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Jochen Welt
Die Aussiedlerpolitik der Bundesregierung:
Zwischenbilanz und Ausblick


Gerne bin ich der Einladung des Gesprächskreises Arbeit und Soziales der Friedrich-Ebert-Stiftung gefolgt, um hier über die Aussiedlerpolitik der Bundesregierung zu sprechen. Herr Bundesinnenminister Schily hat mich gebeten, Ihnen seine Grüße zu überbringen, und die vielen Aktiven, die in der Aussiedlerarbeit stehen, besonders willkommen zu heißen.

Das ist für mich dann auch die Gelegenheit, Dank zu sagen. Dank für eine insgesamt herausragende Integrationsleistungen in den letzten Jahren. Bei allen nicht wegzudiskutierenden Problemen ist es durch Ihre Arbeit und das Engagement der unzähligen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter gelungen, dem größten Teil der seit 1990 zugewanderten mehr als 2 Mio. Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern Teilhabe und Nachbarschaft zu vermitteln.

Diese Einladung gibt mir Gelegenheit, eine Zwischenbilanz für das erste Jahr meiner Tätigkeit zu ziehen und einen Ausblick für die Zukunft zu geben.

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1. Programm „Aussiedlerpolitik 2000"

Als erstes habe ich mit einem umfassenden Zukunftsprogramm „Aussiedlerpolitik 2000" die Weichen gestellt. In diesem Programm wird betont, daß die neue Bundesregierung der Aussiedlerpolitik große gesellschaftspolitische Bedeutung beimißt und sich ihrer historischen Verantwortung für die deutschen Minderheiten in Osteuropa und insbesondere in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bewußt ist. Vor diesem Hintergrund wird die Entscheidung jedes Einzelnen respektiert, seine Zukunft in seiner derzeitigen Heimat zu gestalten oder im Rahmen der gesetzlichen Aufnahmebestimmungen nach Deutschland auszusiedeln.

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Das bedeutet einerseits, daß wir einen sozialverträglichen Zuzug bejahen. Andererseits werden wir die Angehörigen der deutschen Minderheiten in den Herkunftsländern auch künftig dabei unterstützen, ihre wirtschaftliche, soziale und rechtliche Lage zu verbessern. Daraus wird deutlich: In unserer zukunftsorientierten Politik werden einerseits neue Akzente und Schwerpunkte gesetzt, andererseits ist sie in Kernbereichen auf Kontinuität ausgerichtet.

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2. Neuer Schwerpunkt: Integration

Sozialverträglicher Zuzug setzt Integration voraus. Integration ist daher Schwerpunkt der Aussiedlerpolitik dieser Bundesregierung und hat absolute Priorität. Das oberste Ziel ist, die Aussiedler für die schnelle und dauerhafte Teilhabe am sozialen, beruflichen und kulturellen Leben vor allem der örtlichen Gemeinschaft vorzubereiten und auf Entwicklungen, die dies zu verhindern drohen, offensiv und effektiv zu reagieren.

Die Eingliederung der heute zu uns kommenden Russlanddeutschen ist trotz zurückgegangener Zuzugszahlen erheblich schwieriger geworden. Diese Entwicklung hat verschiedene Ursachen:

  • fehlende Deutschkenntnisse,

  • zunehmender kultureller Abstand auch infolge gemischtnationaler Ehen,

  • allgemein verschlechterte Chancen auf dem Arbeitsmarkt,

  • Bildung von Wohngebieten mit hoher Aussiedlerkonzentration, auch wenn dieser Entwicklung durch das Wohnortzuweisungsgesetz entgegengewirkt werden konnte.

Vor diesem Hintergrund ist eine Schwerpunktverlagerung im Integrationstitel des BMI vorgenommen worden, in dessen Zentrum nun nicht mehr bildungspolitische Seminare, sondern die Förderung von gemeinwesenorientierten und wohnumfeldbezogenen Maßnahmen steht. Hier gilt es, vor allem in Gebieten, die durch Aussiedlerzuzug zu sozialen Brennpunkten geworden sind, befriedend und integrierend zu wirken.

