge konnten bis zum Lehrgangsende ausgeräumt werden. Akzeptanzprobleme traten weder fachlich noch persönlich zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme auf." Und dann heißt es noch, und das finde ich im Hinblick auf die bei Aussiedlern häufig geringen PC-Kenntnisse besonders bemerkenswert: „Die Teilnehmer wiesen in unserem DV-Eignungstest eine überdurchschnittliche Fähigkeit für eine EDV-Kerntätigkeit nach." Gerade die letzte Aussage ist beachtlich, denn die Eignungstests sind bei diesem Weiterbildungsträger sehr anspruchsvoll.

Um welche Lehrgänge ging es dabei? Einfach ausgedrückt: um EDV-Lehrgänge im hochqualifizierten Bereich. Für die Fachleute unter Ihnen: Zum einen handelte es sich um den Applikations-Entwickler Client-Server bzw. um den Applikations-Entwickler SAP R/3. Zum anderen waren es Lehrgänge mit dem Ziel „Netzwerkadministrator". Gerade beim Netzwerkadministrator konnten bei einigen Lehrgängen alle Aussiedler in Arbeit vermittelt werden.

Diese Ergebnisse sollten wir als Ansporn nehmen, gezielt den High-Potentials unter den Aussiedlern das nötige Sprungbrett in den deutschen Arbeitsmarkt zu bieten. Und wenn ich sage „High-Potentials" meine ich nicht nur Akademiker, sondern die Leistungsfähigen in allen Berufen.

Der Fachkräftebedarf und die Bevölkerungsentwicklung der kommenden Jahre einschließlich der Schulabgängerzahlen erfordern es, jede Möglichkeit, qualifizierte Kräfte zu gewinnen, auch zu nutzen, selbst wenn das Potential verhältnismäßig klein ist.

Auch auf anderen Feldern konnten sehr gute Ergebnisse erzielt werden, z.B. bei der Qualifizierung von Jugendlichen. So führt ein renommierter Weiterbildungsträger in NRW seit Jahren einjährige Maßnahmen für Sozialhilfeempfänger durch, vorwiegend nehmen junge Aussiedlerinnen teil. Ziel ist die Hauswirtschafts- bzw. Pflegehelferin. Die Finanzierung erfolgt mit

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Hilfe des Europäischen Sozialfonds. Über 90 % der Teilnehmerinnen konnten in feste Arbeitsverhältnisse vermittelt werden. Wegen des anhaltend großen Kräftebedarfs im Hotel- und Gaststättenbereich sollte die berufliche Qualifizierung in diesen Berufen ausgeweitet werden. Dafür spricht auch, daß mehr als die Hälfte der Aussiedler vor ihrer Ausreise in Dienstleistungsberufen gearbeitet hat.

Das gleiche Programm kam zum Einsatz, um junge Aussiedler auf Helferebene in Metallberufen sowie im Heizungs- und Sanitärbereich auszubilden. Hier konnten über 80 % der Teilnehmer im Anschluß einen Arbeitsplatz einnehmen. Diese Beispiele ließen sich fortsetzen.

Insgesamt gilt: Deutschland braucht eine Bildungsoffensive für alle Zugewanderten, und damit auch für Aussiedler. Die erste Stufe ist dabei, das Bildungsverhalten und die Bildungsbereitschaft der Zugereisten positiv zu beeinflussen. Daran müssen sich arbeitsmarkt- und zielgruppengerechte Lehrgänge anschließen.

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3. Verteilungsverfahren

Die Aufnahme der Spätaussiedler und ihrer Familienangehörigen erfolgt nach den Regelungen verschiedener Bundesgesetze sowie von Landesgesetzen und -verordnungen. Nach einem festgelegten Schlüssel werden sie auf die Bundesländer verteilt. Die beispielsweise für Nordrhein-Westfalen vorgesehenen Spätaussiedler werden zentral in der Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Unna-Massen aufgenommen. In der Landesstelle erhalten die Neuangekommenen erste Orientierungshilfen und nehmen an kurzen Trainingsmaßnahmen der Arbeitsämter teil. U.a. werden ihnen in diesen Trainingsmaßnahmen Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt vermittelt, und sie werden über die Leistungen der Arbeitsämter informiert. Nach einem i.d.R. relativ kurzen Aufenthalt in Unna-Massen werden sie den Kommunen „zugewiesen". Dabei wird „im Rahmen der Möglichkeiten" auf die Wünsche der Aussiedler und die Belange der Kommunen Rücksicht genommen. Welche Kriterien spielen denn eine Rolle für die Verteilung auf die Kommunen?

