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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 73 ] 6. Muslimische Spitzenverbände in Deutschland Neben den zahlreichen Verbänden und Vereinen haben sich in den letzten Jahren verschiedene übergreifende Organisationen herausgebildet, deren Ziel darin besteht, die Muslime und ihre Interessen über die Grenzen der einzelnen Verbände und Moscheen hinaus zu vertreten. Auf das Gebiet verschiedener Städte bezogen sind solche Zusammenschlüsse entstanden, wie die Union der Türkischen und Islamischen Vereine in Krefeld und Umgebung e.V. und der Dachverband Mannheimer Muslime, genauso wie es sie mit der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH) und der SCHURA - Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. auf der Ebene von Bundesländern gibt. Als Spitzenverbände zur Wahrnehmung muslimischer Interessen auf Bundesebene sind zwei Organisationen entstanden, die im folgenden kurz darzustellen sind. [Vgl. Lemmen 1998b.] 6.1 Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland / Islamischer Weltkongreß Deutschland (altpreußischer Tradition) e.V. Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, so lautete die ursprüngliche Bezeichnung, entstand am 21. November 1986 in Berlin. Gründungsmitglieder waren neben dem VIKZ, die Jamaat un-Nur Köln e.V., die sufische Gemeinschaft Les amis de lIslam e.V. und der Islamische Weltkongreß / Deutsche Sektion e.V. Eng mit ihm verbunden war das Islam-Archiv-Deutschland in Soest, das die Verwaltung übernahm. Aufgrund interner Differenzen verließ der VIKZ den Islamrat bereits zwei Jahre später wieder. Der 1990 erfolgte Beitritt der damaligen AMGT bewahrte ihn damals vor der Bedeutungslosigkeit. Der Islamrat besaß zunächst nicht die Rechtsfähigkeit eines eingetragenen Vereins, sondern bezog seiner Verfassung nach seine Rechte aus denen seiner Mitglieder (Art. 1 Abs. 1). Dies änderte sich durch den 1997 vollzogenen Zusammenschluß mit dem Islamischen Weltkongreß Deutschland (altpreußischer Tradition) e.V., wodurch der Islamrat unter einem neuen Namen rechtsfähig wurde.
[Die Genese dieses Zusammenschlusses ist überaus kompliziert: Am 8. März 1997 beschloß die Mitgliederversammlung des Islamischen Weltkongresses eine Neufassung der Satzung des Vereins unter dem Namen: Islamischer Weltkongreß Deutschland (altpreußischer Tradition) / Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V. Aufgrund formeller Beanstandungen des Amtsgerichts Soest verzögerte sich die Eintragung zunächst. Da der Verein mittlerweile auch eine Verlegung seines Sitzes nach Bonn anstrebte, kam es am 29. November 1997 zu einer erneuten Mitgliederversammlung. Dabei wurden die Neufassung der Satzung, diesmal unter dem Namen Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland / Islamischer Weltkongreß Deutschland (altpreußischer Tradition) e.V. , und die Vorstandswahl wiederholt sowie die Sitzverlegung beschlossen. Die Eintragung dieser Beschlüsse erfolgte aufgrund erneuter Beanstandungen und eines Kompetenzgerangels zwischen den beteiligten Amtsgerichten erst am 8. Oktober 1998 in Soest und am 23. Oktober 1998 in Bonn (Lemmen 1999c, S. 144f.).]