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Für die Integration sind trotz der schwierigen Haushaltslage mehr Mittel notwendig. Die sozialen Verwerfungen als Folge einer mißlungenen Eingliederung sind nicht nur inhuman, sondern kommen unsere Gesellschaft teurer zu stehen als die Kosten einer erfolgreichen Integration. Ich sehe meine Aufgabe darin, das Bewußtsein hierfür zu schärfen und eine Umsteuerung zu erreichen. Es gilt dabei auch deutlich zu machen, daß Integration haushaltspolitisch nicht auf das Einreisejahr zu begrenzen ist. Diese Arbeit dauert mehrere Jahre, und deshalb müssen auch bei zurückgehenden Zuzugszahlen die notwendigen Finanzmittel für einen längeren Zeitraum bereitgestellt werden.

So habe ich bereits im Jahr 1999 eine deutliche Erhöhung der Integrationsmittel des BMI um 10 Mio. DM von 32 auf 42 Mio. DM erreicht. Für das Haushaltsjahr 2000 haben trotz aller Sparzwänge die Integrationsmittel auf 45 Mio. DM aufgestockt werden können. Dies ist ein erster, nicht nur finanzpolitischer Erfolg: Mit einer solchen Verstärkung setzen wir ein wichtiges und richtiges Zeichen.

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3. Jugendliche Spätaussiedler

Die gezielte Förderung der Integration junger Aussiedler hat absolute Priorität in der Aussiedlerpolitik der neuen Bundesregierung. Für sie sind verstärkte Anstrengungen erforderlich, damit sie besser in ihre neue Lebenswelt hineinwachsen. Damit wird auch neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung getragen, die zu dem Ergebnis kommen: „Wir müssen uns vordringlich um die jungen Leute kümmern, damit sie nicht zu Außenseitern in unserer Gesellschaft werden und in Kriminalität und Drogenkonsum abgleiten". Hier tickt eine „soziale Zeitbombe". Entsprechende Entwicklungen lassen sich aus Untersuchungen über Auffälligkeit und Delinquenz ablesen. Ein wesentlicher Vorwurf, den man der Vorgängerregierung machen muß, ist, auf diese absehbare Entwicklung nicht ausreichend reagiert zu haben.

Die neue Bundesregierung trägt dieser Situation mit neuen Maßnahmen stärker Rechnung: Im Mittelpunkt der Integrationsförderung des BMI stehen daher künftig verstärkt gemeinwesenorientierte und wohnumfeldbezogene

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Projekte. Die Arbeit für die jungen Aussiedler muß dort ansetzen, wo sie wohnen, dort, wo sie Schwierigkeiten haben. In diese wichtige Arbeit müssen auch verstärkt die Eltern und Erzieher der Kinder und Jugendlichen einbezogen werden. Ebenso müssen künftig auch diejenigen jungen Menschen vermehrt eingebunden werden, die mit den Aussiedlern zusammenleben, seien es nun Deutsche oder Ausländer. Wir müssen lernen, Spätaussiedlerintegration nicht mehr als einen isolierten Prozeß zu begreifen. Natürlich gilt es, auf Besonderheiten zu reagieren. Gleichwohl findet Spätaussiedlerintegration nicht auf einer Insel statt, sondern in und mit allen im Gemeinwesen lebenden Gruppen.

Die neuen gemeinwesenorientierten Maßnahmen zielen auf Spätaussiedler und ihre Nachbarn in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld ab. Sie sind Teil ihrer Lebens- und Erfahrungswelt und können damit konkret zur Behebung von Integrationshemmnissen beitragen. Deren Inhalte sollen stets präventiven Charakter haben und beziehen sich vor allem auf:

  • Isolations- und Aggressionsabbau,

  • Einbindung in die örtlichen Gemeinschaften sowie

  • Vorbereitung auf den Beruf und das gesellschaftliche Leben in Deutschland.

Ein ganz wesentliches Element der gesellschaftlichen Integration ist hierbei, die Spätaussiedler an örtliche Vereine heranzuführen und dort einzubinden. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung zahlreiche gezielte Finanzhilfen und konkrete Initiativen eingerichtet. Neben dem BMI-Projekt „Ost-West-Integration" des Deutschen Volkshochschulverbandes möchte ich besonders die Aktion „Sport mit Aussiedlern" hervorheben. Unter diesem Motto wird seit nunmehr zehn Jahren vom Deutschen Sportbund erfolgreiche Integrationsarbeit geleistet. Inzwischen unterstützt die Bundesregierung im Rahmen dieses Projektes über 4.000 Einzelmaßnahmen.