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  • Zum einen spielt das nach dem Einwohnerschlüssel ermittelte Aufnahmesoll eine Rolle und wie weit es bereits ausgeschöpft wurde,

  • die Aufnahmekapazitäten der Übergangsheime

  • und weitere Daten zur kommunalen Aufnahmemöglichkeit sind bestimmende Größen.

Bei diesem Verfahren vermisse ich ein ganz besonders wichtiges Kriterium: Die Arbeitsmarktlage der aufnehmenden Kommune. Ziel ist doch bekanntermaßen die gesellschaftliche und die berufliche Integration der Spätaussiedler. Zudem soll der Sozialhilfebezug, in den Aussiedler i.d.R. bereits während des Deutschlehrgangs abdriften, so kurz wie möglich gehalten werden.

Aussiedler müssen also so schnell es geht in die Lage versetzt werden, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Nun kommen die Jobs i.d.R. nicht zu den Menschen, die Menschen müssen zu ihnen kommen. Das gilt für alle, auch für Aussiedler. Nach dem Wohnortzuweisungsgesetz können Spätaussiedler für 2 bzw. 3 Jahre einem vorläufigen Wohnort zugewiesen werden, wenn sie nach ihrer Aufnahme zunächst auf öffentliche Hilfe angewiesen sind. Vor der Zuweisung - so wurde es mir geschildert - findet eine zeitaufwendige Wohnortberatung des Aussiedlers statt. Bereits in diese individuelle Beratung sollte die konkrete Arbeitsmarktlage in den in Frage kommenden Kommunen mehr als bisher Eingang finden. Bei der Auswahl des ersten Wohnorts in Deutschland kann bereits in diesem frühen Stadium eine wichtige Weichenstellung für die berufliche Integration erfolgen.

Anhand detaillierter Arbeitsmarktinformationen in regionaler und beruflicher Hinsicht kann Aussiedlern eine echte Hilfestellung bei der Ortswahl gegeben werden. Zugleich dürfte damit der gegenwärtigen Tendenz zur Bildung von Ballungsgebieten entgegengewirkt werden. Ich bin mir dessen bewußt, daß der Arbeitsmarkt insgesamt sehr angespannt ist. Gleichwohl gibt es auch jetzt regionale Arbeitsmärkte, die für bestimmte Berufe aufnahmefähiger sind als andere. Und außerdem gehen alle Fachleute davon aus, daß sich der deutsche Arbeitsmarkt verbessern wird. Es kann nicht angehen, daß z.B. in Nordrhein-Westfalen die meisten Aussiedler weiterhin

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mit Vorliebe in den Regierungsbezirk Detmold gehen und die dortige Arbeitsmarktlage weiter verschärft wird. Ich plädiere für eine Berücksichtigung der örtlichen Arbeitsmarktlage bei der Wohnortzuweisung.

So neu ist dieser Gedanke gar nicht. Bereits in den 50er Jahren wurde ähnlich verfahren. Wir verlangen von inländischen Arbeitslosen, regional mobil zu sein, trotz der im Inland gewachsenen Beziehungen und Bindungen an bestimmte Regionen. Bei einer erstmaligen Ansiedlung sollte dies erst recht möglich sein. Die Einbeziehung der Arbeitsmarktlage in das Verteilungsverfahren kann auf verschiedene Weise erfolgen.

So können die Landesarbeitsämter den Landesstellen Arbeitsmarktdaten - und dabei insbesondere die Nachfrage nach Arbeitskräften - gegliedert nach Arbeitsamts-Bezirken und Berufen zur Verfügung stellen. Diese Listen können monatlich aktualisiert werden.

Eine weitere Informationsquelle ist der Stellen-Informations-Service der Bundesanstalt für Arbeit, in dem etwa ¾ aller Stellenangebote enthalten sind. Diese Information kann im Internet abgerufen werden und steht somit auch den Landesstellen zur Verfügung. Schließlich stelle ich mir vor, daß eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages die EDV-Systeme der Arbeitsverwaltung und der Landesstellen einen maschinellen Datenabgleich und Datenaustausch ermöglichen. Welche Lösung auch immer herangezogen wird: Die Aufnahmefähigkeit des örtlichen Arbeitsmarkts muß ein verbindliches Kriterium für die Wohnortzuweisung werden. Wir brauchen eine neue Integrationsstrategie für Aussiedler.

Die Integration von Aussiedlern wird noch etliche Jahre eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleiben. Bei angespannten öffentlichen Haushalten müssen wir die Kräfte und das Know-how bündeln. Das geschieht bereits in beachtlichem Umfang. Veranstaltungen wie diese tragen sicher dazu bei, daß die Zusammenarbeit aller Beteiligten weiter ausgebaut wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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