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Günther Schultze
Zusammenfassung


Die Bundesregierung sieht in der Integration von Aussiedlern den Schwerpunkt ihrer Aussiedlerpolitik. Für Jochen Welt ist vor allem die Integration von jugendlichen Spätaussiedlern das vorrangige Ziel. Das Bundesinnenministerium hat deshalb die zur Verfügung stehenden Integrationsmittel erhöht. Im Zentrum der Förderungen stehen nicht mehr bildungspolitische Seminare, sondern gemeinwesenorientierte und wohnumfeldbezogene Maßnahmen. Insbesondere werden Projekte zum Isolations- und Aggressionsabbau bei Jugendlichen gefördert. Um die Arbeit effektiver zu gestalten, sollen kommunale Netzwerke entstehen. Dadurch wird vermieden, daß Aussiedlerintegration zur sozialen Randgruppenarbeit wird. Modellhaft sollen für einige Zeit einzelne Netzwerke gefördert werden. Auf Bundesebene wäre es sinnvoll, die vorhandenen Kräfte in einem Bundesinstitut für Integration zu bündeln, das als Abteilung des Bundesverwaltungsamtes vorhandene Ressourcen nutzen und sinnvoll ergänzen könnte. Die Sprachförderung für Spätaussiedler muß optimiert werden. Zur Zeit wird diskutiert, eine einheitliche Sprachförderung für alle Zuwanderer zu konzipieren. Die Zahl der neu einreisenden Spätaussiedler und ihrer Familienangehörigen ist auf ca. 100.000 Personen pro Jahr festgeschrieben worden. Nur so ist gewährleistet, daß eine sozialverträgliche Integration möglich ist. Bei der Ausreise wird auch in Zukunft ein Test der deutschen Sprachkenntnisse erfolgen. Ziel ist es jedoch, ihn aussiedlerfreundlich zu gestalten. Das Wohnortzuweisungsgesetz hat sich bewährt, und es wird eine Anschlußregelung geben. Die Hilfsleistungen für Angehörige der deutschen Minderheiten in Osteuropa werden fortgesetzt. Die vorhandenen Gelder werden schwerpunktmäßig in die Breitenarbeit, die Begegnungsstättenarbeit und die Städtepartnerschaften investiert.

Die Integration von Spätaussiedlern ist heute schwieriger geworden. Christian Pfeiffer und Peter Wetzels analysieren, welche Auswirkungen dies auf ihre Kriminalitätsbelastung hat. Eine Abfrage bei Justizvollzugsanstalten im gesamten Bundesgebiet zeigte, daß der Anteil junger Aussiedler im

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Strafvollzug 1998 etwa doppelt so hoch war wie ihr geschätzter Anteil an der Bevölkerung in der Altersgruppe der 14- bis 21jährigen. Eine empirische Untersuchung in Niedersachsen ergab, daß Landkreise mit hohen Zuwanderungszahlen von Aussiedlern eine höhere Kriminalitätsbelastung haben als Landkreise mit niedrigen Zuwanderungszahlen. Die Analyse dieser Aggregatdaten erlaubt jedoch keinen Rückschluß auf das tatsächliche Verhalten von Aussiedlern. Weitergehende Ergebnisse liefert eine 1998 in neun Großstädten durchgeführte Schülerbefragung. In der Befragung wurden Informationen erhoben zur sozialen Lage, Opfererfahrungen, Anzeigeverhalten, Merkmale der Täter und selbstberichtete Delinquenz. Ein Ergebnis ist, daß die Täterraten der jungen Aussiedler aus GUS-Staaten in etwa denen der jungen Deutschen entsprechen. Sie liegen deutlich unter den Raten anderer junger Migranten. Es sind überwiegend männliche Jugendliche, die gewalttätig werden. Ein interessantes Ergebnis ist, daß mit steigender Aufenthaltsdauer die Kriminalitätsbelastung zunimmt. Bei jungen Türken trifft dies auch auf die in Deutschland Geborenen zu. Ein Erklärungsfaktor ist, daß mit zunehmender Aufenthaltsdauer die Konflikte in den Familien zunehmen. Physische Gewalt von Eltern gegenüber Jugendlichen ist in Aussiedlerfamilien häufiger anzutreffen als bei anderen deutschen Familien, jedoch seltener als in türkischen Familien. Dies kann eine Erklärung für die unterschiedlichen Gewalttäterraten sein. Bei der Interpretation dieser Daten muß beachtet werden, daß ländliche Gebiete nicht berücksichtigt wurden und sich die Befragung nur auf 14- bis 16jährige Jugendliche beschränkte.