Ich möchte alle an der Integrationsarbeit Beteiligten ermutigen, von solchen Möglichkeiten noch mehr als bisher Gebrauch zu machen. Vor allem junge Menschen brauchen Halt und Orientierung, sie brauchen eine Gemeinschaft, in die sie sich einbringen können und in der sie akzeptiert sind. Gerade der Sport kann hier Vorbildliches leisten.

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Junge Menschen, die Sport treiben und sich in Vereinen engagieren, leiden nicht an Ziellosigkeit und Langeweile. Sie lassen sich nicht von Parolen radikaler Gruppierungen beeindrucken. Sie sind weitestgehend immun gegen Drogen, Vandalismus und Kriminalität. Sport ist eine regelrechte „Schutzimpfung" vor Bandenwesen.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit hinweisen, das dazu dient, neue Ausbildungs- und Arbeitsstellen für Jugendliche zu schaffen. Spätaussiedlerjugendliche haben davon im Vergleich zu anderen überdurchschnittlich profitiert. Auch im Jahr 2000 wird dieses Programm zur Vermittlung einer Ausbildungs-, Berufs- und Lebensperspektive weiterhin mit 2 Mrd. DM ausgestattet sein. Es steht auch jugendlichen Spätaussiedlern offen und bietet ihnen eine Chance zur besseren beruflichen Integra-
tion.

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4. Netzwerke für Integration

Eine meiner ersten Handlungen war, für ein Netzwerkkonzept zu werben. Einen wichtigen Teil meiner Arbeit sehe ich darin, die Integrationsbemühungen effektiver zu gestalten, d.h. die Maßnahmen nicht zuletzt wegen der begrenzten Mittel stärker zu verknüpfen und zu vernetzen. Diese Funktion sollen kommunale Netzwerke für Integration übernehmen. Auch hier ist keine isolierte Spätaussiedlerarbeit gemeint.

In diesem Zusammenhang beabsichtige ich, die Gemeinden stärker in die Verantwortung einzubeziehen. Integration ist keine Randgruppenarbeit, sondern eine wichtige kommunale Aufgabe. Diese Erkenntnis setzt sich zunehmend auch in den Gemeinden durch.

Mir schwebt vor, daß zu diesem Zweck Netzwerke für Integration gebildet werden müssen. Dies muß kein personal- und kostenintensiver Apparat sein. Wichtig ist aber ein institutionalisierter „runder Tisch", an dem alle an der Integration Beteiligten und nicht zuletzt die Aussiedler bzw. ihre Organisationen sitzen sollen. Die Leitung dieses Netzwerks sollte möglichst bei der Kommune liegen, die ja auch die Gesamtverantwortung für die Integration vor Ort hat. Allerdings halte ich es auch für denkbar, daß sich die

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Kommune zwar beteiligt, die Leitung aber in die Hand einer anderen Stelle, die mit Integration befaßt ist, legt.

Ein „Netzwerk" für Integration kann besser entscheiden, wo zusätzliche Maßnahmen nötig und erfolgversprechend sind. Wir bekommen auf diese Weise qualifiziertere, auf die örtlichen Bedürfnisse zugeschnittene Projekte, die in die anderen kommunalen Aktivitäten eingebettet sind. Dieses Verfahren soll dazu beitragen, daß die Maßnahmen nicht mehr an den verfügbaren „Fördertöpfen", sondern an den vorhandenen Problemen vor Ort orientiert werden.

Was die Bildung von kommunalen Netzwerken angeht, sollen in Zukunft mit Integrationsmitteln des Bundesinnenministeriums solche Projekte bevorzugt gefördert werden, die aus einem solchen Netzwerk entstanden sind. Damit ist indes keineswegs ausgeschlossen, daß auch weiterhin andere Projekte gefördert werden. Damit verbinde ich die Erwartung, daß die Netzwerke zu einem dauerhaften Instrument der Integration nicht nur der Aussiedler, sondern auch aller anderer Zuwanderer werden.