Als seine Ziele formuliert der Islamrat unter anderem die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 2 Abs. 5) und die Einführung islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach (§ 2 Abs. 13). Als Grundlagen seiner Tätigkeit betrachtet er sowohl die auf Koran und Sunna basierende islamische Lehre als auch die auf dem Grundgesetz und den Länderverfassungen beruhende freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands (§ 2 Abs. 2). Als ein zusätzliches Vereinsorgan hat der Islamrat neben dem Vorstand und der Mitgliederversammlung noch eine sogenannte Geistliche Verwaltung mit einem Shaikh ul-Islam an der Spitze (§ 6). Durch verschiedene Ergänzungen der Verfassung von 1993 (Art. 7/a+b) [Seite der Druckausg.: 74 ] ist damit eine aus dem Osmanischen Reich bekannte Institution in seine Struktur inkorporiert worden. Derzeit gibt der Islamrat die Zahl der Mitgliedsorganisationen mit insgesamt 30 an, wodurch der Eindruck entsteht, daß es sich um einen Zusammenschluß handelt, der zahlreiche Organisationen und entsprechend viele Muslime vertritt. Eine genaue Analyse der einzelnen Mitglieder kann jedoch zeigen, daß viele von ihnen direkt oder indirekt zur IGMG gehören und sich daher der Schluß ziehen läßt, daß der Islamrat zu einem erheblichen Umfang von der IGMG dominiert wird." [Lemmen 1999b, S. 28; zu den Einzelheiten: ebd. S. 28-40.] Dem Islamrat gehören die folgenden Organisationen an: [Laut schriftlicher Mitteilung des Islamrates vom 27. Juni 2000.]
6.2 Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD) Als Vorgänger des ZMD entstand im Jahre 1988 der Islamische Arbeitskreis in Deutschland (IAK) als ein loser Zusammenschluß islamischer Organisationen. Er ist damals aus dem Bemühen hervorgegangen, in Fragen der Einführung des islamischen Religionsunterrichts und des betäubungslosen Schächtens nach islamischem Ritus eine gemeinsame Position gegenüber der deutschen Öffentlichkeit zu vertreten. Dem IAK gehörten sowohl die großen türkisch-islamischen Verbände (VIKZ, AMGT, DITIB, ATIB) als auch die bedeutenden Zentren in Hamburg, Aachen und München an. Er konnte daher tatsächlich als repräsentative Vertretung der in den meisten Organisationen zusammengeschlossenen Muslime gelten. Diese breite Basis zerbrach letztlich mit dem Austritt der AMGT am 14. September 1993 und der Weigerung der DITIB, Ende 1994 die Umwandlung des IAK in den ZMD mitzuvollziehen. [Da die damalige Verfassung des Islamrates eine Doppelmitgliedschaft in einem anderen Gremium ausschloß, entschied die AMGT sich für den Verbleib im Islamrat. Die DITIB legte bei der Gründung des ZMD ausdrücklich auf die Feststellung Wert, kein Mitglied des neuen Zusammenschlusses zu sein.] Nachdem der IAK sich am 27. November 1994 in ZMD umbenannt hatte, strebte er durch die Errichtung einer Satzung am 26. März 1995 die Rechtsform eines eingetragenen Vereins an. Seiner Satzung nach sieht er seine Aufgabe darin, die ihm angehörenden Organisationen in den Muslime betreffenden Angelegenheiten gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. Hierzu kann er die Tätigkeiten seiner Mitglieder koordinieren und gemeinsame Aktivitäten entfalten (§ 2). Grundlage seiner Arbeit sind der Präambel der Satzung zufolge sowohl die in Koran und Sunna enthaltene islamische Lehre als auch das Grundgesetz und die Rechtsordnungen Deutschlands. Seinem Selbstverständnis nach versteht der ZMD sich als Zusammenschluß von Verbänden, weshalb - abgesehen von den Gründungsmitgliedern - keine einzelnen Vereine oder Moscheen eine Mitgliedschaft erwerben können (§ 4 Abs. 2). Neben der Vertreterversammlung und dem Vorstand gehören ein islamischer Gutachterrat für religiöse Fragen (§ 8) und ein Beirat zur Beratung und Durchführung bestimmter Projekte (§ 8a) zu den Vereinsorganen. Dem ZMD gehören derzeit 19 Mitglieder an. Anders als beim Islamrat läßt sich bei einer genauen Betrachtung feststellen, daß sich dieser Zusammenschluß durch eine Vielfalt unterschiedlicher Nationalitäten, konfessioneller Ausprägungen und gesellschaftspolitischer Ausrichtungen auszeichnet. Sein Erscheinungsbild wird daher nicht von einem Verband und seinen Ablegern bestimmt, sondern der ZMD läßt tatsächlich das gesamte Spektrum unterschiedlicher Organisationen in Deutschland erkennen.
[Vgl. Lemmen 1999b, S. 40-57.]
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000 |