Unverändert bestehen Schwierigkeiten bei der beruflichen Integration von Spätaussiedlern. Neben der allgemeinen Arbeitsmarktlage nennt Peter Ewert individuelle Gründe hierfür: geringe oder unpassende berufliche Kenntnisse, mangelnde Sprachkenntnisse, unterdurchschnittliche Bereitschaft, sich beruflich weiterzubilden und noch zu geringe Mobilität und Flexibilität. Besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind ältere Arbeitnehmer und Frauen. Eine besondere Problemgruppe sind auch die Akademiker. Oftmals ist es nicht möglich, ihnen adäquate Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Ein Einstieg in den Arbeitsmarkt ist oftmals nur auf einer niedrigeren Qualifizierungsebene möglich. Einen wesentlichen Beitrag zur Eingliederung von Aussiedlerjugendlichen liefert das „Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit" der Bundesregierung. Es wird er-

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gänzt durch spezielle Förderprogramme der Länder. Die berufliche Weiterbildung hat unter den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten einen besonderen Stellenwert. Erfolgversprechende Weiterbildungsangebote für Spätaussiedler gibt es im Bereich der Informations- und Kommunikationsberufe. Wünschenswert wäre eine bundesweite Bildungsoffensive für alle Zugewanderten. Bei der Verteilung der Spätaussiedler auf einzelne Wohnorte sollte auch die örtliche Arbeitsmarktlage berücksichtigt werden.

Die Vernetzung von Maßnahmen und ihre interkulturelle Orientierung ist ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der beruflichen Integration von Spätaussiedlern. Für Ute Kotter ist die Basis der sozialen Arbeit die Anerkennung der Tatsache, daß Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft ist. Die Einwanderung erfordert ein allgemein akzeptiertes Konzept zur Integration. Die Vernetzung als Arbeitsauftrag für Migrations- und Sozialdienste muß die interkulturelle Öffnung aller Angebote zum Ziel haben. Den Jugendgemeinschaftswerken kommt hierbei eine Brückenfunktion zur Arbeitswelt zu. Die Mitarbeiter der JGWs haben umfassende Kenntnisse über junge Aussiedler als Zuwanderergruppe. Ihnen kommt auch eine Moderatorenfunktion zu. Im Kreis Lüneburg, Lüchow-Dannenberg, begann die Vernetzung der Aktivitäten bereits 1995. Heute besteht ein Netzwerk aller beteiligten Bildungsträger, Schulen und der relevanten Beratungseinrichtungen. Auch die kommunalen Ämter sind einbezogen. Ein Beispiel für eine gelungene Qualifizierungsberatung ist das „Förderplanzentrum" der AWO. Es werden für jeden einzelnen individuelle Förderpläne erarbeitet, die aufeinander abgestimmte Einzelmaßnahmen festlegen.

Das Bundesverwaltungsamt bewirtschaftet ca. 42 Millionen DM aus dem Haushalt des BMI. Christoph Hübenthal betont, daß bevorzugt Projekte gefördert werden, die aus einem Netzwerk gestellt werden. Das Ziel von Netzwerken ist eine institutionalisierte Zusammenarbeit aller im Integrationsbereich mitwirkenden Stellen im Sinne eines umfassenden Sozialraummanagements. Netzwerke sollen die Probleme vor Ort analysieren, das Vorgehen der verschiedenen Akteure besser abstimmen, eine Evaluation laufender Projekte leisten und den Mitteleinsatz dadurch insgesamt effektiver gestalten. Mittelfristig soll ein Bundesnetzwerk für Integration unter Einbeziehung der Länder und der gesellschaftlichen Gruppen entstehen. Er

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befürwortet eine Bündelung aller Fördermöglichkeiten des Bundes auf administrativer Ebene im BVA unter Einschluß der Sprachförderung.

Beate Tröster berichtet über das Netzwerk für Integration für Spätaussiedler und Migranten in Erfurt, das seit Oktober 1999 besteht. In ihm arbeiten u.a. Vertreter von kommunalen Ämtern, freien Trägern der Sozialarbeit, Organisationen der Aussiedler und der Landessportbund mit. Ziele sind vor allem die Schaffung praxis- und gemeinwesenorientierter Eingliederungshilfen und die Förderung der Aufnahmebereitschaft von „Fremden" durch die einheimische Bevölkerung. Konkrete Netzwerkangebote sind u.a.: Entwicklung von Fortbildungsangeboten, Informationsservice und Durchführung von Fachkonferenzen. In Arbeitsgruppen werden jeweils spezifische Probleme bearbeitet. So ist z.B. für das Jahr 2000 ein „Integrationsfest" in Erfurt geplant. Außerdem wird ein zweisprachiger Wegweiser über wichtige Einrichtungen der Stadt Erfurt erarbeitet. Probleme ergeben sich teilweise durch die Konkurrenz der einbezogenen Einrichtungen. Erforderlich ist außerdem die Festlegung einer Geschäftsordnung als Arbeitsgrundlage des Netzwerkes.

Auch im Erftkreis und der Stadt Köln existieren Netzwerke für Integration. Für Klaus Dietrich Frank ist es besonders wichtig, daß Organisationen der Aussiedler selbst einbezogen werden. Das Wohnviertel ist der ideale Ort, über alle kulturellen und sprachlichen Grenzen hinweg Zusammenleben zu praktizieren. Seit 1996 gibt es im Erftkreis einen Beirat für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen. Mitglieder sind u.a. der Bürgermeister, verschiedene kommunale Ämter, Sportvereine, Polizei, Schulen, Wohlfahrtsverbände und verschiedene Träger der sozialen Arbeit. Auch die örtliche Presse ist beteiligt. Auch in Köln gibt es seit ca. drei Jahren Arbeitskreise zu diesem Thema. Die eigentlichen Netzwerke sollen jetzt jedoch in den einzelnen Stadtbezirken gegründet werden.


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