Zusätzlich beabsichtige ich, die Entwicklung von Netzwerken für eine begrenzte Übergangszeit und ausschließlich modellhaft und auf wenige Einzelfälle beschränkt auf dem Wege der Projektförderung zu finanzieren. Hierdurch sollen den Städten und Gemeinden zusätzliche Integrationshilfen gegeben werden.

Aber wir müssen nicht nur die Gemeinwesenarbeit stärker aufeinander abstimmen. Das gilt auch für die Beratung von Migranten, seien es Spätaussiedler, Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge und andere Zuwanderergruppen. Hier müssen wir mittelfristig auch stärker vernetzen. Es kann nicht richtig sein, daß sich in einer Gemeinde hierzu die Sozialverwaltung und mehrere Verbände unabgestimmt und gleichzeitig tummeln. Es kann nicht richtig sein, daß Migrationsberatung aus zwei unterschiedlichen Töpfen des Familienministeriums und aus einem weiteren des Arbeitsministeriums vielfach ohne Abstimmung untereinander finanziert wird. Es gilt, Ressourcen sinnvoll einzusetzen, Kräfte zu addieren und auch sparsam mit Steuermitteln umzugehen. Wir müssen eine Migrationsberatung in den Städten und Gemeinden sichern, die auf Gemeinsamkeit ausgerichtet ist und für Spezialfragen, z.B. für die nach dem Bundesvertriebenengesetz, Platz hat.

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Diesen Ansatz sollten die Betreuungsorganisationen, Bund, Länder und Gemeinden vorbehaltlos prüfen und gemeinsam organisatorische und finanzpolitische Konzepte entwickeln.

Dem steht auch die Notwendigkeit der Vernetzung auf Bundesseite gegenüber. Wie schon im „Spätaussiedlerkonzept 2000" ausgeführt, ist dabei nicht die Schaffung von neuen Ämtern mein Ziel, sondern die Bündelung der vorhandenen Kräfte in einem Bundesinstitut für Integration, das als Abteilung des Bundesverwaltungsamtes vorhandene Ressourcen nutzt und sie sinnvoll ergänzt. Wissenschaftliche Arbeit in Verbindung von Forschungs- und Hochschuleinrichtungen, Koordination und Organisation der Sprachförderung, Koordination der Projektförderung und Beratungsarbeit, Abstimmung der Arbeitsansätze auf Bundes- und Landesebene gehören zum Aufgabenbereich des Instituts. Ich weiß, das ist kein einfaches Ziel. Es gilt, über lange Jahre gewachsene Strukturen behutsam, aber beständig mittelfristig zu verändern. Dabei ist es wichtig, daß unsere Gesellschaft die Zeit überwunden hat in der Zuwanderung regierungsamtlich gar nicht zur Kenntnis genommen wurde. Nur wenn wir die Zuwanderung als Fakt akzeptieren, werden wir uns auch mit deren Aufgaben auseinandersetzen können.

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5. Sprachförderung

Mein wichtigstes Ziel im Jahr 2000 bleibt eine Verbesserung der Sprachförderung für die Aussiedler. Sprache ist bekanntlich der Schlüssel zur Integration.

Eine generelle Verlängerung der Sprachförderung, die insbesondere von den Ländern gefordert wird, ist offensichtlich zur Zeit nicht durchsetzbar. Haben wir doch für diesen Zweck – einschließlich der Eingliederungshilfe – im Jahr 1999 immerhin rd. 1 Milliarde DM ausgegeben.

Es wird deshalb vor allem darum gehen, diese beträchtlichen Mittel effektiver einzusetzen. Hierzu gibt es ein Gutachten, das im Auftrag des Haushalts-Ausschusses eingeholt worden ist. Konsequenzen aus diesem Gutachten sind noch nicht gezogen, weil noch kein Einvernehmen zwischen den Ressorts über eine weitergehende Öffnung der Sprachförderung für Aus-

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länder erzielt werden konnte, die vom BMA gefordert wird. Ich verberge nicht, daß mich die lange Bearbeitungsdauer nicht befriedigt. Wobei ich anerkenne, daß es nicht nur in der Ministerialbürokratie schwierig ist, Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind, schnell zu verändern.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines klarstellen: Ich bin für diese Öffnung im Interesse der Integration aller Zuwanderer mit einem dauerhaften Bleiberecht. Dies darf aber nicht zu Lasten der Qualität der Sprachförderung für Aussiedler gehen. Ich verweise darauf, daß Aussiedlern gemäß §7 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) die Eingliederung, insbesondere in das berufliche Leben, zu erleichtern ist, wozu auch die Vermittlung entsprechender Sprachkenntnisse gehört.

Mit der Diskussion dieser Grundsätze haben wir leider viel Zeit verloren. Jetzt muß endlich eine Entscheidung getroffen werden. Ich setze mich – ausgehend von den Vorgaben des Haushaltsausschusses – dafür ein, daß

  • alle Spätaussiedler einen Anspruch auf eine Sprachförderung erhalten, auch diejenigen, die als Familienangehörige nach § 8 Abs. 2 einbezogen worden sind,

  • daß ein differenziertes, abgestimmtes und testierbares Sprachförderkonzept entwickelt , umgesetzt und effizienter kontrolliert wird,

  • daß gemeinsam mit den Kommunen im Anschluß an die 6-monatige Basisförderung eine 4-monatige beruflich-sprachliche Orientierung angeboten wird. Bei bislang durchgeführten Pilotprojekten dieser Art erreichen wir Vermittlungen in Ausbildung und Arbeitsmarkt von 60 bis 90 %,

  • daß Sprachförderung auf Bundesebene aus einer Hand organisiert und finanziert wird. Ein Nebeneinander oder gar Konkurrenzveranstaltungen können wir uns nicht erlauben.

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6. Weitere Erhöhung der Integrationsmittel

Die zunehmenden Probleme bei der Integration erfordern nach meiner Einschätzung eine weitere Erhöhung der Integrationsmittel. Die Kosten einer gescheiterten Integration sind weit höher; insofern ist das Geld sinnvoll angelegt. Falls sich allerdings herausstellen sollte, daß man das Problem auch dadurch nicht in den Griff bekommen kann, muß ernsthaft über Alternativen nachgedacht werden. Dieses gilt insbesondere für die Gruppe der miteinbezogenen Familienangehörigen. Bei diesen stellten wir die größten Sprachdefizite fest, und wir müssen in diesem Falle verfassungsrechtlich und organisatorisch prüfen, wie wir das Erlernen von Grundkenntnissen der deutschen Sprache schon vor der Ausreise verpflichtend machen können.

Mittelfristig könnte man hier Integrationsverträge nach niederländischem Beispiel einführen. In diesen Verträgen werden gegenseitige Verpflichtungen dokumentiert und durch die Migrationsberatung begleitet. Nach dem Grundsatz „fördern und fordern" werden Hilfen gegeben, aber auch Sanktionsmöglichkeiten eingeräumt.

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7. Aufnahme

Zum 01.01.2000 sind zwei von der Bundesregierung initiierte Änderungen des Bundesvertriebenengesetzes in Kraft getreten:

  • Präzisierung des Ausschlusstatbestandes in § 5 Nr.1 BVFG, wonach privilegierte Funktionsträger des kommunistischen Herrschaftssystems und deren gleichfalls privilegierte Verwandte wegen Fehlens eines Kriegsfolgenschicksals vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus ausgeschlossen werden.

  • Die Zahl der jährlich zu erteilenden Aufnahmebescheide für Spätaussiedler und deren Familienangehörige ist auf rd. 100.000 Personen pro Jahr festgeschrieben worden.

Diese Änderung der Rechtslage hat insofern für die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler keine faktischen Auswirkungen, als diese Zuzugszahl bereits im Jahre 1998 und 1999 ohnehin tatsächlich erreicht worden ist und

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sich eine gegenläufige Entwicklung für die Zukunft aus derzeitiger Sicht auch nicht abzeichnet.

Gleichwohl ist aus der Sicht der Bundesregierung eine Anpassung der Rechtslage an die tatsächliche Entwicklung zweckmäßig und erforderlich, um auf diese Weise allen mit der Aufnahme und Integration von Spätaussiedlern befaßten staatlichen und sonstigen Stellen Planungssicherheit für die kommenden Jahre zu verschaffen. Diese Planungssicherheit ist notwendig, weil die im Rahmen der Haushaltssanierung erfolgten notwendigen Kürzungen im Bereich der Aufnahme und Integration von Spätaussiedlern auch weiterhin von einer auf einen jährlichen Zuzug von rd. 100.000 Personen begrenzten Zahl ausgehen müssen. Unter den gegebenen Bedingungen ist darüber hinaus eine sozial verträgliche Integration nur möglich, wenn diese Zahl grundsätzlich nicht überschritten wird (eine Abweichung um 10 % nach oben oder unten ist dem Bundesverwaltungsamt (BVA) nach dem Gesetz möglich). Von der auf diese Weise hergestellten Planungssicherheit sollen schließlich auch die Spätaussiedler profitieren: Es wird in Zukunft voraussichtlich möglich sein, nach Zustimmung des aufnehmenden Landes zur Erteilung eines Aufnahmebescheides die Antragsteller über den Zeitpunkt der Bescheiderteilung gesondert zu informieren.

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8. Ausreise nach Deutschland

Weitere Neuerungen gibt es bei der Zuwanderung der Aussiedler nach Deutschland. Wegen der schwierigen Finanzlage des Bundes können Spätaussiedler von Leistungskürzungen nicht ausgenommen werden.

  • So gibt es seit dem 1.1.2000 für Spätaussiedler sowie ihre einreiseberechtigten Angehörigen grundsätzlich keine aus Steuermitteln finanzierte Freiflugmöglichkeit mehr. Ausreisewillige müssen ihre Ausreise dann selbst organisieren und finanzieren. Ein wichtiges Ziel der bisherigen Regelung war, eine geordnete Zuwanderung zu gewährleisten. Dies bleibt auch bei der Neuregelung nach meiner Überzeugung sichergestellt.

  • Um die Aufnahme der Betroffenen zu ermöglichen, gibt es – trotz aller Sparzwänge – eine pauschale Zahlung in Höhe von 200,-- DM für

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    jeden Zuziehenden, wie er schon bislang für die sog. Selbstfahrer gezahlt wurde. Der Betrag wird bei der Erstaufnahmeeinrichtung ausgezahlt.

    Das Bundesverwaltungsamt stellt in Deutschland eine Betreuung und Weiterleitung unter verstärkter Einbeziehung der Verbände sicher. Für Härtefälle wird es auch in Zukunft bei der Freiflugregelung bleiben.

  • Nachdem in den letzten Jahren der Zuzug von Spätaussiedlern nach Deutschland deutlich zurückgegangen ist, sind die bestehenden Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen Aussiedler nach ihrer Einreise betreut, registriert und auf ein Bundesland verteilt werden, immer weniger ausgelastet worden. Deshalb wird die Erstaufnahme aller nach Deutschland einreisenden Spätaussiedler künftig zentral in Niedersachsen erfolgen.

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9. Sprachtest

Zu der Forderung, künftig wieder auf den Sprachtest in den Herkunftsgebieten zu verzichten, möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen, daß m.E. auf die Nachprüfbarkeit der Sprachkenntnisse nicht verzichtet werden kann. Der Sprachtest ist Teil des gesamten Aufnahmeverfahrens. Sowohl die geltenden gesetzlichen Vorgaben im Vertriebenenrecht als auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sind dabei sehr eindeutig.

Um den Sprachtest aussiedlerfreundlich zu gestalten, veranlaßte ich bereits wenige Wochen nach meinem Antritt die Verkürzung der Anreisewege durch Dezentralisierung der Testorte, Testbefreiung bei Personen, die bereits sehr alt sind, und die Abmilderung der psychischen Belastung durch zusätzliche Aus- und Fortbildung der Sprachtester. Vor dem Test wird zunächst ein Vorgespräch durchgeführt, um die Testatmosphäre aufzulockern, auf Wunsch kann der Test verschoben werden.

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10. Verlängerung des Wohnortzuweisungsgesetzes

Das Wohnortzuweisungsgesetz, das am 15. Juli 2000 endet, findet eine Nachfolgeregelung. Dieses Gesetz hat sich - trotz vereinzelt geäußerter Kritik - bewährt. Es gewährleistet eine gleichmäßige Verteilung der Spätaussiedler im Bundesgebiet und erleichtert dadurch die sozial verträgliche Integration vor Ort, die auch und besonders im Interesse der Aussiedler liegt. Daher kann das Wohnortzuweisungsgesetz Mitte 2000 nicht ersatzlos auslaufen; vielmehr soll eine Anschlussregelung erfolgen.

Diese Anschlussregelung soll einerseits dem berechtigten Interesse der Spätaussiedler an einer freien Wohnortwahl Rechnung tragen, insbesondere wenn sie schon mehr als drei Jahre lang der gesetzlichen Bindung unterlagen. Eine längere Bindung dieser Spätaussiedler wollen wir ausschließen. Andererseits besteht die Notwendigkeit, das Entstehen neuer Ballungsgebiete zu vermeiden und bestehende nicht zusätzlich zu belasten. Auch ist das Interesse der Verwaltung an der Planungssicherheit beim Einsatz von Integrationsmitteln zu berücksichtigen.

Daher haben sich Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände auf folgende Eckpunkte geeinigt:

In der neuen Fassung dieses Gesetzes ist für Neuankömmlinge und schon in Deutschland lebende Aussiedler eine individuelle Bindungsfrist von drei Jahren vorgesehen. Dadurch wird gewährleistet, daß die bereits Eingereisten nicht sofort, sondern nach und nach aus der Bindung entlassen werden. Würden die Altfälle nicht in die Anschlussregelung einbezogen, würden am 15. Juli 2000 über eine halbe Million Personen aus der Bindung an die Wohnortzuweisung herausfallen. Wenn nur ein Teil von ihnen seinen derzeitigen Aufenthaltsort verlassen würde, könnte dies kaum übersehbare Konsequenzen haben.

Die geplante Anschlussregelung bringt im Vergleich mit dem geltenden Recht für die Spätaussiedler Verbesserungen: Die Bindungsfristen sind kürzer als nach geltendem Recht, das in Extremfällen eine Bindung von über vier Jahren vorsieht. Neu ist auch, daß Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen, die am Zuweisungsort keine Arbeit finden, sich künftig befristet

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an einem anderen Ort aufhalten können, um sich dort einen Arbeitsplatz zu suchen.

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11. Überprüfung der Hilfsmaßnahmen für die deutschen Minderheiten

Lassen Sie mich abschließend noch einige Worte zu den Hilfen der Bundesregierung für die deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten sagen. Um die Bleibewilligkeit der Angehörigen der Minderheiten zu erhöhen, sollen die vielfältigen Hilfsmaßnahmen in den Herkunftsländern grundsätzlich fortgesetzt werden.

Alle Projekte sind einer kritischen Prüfung unterzogen worden und haben zu einer Änderung der Zielsetzungen geführt. Diese Ziele lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wir werden uns von den in den vergangenen Jahren oft kritisierten Infrastrukturmaßnahmen und investiven Großprojekten im Bereich der Wirtschaft und Landwirtschaft verabschieden und dort fördern, wo den Menschen konkrete Perspektiven in ihren angestammten Wohngebieten geboten werden. Dabei sollen die finanziellen Maßnahmen dazu beitragen, das Gemeinwohl vor Ort zu stärken und damit zur Stabilisierung der gesamten Region beitragen.

Ab 2000 werden die Projektmittel für die deutschen Minderheiten verringert. Diese Mittelabsenkung ist m. E. im Hinblick auf diese neue Politik vertretbar. Wir werden aber genug Mittel zur Verfügung haben, um die neuen Schwerpunkte, wie die Breitenarbeit, die Begegnungsstättenarbeit und die Städtepartnerschaften, zu intensivieren.

Im Zentrum der Projekte werden wegen der zahlenmäßigen Größe die deutschen Minderheiten in Rußland und Polen stehen. Wir wollen in Zukunft unsere Hilfen aber näher an die Menschen heranbringen. Daher werden im Mittelpunkt unserer künftigen Arbeit die sogenannten gemeinschaftsfördernden Hilfen stehen. Dazu zählen insbesondere Förderung und Ausbau der über 800 Begegnungsstätten der deutschen Minderheiten, vor allem in Rußland und in Polen, die Intensivierung des außerschulischen

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Deutschunterrichts sowie die Verstärkung von Aus- und Fortbildung und die Jugendarbeit.

Diese Arbeit wird ergänzt durch Existenzgründungshilfen auf Darlehensbasis und durch humanitäre Maßnahmen. Mein Ziel ist es, die Hilfsmaßnahmen entsprechend den Vereinbarungen des Europarates zum Minderheitenschutz so einzusetzen, daß noch fortbestehende Benachteiligungen der Minderheitenangehörigen abgebaut werden. Dabei sind nichtdeutsche Nachbarn stets so in die Maßnahmen mit einzubeziehen, daß Neid und Ablehnung vermieden werden. Dem trägt auch Rechnung, daß wir im vermehrten Umfang Projekte im Rahmen von Städtepartnerschaften fördern werden.

Bei der Minderheitenförderung wollen wir einen neuen und mir besonders am Herzen liegenden Ansatz versuchen, der in der verstärkten Nutzung bestehender oder noch zu schaffender Partnerschaften deutscher Kommunen, Kreise, Länder oder gesellschaftlicher Organisationen mit entsprechenden Partnern in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa besteht.

Städte, Gemeinden und Kreise, Verbände und Vereine, Unternehmen und Schulen bündeln bereits jetzt mit hoher Effizienz die Ressourcen ihres jeweiligen Tätigkeitsfeldes. Indem die Projekte für die deutsche Minderheit in kommunale oder regionale Partnerschaften eingebettet werden, verringert sich die Gefahr von Neid bei den nichtdeutschen Nachbarn. Durch menschliche Kontakte und genaue Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten können bedarfsgerechte Hilfen initiiert und verwirklicht werden. Wenn neben der Stadtverwaltung z.B. auch Schulen, Krankenhäuser, Hilfsorganisationen, Vereine, Verbände, Feuerwehren und berufsständige Organisationen einbezogen sind, wachsen Verständnis und Toleranz für Minderheiten in breiten Bevölkerungsschichten einer Kommune. Durch bessere Kenntnis von Situation und Geschichte der Minderheit kann die Akzeptanz für die Zuwanderer erhöht werden. Zugleich können die Aussiedler ihre besonderen Kenntnisse von Land und Leuten ihres Herkunftsgebietes in die Städtepartnerschaft einbringen.

Bei den über 1.000 bestehenden kommunalen oder regionalen Partnerschaften mit Städten oder Regionen in Osteuropa kann der Bund im Rah-

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men seiner Zuständigkeit zur Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements konkrete Einzelmaßnahmen fördern. Dabei sind die Anstrengungen darauf auszurichten, daß nachhaltig belastbare Verbindungen initiiert werden, die schon mittelfristig ein Eigenleben entwickeln, ohne weitere Begleitung bzw. Intervention Dritter. Zwar ist das Zutun des Bundes begrenzt auf die Initialzündung – nachhaltige Erfolge müssen die Partner eigenständig realisieren. Dabei soll der deutsche Partner grundsätzlich einen angemessenen Eigenbeitrag leisten. Wichtig ist, daß das ehrenamtliche Engagement erhalten bleibt.

In Gesprächen mit Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und mit den Verantwortlichen in den Herkunftsstaaten wird noch zu prüfen sein, auf welche Weise weitere Städtepartnerschaften initiiert werden können. Auch insoweit kann der Bund Anschubhilfen leisten.

Wir sind auf einem guten Weg. Wir stellen uns den Aufgaben der Zuwanderung, wir sehen in ihr nicht nur die Lasten, sondern vor allem die Chancen. Wir wissen, die Integration als Chance zur Teilhabe und die Ermöglichung der guten Nachbarschaft kann nicht vom Bund verordnet werden. Es ist eine große, gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich lohnt. Jeder ist gefordert. Die Bundesregierung wird hierzu ihren Beitrag leisten und die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Lassen Sie uns gemeinsam an die Arbeit gehen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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